Vorschulische Bildung
breit ausgedehnter Begriff (in 70ern eingeführt)
umfasst alle öffentlichen & geförderten Bildungsangebote von Geburt bis Schuleintritt
findet auch in Familien statt
Historischer Hintergrund
eng mit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert und den sich dadurch verändernden Familienstrukturen verbunden
am Anfang: Betreuungsaspekt (auch heute noch sehr wichtig) und nicht Bildungsaspekt im Vordergrund
Zwecke und Ziele der vorschulischen Bildungsinstitutionen
Sozialfürsorge
Ermöglichung mütterlicher Erwerbstätigkeit
Vereinbarkeit von Familie und Beruf
Stabilisierung von Unterschichtshaushalten und Familien
Kindererziehung nach bürgerlichen Ordnungsvorstellungen
Vorbeugung von Verwahrlosung
Entlastung der Armenkassen von Gemeinden
Entlastung der Bewahrfunktion des Schulwesens
Friedrich Fröbel (1840)
Begründung des Kindergartens
betonte Bildungsaspekt
berücksichtige Familie als Bildungsort bereits mit
Orientierung an kindlicher Entwicklung & Lernart im Vorschulalter
zentral = kindliche Tätigkeit & Spiel als bevorzugtes Medium der Weltaneignung
erkannte Bildungsauftrag vorschulischer Einrichtungen
setzte sich mit Unterstützung der Familien auseinander
—> Konzept prägte Kleinkindpädagogik weltweit
Bewahrfunktion vs. Bildungsfunktion
lange Zeit Bewahrfunktion im Vordergrund
Ende 60er/Anfang 70er: neue Befunde zur Intelligenzentwicklung
70er: Angebot der Kindertagesbetreuung steigt
80er: verstärkter Ausbau der Kindergartenplätze
2000er: PISA (Programme for International Student Assessment)
Wahrnehmung von Kitas als wichtige Bildungsinstanzen
Bildungsaspekt rückt immer mehr in den Mittelpunkt
Schweiz
begrenztes außenfamiliäres Betreuungsangebot (immer noch)
nur wenige erwerbstätige Mütter konnten Angebote wahrnehmen
familieninterne Betreuung wurde daher bedeutsamer
Ausbau der Plätze erst später & weniger
öffentliche Kita-Betreuung schlechter entwickelt
Deutschland
Strukturplan des deutschen Bildungsrates 1970 (WDE)
Kindergarten als Elementarstufe des Bildungssystems
Anfang 70er: nur für 1/3 der Kinder zwischen 3-6 möglich aufgrund Platzknappheit
ähnlich: Anfang 21. Jhdrts für 1-3-Jährige
1990: Rechtsanspruch auf Platz für 3-6
2013: Rechtsanspruch auf Platz für 1-3
Österreich
Forschung zu Intelligenzentwicklung
Befunde der Motivations-, Lern- & Sozialisationsforschung
Ende 1960: Bildungsaspekt bezüglich Vorschule im Diskurs
Wie viel Prozent der Kinder werden betreut?
Kindertageseinrichtung (Kita)
Kindergärten, Krippen
freiwilig
normalerweise kostenpflichtig
pädagogisches Personal hat in deutschsprachigen Ländern meist keine akademische Ausbildung (aber Quote dafür in DE auf 5,4% angehoben)
Akademische Ausbildung
2014/15: erste Studiengänge für Elementarpädagogik an FH Campus Wien und Uni Salzburg
2017: 72 Studiengänge für Kindheitspädagog*innen an 55 deutschen (Fach-)Hochschulen
Theorien und Ansätze der frühen Bildung und Erziehung
Entstehung im 19. und 20. Jh.
eher holistische Konzepte (basieren nicht auf speziellen Lern- oder Entwicklungstheorien)
berücksichtigen Entwicklungsbesondersheiten kleiner Kinder
Basis = verschiedene philosophische Weltanschauungen
Übersicht der Ansätze/Theorien
Klassische Ansätze
Fröbel-Pädagogik
Montessori-Pädagogik
Waldorf-Pädagogik
(Friedrich Fröbel)
Idee = Einheit von Individuum + Gott + Natur
Ziel = dem Kind die Einheit im Spiel erfahrbar machen
für Altersstufe passende Auseinandersetzung mit Welt
Materialien („Spielgaben“) —> Ball, Legetafeln, Perlenspiele ...
spezifische Aktivitäten —> Kreisspiele, Gartenarbeit ...
