Wieso Bewusstseinsforschung – Unterschwellige Wahrnehmung
James Vicary berichtete auf einer Konferenz (1957) über eine Studie (‚Isst-Popcorn-Trinkt-Coca-Cola-Studie‘)
Während einer Filmvorführung wurden ProbandInnen (ca. 46,000) all 5s kurze Botschaften („Eat popcorn“ & Drink „Coca Cola“) für 1/300 s eingeblendet
⇒ 18% mehr Umsatz für Coca Cola
⇒ 58% mehr Umsatz für Popcorn
Die Werbepraxis wurde verboten. 1962 gab James Vicary zu, die Studie erfunden zu haben
Bleiben die Fragen:
⇒ Gibt es unbewusste Wahrnehmung?
⇒ Kann sie unser Verhalten beeinflussen?
Wieso Bewusstseinsforschung – Rausch, Drogen, Erkrankungen
Neben dem „durchschnittlichen Wachbewusstseinszustand“ erleben Menschen vielerlei veränderte Bewusstseinszustände
Traumzustände
Psychedelische Erfahrungen/Rausch, z.B. induziert durch
• Meditation
• Drogen
Halluzinationen infolge psychiatrischer Erkrankungen, z.B. Schizophrenie
Fragen:
⇒ Was unterscheidet Bewusstseinszustände?
⇒ Was bestimmt das Erleben von Bewusstseinszuständen?
⇒ Wie kommen Bewusstseinszustände neuronal zustande?
Bewusstseinsforschung
Oftmals wurde und wird der Ausdruck „Bewusstsein“ in der naturwissenschaftlichen Forschung vermieden
• Schwierigkeiten in der Definition des Forschungsinhalts
• Grundsätzlich als unwissenschaftlich angesehen (z.B. Behaviorismus)
• Assoziation mit „unwissenschaftlichen“ Konzepten (z.B. außersinnliche Wahrnehmung) und bewusstseinsverändernden Drogen (‚Erweiterte Bewusstseinszustände‘)
• Nicht zuständig: gehört a.G. religiös/weltanschauliche Überzeugungen über die nicht-physikalischen Eigenschaften der Seele zur Philosophie/Theologie
Heute
Heute ist der Begriff Bewusstsein wieder en vogue
• Teilfelder der Allgemeinen Psychologie werden umbenannt, z.B. Arbeitsgedächtnis => Bewusstseinsinhalte
• Veränderung in der öffentlichen Rezeption des Bewusstseinsbegriffs
Bewusstsein ist ein heterogener Begriff
• Grad der Wachheit (Vigilanz, Schlaf, vegetativer Zustand, Koma)
• Erlebnisqualität der Sinnesempfindungen
• Gewahrsein der eigenen Person (Selbstbewusstsein)
• Kontrollierbarkeit von Gedanken und Handlungen
• Moralische und politische Einstellungen (“richtiges“ oder „falsches“ Bewusstsein“, “Klassenbewusstsein“ etc.)
⇒Vielzahl von Bedeutungsschattierungen
⇒Eine einheitliche Theorie des Gesamtphänomens scheint derzeit unwahrscheinlich
Grundunterscheidung: Zustände vs. Inhalte
Bewusstseinszustände
(Niveaus): Errregungs- oder Wachheitszustand, im einfachsten Fall gedacht als eindimensional von Koma zu alerter Wachheit
Bewusstseinsinhalte
Erlebnisse von Wahrnehmungen, Gedanken, der Außenwelt, des Selbst
Bewusstseinsinhalte sind von Bewusstseinszuständen abhängig: Keine Inhalte möglich ohne gewisses Maß an Wachheit
Grundunterscheidung Inhalte: Eigenschaften mentaler Repräsentationen
Phänomenales Bewusstsein
• Individuelles Erlebnisqualität mentaler Repräsentationen
Zugriffsbewusstsein
• Repräsentationen sind übergeordneten Verarbeitungsprozessen zugänglich
Selbstbewusstsein
• Besitz eines Selbstkonzeptes (Wissen von und Einstellung gegenüber der eigenen Person)
• Situationsabhängig und stabil
Monitoring Bewusstsein
- Reflexiv: Wissen über eigene Gedanken und Wahrnehmungen
- Parallele zum psychologischen Begriff der Metakognition (Wissen über kognitive Prozesse)
Phänomenales vs. Zugriffsbewusstsein
• Bilden Grundlage von Entscheidungen und Handlungen
• Objektiv: Dritte-Person-Perspektive zur Beschreibung ausreichend
