• Begriffe Lernbehinderung, Lernstörung und Lernschwäche/Lernschwierigkeit abgrenzen können
Lernbehinderung
1. Erhebliches und domänenübergreifendes Schulleistungsversagen: Leistungsrückstand von i.d.R. mehr als zwei Schuljahren
2. Erhebliche Defizite in der allgemeinen Intelligenz: IQ Werte ≤ 70 (~untere 2%) – Liberaleres Kriterium ≤ 85 (~untere 16%)
3. Ein überdauernder Zustand, der nicht auf mangelnde Beschulung zurückzuführen ist (z.B. lange Krankenzeiten)
Lernstörung
Klassifikation nach ICD-10
• F81 Umschriebene Entwicklungsstörungen schulischer Fertigkeiten
• F81.0 Lese und Rechtschreibstörung (Legasthenie, auch Dyslexie)
• F81.1 Isolierte Rechtschreibstörung
• F81.2 Rechenstörung (Dyskalkulie)
• F81.3 Kombinierte Störungen schulischer Fertigkeiten
→ Diagnosen schließen sich gegenseitig aus
-> Lernstörung geht nicht auf Intelligenzminderung zurück (wie bei Lernbehinderung)
-> doppelte Diskrepanz: schlechter in einem spezifischen Bereich und Differenz zwischen Leistung und Intelligenz
bei Lernstörung
• Es ist sinnvoll Intelligenz zu berücksichtigen und somit allgemeine kognitive Behinderungen auszuschließen
• Ob es das doppelte Diskrepanzkriterium braucht, ist jedoch fraglich
• Beispiel empirischer Befund: Schwache Leser*innen mit und ohne doppeltem Diskrepanzkriterium zeigen ähnliche Fehlermuster beim Lesen, beim Schreiben und in Arbeitsgedächtnis Aufgaben (Mähler & Schuchardt, 2011)
• Vermutlich können Personen, die es erfüllen bzw. nicht erfüllen von ähnlichen Förderleistungen profitieren
• Welche Intelligenzdefinition/welcher Intelligenztest ist hier gemeint?
• Was können weitere Prädiktoren für Schulversagen sein?
• Regelmäßig werden Kinder mit einem IQ > 90 in Sonderschulen für Schüler*innen mit Lernbehinderung überwiesen (Schuck & Eggert, 1982)
• Intelligenz des oberen Drittels der Sonderschülerschaft entspricht etwa der Intelligenz des unteren Drittels der Grundschülerschaft (Schleifer, 1971)
• Damit relativiert sich die pädagogische Bedeutung der Intelligenz für die Förderung schulversagender Kinder
• Probleme im Zusammenhang mit der Definition “Lernbehinderung“ kennen
• Auf etwa 3-6 % der Schüler*innen eines Jahrgangs trifft die Definition „Lernbehinderung“ zu
• Diese Schüler*innen werden in der Regel in speziellen Schulen (Schulen mit sonderpädagogischem Förderschwerpunkt) unterrichtet
• Übergang in diese Schulen ist sehr umstritten
• Gründe (u.a.):
○ Definition von Lernbehinderung
○ Diagnostische Praxis in den Schulen
• Diagnostik von „Lernbehinderung“ hängt ab von ihrer Definition
• Aus schulsystemischer Sicht wird Behinderung pragmatisch bestimmt
• Lernbehinderung ist gegeben, wenn ein Kind dem Bildungsgang der Regelschule nicht zu folgen vermag
Definition des sonderpädagogischen Förderbedarfs (Kultusministerkonferenz, 1994): Sonderpädagogischer Förderbedarf ist bei Kindern und Jugendlichen anzunehmen, die in ihren Bildungs-, Entwicklungs- und Lernmöglichkeiten so beeinträchtigt sind, dass sie im Unterricht der allgemeinen Schule ohne sonderpädagogische Unterstützung nicht hinreichend gefördert werden können.
Deutschland: Differenziertes System
• Schulen für Blinde, Sehbehinderte, Gehörlose, Hörgeschädigte, Körperbehinderte
○ In Analogie zum Regelschulwesen
○ Prinzipiell Erwerb der Hochschulreife möglich
• Schulen für Schüler*innen mit Verhaltensstörung oder Sprachbehinderung
○ Ziel ist Rückführung in die Regelschule
• Schule für Schüler*innen mit Lernbehinderung
○ Eigener Abschluss
• Zum Teil Bemühungen für integrative Beschulung
• Kritische Auseinandersetzung mit Diagnostik von Lernbehinderung
Schulische Rahmenbedingungen
• Sonderpädagogisch-psychologische Untersuchung wird von Sonderschullehrkräften durchgeführt
• mündet in Fördervorschlag und eine Empfehlung für oder gegen den Besuch der Schule mit sonderpädagogischer Förderung
• Schulpsycholog*innen können im Zweifelsfall hinzugezogen werden
Diagnostische Validität
• Praktisch ist die Entscheidung für den Besuch der Schule für sonderpädagogischen Förderbedarf für Lernbehinderte irreversibel
• Rückschulungsquoten (sind eigentlich im Normalbedarf) liegen zwischen 1 % und 3 %
• Ungerechtfertigte Ablehnung wird meistens erkannt durch ungenügende Leistungen in der Regelschule
• Ungerechtfertigte Aufnahme wird jedoch fast nie erkannt
• Jede „erfolgreiche Karriere“ auf der Sonderschule wird als gelungene sonderpädagogische Förderung interpretiert
• Überschneidung von IQ-Verteilungen von Sonder- und Regelschüler*innen → Hinweis auf ungerechtfertigte Aufnahmen
• 2/3 der Grundschüler*innen am Ende der 4. Klasse, die der Definition von Lernbehinderung entsprachen (IQ < 85) und aus ungeklärten Gründen nicht in die Sonderschule aufgenommen wurden, erreichten den Hauptschulabschluss
• Bei gleicher Intelligenz erzielen Schüler*innen in Hauptschulen (5. Klasse) signifikant bessere (etwa ½ SD) Rechtschreibresultate als vergleichbare Schüler*innen in Förderschulen (7. Klasse) (Wocken, 2000)
-> Rolle von „differentielle Entwicklungsmilieus“ (Baumert, 2006)
-> Was kann man tun?
Lernziele
Last changed7 months ago