Worauf beruht die evidenzbasierte Praxis?
Forschungsergebnisse
Klinische Expertise
Präferenzen und Werte der Patient:in
Behandlung unipolarer affektiver Störungen - Was sind die vier primären Behandlungsstrategien?
“Watchful Waiting” (aktiv-abwartende Begleitung) bzw. “Niedrigintensive Interventionen”
Medikamentöse Behandlung
Psychotherapeutische Behandlung
Kombinationsbehandlung
Im Einzelfall (v.a. stationär) weitere nichtmedikamentöse somatische Therapien (z.B. Elektrokonvulsionstherapie, Lichttherapie, Schlafentzug)
Entwicklung (kognitiv-) behavioraler Modellvorstellungen im Laufe der Zeit
Anspruch, lerntheoretische Gesetzmäßigkeiten auf den Umgang mit psychischen Störungen anzuwenden - “Verhaltenstherapie”
Zunehmende Integration kognitiver Elemente - “Kognitive Verhaltenstherapie”
Integration zusätzlicher Aspekte auf dem Fundament der behavioralen und kognitiven Tradition: Achtsamkeit, Akzeptanz, verstärkter Fokus auf Emotionsregulation, integrative Elemente - “Dritte Welle” der Verhaltenstherapie
Personalisierte/ individualisierte Psychotherapie
Aufbau eines beispielhaften kognitiven Entwicklungsmodells (wichtige Vertreter: Beck & Ellis)
Das Kognitive Fallkonzept
Das kognitive Fallkonzept
Kognitive Verhaltenstherapie bei Depression - Module und deren Inhalte
(Module sind Vorschläge zum Vorgehen bei Behandlung depressiver Störungen. Reihenfolge nicht festgelegt, Vorgehen immer Patient:innenzentriert)
Modul 1 - Therapeutisches Basisverhalten, Therapeutische Beziehung, Vermittlung des Therapeutischen Rationals
Modul 2 - Verhaltensaktivierung, Tagesstrukturiereung, Aufbau positiver Aktivitäten, Abbau von Belastungen, Reduktion aversiver Bedingungen
Modul 3 - Veränderung von Kognitionen, kognitive Umstrukturierung, Werte und (Lebens-)Ziele, Akzeptanz, Metakognitive Strategien
Modul 4 - Kompetenzsteigerung, Erlernen neuer Fertigkeiten (z.B. soziale), Achtsamkeit, Problemlösen
Modul 5 - Erkennen depressiver Einbrüche/ Beginn neuer Episoden, Notfallplanung, Beibehaltung des Therapieerfolgs
KVT - Basisinterventionen: Verhaltensaktivierung - Prototypisches Vorgehen
• Vermittlung eines Behandlungsrationals/ Psychoeduktion
• Dokumentation des Ausgangsniveaus von Aktivitäten/ Ereignissen (Arbeit mit Wochenplan/ Liste angenehmer Aktivitäten im Verlauf)
• Verdeutlichung des Zusammenhangs zwischen Aktivitäten/ Ereignissen und Stimmung bzw. Veränderungen der Stimmung, zusätzlich Einbezug von Kognitionen
• Aufbau potentiell angenehmer, positiver Aktivitäten,
• Abbau von Belastungen
Was sind automatische Gedanken und was sind ihre Merkmale?
Automatische Gedanken sind:
Schnell ablaufende, reflexhaft auftretende, in einer Situation subjektiv plausibel erscheinende Kognitionen, die zwischen einem Ereignis und einem emotionalen Erleben bzw einer Handlung (Konsequenz) ablaufen.
Merkmale:
bei psychischen Störungen häufig verzerrt und sehr negativ gefärbt
kurz, evtl. auch visuell
nachfolgendes Gefühl ist deutlicher als der Gedanke selbst
Beispiele: “Ich kann es eh niemandem Recht machen”, “Da habe ich wieder Versagt”, “das schaffe ich nie” …
Was sind Grundüberzeugungen?
abstraktere Prinzipien, Einstellungen, Werthaltungen, Ziele, Ansprüche usw., die nicht so leicht dem Bewusstsein zugänglich sind (bzw. voll Scham unterdrückt werden) und oft erst über die Analyse und die Bearbeitung automatischer Gedanken in unterschiedlichen Situationen erkennbar werden
z.B. “Ich bin ein Versager”, “Ich bin Wertlos”, “Ich muss immer perfekt sein”, “ich muss von allen gemocht werden”
KVT Basisinterventionen - Kognitive Interventionen - Identifikation automatischer Gedanken
Geeignete Situationen auswählen…
Wenn Emotionensich in Sitzung verstärken/ verändern (Beschreibung einer problematischen Situation etc.)
