Was ist Sprache?
Sprache “is a system of symbols and rules that enable us to communicate.“ (Eysenck & Keane, S. 393)
• Merkmale von Sprache (vgl. Beyer & Gerlach, 2018)
o Bedeutungshaltigkeit der Einheiten: bezeichnen reale Objekte/Sachverhalte
o Losgelöstheit von realen Ereignissen: nicht an Präsenz gebunden
o Willkürlichkeit: Beziehung zw. Zeichen und Bezeichnetem ist Festlegung
o Diskretheit: Einheiten sind von einander abgetrennt
o Produktivität: immer neue Kombinationen möglich, prinzipiell erweiterbar
o Wiederholung: durch Konjunktionen verlängerbar („Der Hund und die Katze und…“)
o Rekursion: Einbettung einer Struktur in andere möglich („Der Hund, der gestern…“)
Begriffsbestimmung
• Was ist die Funktion von Sprache?
o Kommunikation (Informationsvermittlung)
➢ Karl Bühler (1934): Appel1 , Ausdruck2 , Darstellung3
➢ expressiv, reflexiv, performativ
• Sprache und andere höhere kognitive Prozesse:
o Sprache wichtig für Denken, Urteilen, Schlussfolgern, Emotionen
o Sprache basiert auch auf nicht-sprachlichen kognitiven Prozessen
➢ Gesamtheit der kognitiven Entwicklung bildet Grenze für den Erwerb und den Einsatz von Sprache
• Forschung zu Sprache
o Linguistik: Sprachwissenschaft(n) – Untersuchung der Sprache(n) selbst (z.B. Regularitäten, Verwendung, Entwicklung)
o Psycholinguistik: Wie wird Sprache produziert bzw. verarbeitet?
Welche Prozesse und Repräsentationen sind beteiligt?
• Forschungsgegenstand Psycholinguistik:
• wichtigster Grundbaustein der Sprache sind Wörter:
o Lautkombinationen, die mit bestimmten Bedeutungen (Konzepte) gepaart sind: Wörter sind von Konzepten zu unterscheiden!
➢ Wort ist NICHT direkte symbolische Äquivalent eines Konzepts:
- ein Konzept kann durch mehrere Wörter (Synonyme) oder Wortkombinationen ausgedrückt werden (z.B. Idiome)
- ein Wort kann unterschiedliche Bedeutungen haben (z.B. Bank, abkratzen)
- Wörter können aus mehreren Teilen zusammengesetzt sein, die selbst wieder andere Konzepte bezeichnen (krank + Wagen → )
Linguistik/Psycholinguistik
• Sprache kann auf verschiedenen Ebenen betrachtet und analysiert werden:
Funktionale Komponenten
• Sprache kann nach Form, Inhalt und Gebrauch analysiert werden
Ist Sprache angeboren?
• nach Chomsky (1965) sind viele Aspekte von Sprache angeboren:
o Annahme einer Universalgrammatik: nur dadurch kann erklärt werden, wie Menschen in relativ kurzer Zeit etwas so komplexes wie Sprache lernen zu erwerben und zu benutzen
o Beispiele für grammatikalische Universalien:
➢ Rekursion
➢ lexikalische Kategorien (Verben, Nomen, Adjektive)
➢ Wortreihenfolgen (SVO oder SOV)
• Was spricht gegen die Annahme der angeborenen Universalgrammatik:
o Sprachen unterscheiden sich teils fundamental (nicht nur in Grammatik)
o Sprachen verändern sich schneller als es evolutionäre Entwicklung erlauben sollte
o sprachrelevante Gene wie das FOXP2 auch bei anderen Spezies gefunden
Sprache und Denken
• Linguistische Relativitätsannahme nach Benjamin L. Whorf (1956): Sprache determiniert Wahrnehmung und Denken
o Personen, die unterschiedliche Sprachen sprechen, sollten sich auch bzgl. Wahrnehmung und Denken unterscheiden
• Empirische Studien lieferten sowohl belegende als auch widerlegende Befunde
o Winawer et al. (2007) untersuchten Farbwahrnehmung bei russischen vs. englischen Muttersprachlern:
➢ russische Muttersprachler diskriminieren besser
➢ Effekt durch verbale Interferenz beeinflusst
• Evidenzen gegen linguistische Relativität
o Wright et al. (2015) untersuchten, wie gut sich Personen an Farben erinnern:
- englische vs. Himba Muttersprachler mit delayed matching-to sample task untersucht:
Englisch: 11 basale Farbwörter
Himba: 5 basale Farbwörter
- Vergleich von 3 Altersgruppen in zwei unterschiedlichen Farbbereichen zeigten keinen Unterschied in Wiedergabeleistung
o Farbwahrnehmung hängt von universalen und relativistischen Einflüssen ab
• Sprache und Denken beeinflussen sich gegenseitig
o die Frage ist nicht ob, sondern wann Sprache Denken beeinflusst
➢ Einfluss von Sprache stärker bei Unsicherheit
o Unterschiede zwischen den Sprachen scheinen eher die Relevanz bestimmter perzeptueller / konzeptueller Unterscheidungen in einer Kultur widerzuspiegeln
Sprachverstehen: Hören und Lesen
• Verstehen geht schnell: o durchschnittliche Leserate: 250-350 Wörter pro Minute (4-5 Wörter pro Sekunde, Rayner & Clifton, 2009)
o Hören oft etwas langsamer: bis zu 2-8 Silben pro Sek.
