Fallbeispiel: Kinder und Jugendpsychologie
Erste Phase
Der niedergelassene Psychotherapeut Petermann (Psychologischer Psychotherapeut mit KJP-Zusatzqualifikation und KJP-Abrechnungsgenehmi- gung), ausgebildet in Verhaltenstherapie (VT), wendet ein in der Fachwelt höchst umstrittenes, weil riskantes, psychotherapeutisches Verfahren bei einem 13-jährigen männlichen Patienten im Rahmen der ersten Kurzzeittherapie-KZT 1 (§ 28 Psychotherapie-Richtlinie-neu) mehrere Behandlungsstunden an – mit Einwilligung beider getrennt lebender Eltern, die das gemeinsame Sorgerecht haben.
Er klärt die Eltern und den 13-Jährigen zuvor auf und beteiligt auch einen weiteren in diesem Verfahren erfahrenen Psychotherapeuten an dieser Kurzzeittherapie, weil er selbst noch nicht dieses sehr umstrittene Verfahren angewandt hat. Sodann wird die Therapie einvernehmlich beendet und über die Kassenärztliche Vereinigung (KV) im Rahmen der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) als VT abgerechnet.
Zweite Phase
Wenige Monate später wendet sich die Mutter erneut an Petermann und berichtet, dem inzwischen 14-Jährigen ginge es „wieder schlecht“, deshalb solle dieser sich noch einmal diesem Verfahren unterziehen.
Angesichts der zeitlichen Belastung des Petermanns vereinbaren er und die Mutter, dass die Therapien privat zu bezahlen und diese an Samstagen vorzunehmen seien und dass dabei dieses so umstrittene Verfahren abermals angewendet werden möge.
Dieses Mal führt Petermann das Verfahren allein durch.
Es kommt in der zehnten Behandlungsstunde zu Komplikationen, der Junge dekompensiert, was Petermann zu spät bemerkt.
Und als er es gewahr wird, reagiert er zu spät.
Denn der Junge ist bereits in der Toilette verschwunden und stürzt sich aus dem Toilettenfenster. Er ist sofort tot.
Grundwissen:
Ein Heileingriff eines Arztes oder Psychotherapeuten stellt zunächst erst einmal – nach Ansicht der Juristen – eine vorsätzliche und rechtswidrige Körperverletzung dar. (Schädigung) Diese ist nur dann nicht mehr rechtswidrig, wenn der Patient gerade in diese Körperverletzung eingewilligt hat.
Nur, um in diese einwilligen zu können, muss der Patient zuvor im Einzelnen über diese aufgeklärt sein: Er muss wissen, was ihn erwartet oder erwarten könnte (mögliche Risiken). Mangelnde oder fehlende Aufklärung haben zur Folge, selbst wenn der Patient dem Heileingriff zugestimmt hat, dass der Eingriff rechtswidrig bleibt. Die Rechtsprechung will mit dieser Vorgabe Patienten schützen. Allein, dass er dem Heileingriff zustimmt, beseitigt die Rechtswidrigkeit eben nur dann, wenn der Pat. zuvor lege artis i. S. der o. e. Punkte aufgeklärt wurde.
Unzulässige Schädigung:
a) wenn P. (bzw. gesetzlicher Vertreter) nicht eingewilligt hat und/oder
b) wenn P. (und gesetzlicher Vertreter) nicht ordnungsgemäß aufgeklärt wurde]
Im Übungsfall:
Im Übungsfall hätte der Psychotherapeut also den Patienten (bzw. die Eltern) erneut aufklären müssen. Das hat er unterlassen.
Darüber hinaus darf bezweifelt werden, ob er inzwischen das abermals angewandte Verfahren nunmehr in vollem Umfang beherrscht, so dass sich hier die die Frage eines sog. Übernahmeverschuldens stellt.
Ferner hätte er sehr viel früher merken müssen, dass der Patient dekompensieren wird, er hätte ihn also nicht mehr allein auf die Toilette gehen lassen dürfen.
Überdies hätte er zuvor sorgfältig dessen Suizidalität abklären und dokumentieren müssen, was offensichtlich nicht geschehen ist.
Rechtliche Empfehlung an den Psychotherapeuten:
Bevor hier auf die gestellten Fragen einzugehen sein wird, sei noch eine weitere grundsätzliche Bemerkung vorausgeschickt:
Der Psychotherapeut P wird sich unmittelbar nach diesem Vorfall (Suizid) in einem psychischen Ausnahmezustand befinden.
