Wichtige Prozesse
• Enkodieren: mentale Prozesse der (bewussten oder unbewussten) Einspeicherung von Inhalten meistens zum Zweck der längerfristigen Speicherung und des späteren Abrufs
• Konsolidieren: “refers to the process by which a temporary, labile memory is transformed into a more stable, long-lasting form” (Squire et al., 2015, p. 1)
• Abruf: Prozesse, durch die zuvor enkodierte Informationen wieder aktiviert und so den aktuellen Informationsverarbeitungsprozess zur Verfügung gestellt werden
• Rekonsolidierung: Erneute Konsolidierung, die bei der Reaktivierung von früher entstandenen Gedächtnisinhalten auftritt und ein Verändern dieser ermöglicht
• Vergessen: Vergessen ist “the inability to recall something now that could be recalled on an earlier occasion” (Tulving, 1974, S. 74)
Enkodieren
• Reichen ausreichend viele Wiederholungen für eine längerfristige Speicherung?
o Test: Zeichnen Sie die Vorderseite einer 1 Cent Münze und einer 50 Cent Münze
→ reines Wiederholen oder Aufrechterhalten von Informationen im Working Memory garantiert kein längerfristiges Behalten
• Was beeinflusst Reproduktionswahrscheinlichkeit?
o Verarbeitungstiefe (vgl. Folien zu Gedächtnis 1)
o elaborative Organisation: z.B. Studie von Bower & Clark (1968)
- VPn lernten 12 Listen mit je 10 Wörtern —
Abruf nach Präsentation aller 12 Listen :
▪ Gruppe A: Geschichteninstruktion → 93% korrekte Erinnerung
▪ Gruppe B: keine besondere Instruktion → 13% korrekte Erinnerung
Enkodierspezifität
• Beim Abruf kommt es (teilweise) zur Reaktivierung der Enkodierprozesse → Prinzip der Enkodierspezifität:
alle während des Lernprozesses enkodierten Informationen können als Hinweisreiz dienen und damit ggf. den Abruf erleichtern
• Studie von Godden und Baddeley (1975):
o Taucher lernten Wortlisten an Land vs. unter Wasser (UV1)
o Abruf (free recall) erfolgte ebenfalls an Land vs. unter Wasser (UV2)
o bessere Leistungen in kongruenten Testbedingungen (grau):
→ leichtere Reaktivierung der Enkodierprozesse
• Kontext hilft vor allem beim Recall:
o je mehr cues, desto besser
o je mehr Erinnerungen mit einem Cue verbunden, desto schlechter
Unterschiedliche Aufgaben beim Abruf
• Freie Reproduktion (free recall): Freies Abrufen der gelernten Information
• Unterstützte Reproduktion (cued recall): Präsentation eines Abrufhinweises (retrieval cue)
• Wiedererkennen (Recognition): Präsentation alter vs. neuer Informationen: Entscheidung (alt/neu) oder Rating (eher alt, eher neu)
• Unterschiede in Gedächtnisleistungen:
Free recall < cued recall < recognition
• Warum?
o bei cued recall und recognition wirkt Enkodierspezifität: Hinweisereize oder Reiz selbst werden in Abrufsituation präsentiert
o bessere Leistungen und geringere Anfälligkeit (Beeinträchtigungen nach Hirnverletzungen) für recognition, da in geringerem Ausmaß auf höhere kognitive Prozesse (z.B. Kontrollprozesse) zurückgegriffen werden muss
Unterschiedliche Prozesse beim Abruf: Recollection vs. Familiarity
• zwei Arten von Abruf-Prozessen beim erfolgreichen Erinnern:
o Recollection: Erinnern an frühere Ereignisse verbunden mit bewusstem Abruf von spezifischen Assoziationen und Kontextinformationen
o Familiarity: Erinnern basierend auf einem vagen Gefühl der Vertrautheit (ohne bewussten Zugriff auf Kontextinformationen)
• Prozesse können deskriptiv, funktional als auch neuronal differenziert werden: Untersuchungen mit Remember-Know-Methode (Signalentdeckungsparadigma)
Abruf: Recollection vs. Familiarity
• Deskriptiv: Unterschiedliche Zuordnung zu Gedächtnissystemen
o Recollection:
- typisch für episodisches Gedächtnis
o Familiarity:
- beim Abruf aus episodischem Gedächtnis
- beim Abruf aus semantischem Gedächtnis
- bei Primingaufgaben
• Funktional:
o Recollection mit besseren Gedächtnisleistungen verbunden als Familiarity
➢ bei Abruf auch Aktivierung zusätzlicher Kontextinformationen
o Recolletion: ist kontrollierter Prozess, an Aufmerksamkeit gebunden
o Familiarity: automatischer, schneller und darum sehr robuster Prozess
• Neuronal:
o Recollection: Hippocampus + parahippocampale Regionen
o Familiarity: perirhinalen Kortex
• Welche Funktionen erfüllen die einzelnen Komponenten?
