Europäisiserung
= erfasst Wechselwirkungen zwischen der nationalstaatliochen und supranationalen Ebene.
diese umfassen Sachentscheidungen (policy), politische Prozesse (politics) und politische Istitutionen (Polity)
Mögliche Konsequenzen der Europäisierung
Sachentscheidungen: Inwiefern ist nationale Politik bestimmt durch politische Entscheidungen auf EU Ebene? Beispiel: Europäisierungsgrad der Gesetzgebung
Politische Prozesse: Wie verändern sich nationale politische Prozesse, wenn Entscheidungen zunehmend auf die EU Ebene verlagert werden? Beispiel: Parteiprogramme, Wahlentscheidung
Politische Institutionen: Wie verändern sich nationalstaatliche Strukturen aufgrund zunehmender Kompetenzübertragung auf EU Ebene? Beispiel: Kontrollfunktionen nationaler Parlamente
Vernatwortung durch Wahlen (electoral accountability)
1.prospektives Wählen
• Wähler schauen nach vorne
• Sachfragenorientierter Wettbewerb zwischen den Parteien
• Wähler berücksichtigen Wahlversprechen / Wahlprogramme bei der Wahlentscheidung
= Politische Repräsentation: Abbildung der politischen Präferenzen der Wähler durch Repräsentanten im Parlament bzw. Regierung
2.retroperspektives Wählen
• Wähler schauen zurück
• Bewertung vergangener Leistungen, v.a. wirtschaftliche Entwicklung
politische Leistung = Wahlentscheidung
Ökonomisches Wählen
• Wähler entscheiden nach “Kassenlage”: Bewertung der wirtschaftlichen Situation (eigene oder von geografischen Einheiten , z.B. Staat)
• Diese Bewertungen entscheiden dann, ob die Regierungsparteien oder Oppositionsparteien Stimme erhalten
• Zusammenhang varriert allerdings stark
Kritik: klare Zuständigkeit?
• Annahme: Wähler wissen, welche Akteure für Politik verantwortlich sind.
• Problematisch in föderalen Systemen mit mehreren Ebenen
Für welchen Politikbereich ist die Eu eigentloich zuständig?
Kritik am institutionellen Ansatz: Informationsverarbeitung
Hobolt und Tilleys Modell der Verantwortlichkeitszuschreibung
Hypothesen
1. EU-skeptischeBürgerweisendie Verantwortung eher der EU zu, je schlechter die wahrgenommene politische Lage.
2. BeibessererEntwicklungsehenEU- skeptische Bürger die Verantwortung eher bei der nationalen Regierung.
3. DieEffektesindumgekehrtfürEU Befürworter.
Eu Verantwortungszuschreibung: abhängige und unabhängige Variable
abhängige Veriable
Ausmaß, in dem Befragte Zuständigkeit der EU Ebene zuschreiben.
“Wie steht es mit der Zuständigkeit der Europäischen Union für [die wirtschaftlichen Bedingungen, Gesundheitssystem, Einwanderung, Leitzins] in Deutschland? “ (Skala von 0-10 keine - volle Zuständigkeit)
unabhänigige Variable
• Einstellung auf einer EU Integrationsdimension (Einigung soll weiter gehen bzw. ist schon zu weit gegangen)
• Unterschiedliche Politikbereiche mit mehr/weniger EU Zuständigkeit (Zinsrate/Währung > Wirtschaft, Zuwanderung > Gesundheitssystem)
• Wahrnehmung der Situation in den letzten 12 Monaten in den jeweiligen Politikbereichen
(weitere Grafiken siehe Vl 12)
Regressionsanalyse
Untersuchung des quantitativen Zusammenhangs zwischen einer abhängigen Variablen Y und einer oder mehrerer unabhängiger Variablen X1, X2,...
Lineare Regression: Annahme eines linearen Zusammenhangs zwischen X und Y
Vorteile:
• Schätzung der Richtung und Größe eines Zusammenhangs
• Hypothesentest
• Berücksichtigung der Unsicherheit durch Stichprobe (könnte der Zusammenhang zufällig erfolgt sein?)
Ergebnisse:
Bei schlechter Entwicklung sprechen EU Skeptiker der EU mehr Verantwortung zu, auch in Bereichen, in denen die EU formal wenig Kompetenz hat.
Framing von politischen Entscheidungen
• Framing = Einbettung eines Themas in einen bestimmten Kontext
• Politische Akteure präsentieren Sachfragen vor dem Hintergrund von Problembeschreibungen und moralischen Überlegungen
• Kann den kognitiven Prozess beeinflussen: Person bildet sich ein Urteil durch Abwägung und Rückbesinnung auf langfristig angelegte Präferenzen.
Framing: Untersuchung anhand eines Umfrageexperiments
• In ihrem Buch berichten Hobolt und Tilly über ein Umfrageexperiment, um den kausalen Zusammenhang zu identifizieren: verursacht eine negative Entwicklung tatsächlich eine Verschiebung der Verantwortlichkeit?
