Alles nur Assoziationen?
• Thorndikes schlussfolgerte aus seinen Beobachtungen an der Puzzle Box:
The gradual slope of the time-curve . . . shows the absence of reasoning. They represent the wearing smooth of a path in the brain, not the decisions of a rational consciousness. (Thorndike, 1911, p. 74)
• andere Interpretationen:
- Konstruktion der Puzzle-Box verhindert Einsicht
- kann Zusammenhang zw. Verhalten und Effekt direkt beobachtet werden, sollte auch anderes zielgerichtetes (Lern-) Verhalten auftreten können
o Erkennen von Kausalität ermöglicht Antizipation
o Antizipation wichtiger Bestandteil von Lernprozessen
• Lernen ist nicht nur an Ausführung von Verhalten und an Verstärkung gebunden
• mentale Repräsentationen der Umwelt spielen entscheidende Rolle:
→ z.B. Einsichtslernen, latentes Lernen, Beobachtungslernen
Lernen und Kognition: Einsichtslernen
• Experimente von Wolfgang Köhler (ab 1914 auf Teneriffa):
→ untersuchte Problemlösen und Lernverhalten von Primaten z.B. beim Mehrstock-Problem
→ zeigte, dass behavioristische Ansätze, die sich nur auf gezeigtes Verhalten konzentrieren, nicht ausreichen, um alle Lernprozesse zu erklären
• Köhler (1920) beobachtete mehrere Punkte im Verhalten in Problemsituationen, die nicht im Einklang mit Thorndikes Lerngesetzen stehen:
o Problemlösung erfolgt oft plötzlich
o Problemlösung wird oft ohne Zögern wiederholt
o Problemlösung kann auf neue Situationen transferiert werden
→ basiert auf Einsicht nicht auf Versuch- und Irrtum
→ hängt von Struktur der Problemsituation und dem Individuum ab:
- Enthält Problemsituation Strukturen bzw. Zusammenhänge?
- Verfügt Lebewesen über kognitive Fähigkeiten, diese zu erkennen?
• Einsichtslernen beim Menschen ist durch mehrere Schritte gekennzeichnet:
(1) Feststellen des Problems
(2) Probierverhalten
(3) kognitive Umstrukturierung
(4) Einsicht (Aha-Erlebnis)
(5) Anwendung
(6) Übertragung
Lernen und Kognition: Latentes Lernen
• Tolmans Studien zum Latenten Lernen in den 1920er zeigten:
→ Lernen kann auch ohne Belohnung erfolgen
→ Ergebnis von Lernen muss nicht unmittelbar im Verhalten sichtbar sein • Bsp: Studie von Tolman & Honzik (1930) zum Verhalten von Ratten in komplexen Labyrinthen
Lernen und Kognition: Latentes Lerne
• Schlussfolgerung aus der Studie von Tolman & Holzik (1930)
o da Ratten in der HNR-R Gruppe plötzlich Verhalten änderten, müssen sie vorher (ohne Belohnung) gelernt haben:
- entwickelten mentale Repräsentation der Labyrinthstruktur
- Lernen führte zur Veränderung im Verhaltenspotential (latentes Lernen)
• Tolman unterscheidet zwischen
- Performanz: tatsächlich gezeigtes Verhalten
- Kompetenz: prinzipiell verfügbares Verhalten
• nach Tolman kann Kompetenz ohne Verstärkung/ Bestrafung gelernt werden
• Performanz ist in stärkerem Maße von Verstärkung abhängig
• obwohl umstritten, bilden Arbeiten von Tolman wichtige Grundlage zur Weiterentwicklung kognitiver Lerntheorien
→ sind Grundlage zur Erforschung von kognitiven Landkarten
Lernen kognitiver Karten
• Individuen lernen durch exploratives Verhalten den allgemeinen Aufbau ihrer Umgebung: Latentes Lernen
o Erwerb mentaler Repräsentationen, sog. kognitive Karten
o werden genutzt, um Handlungsspielräume in Situationen zu erkennen: Vorhersage von mögl. Konsequenzen unterschiedlicher Reaktionsalternativen
• Studie von Seward (1949):
- Ratten explorierten ein T-Labyrinth
- nach der Explorationsphase erhielten sie in Kammer A Futter
- wieder in der Startbox, rannten 28 von 32 Ratten ohne zögern direkt zur Kammer A
• Latentes Lernen ermöglicht Beziehungen zwischen dem eigenen Verhalten und seinen Effekten quasi auf Vorrat zu lernen