o perirhinaler Kortex: Verarbeitung von what-Informationen
o parahippocampaler Kortex: Verarbeitung von where-Informationen
o Hippocampus: erhält sowohl what- und where-Informationen
→ führt Informationen zusammen (binding)
Funktionale Organisation des hippocampalen Systems
• Unterschiede zwischen Recollection und Familiarity damit nicht nur beim Abruf sondern auch schon während der Enkodierung
Vereinfachtes neurokognitives Model
• Mediale Temporallappen: Zentrale Struktur fürs deklarative Gedächtnis
o Enkodierung (A): Verarbeitung relevanter Informationen in entsprechenden sensorischen Arealen: Aufbau modaler Repräsentationen
o Konsolidierung (B): Zusammenfassung aller Repräsentationen im medialen Temporallappen (inkl. Hippocampus)
→ Index (oder Engramm), der auf Areale verweist in denen eigentliche Informationen liegen
o Abruf (C): Hinweisreize aktivieren Index und damit auch die modalen Repräsentationen in sensorischen Arealen
→ wiederholter Abruf führt zum Aufbau von Assoziationen zw. Informationen in sensorischen Arealen
Was ist Vergessen
• Vergessen ist “the inability to recall something now that could be recalled on an earlier occasion” (Tulving, 1974, S. 74)
• Verschiedene Ansätze Erklärungsansätze:
o Spurenzerfall: Information „verschwindet“ oder zerfällt
o Interferenz: Beeinträchtigung des Zugriffs durch andere Inhalte
• empirische Studien sprechen eher für Interferenz
Vergessen im LZG
• Spezifischer zeitlicher Verlauf der Erinnerungsleistung
o Kurvenlinearer Verlauf
o zuerst starke Abbnahme, dann immer geringer
• erste Studien von Hermann Ebbinghaus (1885)
o lernte initial Listen aus sinnlosen Silben (RWT, ZWM….) auswendig und erfasst Anzahl der notwendigen Lerndurchgänge
o wiederholte Lernen nach unterschiedlichen Intervallen (Minuten, Tage)
o abhängiges Maß war Ersparnis: Reduktion in Anzahl der Lerndurchgänge
▪ je mehr man wiederholt, desto besser
▪ Wiederholung ist am besten, wenn über Zeit verteilt
Vergessen basiert auf Interferenz
• Interferenz: Prinzip der wechselseitigen Beeinflussung bzw. der Überlagerung (z. B. schon Müller und Pilzecker, 1900).
o Proaktive Interferenz: bereits gelerntes Material behindert den Erwerb bzw. Abruf von neu Gelerntem (es fällt einem immer der alte Pincode ein…)
o Retroaktive Interferenz: neu Gelerntes behindert den Abruf von früher Gelerntem (man will sich an die frühere Telefonnummer erinnern, aber es fällt einem nur die Aktuelle ein)
• Untersuchung von Interferenzeffekten:
• Interferenzeffekte können durch Abrufwettstreit erklärt werden:
o Abrufsituation (z.B. Hinweisreiz) aktiviert mehrere Gedächtnisspuren o
es kommt zum Fehler, weil entweder die falsche Spur zu stark oder die richtige zu schwach ist
• Proaktive Interferenz: lange als Hauptursache für Vergessen diskutiert
o Einfluss bereits während der Enkodierung:
bereits Gelerntes bindet Aufmerksamkeit, beeinträchtig initiale Verarbeitung von neu zu Lernendem (besonders groß bei hoher Ähnlichkeit)
o Einfluss ist geringer (weniger Interferenz), wenn sich während der Enkodierung auf Unterschiede zwischen alten und neuen Informationen konzentriert wird
• Retroaktive Interferenz: wenn alte Information durch neue ersetzt wird → z.B. der misinformation effect (Loftus)
Vergessen ist natürliche Konsequenz rekonstruktiver Gedächtnisprozesse
Konsolidierung
• kurvenlinearen Verlauf der Vergessenskurve erklärt durch Konsolidierung
• Standardmodell der Gedächtniskonsolidierung nimmt an, dass Verbindungen der Informationen während der Enkodierung zuerst im MTL, also den hippokampalen Regionen, abgespeichert werden
o synaptische Konsolidierung (z.B. Langzeitpotenzierung)
• durch wiederholte Aktivierung werden Informationen schrittweise von MTL in neokortikalen Areale verlagert
o Systemkonsolidierung (wird durch Schlaf unterstützt)
Rekonsolidierung
• erste Annahmen zur Konsolidierung:
o Überführung instabiler Gedächtnisspuren in stabile oder feste Formen
→ damit z.B. gegenüber externen Einflüssen geschützt
o Erklärung ist zu einfach: kann z.B. nicht retroaktive Interferenzeffekte erklären
• Neuere Annahmen:
o jede Aktivierung einer Gedächtnisspur versetzt diese in fragilen Zustand
o Aktivierung kann damit zu Veränderung führen: z.B. Anreichung mit Details, veränderte Interpretation, Überschreibung
• Reaktivierung führt also zu Rekonsolidierung:
o bei Reaktivierung laufen (teilweise) nochmals molekularen Prozesse wie bei initialen Enkodierung ab
o erklärt Veränderung von Informationen/Erinnerungen über die Zeit
Zusammenfassung
Last changed2 months ago