Wenn Stimmung sich im Rollenspiel verändert/ verstärkt
Wenn Stimmung sich in der lebhaften Imagination einer problematischen Situation verändert/ verstärkt
Wochenprotokoll
Beispiel: Herr M., 43, Stimmungseinbruch nach Ankündigung von allgemeinen Umstrukturierungen am Arbeitsplatz.
Ggf. kurze Imagination zu Beginn
Schließen Sie die Augen, stellen Sie sich die Situation vor, als würde Sie jetzt grade ablaufen
Ziel: Konfrontationen mit externen Ereignissen um Kognitionen (und damit einhergehende Gefühle) zu aktivieren.
PatientIn soll sich so in die Situation hinein versetzen, als würde sie jetzt grade ablaufen und Gedanken verbalisieren, die ihm/ ihr zu dieser Situation durch den Kopf gehen
Fragetechniken zum Erarbeiten automatischer Gedanken
Was geht Ihnen durch den Kopf/ Ist in Ihnen vorgegangen?
Welche Gedanken kommen noch?
An was denken Sie jetzt grade?
Was haben Sie zu sich selbst gesagt?
Haben Sie bestimmte befürchtungen?
Kommen bestimmte Erinnerungen hoch? Welche Gefühle gehen damit einher?
Können Sie das genauer beschreiben?
Zusätzliche Fragetechniken und wichtige Aspekte zum Erarbeiten automatischer Gedanken
Immer auch korrespondierende Gefühle erfragen und auf Stimmungsveränderungen achten (“Sie wirken gerade…” oder “Was geht Ihnen durch den Kopf”?)
Erhobene Gedanken auf Vollständigkeit überprüfen: nicht zu schnell aufhören! (zeitliche Reihenfolge? Lücken?)
Therapeut:in sollte darauf achten, dass Patient:in Gedanken in ganzen Sätzen sowie ich- und Aussageform äußert.
Kognitive Interventionen - Schema
Modifikation automatischer Gedanken: Sokratischer Dialog („Columbo-Technik“)
Sokratischer Dialog ist wichtiges Mittel für kognitive Interventionen
Patient:innen sollen durch gelenktes Fragen in die Lage versetzt werden, selbst zu entdecken, dass ihre gewohnte Art zu denken nur eine mögliche Form ist und auch andere Interpretationen möglich oder gar realitätsgerechter sind (vgl. Hautzinger, 2013)
Es geht nicht darum zu argumentieren oder belehren, sondern zu hefen, eine andere Perspektive auf eigene Gedanken und Konzepte einzunehmen
Was ist Ressourcenaktivierung?
„Ressourcenaktivierung knüpft an die vorhandenen Ziele, Werte und Möglichkeiten des Patienten an und versucht, diesen in der Therapie möglichst viel Raum zu geben.“
(Grawe, 1998, S. 34).
Ziel ist es, verfügbare Ressourcen zu aktivieren, nicht wahrgenommene Ressourcen nutzbar zu machen, Nutzung von Ressourcen zu optimieren und neue Ressourcen zu entwickeln (Klemenz, 2003)
Interventionen zur Stärkung des Selbstwertes (Potreck-Rose & Jacob, 2016)
Ziel entsprechender Interventionen:
Fokus der Aufmerksamkeit von „als negativ und inakzeptabel“ erlebten Aspekten der Person auf positive Aspekte verlagern
Eine angemessenere Bewertungsgrundlage schaffen.
z.B Gegenüberstellung von
Wohlwollendem Begleiter (Persönlichkeitsanteile, die Pat. wohlgesonnen sind)
innerem Kritiker (Normen, Pflichten, Werte)
Diskutieren, Explorieren, Analysieren, Validieren!
Vermittlung sozialer Kompetenzen - “Klassische” Trainings im deutschen Sprachraum (Auswahl)
•Gruppentraining sozialer Kompetenzen (GSK, Hinsch & Pfingsten, 2015)
•Berliner Soziales Kompetenztraining (B-SKT, Stenzel & deVeer, 2021)
Ziel von Inteventionen zur Vermittlung sozialer Kompetenzen
Das primäre Ziel aller Interventionen zur Förderung sozialer Kompetenz ist es, Menschen in ihren interaktionellen Fertigkeiten so zu unterstützen, dass ihnen eine effektive und sozial angemessene Verfolgung ihrer eigenen Bedürfnisse möglich wird (Stenzel & deVeer, 2021).
