Phonologische Bewusstheit
Mit phonologischer Bewusstheit ist eine metakognitive Fähigkeit gemeint, mit der es möglich ist, vom Wortsinn zu abstrahieren und sich auf den lautlichen Aspekt von Sprache zu konzentrieren.
Kinder, die lesen und schreiben lernen, müssen in der Lage sein, die Aufmerksamkeit vom Inhaltsaspekt der Sprache auf den Laut- und Wortstrukturaspekt zu lenken.
Dinge die das Gelingen von SSE entscheidend beeinflussen, sind…
… Gedächtnis
… Aufmerksamkeit
… phonologische Bewusstheit
Zur phonologischen Bewusstheit gehören
(Lundberg, 1994)
Abstraktionsfähigkeit
Fähigkeit zur Selbstbeobachtung
Überlegte, explizite Kontrolle
-> Einsicht in die Lautstruktur der Sprache
Zusammenhang Basis der Wortschatzentwicklung mit Aufbau phonologischer Bewusstheit
(Mahlau, 2008)
Kinder sind bereits im Alter von 1,5 bis 2 Jahre sensibel für den Lautaspekt der Sprache, indem sie auf Korrekturen ihrer sprachlichen Äußerungen reagieren und versuchen, artikulatorische Fehler zu verbessern.
Die frühe Sensibilität für den Lautaspekt lässt sich schulen, indem mit den Kindern Lieder gesungen, Zungenbrecher, Reime, usw. geübt werden. Solche Übungen machen aber nicht beliebig lange Sinn, denn es gibt eine sensible Phase, und diese liegt im ersten Schuljahr bzw. noch davor (Roth 1999).
phonologische Bewusstheit im weiteren Sinne
Die Fähigkeit, Reime zu erkennen, Silben zu segmentieren und zusammenzusetzen.
phonologische Bewusstheit im engeren Sinne
Die Fähigkeit, nicht nur Anfangs- und Endlaute in einem gesprochenen Wort identifizieren zu können, sondern das gesamte Wort auf seine lautlichen Bestandteile hin abhören zu können.
Phonologische Bewusstheit ist nicht nur eine Voraussetzung für den SSE, sondern hat auch eine Prognosekraft im Hinblick auf die Entwicklung des Lesens und Rechtschreibens.
-> Kinder mit geringer phonologischen Bewusstheit im Vorschulalter gelten als „Risikokinder“ der SSE.
-> Zusammenhang mit Lese-Rechtschreib-Störungen
Über die Wirkungsweise/ Wechselwirkung ist man sich nicht ganz sicher, erfolgreiche Trainingsstudien sagen jedoch:
Phonologische Bewusstheit wirkt sich positiv auf den SSE aus und andererseits führt der SSE selbst zu einer Verbesserung der phonologischen Bewusstheit.
Diagnostische Verfahren
Um Förderbedarf erkennen zu können, ist es zunächst wichtig zu wissen, welche phonologischen Leistungen Kinder im Vorschulalter in der Regel erbringen:
Rhythmisch unterstützte Silbengliederungen vornehmen (Lautdiskriminierung), wenn mehrsilbische Wörter durch Klatschen unterstützt werden.
Isoliertes Benennen einzelner Silben gelingt ohne diese Unterstützung noch nicht.
Heraushören von Anlauten gelingt, wenn es sich um betonte Vokale am Wortanfang handelt.
Verbindung von einzelnen Sprechlauten/ Hinzufügen von Lauten am Wortanfang ist ohne Hilfe noch nicht möglich.