• Individuelle Erlebnisqualität mentaler Repräsentationen von Sinnesempfindungen und mentalen Zuständen
• Qualia genannt, bezeichnet qualitativen Inhalt mentaler Zustände
• Beispiele: die Röte des Rots, Stechen des Schmerzes
• Subjektiv: Notwendigerweise an die Erste-Person-Perspektive gebunden
Herausforderungen der empirischen Bewusstseinsforschung
Annahme: Paradigma des Informationsverarbeitungsansatzes:
• Mensch ist System, das Informationen aus der Umwelt aufnimmt, diese verarbeitet, Ergebnisse von Verarbeitungsschritten eventuell zwischenspeichert und durch ihr/sein Verhalten an die Umwelt zurückgibt
• Entspricht der Dritte-Person-Perspektive: Mentale Vorgänge werden losgelöst vom Subjekt aus einer Außensicht betrachtet
Zugriffsbewusstsein:
⇒ Kein grundsätzliches, sondern empirisches Problem es zu erklären
Phänomenales Bewusstsein:
⇒ Unklar, wie etwas aus der Dritte-Person-Perspektive beschrieben und erklärt werden soll, das nur aus der Erste-Person-Perspektive erfahrbar ist
Nagel 1974: Wie ist es eine Fledermaus zu sein?
“Es wird nicht helfen sich vorzustellen, dass man Flughäute an den Armen hätte, die einen befähigen bei Einbruch der Dinkelheit und im Morgengrauen herumzufliegen, während man mit dem Mund Insekten finge; dass man ein schwaches Sehvermögen hätte und die Umwelt mit einem System reflektierter akustischer Hörsignale aus dem Hochfrequenzbereich wahrnähme; und dass man den Tag an den Füßen nach unten hängend in einer Dachkammer verbrächte.”
Was folgt?
• Wie es für UNS wäre, das Leben einer Fledermaus zu führen
• NICHT, wie dies für eine Fledermaus selbst ist
Frank Jackson (1982): Epiphänomenale Qualia
Annahmen
Mary ist eine exzellente Wissenschaftlerin. Sie wächst in einem Raum auf, in dem alles schwarz/weiß ist. Sie erlangt vollständiges Wissen über die physikalischen Grundlagen von Licht und die physiologischen Vorgänge in Augen und Gehirn.
⇒ Ihr Wissen ist so vollständig wie möglich.
Argument des unvollständigen Wissens
Trotzdem weiß Mary nicht alles, was man über Farbwahrnehmung wissen kann Wenn Mary den Raum verlässt und zum ersten Mal eine rote Tomate sieht, lernt sie etwas neues.
Das schwere vs. einfache Bewusstseinsproblem
Das Kernproblem / das Qualia problem (the hard problem)
Warum fühlt sich Bewusstsein so an, wie es sich anfühlt?
Wieso fühlt es sich überhaupt an?
Das einfache Problem (the soft problem)
Empirisch lösbare Frage der funktionalen/neuronalen Korrelate von Bewusstsein
Experimentelle Erforschung der Wahrnehmung
Subjektive, introspektive Maße zur Erhebung der Bewusstheit
Der einfachste, intuitivste Zugang zu bewusster Wahrnehmung scheint der verbale, introspektive Report zu sein
Beispielfrage:
„Haben sie etwas bewusst wahrgenommen?“
⇒Erfordert Introspektion
Antwort:
„ja & nein“ oder Nennung / Aufzählung / Beschreibung
⇒ Ein Reiz gilt als bewusst, wenn berichtet, sonst als unbewusst
Verbale/subjektive Maße: Probleme 1
1. Bericht fehlender Wahrnehmung kann durch Fehlen sensorischer Evidenz wie auch durch ein konservatives Kriterium (Antwortbias) bestimmt sein.
Verbale/subjektive Maße: Probleme 2
2. Fehlender verbaler Bericht kann neben fehlender bewusster Wahrnehmung auch durch zwischen Erleben und Bericht stattfindende kognitive Prozesse bedingt sein (z.B. Lamme 2008):
Man hatte eine bewusste Wahrnehmung,
• diese wurde aber nicht durch Aufmerksamkeit erfasst und aufrechterhalten.
