Wurzeln moderner Definition der Aufmerksamkeit
„Jeder weiß, was Aufmerksamkeit ist.
Sie ist das Besitzergreifen durch den Verstand, in einer klaren und lebhaften Form. Eines wird aus dem herausgegriffen, was wie mehrere gleichzeitig mögliche Objekte oder Gedankengänge scheint.
Bündelung, Konzentration des Bewusstseins sind das Wesentliche. Sie beinhaltet das Zurückziehen von einigen Dingen, um mit den anderen wirkungsvoll umgehen zu können.“
-WIlliam James
Aufmerksamkeitsdimensionen (1/3) Exogen vs. endogen
Frage: Wonach wird ausgewählt?
Was ist Aufmerksamkeit? Beispiel: Cocktailparty Effekt
• Wir können aus einer großen Menge gleichzeitig vorhandener und überlagernder Stimmen die für uns relevante auswählen und andere unterdrücken.
• Reize mit hoher Relevanz (wie der eigene Name) von einer Hintergrundstimme gesprochen können Aufmerksamkeit auf sich ziehen.
Aufmerksamkeitsdimensionen (2/3) Internal vs. external
Frage: Was wird ausgewählt/selektiert/moduliert?
Aufmerksamkeitsdimensionen (3/3) Fokussiert (selektiv) vs. geteilt
Frage: Wie ist Aufmerksamkeit verteilt?
Zusammenfassung: Dimensionen der Aufmerksamkeit
Funktionen der Aufmerksamkeit
Selektion
Selektion: zur effektiven Steuerung von Denken und Handeln muss relevante Information selektiert und irrelevante oder ablenkende unterdrückt werden.
⇒ Ermöglicht Wahrnehmung und schützt das verarbeitende System vor Überlastung (selection-for-perception)
Koordination
Koordination: Prozesse, die es ermöglichen, mehrere Reize bzw. Aufgaben zur gleichen Zeit zu beachten
⇒ Ermöglicht effizientes / koordiniertes Handeln (selection-for-action)
Cherry (1953): Paradigma
Paradigma: Simultane Darbietung unterschiedlicher Informationen auf dem linken und rechten Ohr.
Aufgabe:
• Einen Kanal „beschatten“ (shadowing) und laut nachsprechen. • Nachher Fragen über Natur/ Inhalt den unbeschatteten Kanals beantworten
Cherry (1953): Ergebnisse
Es werden nur wenige Merkmale des unbeachteten Kanals registriert:
• Menschliche Stimme vs. Geräusche
• Männliche vs. weibliche Stimme
• Stimmwechsel während des Tests
Viele Merkmale wurden (in der Regel) nicht bemerkt:
• Fremde vs. bekannte Sprache
• Abspielrichtung: vorwärts oder rückwärts
Interpretation:
⇒ Es können nur physikalische Merkmale wiedergegeben werden.
⇒ Eine semantische Analyse scheint nicht stattzufinden.
Broadbent (1954): Split-span Paradigma
Paradigma:
Versuchspersonen bekommen simultan über Kopfhörer Zahlen präsentiert, die sie wiedergeben sollen.
Broadbent (1954): Ergebnisse
⇒ Physische Merkmale der Eingangsinformation sind effektive Hinweisreize um Stimuli auseinanderzuhalten
Welford (1952): Psychologische Refrakturperiode
Paradigma: Zwei Hinweisreize werden in schneller Abfolge gegeben.
Aufgabe: So schnell wie möglich auf beide Reize reagieren.
Ergebnis: Reaktionszeit auf Reiz 2 hängt von Zeitverzögerung (Stimulus Onset Asynchrony, SOA) zwischen Reiz 1 und 2 ab.
Interpretation: ⇒ Engpass (bottleneck): Verarbeitung eines Reizes muss abgeschlossen sein, bevor die Verarbeitung des zweiten beginnen kann (serielle Verarbeitung)
Broadbents Filtertheorie
Information aus den einzelnen „Kanälen“ kommt für einen kurzen Moment in einen sensorischen Zwischenspeicher (sensoric buffer)
Physikalische Merkmale werden parallel verarbeitet
Broadbents Filtertheorie 2
Selektionsfilter arbeitet auf der Basis physikalischer Reizmerkmale (z. B. Reizort, Ohr, Frequenz etc.).
⇒Der Ort der Nachrichtenselektion ist früh („early selection“).
Weiterleitung erfolgt nach dem Alles-oder-Nichts-Prinzip
⇒Von den nicht beachteten Nachrichten werden nur die physikalischen Merkmale verarbeitet, nicht deren Bedeutung
Broadbents Filtertheorie 3
Einkanalhypothese: Es gibt nur einen seriellen, kapazitätslimitierten zentralen Prozessor
⇒nur eine Information kann zu einem Zeitpunkt die höheren kognitiven Verarbeitungsprozesse durchlaufen.