Aufgaben zur phonologischen Bewusstheit lassen sich verschiedenen Schwierigkeitsstufen zuordnen (Schnitzler, 2008)
Leichte Aufgaben: Ein vorgegebenes Wort nachsprechen und dabei die Silben klatschen, Reime erkennen
Mittelschwere Aufgaben: Identifikation eines Wortes, das lautlich nicht in die Reihe vorgegebener Wörter passt: Nase - Vase, Hand, Hase oder Mund; für jedes erkannte Phonem in einem Wort einen Stein legen können
Schwere Aufgaben: Schüttelreime: bei einem vorgegebenen Wortpaar die Onsets austauschen: weich und schwach wird zu Scheich und wach; Reversionsaufgaben - ein Wort “rückwärts” sprechen
Mit folgenden Aufgabentypen kann sich eine Lehrkraft so Klarheit über den Entwicklungsstand der phonologischen Bewusstheit verschaffen als auch selbst Übungsformate generieren, die die Entwicklung unterstützen (Martschinke, 2011): nicht-standardisiert
Silben segmentieren
Wörter von Bildkarten sprechen und Silben klatschen
Silben zusammensetzen
Tierbild wird in Mitte auseinander geschnitten, durch Zusammenlegen der ersten Hälfte des 1. Tieres und zweiten Hälfte des 2. Tieres entsteht ein Phantasietier, das das Kind benennen soll.
Endlaute erkennen
“Was hörst du am Ende von Fahrrad?”
Umkehrung der Lautsynthese
Kind soll hierbei Wort nicht nur auflautieren, sondern auch rückwärts die vorher ermittelte Lautfolge sprechen
Laut zu Wort Zuordnung
Vorweg genannter Laut muss in einem gesprochenen Wort wiederentdeckt werden: “Hörst du ein /f/ in “werfen”?
Wort-zu- Wort Zuordnung
Vorgesprochene Wörter müssen hinsichtlich eines Lautes verglichen werden. “Beginnen “Fisch” und “Fahrrad” gleich?”
Reime erkennen
Bei vorgesprochenen Wörtern erkennen ob sie sich reimen oder nicht. “Reimt sich ‘Fisch’ und ‘Tisch’?”
Isolierung
Laut, dessen Stellung im Wort bekannt ist, soll isoliert gesprochen werden: “Was hörst du bei ‘Fisch’ in der Mitte?”
Phonemsegmentierung
Alle Laute eines Wortes sollen isoliert gesprochen werden. “Aus welchen Lauten besteht Tomate?”
Phoneme zählen
Phoneme (Laute) eines Wortes werden entweder numerisch gezählt oder erfasste Anzahl wird anders identifiziert (durch Klopfen, Plättchenlegen, etc.) “Wieviele Laute hörst du in Fisch?”
Laute verbinden
Isoliert gesprchene Laute sollen zusammengefügt und als Wort wiedergegeben werden “Welches Wort ist das /f/ /i/ /sch/?”
Phonem weglassen
Bei gesprochenem Wort soll gekennzeichneter Laut weggelassen werden, und so entstandenes Wort wiedergegeben werden. “Sag mal “Fisch” - Jetzt sagst du das Wort ohne den ersten Laut”. Häufig werden die Items so gewählt, dass wieder reale Wörter entstehen (“Klaus” - “Laus”)
Weggelassenes Phonem benennen
Bei vorgegebenen Wortpaar soll entschieden werden, welcher Laut beim zweiten Wort weggelassen worden ist. “Sag mal Klaus - Jetzt sagst du Laus - Weöcher Laut fehlt beim zweiten Wort?”
Phonem ersetzen
In vorgegebenem Wort soll isoliert gesprochener Laut durch anderen, ebenfalls gesprochenen ersetzt werden.
“Sag mal Fisch - Nun sagst du das Wort mit /t/ statt /f/”
standardisierte Verfahren zur Feststellung phonologischer Bewusstheit im Vorschul - und Grundschulalter
Rundgang durch Hörhausen (Martschinke, 2011)
Diagnostische Aufgaben zur phonologischen Bewusstheit
Spielerisches Setting
Aufgaben an einzelnen Stationen (z.B. Besuch im Zoo)
Einzeltest
30-40 Minuten
Vorlagen für den Spielplan und Bildkärtchen zu den einzelnen Aufgaben
- BISC
BAKU1-4
Förderprogramme
Vorschulalter: “Hören, Lauschen, Lernen” (Küspert/Schneider, 2006)
“Leichter lesen und schreiben mit der Hexe Susi” (Foster/ Martschinke 2008)
Sprachliche Entwicklungsverzögerungen als Risikofaktoren für den Schriftspracherwerb
Phonologische Bewusstheit ist eine zentrale, aber eben nur eine Vorläuferfähigkeit für einen gelingenden SSE. Es ist der Aspekt der Sprachkompetenz, der am engsten mit der zu erwerbenden Schriftlichkeit im Anfangsunterricht zusammenhängt.