→ wenn gelernter Effekt zum lohnenswerten Ziel wird, kann das Verhalten zum Erreichen dieses Ziels unmittelbar aktiviert werden
Lernen und Kognition: Beobachtungslernen
• bereits wenige Minuten nach Geburt können Säuglinge Verhaltensweisen von anderen Personen imitieren (z.B. Meltzoff und Moore, 1983/1989)
o Soziales Lernen oder Lernen am Modell oder Beobachtungslernen
• kann nicht durch behavioristische Lerntheorien erklärt werden:
o Lernen kann erfolgen, ohne das Handlung/Verhalten ausgeführt wird
o Lernen kann ohne direktes Erfahren von Belohnung und Bestrafung erfolgen
• Nachahmen von Gesichtsausdrücken ist eine Form der unwillkürlichen Imitation
o mit zunehmendem Alter wird weniger die konkrete Bewegung imitiert
→ vermutetes Ziel einer Handlung beeinflusst oder leitet Imitation: Ziel ist erlernen von instrumentellen Mittel-Zweck-Relation
• Grundprinzipien des Modelllernens wurden von Albrecht Bandura und seiner Arbeitsgruppe anhand verschiedener Studien untersucht und demonstriert
o diese Art des Lernens scheint vor allem bei Kindern relevant zu sein
o auch (junge) Erwachsene können sehr erfolgreich durch Beobachtung lernen
Lernen und Kognition: Beobachtungslernen - 1
• Bandura et al. (1961): Imitieren 3-5 jährige Kinder aggressives Verhalten?
o Exposition: Kinder beobachteten erwachsene Person (Modell), die entweder eine Puppe (Bobo) ignorierte oder aggressiv behandelte
o Test: - Kinder kamen frustriert in Raum mit Spielzeug & Bobo-Puppe - Verhalten wurde 20 Minuten lang beobachtet
o Ergebnis: Kinder, die aggressives Modell beobachteten, zeigten signifikant häufiger verbale und physische Gewalt gegenüber der Puppe
Lernen und Kognition: Beobachtungslernen - 2
• Bandura et al. (1963): Welchen Einfluss der Darbietungsform?
o 4 Bedingungen:
- G1: Beobachten eines Erwachsenen in Realität, wie er/sie Bobo aggressiv behandelt
- G2: Beobachten desselben Erwachsenen mit gleichem aggressiven Verhalten, aber in einem Film
- G3: Beobachten desselben Verhaltens, aber von einem Cartoon – Charakter (Herman the Cat – eine verkleidete Frau)
- Kontrollgruppe (keine derartigen Beobachtungen)
o Häufigkeit aggressiven Verhaltens: - G1= 83, G2= 92, G3= 99, K = 54
- Kinder aus G2 und G3 zeigten fast doppelt so häufig aggressives Verhalten wie Kinder aus Kontrollgruppe
Lernen und Kognition: Beobachtungslernen - 3
• Bandura (1965): Wird Imitation durch Belohnung/Bestrafung des Models beeinflusst?
o 3 Bedingungen (Film mit aggressives Verhalten eines Erwachsenen):
- G 1 - stellvertretende Belohnung: Modell wird am Ende belohnt
- G 2 - stellvertretende Bestrafung: Modell wird bestraft
- G 3 - Version ohne Folgen
o Testphase 1:
- Kinder aus G1 zeigen häufiger aggressives Verhalten als Kinder in G2
- Kinder aus G2 zeigen signifikant weniger aggressives Verhalten als Kinder in G3
o Testphase 2: Belohnung für aggressives Verhalten
- Kinder aus allen Gruppen zeigten aggressives Verhalten
- alle Kinder haben Verhalten gelernt
Zwei-Komponenten-Lerntheorie von Bandura
1. Akquisitions- oder Aneignungsphase:
In dieser ersten Phase wird das Verhalten des Modells und seine Konsequenzen in einer bestimmten Situation gelernt→ „Lernen ohne Versuch“ (kein eigenes Verhalten)
2. Performanz- oder Ausführungsphase:
In dieser Phase wird das bereits angeeignete Verhalten auch gezeigt
→ Dies ist aber von mehreren Faktoren abhängig:
- Identifikation mit dem Modell
- stellvertretende Verstärkung (Konsequenzen für das Modell)
- Erfolgserwartung: zu erwartende eigene Konsequenzen, direkte Fremd- und Selbstverstärkung
Vermittelndes Bindeglied zwischen den beiden Phasen ist die kognitive Repräsentation des Vorbildverhaltens!