Welche Interventionen werden im sozialen Kompetenztraining durchgeführt?
Psychoedukation, Hierarchisierung
Kognitive Interventionen (Selbstverbalisationen)
Rollenspiele, Modelllernen
Verhaltenstraining
ggf. enthemmende Übungen (übertriebene Mimik, Ärgerausdruck, Selbstlobübungen=
Verstärkung, Shaping, (Video-)feedback
In-Vivo-Übungen und Hausaufgaben
Integrative Ansätze zur Depressionebehandlung - Hauptvertreter:innen der interpersonellen Psychotherapie (IPT)
•Gerald Klerman, Psychiater
•Myrna Weissman, Psychologin
Allgemeiner Hintergrund der interpersonellen Psychotherapie
Ursprünglich ganz auf Depressionsbehandlung ausgerichtet
Kurzzeittherapie;kombinierbar mit Pharmakotherapie, Erhaltungstherapie
Ursprünglich psychodynamischer-psychoanalytischer Hintergrund, dann Integration kognitiv-behavioraler Ansätze
—> Integrativer Ansatz
Strenge wissenschaftliche Fundierung
Patient erhält Krankenrolle („medicalmodel“; Entlastung von Schuld)
Fokus:Aktuelle zwischenmenschliche Probleme, die mit Depression im Zusammenhang stehen
Integrativer Ansatz - Theoretische Basis
Phasen der interpersonellen Psychotherapie
I Initiale Phase (1.–3. Sitzung): Auseinandersetzung mit Depression
Psychoedukation, PatientInnen (temporäre) „Krankenrolle“ zuweisen
(Die Notwendigkeit einer medikamentösen Behandlung erklären)
Beziehungsanalyse: Depression in interpersonellenKontext bringen. Beziehungen explorieren, die für die depressive Symptomatik von Bedeutung sind, interpersonelle Problembereiche identifizieren
Fokus wählen: Hauptproblembereichbestimmen, Behandlungsziele
II Mittlere Phase (4.–13. Sitzung): Arbeit am Problembereich
Bearbeitung des Fokus, beispielsweise…
Betrauern des Verlustes, Anpassung an soziale Rolle, Klärung und Bewältigung zwischenmenschlicher Konflikte, Balance Leistungs-& Beziehungswerte u.ä.
Bindungs-bzw. Beziehungsmuster, Kommunikationsstrategien, Emotionen im Vordergrund
III. Beendigungsphase (14.–16. Sitzung): Abschied nehmen
Thematisieren des Therapieendes als Abschiedsprozess unter Berücksichtigung damit verbundener Emotionen
Zusammenfassung des Erlernten, Ausblick (künftige Themen), Abklärung der Notwendigkeit weiterer Behandlung
IV. Erhaltungsphase (17.-30. Sitzung): Remission beibehalten
Was sind Bereiche interpersoneller Probleme?
Effektivität von Psychotherapie bei unipolaren affektiven Störungen
Aktuelle Metaanalysen: Keine Hinweise auf systematische Überlegenheit eines Verfahrens
Kognitiv-behaviorale Behandlungsansätze zählen zu den am besten untersuchten ambulanten Psychotherapien (Cuijpersetal. 2013)
Netzwerkanalyse: IPT überlegen gegenüber supportiver Therapie (Barth et al., 2013)
Hinweise auf Publikationsbias und andere methodische Probleme häufig (Cuijpersetal. 2020)
Weitere qualitativ hochwertige empirische Studien notwendig!
Verfahrensübergreifende Wirkfaktoren bei depressiven Störungen (vgl. Leitlinien)
Etablierung eines tragfähigen therapeutischen „Arbeitsbündnisses“
Klärung von Motivation, Zielen, Methoden, Setting der Behandlung
Festlegung des individuellen Behandlungsrahmens (Umsetzung, Frequenz, Finanzierung)
Anerkennung von Leidensdruck als Voraussetzung von Veränderung
Erleben ungünstiger Verhaltensmuster innerhalb der therapeutischen Beziehung & Ermöglichung korrigierender Lernerfahrungen
Ermöglichung von vertieftem emotionalem Erleben
Verdeutlichung der Funktionalität der Symptomatik
Anerkennung bzw. Aktivierung persönlicher & sozialer Ressourcen
Initiierung von Problembewältigung und Kompetenzerleben zur Förderung von Selbstwert, Selbstkongruenz und Selbstwirksamkeit
Integrationdes „Verstandenen“ und „Erlernten“ in den Alltag
Behandlungsempfehlungen: Akuttherapie leichtgradige (unipolare) Depression + Wann Psychotherapie wann AD?