Verzögerte Sprachentwicklung
„Verzögerte“ Sprachentwicklung liegt immer dann vor, wenn die expressiven und rezeptiven verbalen Fähigkeiten des Kindes nicht der Altersnorm entsprechen (Böhme 2003).
Störungen der Sprachentwicklung
Die Klassifikation von Sprachstörungen orientiert sich an den Oberflächenphänomenen des Sprechens.
Störungen der…
leicht zu erkennen
-> Aussprache (Dyslalie)
-> Redefluss (Stottern, Poltern)
-> Stimmklang (Näseln) leicht zu erkennen
-> Sprachverweigerung (Mutismus)
-> Lispeln (Sigmatismus)
“Spezifische Sprachentwicklungsstörungen” (SSES)
-> Wortschatz
-> Grammatik „Spezifische Sprachentwicklungsstörungen“
-> Eingeschränktes Sprachverständnis
Das Vorliegen einer SSES ist erst im 4. Lebensjahr eindeutig diagnostizierbar, da es sich zuvor um eine Verzögerung der Sprachentwicklung handeln könnte.
Woran erkenne ich SSES/ Entwicklungsdysphasie?
„Late talkers“: Erlernen die ersten 50 Wörter nur langsam und erreichen die 50-Wörter-Marke nicht (im 2. Lebensjahr)
Produzieren kaum altersgemäße Zwei-Wort-Sätze
Sprechen insgesamt wenig komplex
Rückstände im Sprachverständnis
(„Late bloomer“: 30% schaffen Stand im 3. Lebensjahr aufzuholen)
-> Gravierende Probleme im SSE, Lese- Rechtschreib-Schwächen
Warum ist der SSE problembehaftet?
Auditive Merkspanne/ Kurzzeitgedächtnis ist geringer entwickelt
Identifikations- und Diskriminierungsleistungen in der Lauterkennung herabgesetzt
Prosodische Strukturen schwerer erfasst
Defizite im morpho-syntaktischen Bereich
Noch im Kindergarten sprechen diese Kinder in stark vereinfachten Sätzen, bei denen das Verb häugig in Infinitivform gebraucht wird und die Satzstellung durcheinander wirkt: „Ich in Schule gehen/ Die Sonne scheint nach immer regne“. Zudem formulieren sie vorgesprochene, grammatikalisch korrekte
Sätze in „ihre Sprache“ um.
Gerade für diese Kinder ist es wichtig, eine Kombination aus Sprachförderung und Lese- Rechtschreibförderung durchzuführen.
Zweitspracherwerb: Von der Alltagssprache zur „schulischen Bildungssprache“
Während der Erwerb der Muttersprache sich selbst bei nicht optimalem Sprachinput als relativ robust erweist, ist der Erwerb einer zweiten Sprache offensichtlich störanfälliger, von Stagnation bedroht und durch große interindividuelle Leistungsunterschiede gekennzeichnet. Was aber sind die Ursachen dafür, dass manche Kinder problemlos mit zwei Sprachen aufwachsen und andere keine hinreichenden Deutschkenntnisse erwerben?
Die Schwellen- und Entwicklungsinterdependenz- Hypothese (Toukomaa/Skutnabb-Kangas 1977)
Ausgangspunkt: Die sprachliche und kognitive Entwicklung eines Kindes sind nicht unabhängig voneinander.
-> Bei einem zweisprachigen Kind ist das Kompetenzniveau beider Sprachen zu berücksichtigen.