Ausbildung von „Spielführern“ ab 1839
Aufgabe = Anleitung & Begleitung
Basis für Beruf der Erzieher/Kindergärtner
führende Konzeption bis weit ins 20. Jahrhundert
viele Elemente heute in modernen Konzepten aufgegangen
(Maria Montessori)
kindliche Entwicklung = innengesteuerter Prozess
von außen beeinflussbar
Frühkindliche Bildung als Sinnesschulung
Entwicklung vielfältiger selbstkorrigierender Materialien —> Anleitung nicht notwendig
Aufgabe von Pädagogen = Gestaltung der Umwelt
muss zu Entwicklungsstadien „sensiblen Periode“ passen
schafft Erfahrungen, die Entwicklung vorantreiben
(Rudolf Steiner)
Basis = Anthroposophie
individuelle Entwicklung in 7-Jahres-Stufen
3 Stufen bis zum 21. Lebensjahr
jede Stufe = neues Leib-Geist-Seele-Wesen
Frühpädagogik bezieht sich auf 1. Jahrsiebt
äußerliche körperliche Nachahmung
Kind hat noch hohe Plastizität
Vermittlung möglichst harmonischer und lebendiger Eindrücke (z.B. Eurythmie, Spiel, Feiern, Lied, Ausdrucksgestaltung, Werken, …)
Naturmaterialien bevorzugt, Vermeidung vorgefertigten Spielzeugs
Pädagogische Fachkraft hat Vorbildfunktion & besondere Bedeutung
Reifungstheorie
(Hall & Gesell)
dominant im 20. Jhdrt
Basis = reifungstheoretisch orientierte Entwicklungspsychologie
Ziel = Pädagogik soll natürliche Entfaltung sichern und störende Umwelteinflüsse abwehren
biologische Prädisposition determiniert Entwicklungsverlauf
Etablierung von Entwicklungsnormen für Altersstufen und dazugehörigen Prozessen (Fortsetzung: „Developmentally Appropriate Practices“)
Verbindung von Entwicklungsstufe mit Fertigkeiten
Gestaltung der Erziehungsprozesses auf dieser Basis
dominierte Kindergartenpädagogik bis späte 60er
Kritik an Reifungstheorie
Ausrichtung auf Spielpflege und freie Entwicklung
„inaktive Zuschauerpädagogik“
Kinder werden „künstlich dumm gehalten“
Folge:
veränderte Perspektive auf Bildung & Lernen in Kitas
Milieu- & lerntheoretische Wende mit Betonung früher Anregungen
Didaktische Ansätze
Funktionsorientierung
Disziplin-/Wissenschaftsorientierung
Situationsorientierung
Funktionsorientierung bzw. funktionstheroetische Ansätze
Ziel = Verbesserung des Leistungs- und Entwicklungsstandes
Kind als psychologischer Apparat, dessen Einzelfunktionen (Wahrnehmung, Denken, Sprache, Bewegung …) durch gezieltes und isoliertes Training zu verbessern sind
Ausrichtung kindlicher Erfahrungen und kindlichen Lernens auf ein „Später“
Folge: Boom an Lernspielen, Puzzles, Arbeitsblättern ...
