§§ 861 ff. BGB
Was sind possessorische Ansprüche? Was sind in Abgrenzung dazu petitorische Herausgabeansprüche?
Possedere (lat.) = „besitzen“.
Der Anspruch entsteht wegen des früheren Besitzes des Anspruchsstellers, den dieser „unfreiwillig“ durch verbotene Eigenmacht verloren hat. Der frühere Besitz ist der „gedankliche Ursprung“ des Anspruchs. Der Anspruch entsteht damit auf der Basis von Tatsachen, nicht auf der Basis einer Wertung bzw. Richtigkeitsüberlegung.
Im Hinblick auf die Ansprüche aus §§ 861, 862 legt § 863 fest, dass gegen diese keine petitorischen Einwendungen (schulrechtlich, Recht zum Besitz) geltend gemacht werden können. Das ergibt sich aus dem Zweck der possessorischen Ansprüche, den Rechtsfrieden zu wahren, indem die ursprüngliche Besitzlage vorläufig wiederhergestellt wird. Dies geschieht unabhängig von der Frage, ob ein Recht zum Besitz besteht. Nach herrschender Auffassung darf der Anspruchsgegner diese Einwendungen jedoch im Rahmen einer Widerklage im gleichen Prozess geltend machen.
Demgegenüber sind die §§ 985, 812, 1007 I, II BGB petitorische Herausgabeansprüche.
Petere (lat.) = bitten, erbeten, verlangen
Der Anspruch entsteht, weil der Anspruchsteller als Folge einer rechtlichen Wertung die Sache vom Anspruchsgegner herausverlangen kann. Der Besitz ist das „gedankliche Ziel“ des Anspruchs.
§ 861 BGB ist die Parallele zum Eigentumsschutz des § 985 BGB
§ 862 BGB ist die Parallele zu § 1004 BGB bei Besitz- bzw. Eigentumsstörung.
Anspruch wegen Besitzentziehung (§ 861 BGB): Prüfungsaufbau
I. Früherer Besitz des Anspruchstellers
II. Besitzverlust durch verbotene Eigenmacht
1. Verbotene Eigenmacht
2. Widerrechtlichkeit
III. Besitz des Anspruchsgegners
IV. Fehlerhaftigkeit des Besitzes § 858 II BGB
V. Kein Ausschluss § 861 II
VI. Kein Erlöschen § 864 BGB
VI. Keine Einwendung § 863 BGB
Anspruch wegen Besitzentziehung (§ 861 BGB): Früherer Besitz des Anspruchstellers
Hat auch der mittelbare Besitzer den Anspruch?
Ja (§ 869 Abs. 1 S. 1 BGB), allerdings gem. § 869 I 2 BGB nur Widereinräumung des Besitzes an den unmittelbaren Besitzer und nicht gegenüber unmittelbaren Besitzer
Anspruch wegen Besitzentziehung (§ 861 BGB): Kenntnis fehlerhaften Besitzes (§ 858 Abs. 2 S. 2 BGB)
-> grob fahrlässige Unkenntnis nicht ausreichend
-> Kenntnis von Hilfspersonen kann über § 166 I BGB analog zugerechnet werden. Direkte Anwendung (-), weil es sich bei Besitz um einen Realakt und nicht um eine Willenserklärung handelt.
Anspruch wegen Besitzentziehung (§ 861 BGB): Widerklage nach § 864 Abs. 2 BGB analog
Nach § 864 II BGB erlischt § 861 BGB, wenn durch rechtskräftiges Urteil festgestellt wird, dass der Täter ein seiner Handlungsweise entsprechendes materielles Besitzrecht hat, er also Eigentümer, Pfandgläubiger etc. ist.
Um mehrere Prozesse zu vermieden, verkürzt die Widerklage das Prozedere für den Fall, dass § 861 BGB klageweise geltend gemacht wird. Wird die petitorische Widerklage erhoben und ist diese entscheidungsreif, wird § 864 II BGB durch teleologische Extension erweitert. Das Wort „rechtskräftig“ wird auf „entscheidungsreif“ ausgedehnt.
Anspruch wegen Besitzstörung (§ 862 BGB): Prüfungsaufbau
II. Besitzstörung durch verbotene Eigenmacht
III. Anspruchsgegner = Störer
IV. Kein Ausschluss § 862 II
Bei Wiederholungsgefahr kann auf Unterlassen geklagt werden (§ 862 Abs. 1 S. 2 BGB)
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