➢ untersch. Sprechgeschwindigkeit = Informationsrate •
Verstehen beim Lesen und Hören erfolgt inkrementell:
o Wörter werden nacheinander verarbeitet
o Bedeutungsanalyse nur bei Aufmerksamkeit
• Verstehen durch antizipatorische Prozesse gekennzeichnet:
→ Wissen und Kontextinformationen werden genutzt, um Nachfolgendes vorherzusagen
• Hören wird vor dem Lesen erlernt
o Lesen basiert zum Teil auf ähnlichen Prozessen wie Hören
o Personen mit Leseschwäche: Defizite in basaler auditiver Verarbeitung
Sprachverstehen
• an Sprachverarbeitung sind unterschiedliche Prozesse beteiligt
o entsprechend der funktionalen Komponenten der Sprache werden spezifische Prozesse angenommen:
- phonetische Verarbeitung, Graphem-to-Phonem-Übersetzung
- lexikalische Verarbeitung bzw. Worterkennung
- syntaktische Verarbeitung
- semantische und pragmatische Verarbeitung
• interaktiven Modelle:
o einzelne Komponenten der Sprachverarbeitung zum Teil parallel
o Komponenten beeinflussen sich gegenseitig: ineinandergreifen von bottom up- und top-down-Prozessen
Akustische Sprachverarbeitung
• Ähnliche wie bei der visuelle Verarbeitung: verschiedene Verarbeitungsschritte
o Dekodierung: Signal einer Quelle von anderen Geräuschen trennen, Verarbeitung physikalischer Merkmale
o Segmentierung: Signal in einzelne Elemente (Phoneme, Silben) zerlegen
o Kategorisierung : Zusammenfassung zu abstrakteren bedeutungstragenden Einheiten (Morpheme, Wörter)
• schwierige Aufgaben ist Segmentierung
o Identifizieren von Phonemen, Morphemen und Wörtern
o bisher sind keine konstanten (invariante) akustische Merkmale bekannt, die eindeutig Anfänge oder Enden individueller Wörter markieren
• Nutzung unterschiedlicher Informationsquellen
o Nutzung akustischen Merkmale der Signale
o Nutzung von Kontextinformationen:
➢ Phoneme in Wörtern schneller erkannt als in Nichtwörtern
➢ Wörter, bei denen ein Teil durch ein Geräusch überdeckt war, wurden in bedeutungsvollen Sätzen besser erkannt als isoliert
o Kontext wichtig bei Mehrdeutigkeiten:
„Druckerzeugnis“ – „Druck-Erzeugnis“ oder „Drucker-Zeugnis“?
