Definition von Aggression
feindselige und instrumentelle Aggression
Aggression ist ein intendiertes Verhalten mit dem Ziel, anderen Menschen entweder körperlichen oder psychischen Schmerz zuzufügen.
- Instrumentelle Aggression: Aggression als Mittel, um ein Ziel zu erreichen (z.B. Raubüberfall)
- Coffee grinder paradigm: Wurm zerhexeln -> inwiefern man dazu bereit ist, gilt als Indikator für Aggression
Evolutionärer Sinn?
· Gipfel männlicher Aggressivität zum Zeitpunkt maximaler Fertilität (Pubertät bis 30 Jahre; Wilson & Daly, 1985)
· Zusammenhang Aggression-Testosteron (männl. Sexualhormon)
· Testosteron-Injektion steigert aggressives Verhalten (Moyer, 1983)
· Erhöhte Testosteronwerte bei Verurteilten; Testosteronspiegel von Knastinsassen korreliert mit konfrontativem Verhalten
· die wildesten Fraternities haben die höchsten mittleren Testosteronwerte
· Transsexuelle Probanden, die im Rahmen ihrer Geschlechtsumwandlung einen steigenden/ sinkenden Testosteronwert haben, zeigen entsprechende Aggressivität
· ABER: Männer sind zwar physisch aggressiver, aber Frauen haben höhere Werte auf indirekter Aggression (Verleumdung, Gerüchte streuen etc.)
- Leviathan: ein kosmisches Seeungeheuer aus der jüdischen Mythologie, er verschlingt die Sünder am Tag des Jüngsten Gericht (Symbol für den Staat, der unser destruktives Ich im Zaum hält)
- Freud: Freuds Psychologie ist stark von den physikalischen Energieerhaltungssätzen geprägt
- Vergewaltigung als evolutionäres Fortpflanzungsmittel?
Klassische Determinanten
- Menschen unterschieden sich darin, inwiefern sie implizit aggressiv sind
- Schimpansen: „Skinheads des Tierreichs“ im Gegensatz zu Bonobos („Frieden durch Sex“)
- Freud: im Hirnstamm sind wir aggressiv, aber wir haben den Leviathan internalisiert (halten uns am Riemen)
Wegfall von Hemmung
· Insgesamt gute Evidenz, dass Alkohol Aggressivität steigert (Bushman & Cooper, 1990; White, 1997; Yudko et al., 1997)
· Alkohol enthemmt (soziale Normen weniger wichtig)
· Alkohol führt aber auch zu Reduktion der Verarbeitung sozialer Informationen – reflektives System korrigiert nicht mehr ausreichend für mangelnde Intention, Zufall
· Unter Alkoholeinfluss fällt also eine Korrektur weg
· Meisten Menschen, die wegen schwerer aggressiver Delikte verhaftet werden, sind zum Zeitpunkt betrunken! (Henneberg, 2010)
- gewaltfreies Verhalten wird durch aufwändig internalisierte Normen aufrechterhalten
Frustration / Provokation
· Frustration von Bedürfnissen kann zu Aggression führen
-> Frustration: Blockierung der eigenen Zielsetzung
· Einigermaßen plausibel, wenn Quelle meiner Frustration und Ziel meiner Aggression identisch sind: Provokation
· Aggression führt schnell zu Gegenreaktion, insbesondere in so genannten „Cultures of Honor“ (Cohen et al., 1996):
-> Cultures of Honor: Kulturen, in denen die Verteidigung der eigenen Reputation einen besonderen Stellenwert hat
- Verbündete des Versuchsleiters rempeln Probanden auf dem Weg zu Experiment an und beschimpfen ihn dann
- AV: Kortisol im Blut (Stress), Testosteronlevel, kognitive Verfügbarkeit von Aggressivität, aggressives Verhalten
- Für alle Variablen: höhere Werte in Cultures of Honor (Südstaaten vs. Nordstaaten)
-> Teilnehmer in Texas sind aggressiver
Frustration/ Provokation 2
· Geschlechtsdifferenz: Männer interpretieren ambige Situationen eher als Provokation
· Vordrängler ernten umso mehr Aggression je näher die Anstehenden ihrem Ziel waren (Harris, 1974)
· Frustration ist nicht Deprivation, sondern relative Deprivation (Nicht-Erreichen einer Erwartung), selbst weniger zu erhalten als man meint zu verdienen
-> In Relation zur Vergleichsgruppe
Frustration
· Frustration führt auch dann zu Aggression, wenn Quelle der Frustration nicht verfügbar oder nicht angreifbar ist
· Tiere greifen Artgenossen (oder Tennisbälle) an, wenn sie Schmerz empfinden
· Studierende, deren Hand in Eiswasser getaucht wurde, sind in der Folge aggressiver (Berkowitz, 1983)
· Hitze?
