Limitationen der Aufmerksamkeit
Drei Schlüsselparadigmen, die die Limitationen von selektiver Aufmerksamkeit verdeutlichen:
Unaufmerksamkeitsblindheit (Inattentional Blindness)
Wenn Beobachter ein Objekt oder Ereignis fokussieren, verpassen sie oft ein anderes (vom fokussierten verschiedenes) Objekt
Veränderungsblindheit (Change Blindness)
Wir übersehen oft Veränderungen an Objekten in einer Szene
Aufmerksamkeitsblinzeln (Attentional Blink)
Zweiter Zielreiz von zwei Reizen wird in Sequenz von Distraktorstimuli nicht wahrgenommen
Unaufmerksamkeitsblindheit Simons & Chabris (1999)
Paradigma
Probanden sehen Videos von zwei ballspielenden Teams. Mitten Im Video läuft ein als Gorilla verkleideter Mensch durch die Szene
Aufgaben: Während des Videos Pässe des weißen oder schwarzen Teams zählen Nachher Überraschungsfrage beantworten, ob man den Gorilla gesehen hat
Ergebnis:
weißes Team —> 42 % bemerkten Gorilla
schwarzes Team —> 83 % bemerkten Gorilla
Unaufmerksamkeitsblindheit Drew et al.(2013)
Paradigma Radiologen untersuchen (CT)-Aufnahmen nach Knoten in der Lunge Mitten in der 3D Aufnahme ist ein Gorilla
Ergebnis: Nur 17% bemerken den Gorilla.
Unaufmerksamkeitsblindheit Pursuh & Melara (2016)
• In der Mehrzahl der Durchgänge werden rechts/links von Fixationspunkt farbige Vierecke gezeigt
• In den relevanten Durchgängen erscheint statt des Fixationskreuzes ein Bild von Barack Obama, ohne Distraktoren, foveal
Ergebnis: 60% bemerken den unerwarteten Stimulus nicht & können nicht zwischen Barack Obama und 3 anderen Bildern unterscheiden, obwohl das Bild foveal präsentiert war
Unaufmerksamkeitsblindheit (UB)
Auch in anderen Modalitäten, z.B. Unaufmerksamkeitstaubheit
Zustand attentionaler Prozesse beeinflusst UB
• Mit steigender kognitiver Belastung steigt UB an
• Erwartung an ein zusätzlichen Objektes (Bedingung geteilter Aufmerksamkeit) erhöht Erkennungsleistung
—> Verdeutlicht Rolle von Aufmerksamkeit: Der Ort des zusätzlichen Objekts muss mit Aufmerksamkeit belegt sein, um das Objekt zu bemerken
—> Indikator für das Scheitern des exogenen Aufmerksamkeitssystems
Veränderungsblindheit (VB): Flicker Paradigma
Ein Original und ein verändertes Bild werden alternierend hintereinander und durch einen grauen Bildschirm getrennt, präsentiert
Wiederholung erfolgt so lange, bis Unterschied korrekt benannt wird.
Veränderungsblindheit Levin and Simons (1997)
während eines Films werden Objekte entfernt oder verändert
Die meisten Probanden bemerken diese Veränderungen nicht.
Weitere Beispiele: Filmfehler (Goofs)
Interpretation
Aufmerksamkeit auf Objekte ist notwendig um Veränderungen zu bemerken.
Resinsk 1997: VB als Phänomen der Aufmerksamkeit
Interpretation:
• Erkennen der Veränderung erfordert selektive Aufmerksamkeit.
• Wir lenken Aufmerksamkeit eher auf Teile der Szene, die saliente oder relevante Informationen enthalten.
Sharan (2016): VB als Phänomen der Wahrnehmung
Paradigma:
• Kategorisierung von Veränderungsblindheitsaufgaben (einfach, medium, schwer)
• Eye tracking zur Bestimmung der Fixation (=> Ort der Aufmerksamkeit)
Ergebnis: Leistung ist am höchsten, wenn der Ort der Veränderung fixiert wird (Fovea => beste Auflösung), aber auch erstaunlich hoch in der Peripherie.
Interpretation: Erkennen der Veränderung hängt nicht von Aufmerksamkeit, sondern von visuellen Faktoren ab
Unaufmerksamkeitsblindheit (UB) vs. Veränderungsblindheit (VB)
Instruktion auf unerwartete Objekte oder Veränderungen zu achten:
Kleiner Effekt in VB, großer in UB
Gedächtnisprozesse:
Nicht erforderlich in UB, involviert in VB (Vergleich: vorher zu jetzt)
Abhängigkeit von kognitiver Belastung:
UB von kognitiver Belastung abhängiger als VB
—>Komplexere Verarbeitung für erfolgreiches Erkennen in VB als in UB notwendig
Veränderungsblindheit: Zusammenfassung
Erklärung 1:
Fehlende selektive Aufmerksamkeit Ohne selektive Aufmerksamkeit auf Orte der Veränderung findet eine Detektion nicht statt
Alternativerklärung 1:
Eigenschaften des visuelles Systems Peripheres Sehen ist durch weniger detailreiche Verarbeitung gekennzeichnet, darum höhere Wahrscheinlichkeit für Veränderungsblindheit (wenn z.B. kritische Eigenschaft nicht verarbeitet wurde)
Alternativerklärung 2:
Der Vergleich der Präsentation (vorher/nachher) nicht stattgefunden hat
Attentionales Blinzeln (AB): Experimenteller Kontext
Attentionales Blinzeln (AB): Paradigma
Aufmerksamkeitsblinzeln (AB): Ergebnisse
Erster Zielreiz muss attentional verarbeitet werden, so dass das kapazitätslimitierte attentionales System den zweiten Reiz nicht verarbeiten kann.