Zwei-Komponenten-Lerntheorie von Bandura - Einflüsse
• Beobachtungslernen wird beeinflusst durch:
(1) Aufmerksamkeit
→ Vorbildverhalten muss wahrgenommen werden;
→ Aufmerksamkeitssteuerung beeinflusst durch Merkmale des Verhaltens, des Modells und der Situation
(2) symbolische Repräsentation (Behalten)
→ beobachtetes Verhalten muss gespeichert und abgerufen werden können
→ ist Ziel erkannt worden?
(3) motorische Reproduktion
→ (symbolische) Repräsentation des Beobachteten muss in eigene Handlungsabläufe übersetzt werden
(4) Motivationsprozesse
→ Verhalten wird gezeigt, wenn Verstärkung erwartet werden kann
→ Bekräftigungen wirken doppelt: auf Aufmerksamkeit und Ausführung
Bedeutung des Modells
• Das Verhalten eines Modells ist besonders einflussreich, wenn:
o wahrgenommen wird, dass Verhalten positive Konsequenz hat
o das Modell als positiv, beliebt und respektiert wahrgenommen wird
o eine Ähnlichkeit mit dem Modell wahrgenommen wird (z.B. lernen Kinder besser von kindlichen Modellen)
o die beobachtende Person dafür belohnt wird, ihre/seine Aufmerksamkeit auf das Verhalten des Modells zu lenken
o das Verhalten des Modells gut sichtbar und salient ist
o es für die beobachtende Person im Rahmen ihrer/seiner Möglichkeiten ist, das Verhalten zu imitieren
• Kinder im Vergleich zu jungen Erwachsenen sind besonders empfänglich für externales Feedback, vor allem für negatives
Erwerb komplexer Fähigkeiten
• komplexe Fähigkeiten wie Fremdsprachen oder Spielen von Musikinstrumenten werden nicht nur durch explizites Lernen erworben
• zentrale Rolle spielen implizite Lernprozesse: führen zu Veränderung im Verhalten ohne dass Einsicht, Erkenntnis oder berichtbares Wissen eine Begründung für Verhaltensänderung liefert
o beteiligt am Erwerb perzeptueller, motorischer und kognitiver Fähigkeiten, z.B.
- Objektwahrnehmung (Konzeptlernen)
- Spracherwerb (z.B. grammatikalische Regeln)
- Erlernen von Ereignissequenzen
Unterschiede zw. implizitem und explizitem Lernen
• implizites Lernen weißt andere Merkmale als explizites Lernen auf:
o findet beiläufig (inzidentell) statt
o ist weniger als explizites Lernen von Aufmerksamkeitsprozessen und Kontrollprozessen abhängig
o interindividuelle Unterschiede sind weniger stark ausgeprägt
o Ergebnisse weniger häufig durch Gedächtnisstörungen betroffen
o Ergebnisse oft nicht bewusst
• implizites und explizites Lernen basiert zum Teil auf unterschiedlichen Prozessen
o Beteiligung unterschiedlicher Hirnstrukturen:
- implizites Lernen
- Beteiligung der Basalganglien
- explizites Lernen
- Beteiligung des Präfrontalen Kortex und Strukturen aus dem Temporallappen
• Erwerb vieler Verhaltensweisen basiert auf Kombination impliziter und expliziter Lernprozesse (Lesen lernen), klare Trennung daher oft nicht möglich
Zusammenfassung
• Nach Meltzoff et al. (2009) ist Lernen durch drei Prinzipien gekennzeichnet (1) Lernen ist komputational: o Lernen erfolgt durch statistische Analysen der wahrgenommenen Umwelt (2) Lernen ist sozial: o soziale Interaktion beeinflusst Lernen: Soziale Hinweisreize sind wichtig (3) Lernen wird unterstützt durch neuronale Verbindungen zwischen motorischen und sensorischen Arealen → viele Formen des Beobachtungslernen können nur erklärt werden durch überlappende Repräsentationen für eigenes Verhalten und das anderer
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