Politische Systeme und öffentliche Meinung
Politische Systeme und öffentliche Meinung:
-demokratische politische Systeme sind grundsätzlich auf ein Mindestmaß an Unterstützung durch Bürger angewiesen
-Eu als politisches System: Unterstützung von großer Bedeutung
Dimensionen politischer Unterstützung
diffuse Unterstützung: Akzeptanz der europäische Integration insgesamt
Spezifische Unterstützung: zb Legitimität des Institutionensystems, Zustimmung zu Sachentscheidungen in der EU
Die Entwicklung der öffentlichen Meinung zur EU:
Gründung der EU ein Projekt der nationalen Regierungen:
• Annahme: es gibt einen “permissiven Konsens” = schweigende Akzeptanz der Integration durch Bevölkerung (Lindberg und Scheingold 1970)
Messung öffentlicher Meinung ab den 1970ern:
• Messung des Konsenses
• Fokus auf Unterschiede in der Zustimmung zu Europa (Eurobarometer)
Fortschreitende Integration, zunehmende Politisierung der
EU: • Fokus auf Unterschiede in der Ablehnung von Europa (Europaskeptizimus)
• “Constraining dissensus” (Einschränkung weiterer Integrationsschritte durch teilweise skeptischere Bevölkerungen, Hooghe und Marks 2009)
Europabarometer
Das Eurobarometer wird seit 1973 von der Europäischen Kommission in Auftrag gegeben.
Mehrmals im Jahr werden in jedem Mitgliedsland 1000-1500 Personen befragt.
Es enthält sowohl wiederkehrende Fragen als auch jeweils eine speziellen Themenfokus
Öffentliche Meinung in den Mitgliedsstaaten
Sara Hobolt und Catherine de Vries vergleichen regionale Unterschiede:
• Nördliche Eurozone
• Österreich, Belgien, Irland, Finnland, Deutschland, Luxemburg, Niederlande
• Nördliche Nicht-Eurozone
• Dänemark, Schweden, Großbritannien
• Südeuropa
• Zypern, Frankreich, Italien, Griechenland, Malta, Portugal, Spanien
• Osteuropa
• Bulgarien, Kroatien, Tschechische Republik, Estland, Ungarn, Lettland, Litauen, Polen, Rumänien, Slowakei, Slowenien
Zwischenfazit
Annahme der “stillschweigenden Akzeptanz” widerlegt. Krisen beeinflussen Zustimmung.
Bürger im Norden stimmen dem Integrationsprojekt als ganzes eher zu als Bürger im Süden und Osten der EU.
Allerdings wünschen sich Bürger im Süden und Osten eher eine beschleunigte Integration (eine “andere EU”?)
Theoretische Erklärungsansätze zur öffentlichen Meinung:
-> Vier Perspektiven, die sich auf unterschiedliche Aspekte beziehen:
Sozioökonomischer Nutzen (utilitarisch)
Kulturelle Identität
Hinweisreiz durch Eliten, ideologische Motive
Leistungsvergleich zwischen Nation und Europa
sozioökonimischer Nutzen:
• Nutzenbezogener Ansatz: EU als wirtschaftspolitisches Projekt / Kosten-Nutzen-Kalkulation
• Regulative Politik der EU betrifft Individuen auf unterschiedliche Weise
• Beispiel: Öffnung der Arbeitsmärkte
• EU-weiter Wettbewerb um Arbeitsplätze und Einkommen
• Neue Chance für hoch qualifizierte Arbeitskräfte
• Mindern möglicherweise Erwerbseinkommen geringer qualifizierter Arbeitnehmer
• Empirische Untersuchungen auf individueller bestätigen Zusammenhang
• Profiteure der Integration haben positivere Einstellungen (Einkommen, Bildungsgrad, Qualifikationsgrad, Mobilitätsbereitschaft)
• Länder mit Nettoempfängerstatus aber nicht unbedingt europafreundlicher
• EU ist mehr als nur Binnenmarkt -> eine politische Union
• Verlust nationaler Identität? Wie sehen sich die Bürger? Als Deutsche, Europäer, oder beides?
• Personen mit exklusiver nationaler Identität sind EU gegenüber negativer eingestellt
• Euroskeptizismus korreliert mit Ablehnung von anderen Kulturen
(Grafiken siehe VL 9)
Hinweisreize durch Eliten und Medien
• Komplexes Regelwerk in der EU: wenig Interesse, niedriger Wissensstand, keine emotionale Bindung
• Man verlässt sich kognitiv auf eine Heuristik (bewusste oder unbewusste Entscheidungshilfe, “information short-cut”)
• Ohne sich selber zu detailliert zu informieren kann man Hinweisreizen von Akteuren, denen man vertraut, folgen
• Diese werden gesetzt durch: Medien und nationale Parteien
Medien:
• Darstellung von Europa hat moderaten Effekt auf Einstellung
Nationale Parteien:
• Anhänger pro-europäischer Parteien sind integrationsfreundlicher eingestellt
• Linke europaskeptische Hinweisreize mobilisieren wirtschaftliche Bedenken gegen aktuelles Integrationsprojekt (z.B. Syriza)
• Rechte europaskeptische Hinweisreize mobilisieren Furcht vor kultureller Bedrohung (AfD, FPÖ)
Leistungsvergleich Ansatz
Catherine De Vries (2018)
• Notwendigkeit nationale und supranationale Einstellungen miteinander zu vergleichen
• Vergleich SQ mit Alternative eines EU-Austritts
• Bürger vergleichen sowohl Sachentscheidungen als auch das politische System an sich
• Bürger, die mit politischen Sachentscheidungen der eigenen Nation unzufrieden sind, präferieren eher weiteren Transfer an Souveränität auf die europäische Ebene
• Bürger, die mit nationalen demokratischen Institutionen sehr zufrieden sind, haben niedrigere Zustimmungsraten zur EU unabhängig von der Bewertung der Wirtschaftsleistung
• Selbst bei günstigen wirtschaftlichen und politischen Bedingungen kann sich daher auch Europaskeptizismus entwickeln
Fazit
• Zustimmung hat sich über Zeit stark verändert, große Unterschiede innerhalb der EU
• Auf individueller Ebene bestimmen v.a. nutzenbezogene Erwägungen Einstellung zur EU (Bildung, Einkommen), aber auch Identität und Hinweisreize durch Parteien
• Jüngste Europaskepsis besser erklärbar mit Leistungsvergleichansatz
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