Ergebnisse Europawahl 2024
Zusammenfassung:
• Vergleich nicht nur mit letzter Europawahl. Seitdem Covid-19, Ukraine, ...
• Große Regierungsparteien verlieren bei Europawahl (second order election)
• Abschneiden großer Parteien in großen Mitgliedstaaten bestimmt Medien, aber viele Erfolge auch für Sozialdemokraten, Liberale.
• Front National größte Fraktion im Parlament, von den vier größten Gruppen sind zwei konservativ (CDU/CSU + PP) und zwei rechtspopulistisch-euroskeptisch (FN + FdI).
(Grafiken und Ergebnisse siehe VL 9)
Politisches System und öffentliche Meinung
Demokratische politische Systeme sind grundsätzlich auf ein Mindestmaß an Unterstützung durch Bürger angewiesen (Easton 1965)
EU als politisches System: Unterstützung von großer Bedeutung
Dimensionen politischer Unterstützung (nach Easton):
Diffuse Unterstützung: Akzeptanz der europäischen Integration insgesamt
Spezifische Unterstützung: z.B. Legitimität des Institutionensystems, Zustimmung zu Sachentscheidungen in der EU
Die Entwicklung der öffentlichen Meinung zur EU
Gründung der EU ein Projekt der nationalen Regierungen
- Annahme: es gibt einen “permissiven Konsens” = schweigende Akzeptanz der Integration durch Bevölkerung (Lindberg und Scheingold 1970)
Messung öffentlicher Meinung ab den 1970ern:
• Messung des Konsenses
• Fokus auf Unterschiede in der Zustimmung zu Europa (Eurobarometer)
Fortschreitende Integration, zunehmende Politisierung der
EU:
• Fokus auf Unterschiede in der Ablehnung von Europa (Europaskeptizimus)
• “Constraining dissensus” (Einschränkung weiterer Integrationsschritte durch teilweise skeptischere Bevölkerungen, Hooghe und Marks 2009)
Eurobarometer
Das Eurobarometer wird seit 1973 von der Europäischen Kommission in Auftrag gegeben.
Mehrmals im Jahr werden in jedem Mitgliedsland 1000-1500 Personen befragt.
Es enthält sowohl wiederkehrende Fragen als auch jeweils eine speziellen Themenfokus
Öffentliche Meinung in den Mitgliedsstaaten
Sara Hobolt und Catherine de Vries vergleichen regionale Unterschiede:
Nördliche Eurozone
• Österreich, Belgien, Irland, Finnland, Deutschland,
Luxemburg, Niederlande
Nördliche Nicht-Eurozone
• Dänemark, Schweden, Großbritannien
Südeuropa
• Zypern, Frankreich, Italien, Griechenland, Malta, Portugal, Spanien
Osteuropa
• Bulgarien, Kroatien, Tschechische Republik, Estland, Ungarn, Lettland, Litauen, Polen, Rumänien, Slowakei, Slowenien
Regionale Zustimmung zur EU Mitgliedschaft:
Zwischenfazit
Annahme der “stillschweigenden Akzeptanz” widerlegt. Krisen beeinflussen Zustimmung.
Bürger im Norden stimmen dem Integrationsprojekt als ganzes eher zu als Bürger im Süden und Osten der EU.
Allerdings wünschen sich Bürger im Süden und Osten eher eine beschleunigte Integration (eine “andere EU”?)
Theoretische Erklärungsansätze:
Vier Perspektiven, die sich auf unterschiedliche Aspekte beziehen (nach Hobolt und de Vries):
1. SozioökonomischerNutzen(utilitaristisch)
2. KulturelleIdentität
3. Hinweisreize(cuetaking)durchEliten, ideologische Motive
4. LeistungsvergleichzwischenNationund Europa (Benchmarking)
Sozioökonomischer Nutzen
Nutzenbezogener Ansatz: EU als wirtschaftspolitisches Projekt / Kosten-Nutzen-Kalkulation
Regulative Politik der EU betrifft Individuen auf unterschiedliche Weise
Beispiel: Öffnung der Arbeitsmärkte
• EU-weiter Wettbewerb um Arbeitsplätze und Einkommen
• Neue Chance für hoch qualifizierte Arbeitskräfte
• Mindern möglicherweise Erwerbseinkommen geringer qualifizierter Arbeitnehmer
Empirische Untersuchungen auf individueller bestätigen Zusammenhang
Profiteure der Integration haben positivere Einstellungen (Einkommen, Bildungsgrad, Qualifikationsgrad, Mobilitätsbereitschaft)
Länder mit Nettoempfängerstatus aber nicht unbedingt europafreundlicher
Kulturelle Identität
EU ist mehr als nur Binnenmarkt -> eine politische Union
Verlust nationaler Identität? Wie sehen sich die Bürger? Als Deutsche, Europäer, oder beides?
Personen mit exklusiver nationaler Identität sind EU gegenüber negativer eingestellt
Euroskeptizismus korreliert mit Ablehnung von anderen Kulturen
Hypothesen:
Hypothese Nutzenbezogener Ansatz: Länder in ökonomischen Schwierigkeiten haben einen größeren Anteil an europaskeptischen Parteien.
Hypothese Identitätsbezogener Ansatz: Länder mit größerem Anteil an exklusiver nationaler Identität wählen mehr europaskeptische Parteien.
(Zwei Grafiken siehe Vl 9)
Hinweisreize durch Eliten und Medien
Komplexes Regelwerk in der EU: wenig Interesse, niedriger Wissensstand, keine emotionale Bindung
Man verlässt sich kognitiv auf eine Heuristik (bewusste oder unbewusste Entscheidungshilfe, “information short-cut”)
Ohne sich selber zu detailliert zu informieren kann man Hinweisreizen von Akteuren, denen man vertraut, folgen
Diese werden gesetzt durch: Medien und nationale ParteieN
Medien:
• Darstellung von Europa hat moderaten Effekt auf Einstellung
Nationale Parteien:
• Anhänger pro-europäischer Parteien sind integrationsfreundlicher eingestellt
• Linke europaskeptische Hinweisreize mobilisieren wirtschaftliche Bedenken gegen aktuelles Integrationsprojekt (z.B. Syriza)
• Rechte europaskeptische Hinweisreize mobilisieren Furcht vor kultureller Bedrohung (AfD, FPÖ)
Leistungsvergleich Ansatz
Catherine De Vries (2018)
Notwendigkeit nationale und supranationale Einstellungen miteinander zu vergleichen
Vergleich SQ mit Alternative eines EU-Austritts
Bürger vergleichen sowohl Sachentscheidungen als auch das politische System an sich
Bürger, die mit politischen Sachentscheidungen der eigenen Nation unzufrieden sind, präferieren eher weiteren Transfer an Souveränität auf die europäische Ebene
Bürger, die mit nationalen demokratischen Institutionen sehr zufrieden sind, haben niedrigere Zustimmungsraten zur EU unabhängig von der Bewertung der Wirtschaftsleistung
Selbst bei günstigen wirtschaftlichen und politischen Bedingungen kann sich daher auch Europaskeptizismus entwickeln
(Grafiken siehe Vl 9)
Fazit
Zustimmung hat sich über Zeit stark verändert, große Unterschiede innerhalb der EU
Auf individueller Ebene bestimmen v.a. nutzenbezogene Erwägungen Einstellung zur EU (Bildung, Einkommen), aber auch Identität und Hinweisreize durch Parteien
Jüngste Europaskepsis besser erklärbar mit Leistungsvergleichansatz
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