Er wird beim Auftauchen der Kripo, denn diese übernimmt im Regelfall die Ermittlungen, versucht sein, seine innere Spannung „abzureagieren“ und sich möglicherweise mit einem unkontrollierten Wortschwall rechtfertigen wollen.
Damit besteht grds. die Gefahr, dass er sich „um Kopf und Kragen“ redet: Deshalb gilt ihm der anwaltliche Rat: Er möge erst einmal von seinem Schweigerecht als möglicher Beschuldigter (nicht zu verwechseln mit der Schweigepflicht des Psychotherapeuten!) Gebrauch machen – und schweigen (§ 136 Abs. 1 Satz 2 Strafprozessordnung - StPO), sodann einen Anwalt hinzuziehen und dessen Rat abwarten.
Fragen, die sich der Psychotherapeut vorausssichtlich stellen wird:
a) Wenn es, wie hier, um seine Verteidigung geht, darf der Psychotherapeut sehr wohl – aus berechtigten Eigeninteressen – die Schweigepflicht brechen.
Er darf also alles vortragen, was ihn entlasten könnte. Gleichwohl wird er, bevor er überhaupt Antworten gibt, sich also überlegen (s. o.), um sich möglicherweise nicht selbst zu belasten, ob er nicht besser schweigen und zunächst den Rat eines Fachanwalts für Strafrecht abwarten, ggfl. auch einen Fachanwalt für Sozialrecht hinzuziehen sollte.
b) Die Kripo wird fragen:
Haben Sie aufgeklärt? Können Sie das durch Ihre Dokumentation belegen? Hat der Patient schon öfter Suizidgedanken geäußert? Wenn ja, haben Sie das dokumentiert?
Wenn nein, haben Sie solche Gedanken jemals abgefragt? Haben Sie mit ihm eine „Suizidvereinbarung/Suizidpakt“ getroffen? Haben Sie kollegialen Rat eingeholt und/oder insoweit Supervision/Intervision in Anspruch genommen? Wurde diese ebenfalls dokumentiert?
c) Mangels erneuter Aufklärung könnte damit eine rechtswidrige und vorsätzliche Körperverletzung mit Todesfolge vorliegen.
d) Der Rechtsanwalt der Ehefrau könnte sich auf die Ansicht des Staatsanwalts und dessen Akten stützen und Schmerzensgeld und eine Geldrente beim zuständigen Amts- oder Landgericht einklagen.
e) Auch in dem Fall, dass ein allseits anerkanntes Verfahren angewendet wurde, hätte der P. erneut aufklären müssen. Ein Übernahmeverschulden wäre insoweit nicht in Betracht gekommen. Selbstverständlich durfte P. auch samstags behandeln. Der Zuziehung eines weiteren Psychotherapeuten bedurfte es dann nicht. Im Übrigen gilt das unter b) Gesagte. Der Therapeut hat als Nebenpflicht aus dem Behandlungsvertrag zudem die Aufklärungspflicht hinsichtlich der Bekanntgabe der rechtlichen Rahmenbedingungen. Ebenso ist der Pat. vor Beginn der Behandlung umfassend über wahrscheinliche Wirkungen und Nebenwirkungen der Therapie und der möglichen Alternativbehandlung und deren Wirkweise zu informieren.
Was beinahltet das Gesetz über die Berufe des Psychologischen Psychotherapeuten und des Kinder-und Jugendlichenpsychotherapeuten (Psychotherapeutengesetz - PsychThG):
Zur Ausübung von Psychotherapie gehören nicht psychologische Tätigkeiten, die die Aufarbeitung und Überwindung sozialer Konflikte oder sonstiger Zwecke außerhalb der Heilkunde zum Gegenstand haben.
Was beinhaltet das Strafgesetzbuch?
Was beinhaltet die Strafprozessordnung?
BILD S. 5
Was beinhaltet das bürgerliche Gesetzbuch?
BILD S. 6, 7, 8, 9
Was beinhaltet das Sozialgesetzbuch?
BILD S: 19, 20, 21
Was beinhaltet die Berufsordnung?
BILD S: 22
Was beinhaltet das Merkblatt zur Information und Aufklärung - als Bestandteil des Therapievertrages?
BILD S. 28, 29
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