Zur Logik experimenteller Forschung
Ein Umfrageexperiment dient dazu, Kausalbeziehungen zwischen Variablen überprüfen zu können, indem mögliche Wirkungen anderer Variablen (Störvariablen, Drittvariablen) ausgeschaltet werden. Im Experiment werden die Bedingungen also so manipuliert, dass nur noch eine einzige Ursache übrig bleibt.
Zufällige Aufteilung der Befragten in Experimentalgruppen ("Treatment") und Kontrollgruppe ("kein Treatment").
Wichtig: Die Einteilung in Experimentalgruppe und Kontrollgruppe erfolgt komplett zufällig. Dadurch wird sichergestellt, dass alle anderen Eigenschaften (Geschlecht, Alter, etc.) in den beiden Gruppen gleich verteilt sind.
“Blame Game” in der EU
Wenn durch Wirtschafts- und Eurokrise die Zustimmung zur EU nachlässt, kommen Regierungen bei schlechter wirtschaftlicher Lage womöglich mit schlechter Leistung davon, da sie weniger stark verantwortlich gemacht werden
Nationale Politiker können diesen Effekt unter Umständen durch negative Aussagen über EU verstärken, insbesondere wenn Zustimmung zu EU in der Bevölkerung nachlässt
Europas Einfluss auf die nationale Gesetzgebung
der Ursprung des Mythos: "In 10 Jahren werden 80% der Wirtschaftsgesetzgebung, vielleicht auch der steuerlichen und sozialen, gemeinsamen Ursprungs sein".
Jacques Delors Kommissionspräsident bei Rede vor dem Europaparlament 1988
Europäisierung nationaler Sachpolitik
• Fallstudien legen Vermutung nahe, dass Umsetzung von EU-Politikprogrammen in einzelnen Politikfeldern zu tiefgreifenden Reformen geführt hat
• Annahme bei der Europäisierung: fortschreitende Integration beeinflusst die Staatlichkeit der Mitgliedsstaaten
• Gesetzgebung, Parteienwettbewerb, etc.
Aspekte der Europäisierung
Umsetzung von europäischen Rechtsakten (Richtlinien) in nationales Recht:
Räumt Mitgliedsstaaten Spielraum ein, aber es gibt oft Umsetzungsprobleme (nicht rechtzeitig, nicht korrekt)
Kuckucksei-Effekt? Lange Umsetzungsfristen (bis zu 10 Jahren) bergen Gefahr der Diskontinuität:
Je länger Umsetzungsfristen, desto höher Wahrscheinlichkeit, dass Nachfolgerregierung gezwungen ist, EU Gesetze umzusetzen, die von Vorgängerregierung im Rat mit beschlossen wurden
Tatsächliche Entwicklung
König und Mäder untersuchen im Längsschnitt, in welchem Ausmaß deutsche Gesetzgebung auf europäische Impulse zurückzuführen ist.
1. Es gibt eine Europäisierungstendenz bei deutschen Gesetzen, diese liegt aber weit von dem 80% Mythos entfernt (von 17% auf 35%)
2. Gesetze mit kostenimplizierendem Charakter: zwischen 25% und 33% haben europäischen Impuls
3. Nur 15% aller wichtigen deutschen Gesetze (Schlüsselgesetze) zwischen 1976 und 2005 hatten einen europäischen Ursprung
4. Aber: entgegen der Vermutung sind Umsetzungen von Richtlinien nicht der Hauptimpuls: Verordnungen spielen auch große Rolle
Welche Zukunft hat die EU?
Das Modell der differenzierten Integration (auch bekannt unter: Europa der zwei Geschwindigkeiten, Kerneuropa, Europa mit „opt-outs“)
• Gemeinsame Währung für 19 Länder
• Schengenraum für 26 Länder
• Fiskalpakt für 23 Länder
• Binnenmarkt, der auch Nicht-Mitglieder einschließt (z.B. Norwegen)
• Verstärkte Zusammenarbeit in bestimmten Bereichen (Bsp. aktuelle Diskussion bei der Finanztransaktionssteuer, 11 Länder)
Differenzierte Integration
• Horizontale Differenzierung: Fälle, in denen ein Politikfeld auf EU Ebene verlagert wird, jedoch nicht alle Mitgliedsländer teilnehmen
• Vertikale Differenzierung: Politikfelder, bei denen lediglich ein Teil der Zuständigkeiten auf europäische Ebene übertragen wird
• Ein System in Gleichgewicht?
Fazit
1. Zuweisung von Verantwortlichkeit für wirtschaftliche Lage nicht objektiv: Verzerrungseffekte durch Wahrnehmung der Lage und Einstellung zur EU
2. Die 80% Europäisierungsthese ist ein Mythos, der Einfluss europäischer Impulse auf deutsche Gesetzgebung liegt deutlich darunter.
3. EU Integration ist differenziert, das heißt nicht unbedingt für alle Mitgliedstaaten gleich
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