Schicksal nicht-beachteter Information
Was sind relevante Faktoren für die Verarbeitung (visueller) Information?
Lavie (1995, 2000): Theorie Perzeptueller Belastung
Hypothese: Höhe perzeptueller Belastung bestimmt, ob und wie stark nicht beachtete Information verarbeitet wird.
Eriksen & Eriksen (1974): Flanker Aufgabe
Paradigma: Ein zentrales Target im Kontext von Distraktoren, die dieselbe (kompatibel), keine (neutral) oder gegenteilige (inkompatibel) Antwort als Target auslösen würden
Experimenteller Effekt: Interferenzeffekt von Distraktoren auf Target
• Inkompatible Distraktoren im Vergleich zu kompatiblen verlangsamen die Reaktion
• Je besser die Selektion, desto geringer der Einfluss der Distraktoren (Differenz: RTkompatibel - RTinkompatibel).
Lavie (1995): Paradigma
Aufgabe:
Entscheiden, ob in der mittleren Zeile ein X oder Z enthalten ist Unabhängige Variablen:
• Perzeptuelle Belastung durch Set-Size an Distraktoren variiert (1 vs. 6)
• Distraktoren: Inkompatibel, kompatibel oder neutral
Lavie (1995): Ergebnisse
Erklärung:
• Niedrige perzeptuelle Belastung => Distraktoren werden verarbeitet und beeinflussen Reaktion
• Hohe perzeptuelle Belastung => Aufmerksamkeit kann nicht zu Distraktoren wechseln => Distraktoren nicht verarbeitet
Proviso: Belastung ist nicht gleich Belastung
Beobachtung:
Weitere relevante Faktoren gibt, z.B. die Belastung des Arbeitsgedächtnisses und Auslastung der Kontrollfunktionen
Effekt kognitiver Belastung
Der Effekt, der unter perzeptueller Belastung beobachtet wird, dreht sich um:
Niedrige kognitive Belastung —> geringer Einfluss von Distraktoren
Hohe kognitive Belastung —> starker Einfluss von Distraktoren
Interpretation
• Für die Unterscheidung von Distraktoren und Targets und für die Inhibierung der Distraktoren ist exekutive Kontrolle notwendig.
• Bei hoher kognitiver Belastung fällt es schwerer, Kontrolle und Inhibierung aufrecht zu erhalten.
Zusammenfassung: Perzeptuelle vs. Kognitive Belastung
Was selektiert selektive Aufmerksamkeit?
Überblick Theorien räumlicher Aufmerksamkeit
Posner 1980: Lichtkegel-Theorie
Lichtkegelmetapher (spotlight) der Aufmerksamkeit:
• Der selektive Filter ist wie der Lichtkegel einer Taschenlampe der Orte im Dunkeln erleuchtet
• Attendierte Stimuli sind gleichsam illuminiert, und werden daher rascher und gründlicher verarbeitet
Annahmen
• Der Durchmesser des attentionalen Lichtkegels ist von konstanter Größe.
• Der Lichtkegel bewegt sich kontinuierlich wie glatte Augenfolgebewegung.
Posners Cueing-Paradigma
Räumliche Hinweisreize lenken die Aufmerksamkeit
—> Untersuchung der Mechanismen der ortsbasierten Selektion
Posners Cueing-Paradigma: Neutraler Durchgang
Beobachtung & Interpretation: Ein neutraler Cue definiert die Vergleichsgrundlage (Baseline) für CueValidität
Posners Cueing-Paradigma: Valider Durchgan
Beobachtung: Ein valider Cue führt zu einer schnelleren Reaktionszeit (Gewinn).
Interpretation: Ortsbasierte Aufmerksamkeit führt am attendierten Ort zur schnelleren Verarbeitiung der Reize
Posners Cueing-Paradigma: Invalider Durchgan
Beobachtung: Ein invalider Cue führt zu einer langsameren Antwort (Kosten).