• diese wurde aber vergessen.
• aber nicht die Worte oder Konzepte um sie zu beschreiben.
—> Konsistent mit der Intuition, dass unser bewusstes Erleben viel reicher ist als das, was wir davon berichten können
Problem verbalen/introspektiven Berichts: falsch positive Meldungen
Versuch zum peripheren Sehen: Freeman und Simoncelli (2011) Versuchsablauf: Probanden fixieren Bilder (roter Punkt), die in der Peripherie intakt oder verzerrt sind
Aufgabe: Angeben, ob es ein intaktes oder verzerrtes Bild ist
Ergebnis: Probanden können dies nicht überdurchschnittlich
Interpretation: Wir glauben eine detailreiche, bewusste Wahrnehmung des gesamten visuellen Feldes zu haben, dies ist aber eine Illusion
Reichtum bewusster Wahrnehmung ist trügerisch
Änderungsblindheit(-blindheit): Menschen überschätzen ihre Fähigkeit Änderungsblindheit zu vermeiden (Levin 2002)
Objektive Maße zur Erhebung der Bewusstheit
Paradigmen der erzwungenen Wahl über ein für die Bewusstheit des Reizes relevante Merkmalseigenschaft
‚Haben Sie einen Kreis oder ein Viereck gesehen‘?
A oder B (erzwungene Wahl) Auswertung als Fehlerraten, d‘ Reaktionszeiten, usw.
⇒ Reiz gilt als bewusst, wenn Antworten in der Diskriminationsaufgabe (überzufällig) richtig / d‘ > 0, sonst als unbewusst
Herausforderungen für objektiver Maße
‚Objektive Maße‘ sind potentiell abhängig von
• Unterschiedlichen Entscheidungs- oder Antwortstrategien
• Aufgabenschwierigkeit: unterschiedlich viel Information vorausgesetzt
• Beispiel:
• ‚Reiz grün oder blau?‘ => wenig Information
• ‚Reiz belebt oder unbelebt‘ => mehr Information
⇒ Dasselbe Stimulusmaterial kann unter unterschiedlichen Operationalisierungen einmal mit Ratewahrscheinlichkeit, einmal überzufällig richtig berichtet werden
Lösungsansätze:
Konsens über die geeignete Aufgabe finden => schwierig Abhängigkeit der Ergebnisse von der spezifischen Operationalisierung erheben => aufwendig
Interim Zusammenfassung subjektive vs. objektive Maße
Subjektive und objektive Maße für Bewusstheit von Reizen haben ihre jeweiligen Vor- und Nachteile
Je nach theoretischer/philosophischer Position und Erkenntnisinteresse über die Natur des Bewusstseins favorisieren ForscherInnen oft ein bestimmtes Maß
Die Diskussion über die Anwendbarkeit der Maße dauert an
Ein wichtiger Zwischenschritt ist die Klärung der Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Maße – die Untersuchung dauert an
Verhinderung von Bewusstsein
Normalerweise sind einzeln präsentierte, mit Aufmerksamkeit belegte Reize bewusst
⇒ Um unbewusste Wahrnehmung zu untersuchen, müssen wir Reize experimentell manipulieren, so dass sie unterhalb der Bewusstseinsschwelle bleiben
Dies erlaubt uns erst festzustellen:
• ob/ wie unbewusste Reize verarbeitet werden
• was der Unterschied bewusst vs. unbewusst wahrgenommener Reize ist
Hierzu gibt eine Vielzahl von Techniken / Paradigmen (Wahrnehmungsund Aufmerksamkeitsforschung)
Verbunden mit…
Neurokognitiven Methoden => Neuronales Korrelat von Bewusstsein
Verhaltensaufgaben => Funktioneller Einfluss von Bewusstsein
Blankenburg et al. 2003 Stimulation unterhalb der Schwelle
Paradigma: Präsentation eines schwachen taktilen Reizes (deutlich unter der Wahrnehmungsschwelle)
Aufgabe: Mit Tastendruck angeben, ob Reiz wahrgenommen wurde oder nicht (ja/nein)
Auswertung: Gehirnaktivität wenn der Reiz nicht wahrgenommen wurde
Blankenburg et al. 2003: Ergebnisse
Gehirnaktivität korreliert mit nicht bewußt gewordenen taktilen Reizen.