-> Nur wenn beide Sprachen einen elaborierten Sprachstand erreichen, kann es zur Stimulierung der allgemeinen kognitiven Entwicklung kommen.
-> Wird in einer Sprache nur ein geringes Kompetenzniveau erreicht („doppelte Halbsprachlichkeit“),
sind ungünstige Effekte auf die allgemeine kognitive Entwicklung erwartbar.
-> „Subtraktive Sprachlernsituation“: Sprachliches Wissen der Herkunftssprache wird schneller
vergessen als die Sprachentwicklung in der Zweitsprache voranschreitet.
Aus linguistischer Perspektive gilt die Notwendigkeit des Erreichens einer bestimmten Schwelle oder Niveaustufe der Sprachkompetenz in der Erstsprache nicht mehr als Voraussetzung für einen erfolgreichen Zweitspracherwerb (Tracy 2005).
Heterogenität im SSE
Der Heterogenität der sprachlichen Voraussetzungen für den SSE muss durch einen Unterricht Rechnung getragen werden, in dem die Entwicklung sowohl schriftsprachlicher als auch bildungssprachlicher Kompetenzen systematisch unterstützt wird.
Skizzierung einer Verschränkung zwischen der Entwicklung des Wortschatzes und den metaphonologischen Fähigkeiten
(Mahlhau, 2008)
Förderprogramm, Vorschulalter: hören, lauschen lernen (Küspert/Schneider 2006)
Leichter lesen und schreiben mit der Hexe Susi (Förderprogramm); (Forster/Martschinke, 2008)
Sprachentwicklung vollzieht sich in “sensiblen Phasen” (Locke, 1997), die zu Basisqualifikationen in folgenden Bereichen führt
Sprachpyramide (nach Wenlandt, 2010)
Vereinfachte Darstellung der Phasen der Grammatikentwicklung (nach, Clahsen, 1988)
Redeflussstörungen
Stottern, wobei zu bedenken ist, dass im Einschulungsalter noch ein so- genanntes "entwicklungsbedingtes Stottern" vorliegen kaun, das teilweise ohne Intervention verschwindet
Poltern, worunter eine Überstürzung der Rede verstanden wird, die dem Stottern oberflächlich ähnlich ist. Trotzdem gibt es Unterschiede, denn das Poltern entsteht gerade nicht aus einer Sprechhemmung, sondern aus über- großer Mitteilsamkeit und kann ebenfalls altersbedingt auftreten.
Kognitive Effekte unterschiedlicher Formen von Zweisprachigkeit (nach Toukomaa/Skutnabb-Kangas 1977)
Es ist nicht die alltagssprachliche kommunikative Kompetenz, die für Migrantenkinder eine Herausforderung darstellt, sondern die schulische Bildungssprache (benötigt für Sprache Erwerbsaufgaben her Verständnis sprechen, lesen schreiben)
-> in Lernszenarien soll der muttersprachliche Deutschunterricht mit dem Sprachwachstum in der Zweitsprache verbunden werden
-> im Mittelpunkt des Unterrichtsgeschehens soll der kommunikative Zweck und die Sprachanwendung stehen denn die Vertreter einer Szenarien Didaktik (interaktiver Spracherwerb) gehen davon aus, dass sich die Grammatik beim Schreiberwerb fast von alleine mit entwickelt, solange der Input stimuliert ist (Hölscher, 2006)
-> implizite Spracherwerb prozesse, die von unterschiedlichen Sprachniveau der Kinder profitieren
Umgang mit Zweisprachigkeit beziehungsweise Migration im Schriftspracherwerb
Es besteht die Notwendigkeit der gezielten Unterstützung der grammatischen Kompetenz der Zweitsprachlernenden. Systematische Orientierung des Unterrichts an den Stolpersteinen der deutschen Sprache (Artikel Genus, Plural usw.) aber auch integrativer Sprachunterricht -> Lebensweltliche Sprachlernsituationen, handlungsorientiert (zum Beispiel Gedichte ->Nähe der Poesie und Grammatik)
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