aber: Integration in ein übergeordnetes didaktisches Konzept blieb offen
Wissenschaft- oder disziplinorientierte Ansätze
Ziel = Schaffung eines Systems von geordnetem Wissen, um Sacherfahrungen zu organisieren
im Vordergrund: Vermittlung elementarer wissenschaftlicher Begriffe und Prinzipien in verschiedenen Wissensbereichen (z.B. Mengenbegriff in der Mathematik)
Inhalte und Ergebnisse vorschulischen Lernens sollen sachlich richtig sein
für 5-6 Jährige konzipiert
situationsorientierte Ansätze
Ziel = Bewältigung aktueller Lebenssituationen
Kind als spontaner, neugieriger, aktiver Gestalter seiner Umwelt
kindliche Bildungsprozesse sollen auf Hier und Jetzt (auf Alltagserfahrungen und deren Bewältigung) anknüpfen
Förderung von Neugier durch anregende Umwelt
Funktionsbereiche (z.B. Sprache, Denkfähigkeit) hier nicht isoliert trainiert, sondern in praktischen/lebensnahen Aneignungsprozessen gefördert
Lernfeld nicht auf Institution begrenzt
prägte frühpädagogische Praxis bis in 2000er
Übergeordnete Ziele der Situationsorientierung
Autonomie
Solidarität
Kompetenz
Kritik an didaktischen Konzepten
einseitige Orientierung an der Situation
Vernachlässigung bereichsspezifischen Lernens
fehlende Ausbildung bestimmter Fähigkeiten & Fertigkeiten
zu wenig empirische Daten zu Umsetzung & Wirkung
Ziel und Idee eines konzeptionellen Rahmens einer empirischen Bildungsforschung im Vorschulbereich
Ziel: „black box“ auflösen und pädagogische Qualität sichtbar machen
Kinder haben verschiedene Hintergründe und Voraussetzungen
Input = Orientierungs- & Strukturqualität
Output = Prozessqualität & Familienbezug
Bildungsoutcomes = kurz-, mittel-, langfristig
—> pädagogische Qualität kann in ihren verschiedenen Dimensionen und Facetten und mit Einfluss auf kurz-, mittel- und langfristige Bildungseffekte untersucht werden
Ebenen pädagogischer Qualität
Orientierungsqualität
Strukturqualität
Prozessqualität
Qualität des Familienbezugs
= Bild vom Kind, das die pädagogischen Fachkräfte vefolgen
z.B. Auffassung über Bildung, Entwicklung, Erziehung ...
in Einrichtungskonzeptionen und Leitlinien des Trägers kollektiv festgehalten
= Rahmenbedingungen, die der Praxis vorgegeben und politisch geregelt werden
umfasst „distale“ Merkmale:
personale Merkmale (z.B. Ausbildungsniveau der Fachkräfte)
soziale Merkmale (z.B. Gruppengröße, Erzieher-Kind-Beziehung)
räumlich-materiale Merkmale (z.B. Anzahl der zur Verfügung stehenden Räume)
umfasst “proximale” Merkmale
Dynamik, Umgang, Anregungen, Aktivitäten
d.h. Erfahrungen und Interaktionen, die das Kind täglich in der Kindergartengruppe macht
= zentral, denn in Prozessen passiert Bildung, Betreuung,
Erziehung der Kinder im Alltag
= Passung zwischen pädagogischem Angebot der Kindertageseinrichtung und den Bedürfnissen der Familien
z.B. Zusammenarbeit zwischen beiden, Mitwirkungsmöglichkeiten für Eltern
Konzeptioneller Rahmen für Analyse vorschulischer Bildung & ihrer Effekte
Tietze (1987)
Quoten von Zurückstellung, Sitzenbleiben, Sonderschulenüberweisung
bei Grundschulklassen mit mehr kindergartengeförderten Kindern geringer
IGLU
= Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung
längere Kindergartenzeit korrelierte mit höheren Leistungen in Lesen, Mathe, Naturwissenschaften bei 4.-Klässlern
FBBE
= Frühkindliche Bildung, Betreuung, Erziehung
Tatsache und Dauer hat positiven Zusammenhang mit späterem Schulerfolg
Qualität des konkreten pädagogischen Angebots ist ausschlaggebend (nicht Teilnahme an sich)
Erfassung der pädagogischen Prozessqualität
durch “Early Childhood Environment Rating Scale”
Early Childhood Environment Rating Scale
(deutschsprachige Fassung: “Kindergarten-, Krippen- oder Tagespflege-Skala”)
erfasst pädagogische Prozessqualität
erfordert direkte Beobachtung (—> mit Aufwand verbunden)
international weit verbreitet
Instrumenten-Set deckt gesamten Vorschulbereich ab (Krippen- und Tagespflegebereich)
Zusammenhang zwischen Prozess- und Strukturqualität
inkonsistente Studienergebnisse —> einige finden Zsmhg, andere nicht
Positiver Einfluss auf Prozessqualität:
gute Fachkraft-Kind-Relation
offene statt gruppenbezogene Arbeit
geringe Altersmischung
bessere räumliche Bedingungen
mehr Vor- und Nachbereitungszeit
Zusammenhang zwischen Prozess- und Orientierungsqualität
individuumsbezogene Orientierung
negativ dafür: traditionellere, wenig individuumsbezogenere Überzeugungen der Erzieherinnen
Curricula, die gezielte Förderung mit einer eher kindzentrierten Orientierung verbinden
Betonung der Beziehungsgestaltung
negativ dafür: zu starke Fokussierung auf die Schulvorbereitung
Bildungsoutcomes
kurzfristig (meiste Studien):
Vorschulalter
kognitiv-sprachliche, soziale Kriteriumsmaße
kritische Aspekte wie Verhaltensprobleme bei zeitlich längerer Betreuung
mittelfristig:
Schulleistungskriterien
Maße sozialer Kompetenz & Integration
allgemeiner Schulerfolg
langfristig (meist Feldstudien):
Bildungsabschlüsse im jungen E-Alter
(Un)Abhängigkeit von sozialer Wohlfahrt
Beschäftigungsstatus
Einkommen
kurzfristige Effekte hoher Qualität
förderlich für …
kognitive und sprachliche Entwicklung/Sprachkompetenz
(allgemein) Wortschatzentwicklung
numerische Kompetenzen
Bewältigung von Alltagssituationen
Qualitätsunterschiede ==> bis zu 1 Jahr Entwicklungsunterschiede!