Frühe Schritte der Sprachverarbeitung
• Herausforderungen für die Dekodierung, Segmentierung und Kategorisierung
o Variabilität der Sprachsignale:
➢ akustische Merkmale oft schwierig, da Unterschiede zw. Sprechenden bzgl. Frequenz, Lautstärke, Betonung
➢ Klang eines Buchstabens wird durch Phoneme davor und danach verändert:
Ko-artikulation (ist größer in der Wortmitte als am Anfang/Ende von Wörtern)
➢ unvollständiges Signal: in Abhängigkeit vom Kontext werden oft Wortteile weggelassen oder hinzugefügt, z.B. Elision: gehen [ge:әn] → [ge:n]
➢ unterschiedliche Laute aber gleiche Bedeutung:
je nach Kontext werden Wörter (Verben, Adjektive) unterschiedlich verwendet : ich lache, sie lachen
→ keine Unterschiede beim Erkennen dieser unterschiedlichen Verwendungen
• zwei Ansätze Erklärungsansätze
o initiale Dekodierung basiert auf größeren Einheiten
➢ reduziert Varianz
➢ liefert mehr Kontext
o Nutzung aller zur Verfügung stehender Informationen (auch scheinbare Störsignale):
➢ bottom-up Informationen aus akustischem Signal (Betonung/Stress)
➢ top-down Informationen: Wissen um mögliche Wörter, Vorhersagen basierend auf Satzkontext
➢ wenn möglich weitere Informationen über andere Wahrnehmungskanäle
McGurk-Effekt
• akustischen Segmentierung und Kategorisierung nutz auch visuelle Informationen
o Lippenbewegungen helfen bei der Phonem-Kategorisierung
• McGurk-Effekt:
o Mundbewegungen beim Aussprechen einer Silbe (z. B. /va-va/) beeinflusst, auditive Verarbeitung einer akustisch präsentierten zweiten Silbe (z. B. /ba-ba/)
➢ Wahrnehmung einer dritten Silbe (im Beispiel /da-da/)
o Evidenz, dass bei der Sprachwahrnehmung visuelle und auditive Informationen integriert werden
Phonemic Restoration Effect
S1: It was found that the *eel was on the axle.
S2: It was found that the *eel was on the shoe.
S3: It was found that the *eel was on the table.
S4: It was found that the *eel was on the orange.
• akustische Wahrnehmung wird vom Satzkontext beeinflusst:
o obwohl in allen Sätzen derselbe Stimulus *eel gezeigt wurde, verstanden die Hörer in S1 “wheel”, in S3 “meal” usw. (Warren & Warren, 1970)
➢ fehlendes Phoneme wird scheinbar auf Basis des Satzkontextes vorhergesagt und verarbeitet als ob es da war
➢ Hinweis auf Zusammenarbeit des Verstehens und Produktionssystems
• Phonemic Restoration Effect ist Evidenz für interaktionistischen Modelle der Sprachverarbeitung:
o Kontextinformationen beeinflussen bereits frühe Schritte der Verarbeitung (Segmentierung und Kategorisierung) lokalisiert im auditiven Kortex
o Kontextinformationen werden vor allem dann beobachtet, wenn das Sprachsignal mehrdeutig ist
Worterkennung
• Worterkennung ist zentraler Prozess der Sprachverarbeitung
o verschiedene Theorien, die Abfolge von schnellen und zuverlässigen Teilprozessen annehmen: (1) Dekodieren, (2) Segmentieren, (3) Erkennen
➢ Kohortenmodelle (z.B. Marslen-Wilson 1993)
➢ Trace-Modelle (z.B. McClelland & Elman, 1986)
• Theorien basieren auf Idee des Mentalen Lexikons:
o enthält (sprachliche) Wissen über Wörter phonologische, morphologische, syntaktische und orthographische Beschreibung der Wortformen
o aktiver und passiver Wortschatz umfasst zwischen 30.000-200.000 Einträge
o enthält NICHT Information über Wortbedeutung: die sind im semantischen Gedächtnis gespeichert
Kohortenmodell
• Grundannahme: Wortformen sind als Bündel distinktiver, nichtredundanter und markierter phonologischer Merkmale gespeichert
o Dekodierung: Erkennen erster Grapheme/Phoneme
→ Aktivierung der Wörter mit diesem Anfang (Kohorte)
o Selektion: Zunehmende Einschränkung
o Erkennen: lexikalischer Zugriff
→ bei Erreichen des uniqueness points
• Erweiterungen der Modelle:
o Kohorten können auch Wörter mit minimalen Abweichungen enthalten
o Gewichtung der Kohortenmitglieder möglich: → Beeinflussung der Selektion durch Kontext
o → Annahme von top-down Effekten
TRACE Model
• gekennzeichnet durch stärkere Gewichtung von Top-Down Prozessen
• Grundannahme: Verarbeitung erfolgt auf drei Ebenen Merkmals-Ebene, Phonem-Ebene und Wort-Ebene
o jede Ebene enthält lokale Repräsentationen der entspr. Merkmale (nodes)
• Unterscheidung von Bottom-Up- und Top-Down sowie Aktivierungs- und Hemmungsprozessen:
o Bottom Up: Aktivierung anhand bestehender Verbindungen zw. Ebenen
o Laterale Hemmung innerhalb einer Ebene (zw. den nodes) in Abhängigkeit der Aktivierungsstärke
o Top-Down: Rückwirkende Aktivierung
• erklärt sehr gut Phonemic Restoration Effect, Wortüberlegenheitseffekt und Wortfrequenzeffekte
• erklärt nicht Vorhersagen aufgrund des konzeptionellen und syntaktische Wissens
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