Psychotherapie wenn …
andauernde Symptomatik trotz niedrigintensiver Interventionen
in Vergangenheit gut angesprochen
Risiko für Chronifizierung/ Verschlechterung
Ablehnung niedrigintensiver Verfahren/ in Vergangenheit nicht darauf angesprochen
Antidepressiva …
nicht zur Erstbehandlung
unter kritischer Abwägung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses, eingebunden in Gesamtkonzept
BE: Akuttherapie mittelgradige bis schwere (unipolare) Depression
Erhaltungstherapie und Rezidivprophylaxe
Erhaltungstherapie (“continuation”) = Weiterbehandlung aktuell (teil-)remittierter Patient:innen
Rezidivprophylaxe (“maintenance”) = Weiterbehandlung von Patient:innen, deren (Teil-)Remission bereits länger als 6 Monate andauert
Merke: In klinischen Studien werden beide Formen häufig gemeinsam betrachtet (spezifische Evidenz eingeschränkt)
Leitlinien Erhaltungstherapie und Rezidivprophylaxe
Psychotherapeutische Interventionen (nach medikamentösen oder psychotherapeutischen Akutinterventionen)
Behandlung bei bipolaren affektiven Erkrankungen
Bei der Behandlung Bipolarer Störungen können kurzfristige und langfristige Ziele(...) unterschieden werden.
Kurzfristige Ziele betreffen insbesondere eine Reduktion der depressiven bzw. (hypo-)manischen Symptome (Akutbehandlung).
Langfristige Ziele beinhalten u. a. Reduktion bzw. Vermeidung weiterer affektiver Episoden (Phasenprophylaxe) (Leitlinie, S. 79)
Psychotherapie erfolgt in der Regel als Ergänzung (nicht Alternative!) zur Psychopharmakotherapie(Leitlinie, S. 84)
•Keine angemessene akute und/oder phasenprophylaktische Pharmakotherapie anzubieten, ist aus aktueller Sicht therapeutisch nicht vertretbar (z. B. Goodwin et al. 2007, Benkert et al. 2008).
Leitlinie - Psychotherapeutische Interventionen bei bipolaren Erkrankungen
Therapie Manie 26 - Statement
Es gibt bislang keine empirischen Belege, dass eine spezifische
Psychotherapie/ Psychoedukation bei Behandlung einer akuten manischen Episode wirkt.
Therapie Manie 27 - Empfehlungsgrad 0
Bei leichten Manien & Hypomanien kann eine Psychotherapie (KVT, Psychoedukation, Familienfokussierte Behandlung) angeboten werden, um positive Effekte auf Dauer/ Intensität der Symptome zu erzielen, indem verhaltensnahe Maßnahmen erarbeitet werden (z. B. konkrete Aktivitätenpläne, Tagesstruktur, Zielvereinbarungen).
Therapie Manie 29 - Statement
Die Frage, ob eine psychotherapeutische Behandlung bei der Behandlung einer gemischten Episode im Rahmen einer Bipolaren Störung wirksam ist, kann aufgrund mangelnder Evidenz nicht beantwortet werden.
Therapie Depression 32 - Empfehlungsgrad A
Zur Behandlung akuter depressiver Episoden im Rahmen einer Bipolaren Störung soll eine Psychotherapie angeboten werden.
Empirische Belege liegen für die Kognitive Verhaltenstherapie (KVT), die Familien-fokussierte Behandlung (FFT) und die Interpersonelle und Soziale Rhythmustherapie (IPSRT) vor.
Interpersonelle und Soziale Rhythmustherapie (IPSRT)
Interpersonelle und Soziale Rhythmustherapie (IPSRT): Strukturierte und
manualgeleitete Einzelintervention (Frank 2005; Frank et al. 2005b).
Erweiterung & Modifikation der IPT.
Über drei Mechanismen Phasenprophylaxe/ Symptommanagement erreichen: Verantwortungsbewussten Umgang mit Medikamenten, Stabilisierung sozialer Rhythmen/ Regelmäßigkeit der täglichen Lebensführung, Reduktion interpersoneller Schwierigkeiten
Familienfokussierte Therapie (FTT) (Miklowitz 2010)
Kognitiv-verhaltenstherapeutisch orientierte Familientherapie.
Besonderheit: Programm sieht von Anfang an die Integration der Familie, der Partner oder anderer zentraler Bezugspersonen vor.
Richtet sich primär an junge Erkrankte.
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