Interpretation: Fehlende ortsbasierte Aufmerksamkeit führt zur lansameren Verarbeitung der Reize
Erikson & St. James (1986) Zoomlinsen-Theorie
Annahmen:
• Äquivalent zur Lichtkegelmetapher, mit dem Unterschied, dass…
• …der Kegel des Scheinwerfers wie bei einem Zoom unterschiedliche breit sein kann
LaBerge (1983)
Idee: Größe des Aufmerksamkeitsfokus (Zoom) durch Art einer Kategorisierungsaufgabe variiert
• ganzes Wortes => großer Fokus
• mittlerer Buchstaben => kleiner Fokus
—> Ermöglicht die Bestimmung der Fokusgröße auf eine sekundäre Aufgabe
Zweitaufgabe mit Probe (Testreiz):
Zufällig zwischen normalen Versuchsdurchgängen eingestreut
Aufgabe & abhängige Variable:
Entscheiden, ob eine 7 vorhanden ist / Reaktionszeit Unabhängige Variablen:
• Aufmerksamkeitsfokus (groß/klein),
• Position des Probe
LaBerge (1983): Ergebnisse
Ergebnis:
Signifikante Positionseffekte nur in der Buchstaben-Aufgabe (kleiner Zoom), nicht in der Wortaufgabe (großer Zoom).
Interpretation:
Unterschiede rückführbar auf unterschiedlich große Kegel des attentionalen Scheinwerfers
Awh & Pashler (2000): Theorie multipler Lichtkegel
• Aufmerksamkeit kann auch auf mehrere Positionen aufgeteilt werden
—> Es kann mehrere Scheinwerferkegel geben
Awh & Pashler (2000): Paradigma
Idee: Unterschiedliche Vorhersagen für 1 vs. 2 Lichtkegel
1 => die mittlere Position liegt im Lichtkegel, profitiert von Aufmerksamkeit 2 => die mittlere Position liegt außerhalb der Lichtkegels, profitiert nicht von Aufmerksamkeit
Awh & Pashler (2000): Ergebnis
Schlechtere Leistung für Positionen zwischen den Cues (middle)
Aufmerksamkeit kann gleich mehreren Lichtkegeln unabhängig an mehreren Orten wirken
Orts- vs. objektbezogene Aufmerksamkeit
Bisher vorgestellte Paradigmen konfundieren Orte und Objekte Þ Unklar, ob Aufmerksamkeit orts- oder objektbasiert funktioniert
Idee: Den Ort experimentell kontrollieren, z.B.
• Präsentation zu beachtender und ignorierender Objekte am selben Ort
• Orte und Objekte unabhängig variieren
Duncan (1984): Paradigma
Paradigma: 2 überlappende Objekte, die jeweils durch 2 Attribute bestimmt sind, werden kurz gezeigt
• Rechteck: Größe, Lückenseite
• Line: Textur, Orientierung
Aufgaben:
• einfach (nur 1 Attribut)
• dual (2 Attribute gleichzeitig)
• bezogen auf 1 (gleiches) Objekt
• bezogen auf 2 (unterschiedliche) Objekte
Duncan (1984): Ergebnisse
Ergebnisse:
• Genauigkeit von dualen Urteilen wie bei einfachen Urteilen wenn das Objekt gleich bleibt
• Genauigkeit von dualen Urteilen reduziert, wenn auf 2 (unterschiedliche) Objekte bezogen (obwohl beide am selben Ort sind)
Interpretation: Aufmerksamkeit wählt Objekte aus, nicht Orte
Hollingworth et al. (2012)
Paradigma
Cue:
• valide oder invalide
Target:
• nah oder fern
• auf gleichem oder auf anderem Objekt als der Cue
Ergebnis: Sowohl Entfernung wie Objektzugehörigkeit beeinflussen das Verhalten
Interpretation: Hinweis auf orts- wie auf objektbasierte Aufmerksamkeit
O‘Craven & Kanwisher (1999)
• Probanden sehen überlagerte Bilder von Gesichtern und Häusern
• Bei unterschiedlichen Durchgängen bewegt sich entweder das Haus oder das Gesicht, das andere ist unbewegt
Aufgabe
• Probanden attendieren entweder auf das Gesicht, das Haus oder die Bewegung
Neuronale Messung: Aktivität in Hirnregionen FFA (präferiert Gesichter), PPA (präferiert Häuser) und MT (Bewegung).