Bewertung
Veränderungsblindheit, Unaufmerksamkeitsblindheit und attentionales Blinzeln zeigen Limitationen des Aufmerksamkeitssystems.
Sind dies missliche Defekte und Fehlleistungen des kognitiven Systems?
Nein —> Wahrnehmung ist nicht korrekt, sondern nützlich
Beispiel Veränderungsblindheit:
Die Annahme, dass die visuelle Welt über kurze Zeiträume relativ stabil ist, ist gerechtfertigt.
—> Es ist sinnvoll perzeptuelle Genauigkeit gegen eine kontinuierliche, stabile Wahrnehmung der Welt einzutauschen.
Visuellen Suche: Paradigma
Aufgabe:
Möglichst schnell entscheiden, ob ein Zielreiz (Target) in einer Menge von Distraktoren dargeboten wird oder nicht.
Häufige Variationen:
• Wahrscheinlichkeit Target vorhanden vs. nicht vorhanden
• Displaygröße (Anzahl der Reize)
• Ähnlichkeit zwischen Target und Distraktoren
Visuellen Suche: Quantifikation
Die Reaktionszeiten in visuellen Suchaufgaben werden in Bezug zu der Anzahl der Items im Display (Displaygröße) gesetzt:
—> Such-Reaktionszeit-Funktionen
Treisman & Gelade 1980: Parallele vs. serielle Suche
Ergebnisse verschiedener Studien zur visuellen Suche legen eine Unterscheidung zwischen zwei Modi nahe: parallele und serielle Suche
Paradigma & Ergebnisse: Parallele Suche
Einfache-Merkmals-Suche Ein Merkmale unterscheidet Target und Distraktoren
Treisman & Gelade (1980) Merkmals-Integrations-Theorie (MIT)
Annahmen
• Visuelle Verarbeitung ist modularisiert
• Am Anfang stehen schnelle, initiale parallele Prozesse der Merkmalserkennung (spezialisierten Merkmalsdetektoren)
• Ergebnisse der unterschiedlichen Merkmalsanalysen werden in unterschiedlichen retinotopen Merkmalskarten organisie
—> präattentive Prozesse
Treisman & Gelade (1980) Bindungsproblem
Folgerungen: Durch separate Merkmalskarten entsteht Bindungsproblem:
Wie werden die Informationen der einzelnen Merkmalskarten zusammengefügt?
Treisman & Gelade (1980) MIT löst Bindungsproblem
Aufmerksamkeit löst Bindungsproblem:
Wird ein Ort der sog. Hauptkarte mit Aufmerksamkeit belegt, können die Merkmale der korrespondierenden Orte zu einer einheitlichen Objektrepräsentation zusammengefasst werden.
—> Bindung von Merkmalen kann immer nur für ein Objekt zu einer gegebenen Zeit erfolgen
—> Flaschenhals der Verarbeitung
MIT und visuelle Suche
Limitationen der MIT
Empirische Studien zeigen eine Vielzahl von Steigungen für Suchfunktionen
—> Argument gegen Zweiteilung und für ein Kontinuum
Auch flache Kurven für parallele Suchen zeigen immer noch deutliche Steigungen (b oft > 0).
—> Verarbeitung also nicht parallel und präattentiv?
Vorhergesagte Steigungen für serielle Suche scheinen zu flach
• Empirische Schätzungen: 20–60 ms/Item.
• Bewusste Umkehr der Aufmerksamkeit: 200–500 ms
—> Also serielle Suche nicht durch Aufmerksamkeitsprozesse mediiert?
Begrenzte Übertragbarkeit auf realistische Bedingungen
• Unklar, was ein „Item“ ist
• Annahme der Zufälligkeit der Suche ist nicht gegeben
Visuelle Suche in natürlichen Umgebungen
Rolle der Displaygröße
Beobachtung: Anzahl der benennbaren Objekte ist ein schlechter Prädiktor für die benötigte Suchzeit.
Andere Prädiktoren entscheidender:
• Natürliche Szenen enthalten episodische Hinweisreize, die Suche leiten
Beispiele:
• Art der Szene (z.B.: Berge, Strand, Stadt),
• Art der anwesenden Objektgruppen (z.B. Bücher, Tiere)
Ehinger et al. 2009: Suche in natürlichen Bilder
Aufgabe: Person im Bild suchen
Beobachtung: Fixationen meistens auf plausiblen Orten
Interpretation: Vorwissen leitet die visuelle Suche und macht sie dadurch effizient
Wolfe et al 2011: Zwei-Pfad-Modell visueller Suche
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