- Je wärmer, desto mehr Riots (Aggression)
Alternativerklärungen?
· An heißen Tagen sind mehr Menschen auf der Straße – viel mehr Gelegenheit sich zu verhauen oder zu Tumulten zusammenzuraffen
· Notwendigkeit der experimentellen Überprüfung
· laut Aronson führt Hitze zu „mehr Aggression“, tatsächlich jedoch eher weniger Aggression
· meta-analytisch auch relativ robuster Effekt auf tatsächliche Aggression (Anderson, 1989)
- rechts: high density = ein mit Menschen gefüllter Raum
As the sea level is rising, so is the crime rate and aggression?
- The incidence of violent crime per 100,000 person years in Finland between January 1996 and December 2013.
- mehr Aggression durch den Klimawandel
- Spikes: Sommer
- Panel A: The correlation between the monthly ambient temperature and monthly violent crime rate per 100,000 person years in Finland between January 1996 and December 2013 (r = 0.51, N = 216, p = 7.6 × 10−16). Panel B: Residualized (controlled for seasonality and time trends) relationship between violent crime and temperature values (Tiihonen et al., 2017)
- Panel B: Partialkorrelation -> allgemeiner Zeittrend und Saisonalität (welcher Monat genau)
…and more…
· Statistisch kontrolliert für Ferienzeit und Verkehrsaufkommen (Indikatoren von „mehr Leute draußen“) steigt Kriminalität um 2,2%, Gewaltkriminalität um 5,7% an Tagen mit Höchsttemperatur über 29,4°C (Heilmann & Kahn, 2019)
· Experiments mit 2000 Probanden in Californien und Kenia bei 22°C vs. 30°C Labortemperatur. Alle möglichen ökonomischen Indikatoren: Risikofreude, Vertrauen, Kooperation, ... Einziger Effekt der Temperaturmanipulation auf Joy of Destruction: die Menge an Geld des Gegenspielers, die ohne eigenen Gewinn „verbrannt“ wird (Almas et al., 2019)
Hinweisreize auf Aggression
· Führt jede Erfahrung der Frustration zu Aggression?
· Relevanz der kognitiven Verfügbarkeit aggressiver Inhalte (hat chronischen Effekt, wird durch Provokation gesteigert)
· Anwesenheit von Hinweisreizen, die das semantische Konzept der Aggressivität wachrufen steigert Wahrscheinlichkeit
- Hinweisreiz, cue, z.B. ein Punkt oder Pfeil in einem visuellen Blickfeld, hat die Funktion, Aufmerksamkeit räumlich auszurichten oder zum Handeln zu veranlassen.
Implikationen
- NRA = National Rifle Association
Berkowitz & LePage, 1967
- das Experiment beinhaltet 7 Bedingungen
- keine Provokation: die Anwesenheit eines Gewehrs reduziert Aggressivität (Vergabe von Elektroschocks)
- bei Provokation: die Anwesenheit eines Gewehrs führt zu mehr Aggression
Lernen am Modell
· Einflussreichste Theorie
· Theorie des sozialen Lernens nach Bandura
· Ergänzt behavioristische Lerntheorien des Konditionierens: Menschen lernen alleine anhand von Beobachtung, ohne selber dafür belohnt zu werden.