Hypothese
• Wenn Aufmerksamkeit objektbasiert ist, müßte Aufmerksamkeit auf ein Attribut auch die neuronale Verarbeitung des anderen Attributs des Objektes modulieren
O‘Craven & Kanwisher (1999) Ergebnisse
Ergebnis: Aufmerksamkeit auf ein Attribut eines Objektes (hier: Bewegung) moduliert auch die Verarbeitung anderer Attribute (hier: Kategorie)
Interpretation: Neurophysiologische Evidenz für attentionale Selektion von Objekten
Exogene vs. endogene Aufmerksamkeit
Exogen (stimulus-determiniert) Kontrolliert bottom-up durch externe stimuli
Beispiel: Pop-out Effekt
Endogen Kontrolliert top-down durch Handlungsziele und Erwartungen
Beispiel Hinweisschilder bei Navigation
—> Theorie: Exogene und endogener Aufmerksamkeit werden durch unterschiedliche Systeme mediiert
Exogenes System
Sorgt für automatischen Aufmerksamkeitswechsel hin zu exogenen Reizen: reizgetriggert, reflexiv
Paradigma: Cueing mit peripheren Cues:
Das plötzliche Erscheinen des Hinweisreizes bewirkt ein Verschieben der Aufmerksamkeit hin zum Hinweisreiz
Endogenes System
Aufmerksamkeitswechsel wird durch Erwartungen/ Absichten des Individuums initiiert: intentional, willentlich
Paradigma: Cueing mit zentralen Cues:
Nach der Verarbeitung des symbolischen Zeichens wird die Aufmerksamkeit willentlich in Pfeilrichtung verschoben.
Differenzierung von Aufmerksamkeitssystemen
Forschungsansatz von Posner und Kollegen:
Unterschiede in Aufmerksamkeitsystemen sollten in Unterschiede im Verhalten in Cueing-experimenten (periphere vs. zentrale Cues) deutlich werden.
Kartierung von Unterschieden durch Variation von Faktoren in CueingExperimenten, z.B.
• Art des Hinweisreizes: zentral vs. peripher
• Cue-Validität: valide, neutrale vs. invalide Trials
• Zeitlicher Abstand zwischen Hinweisreiz und Target, z.B. Cue-Target Delay
—>Ab wann und wie lange kann der Vorteil/Gewinn für valide Durchgänge beobachtet werden (RT invalide cues – RT valide cues)?
Unterschiede: Periphere vs. zentrale Cues
Ergebnisse • Periphere Cues operieren schneller als zentrale Cues • Aufmersamkeitseffekt für periphere Cues dreht sich mit zunehmendem Cue-Target delay um = Inhibition of return
Inhibition of return
Beobachtung: Verlängerte Reaktionszeiten (RZ) bei bestimmtem zeitlichen Abstand von peripherem Cue und Target…
Beschreibung: …also wenn Target an einem Ort erscheint, der zuvor mit erhöhter Aufmerksamkeit belegt war.
Erklärung: Automatische Orientierung der Aufmerksamkeit zu einem bestimmten Ort (Cue) führt zum automatischen Abwenden der Aufmerksamkeit von diesem Ort.
Verhaltenseffekt: Verhindert, dass Aufmerksamkeit zum gerade ausgewählten Ort zurückkehrt
—> erleichtert Suchprozesse, da dieselben Orte nicht wiederholt mit Aufmerksamkeit belegt werden
Weitere Unterschiede: Periphere vs. zentrale Cues
• Zentrale Cues lassen sich – wenn so instruiert - einfacher ignorieren als periphere Cues
• Periphere Cues sind weniger durch gleichzeitig ablaufende Arbeitsgedächtnisaufgaben beeinflusst
• Periphere Cues können eher die Wirkung zentraler Cues unterbrechen als anders herum
—>Konvergierende Evidenz für zwei unterschiedliche Aufmerksamkeitssysteme
Corbetta und Shulman (2002): Fronto-parietale Aufmerksamkeitsnetzwerke
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