⇒Eine Teilung der Aufmerksamkeit zwischen den Eingangskanälen ist nicht möglich, nur ein rascher Wechsel des Filters
⇒Beobachtung der Verarbeitung von Informationen aus nicht attendiertem Kanal durch Wechsel des Filters erklärt (slippage)
Herausforderungen an Broadbent‘s Filtertheorie
1. Cocktailparty-Phänomen: In 1/3 der Fälle wird der eigene Name im unbeachteten Kanal entdeckt (Moray, 1959)
⇒ Semantische Verarbeitung der unbeachteten Information scheint (zumindest teilweise) stattzufinden
2. Probanden verlagern ihre Aufmerksamkeit auf den unbeachteten Kanal erst nachdem sie den Namen im unbeachteten Kanal entdeckten (Wood & Cowan, 1995)
⇒ Alternativerklärung durch Filterwechsel unwahrscheinlich.
3. Durch Übung kann die Entdeckung kritischer Informationen im unbeachteten Kanal gesteigert werden (Underwood, 1974)
⇒ Der Selektionsprozess ist plastisch.
Anne Treisman (1960): Beispielexperiment
Paradigma: Dichotisches Hören längerer Geschichten / Satzstücken
Aufgabe: Beschatten eines Ohres
Manipulation: Die bedeutungsvolle Mitteilung wechselt von einem Ohr zum anderen
Beobachtung: Manchmal (6% der Fälle) beschatten die Probanden – entgegen der Instruktion – die bedeutungsvolle Mitteilung
⇒ Die Signale des unbeachteten Kanals werden nicht vollständig eliminiert
⇒ Semantische Verarbeitung der Information des nicht beachteten Kanals ist schwierig, aber prinzipiell möglich
Anne Treismans Dämpfungstheorie
Flexibilität:
Der Selektionsfilter kann auf verschiedenen Stufen angesiedelt werden. Filter kommt zum Einsatz, wenn vorhandene Kapazität nicht ausreicht, um alle Informationen zu verarbeiten.
⇒ Der Ort der Nachrichtenselektion ist flexibel (aber relativ früh)
Weiterleitung erfolgt nach dem Mehr-oder-weniger Prinzip
⇒Der Filter lässt abgeschwächte Weiterleitung von Information zu, dämpft nur die Weiterleitung im nicht beobachteten Kanal
⇒Verarbeitung von Informationen aus nicht attendiertem Kanal durch abgedämpfte Weiterleitung (leakage)
Ausmaß der Verarbeitung nicht beachteter Informationen hängt von Erwartung und Relevanz ab
Relevanz durch externale und internale Merkmale bestimmt
• große physikalische Stärke (lautes Geräusch)
• momentane semantische Passung (Treisman, 1960)
• persönliche Relevanz (eigener Name auf Party)
Deutsch & Deutsch: Späte Filterung
Hypothesen:
• Alle Reize werden vollständig analysiert.
• Eine Auswahl erfolgt erst unmittelbar vor der Antwort, bzw. Reaktionsvorbereitung => Handlungssteuernde Selektion
• Weiterverarbeitung nur für relevantester Reize (parallele Gewichtung)
Theorieunterscheidung: Frühe vs. Späte Selektion
Treisman & Riley (1969): Beispielexperiment
Paradigma: Präsentation von Zahlen und Buchstaben auf beiden Ohren
• Ein Ohr beschatten und Zahlen nachsprechen
• Bei Buchstaben Beschattung unterbrechen, auf den Tisch klopfen und Buchstaben nennen
Treisman & Riley (1969): Ergebnis
Signifikanter Unterschied zwischen beschattetem und nicht beschattenem Kanal nur, wenn Target in gleicher Stimme präsentiert wurde.
Interpretation
⇒ Effekt von Aufmerksamkeit auf Niveau der Verarbeitung von verbaler Information, nicht Antwortselektion
⇒ Stützt die Theorie früher Selektion.
Coch, Sanders & Neville (2005) Beispielexperiment
• Dichotische Beschattungsaufgabe (Geschichten) mit EEG kombiniert
• Unregelmäßig auftretende linguistische und nicht-linguistische Targets
Idee:
Feststellen, ab wann neuronale Verarbeitungsunterschiede zwischen dem beachteten und nicht beachteten Kanal auftreten
Coch, Sanders & Neville (2005) Ergebnisse
Ergebnis: Unterschied in neuronaler Verarbeitung attendierter und nicht attendierter Stimuli ab ca. 100ms.
⇒ Aufmerksamkeit moduliert neuronale Aktivität früh.
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