—> Erlaubt Interpretation über die Art und Orte neuronaler Verarbeitung unterschwelliger Reize
Maskierung
Zusätzlich zum Zielreiz wird ein Maskierungsreiz präsentiert
⇒ Der Zielreiz kann nicht mehr berichtet werden
Stein et al., 2021: Subjektiv vs. objektiv unbewusste Reize
Paradigma:
Vorwärts- und rückwärtsmaskierte Reize (Haus oder Gesicht) Objektive Sichtbarkeit mittels Maskierung kontrolliert (UV) - Stimuli
(a) in 50 % der Trials objektiv sichtbar (2 % Masken-Kontrast)
(b) in 50 % der Trials objektiv unsichtbar (100 % Masken-Kontrast).
Aufgabe: VP geben Kategorie des Stimulus (AV 1 – objektives Maß) und die subjektive Sichtbarkeit (AV2 – subjektives Maß) angeben:
• Taste 1: Gesicht (Kategorie) + sichtbar
• Taste 2: Gesicht (Kategorie) + unsichtbar
• Taste 3: Haus (Kategorie) + sichtbar
• Taste 4: Haus (Kategorie) + unsichtbar
Stein et al., 2021: Ergebnisse
Ergebnisse: Regionen im Gehirn, die bewusste inhalte repräsentieren, hängen vom Bewusstseinsmaß ab Subjektiv unsichtbare Reize werden in höheren Arealen stärker verarbeitet als objektiv unsichtbare Reize
Interpretation: Unterschiedliche Maße der Bewusstseins ergeben unterschiedliche Korrelate bewusster & unbewusster Wahrnehmung
Binokulare Rivalität
Visuelle Stimulation bleibt immer gleich
Davon unabhängig verändert sich die bewusste Wahrnehmung
⇒Erlaubt mit neurokognitiven Methoden die Verarbeitung der Inhalte bewusster Wahrnehmung zu bestimmen
Haynes 2005: Inhalte bewußter Wahrnehmung
Paradigma: Binokulare Rivalität zwischen zwei sich drehenden Gitterstimuli
Dabei werden mit fMRT Gehirndaten erhoben
Aufgabe: Angeben, welches Perzept man gerade sieht
Ergebnis Verhalten: Die normalerweise beobachtete Fluktuation zwischen den Augen
Haynes 2005: fMRT Ergebnisse
Interpretation:
⇒ Inhalte bewusster Wahrnehmung können aus Gehirndaten herausgelesen werden
⇒ Visuelle Areale enkodieren Inhalte bewusster Wahrnehmung
Bahnungsexperiment: Beispiel
Bahnung (priming): Erleichterung der Reaktion auf einen Zielreiz (target) durch einen Bahnungsreiz (prime)
Ergebnis: Reaktionszeiten kürzer, wenn der Bahnungsreiz mit dem gleichen Geschlecht assoziiert ist wie der Zielreiz
Unterschwellige semantische Bahnung: Beispiel
Aufgabe:
Unterscheidung sinnvolles Wort/ sinnlose Buchstabenfolge
Ergebnis
Kürzere Reaktionszeiten wenn Bahnungs und Zielreiz semantisch verwandt (gelbZitrone vs. Huhn-Stuhl)
Interpretation
Unterschwellige Reize werden semantisch (in ihrer Bedeutung) verarbeitet
Vorberg et al., 2013: Unterschwellige Reaktionsbahnung
Bahnungsparadigma mit Metakontrastmaske
Der Bahnungsreiz ist entweder kongruent oder inkongruent mit dem Zielreiz
Abstand (SOA) zwischen Bahnungs und Zielreiz wird manipuliert (aber bahnungsreiz immer unterschwellig)
Angeben, ob der Zielreiz nach rechts oder links zeigt
Vorberg et al., 2013: Ergebnisse
Ergebnis: Kongruenz von unterschwelligem Bahnungsreiz und Zielreiz beeinflusst Reaktionszeit
• Bahnungsreiz aktiviert Handlungstendenz (‚direkte Spezifikation motorischer Parameter‘)
• Prozesse visuomotorischer Integration und Handlungsvorbereitung sind nicht bewusstseinspflichtig
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