· Eigentlicher Star: Bobo Doll
- Inder zeigen auch Verhalten, das ihnen gar nicht vorgezeigt wurde (z.B. Pistole benutzen), wenn dieses Teil eines Konzepts ist
· Transfer – nicht bloße Imitation, sondern das abstrakte Prinzip „aggressives Verhalten“ wird in neuen Formen umgesetzt
· Meilenstein der Medienwirkungsforschung
· Wenn kleine Kinder lernen, neue Formen der Aggression an wehrlosen Puppen auszuprobieren, was lernen dann Jugendliche und Erwachsene in Film, Funk und Videospielen
Wirkung gewalthaltiger Medien
- CrSec SA: Sex adaptiert (Geschlechtereffekt)
Empirische Zugänge
- schwarzer Strich: Auto-Regression
- grün: Mädchen
- lila: Jungs
Deshalb Goldstandard: Experiment mit aggressivem V erhalten als AV
· UV: gewalthaltige Spiele spielen vs. Tetris
· Potentielle Avs:
- Hot Sauce Paradigm: Tabasco in O-Saft für nächste VP
- Bilder senden: vollgekotzte Toiletten vs. Blumen
- Elektroschocks
- „best“ Practice: Competitive Reaction Time Task
-> VPs spielen Reaktionsspiel gegeneinander 50 Runden
-> Verlierer bekommt lauten Lärm auf die Ohren
-> Vor jeder Runde geben Spieler auf Skala an, wie laut der Lärm des Gegners im Verlustfall sein soll
-> „Gegenspieler“ ist Eingeweihter der VL, in Wirklichkeit vorbestimmter Algorhythmus, wer wann verliert und welchen Lärm VP bekommt (zwei Eskalationsstufen)
Auswertung
· Spontane Aggression: Lautstärke in erstem Trial
· Reaktive Aggression: durchschnittliche Lautstärke in Trials 2-50
· Reaktive Aggression: durchschnittliche Lautstärke in Trials nachdem Proband Schock bekommen hat
· Reine reaktive Aggression: durchschnittliche Lautstärke in Trials 2-50, kontrolliert für Lautstärke im ersten Trial
· Alternativ zu Durchschnittsbildung: Häufigkeit, mit der „aggressive“ Lautstärke gewählt (z.B. über 6 – oder 7 –oder 8)
- Kritik an der Aggressionsforschung ->
Problem
· Effekte sind nicht groß (r ≈ .20)
· Basieren nicht alle auf der gleichen Auswertungsmethode
Unklar, wie belastbar Evidenz, aber plausibel und keine Gegenevidenz
Radikale Gegenposition: Moral Panic
· Ferguson (2010): Befunde sind einseitig, weil die Forscher voreingenommen sind, ihre Hypothesen zu bestätigen und Daten werden selektiv herangezogen
- Moralische Panik (aus englisch moral panic) bezeichnet ein Phänomen, bei dem eine soziale Gruppe oder Kategorie aufgrund ihres Verhaltens von der breiten Öffentlichkeit als Gefahr für die moralische Ordnung der Gesellschaft gekennzeichnet wird.
- Auswirkung von Ego-Shooter-Spielen auf die Aggression deren Spieler
- schwache Evidenz
- selektive Berichterstattung
Moral Panic throughout the ages
· Plato: Schauspiel und Poesie haben einen negativen Effekt auf die Jugend und sollten verboten werden (Griswolt, 2004)
· Sein Mentor, Sokrates, hielt sogar das Alphabet für schädigend (McLuhan & Fiore, 1967)
· Zahlreiche Zeitgenossen fürchteten einen negativen Einfluss der römischen Gladiatorenspiele auf die Betrachter (Tertullian, 200; Seneca, 64)
· Zahlreiche Werke, die als Klassiker angesehen werden (z.B. Don Quixote, The Great Train Robbery), waren zu ihrer Zeit verschrien als schädigend (vor allem für Jugendliche, Arbeiter und Frauen)
Social Learning?