NUBBEK-Studie (Nationale Untersuchung zur Bildung, Betreuung, Erziehung in der frühen Kindheit)
Untersucht: Faktoren und Systemebenen mit Einfluss auf Bildung und Erziehung in früher Kindheit
zentrale Annahmen:
Qualität der pädagogischen Prozesse und des Familienbezugs (Output) = abhängig von Orientierungsqualität und Strukturqualität (Input)
Qualitätsbereiche haben Einfluss auf Outcomes (kindliche Bildung, kindlicher Entwicklungsstand, Familiensituation)
sowohl familiäre als auch außerfamiliäre Prozesse betrachtet
Erhebung:
in Familie des Zielkindes (mehrstündig)
im institutionellen Setting (Kindergarten, Kindertagespflege, Krippe)
Mittel- und langfristige Effekte hoher Qualität
bessere Sprach-, Mathe- und soziale Kompetenz
bessere schulische Outcomes (in Lesen, Mathe, NaWi)
bessere Bewältigung von Alltagssituationen
—> bei Langzeiteffekten scheint Qualität der anschließenden Schule relevant zu sein
Kompensatorische Förderung
richtet sich speziell an Kinder aus sozial benachteiligten Familien
anspruchsvoll konzeptualisiert: Kindertagesbetreuung + familienbezogene Interventionen
benachteiligte Kinder profitieren nachhaltig (sowohl im sprachlich-kognitiven als auch im sozial-emotionalen Bereich)
reine Elternbildungsprogramme fördern kaum nachhaltig —> Kombination machts aus
daher: in letzten Jahren Weiterentwicklung von Kindertageseinrichtungen zu Familienzentren
Verbesserungsmöglichkeiten für Orientierungsqualität
Curriculare Rahmenpläne (auch: AT Bildungs-Rahmen-Plan und CH kantonale Kindergarten- Lehrpläne)
einrichtungsspezifische Konzeptionen entwicklen
Verbesserungsmöglichkeiten für Strukturqualität
Anhebung der Erzieherausbildung (Einrichtung frühpädagogischer Studiengänge)
Verbesserung der Weiterbildungsstrukturen
Verbesserung der Fachkraft-Kind-Relation
Stärkung der Einrichtungsleitungen (z.B. durch Leitungsfreistellung)
Verbesserungsmöglichkeiten für Prozessqualität
Fortbildungen und Trainings von Erzieherinnen und ganzen Teams (aber wenige Studien zur Wirksamkeit)
—> besonders effektiv, wenn …
konkrete Handlungspraktiken vermittelt
Umsetzung durch Beratungs- oder Coachingangebote begleitet
„Does training matter?“ - ja!
aber Effekte des Trainings abhängig von Art, Struktur, Form und Dauer
distale Ebenen nur indirekt über Weiterbildungsangebote beeinflussbar
Verbesserung hängt davon ab, ob Output-Merkmale in vorschulischen Bildungs- und Betreuungssettings etabliert werden können
Verbesserungsmöglichkeiten für Qualität des Familienbezugs
Anerkennung des Stellenwertes der Familie für die frühe Bildung von Kindern
Fortentwicklung von Kindertageseinrichtungen zu Familienzentren
Ziel: über niedrigschwellige Angebote für Eltern in Kindertageseinrichtungen deren Erziehungskompetenz zu stärken
Wirkungsebenen frühpädagogischer Weiterbildung
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