· Ferguson: schon in Banduras Experiment ist nicht klar, dass Kinder wirklich Aggressivität lernen oder nur dem Versuchsleiter einen Gefallen tun
· Bandura (1965): Kinder imitieren nicht, und zeigen weniger Aggression, wenn das Modell bestraft wird
Ferguson (2010)
Zur Sozialen Lerntheorie
- Menschen sind keine programmierten Affen, die etwas umsetzen, nur weil sie es einmal gessehen haben
-> keine direkte Imitation
Fazit zu Medienwirkung
· Schwacher Effekt, aber vermutlich nicht ganz wegzureden
· Zugrundeliegenden Mechanismen
· Lernen am Modell (?)
· Priming des Konzepts Aggressivität – aggressive Verhaltensschemata sind voraktiviert und leichter zugänglich
· Habituation – wir stumpfen ab gegenüber Gewalt. Physiologische Evidenz, dass Gewalt weniger Stress und Erregung erzeugt, je mehr man daran gewöhnt ist
· Medien beeinfluss unser Weltbild – häufiger Konsum gewalthaltiger Medien führt zur Wahrnehmung der Welt als gewalttätiger und furchteinflößender
· aber: der Anteil an gewalttätigem Verhalten, der durch Medienkonsum erklärt werden kann ist äußert gering (ca. 1%)
· Positive Effekte werden ggf. übersehen wegen Einseitigkeit
Reduktion von Aggression
· Strafe?
· Problem der Attribution bei zu naheliegender externaler Ursache für eigene Gewaltfreiheit
· Nur wenig Evidenz für abschreckende Wirkung, kein Zusammenhang zwischen Androhung von Todesstrafe (regionale und temporale Vergleiche) und Häufigkeit schwerer Gewaltverbrechen
Karthasis
· Laienannahme, dass das Ausagieren von Aggression zur Reduktion von Aggressivität führt
· Freuds Annahme: das Ausagieren von Aggression ist möglich (Quatsch! -> eher umgekehrt)
Empirische Evidenz?
· Generell gilt: das Ausüben von Aggression macht eher aggressiver als weniger aggressiv
· Sowohl Ausüben als auch Betrachten (s. stellvertretende Karthasis) aggressiver Sportveranstaltungen steigert Aggressivität
-> keine Triebreduktion
· Geen at al. (1995)
- Probanden werden provoziert (Verbündeter des VL gibt Probanden Elektroschock, wenn er anderer Meinung ist)
- Rollentausch – Proband Lehrer, Verbündeter Lernender
- UV: Fehler des Lehrenden mit Schocks bestrafen (Karthasis) vs. protokollieren
- AV: in folgender Aufgabe frei gewählte Elektroschocks
- Ergebnis: „Karthasis“ steigert aggressives Verhalten
Und wieder kognitive Dissonanz…
Warum steigert Aggressionsausübung Aggressivität?
· Auf der Frage, warum Katharsis nicht nur nicht beobachtbar ist, sondern Aggressionsausübung die Aggressivität steigert liefern dissonanztheoretische Überlegungen eine Erklärung
· Selbstwahrnehmung „Ich habe XY verletzt“ widerspricht dem Selbstbild „Ich bin friedlich“
· Dissonanz lässt sich reduzieren durch Änderung des Selbstbildes oder Hinzufügen der Kognition „XY hat es verdient öfter mal verletzt zu werden“
· Insbesondere bei unschuldigen Opfern der eigenen Aggression
Take Home Message
· andere Kanäle für Wut suchen, nicht impulsiv handeln
· nicht-aggressive Vorbilder präsentieren
· Empathie
· Lieb zueinander sein und nicht frustrieren
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