Emotion und Motivation
• “At the linguistic core, motivation and emotion share the Latin root, ‘motus’, which means ‘to move’.” (Cromwell et al. 2020)
• “Ohne Motivation keine Emotion und ohne Emotion keine Motivation” (Brandstätter et al, 2013)
• “Die Bereiche der Emotions- und Motivationspsychologie stellen sich […] als zwei Bereiche dar, die sich aufgrund ihrer Inhalte aufeinander beziehen und – je nach Perspektive – auf Konstrukte und Befunde des jeweils anderen Bereichs zurückgreifen.” (Dorsch, Lexikon der Psychologie)
• “The brain mechanisms of both emotion and motivation are considered together. […] The reason that both emotion and motivation are treated is that both involve rewards and punishments as the fundamental solution of the brain for interfacing sensory systems to action-selection and –execution systems.“ (Rolls, 2000)
Von Emotion zu Motivation
• Emotionen erzeugen bestimmte Motivationen und Handlungsbereitschaften
• dimensionale Ansätze:
→ Erregungsniveau beeinflusst
nach Hebb (1955) führt mittleres Aktivationsniveau zu optimalen Leistungen (Hinweisfunktion)
→ Valenz bestimmt Richtung:
- Positive Emotionen: Annährungsverhalten
- Negative Emotionen: Vermeidungsverhalten
diskrete Ansätze:
- Basisemotionen werden mit spezifischem Verhalten assoziiert
→ Plutchik (2001): z.B. Furcht = Flucht, Ärger = Kampf
→ Pankseep (2011) verbindet seine sieben Emotionskreisläufe mit jeweils typischen Verhaltensreaktionen, z.B. FEAR-System = „flight, fight, or freeze”
• Ob Reize affektive Reaktionen und damit assoziertes Verhalten auslösen, kann angeboren oder erlernt sein
• Welches Verhalten gezeigt wird, hängt auch vom Zustand bzw. von Merkmalen des Organismus ab, z.B. den aktuellen impliziten und expliziten Motiven
Begriffsbestimmung Motivation
• Motivation ist Grundlage für zielgerichtetes Verhalten
o Motivationspsychologie untersucht die Ausrichtung, Ausdauer (Persistenz) und Intensität des Zielstrebens sowie deren Zusammenhänge mit anderen kognitiven, affektiven und physiologischen Prozessen (vgl. Brandstädter et al. , 2018).
• Alltagspsychologische Gründe für zielgerichtetes Verhalten
→ innere Ursachen:
Gewohnheiten, Automatismen, Bedürfnisse, Interessen…
→ äußere Ursachen:
situative Reize, Befehle, soziale Normen, Belohnung, Bestrafung…
<— Über Emotionen gelrnt oder vermittelt
• Sonderstellung in der Allgemeinen Psychologie…
o Fokus oft auf interindividuellen Unterschieden im Zielstreben
o Überschneidungen mit Persönlichkeits- und Differenzieller Psychologie und
Motive und Motivdispositionen
• Motiv: latente (d.h. nicht direkt beobachtbare) individuelle Bereitschaft oder Präferenz, Situationen unter bestimmten Blickwinkel zu betrachten, zu deuten, affektiv darauf zu reagieren und dazu passendes Verhalten zu zeigen
• Motive sind verschiedenen Zielen und Zielzuständen zugeordnet Annahme von individuellen Dispositionen, Gewohnheiten oder Persönlichkeiten im Sinne zeitlich relativ stabiler Eigenschaften: überdauernde individuelle Motivdispositionen
o implizite Motive: in der frühen Kindheit gelernte, affektiv getönte Präferenzen, sich mit bestimmten Arten von Anreizen auseinanderzusetzen
o explizite Motive: bewusste, oft sprachlich repräsentierte Selbstbilder, Werte und Ziele, die sich eine Person selbst zuschreibt
• Motive werden oft auch als Bedürfnisse bezeichnet
Arten von Motiven
Motive
a) biogene Motive (Hunger, Durst, Sexualität)
b) soziogene Motive (Leistungsmotiv, Machtmotiv, Anschlussmotiv)
• Leistungsmotiv: An eigenes Handeln wird Gütemaßstab angelegt, sodass eigene Tüchtigkeit bewertbar ist (Erfolg? Misserfolg?)
• Machtmotiv: Ausübung einer/mehrerer Formen von Macht
• Anschlussmotiv: Grundmotiv für soziale Bindungen
➢ Diese finden wir auf expliziter und impliziter Ebene
➢ Aber: beide Ebenen unabhängig voneinander
➢ Zielerreichung ist dann erschwert, wenn beide Ebenen nicht übereinstimm
Neuronale Grundlagen für Motivation
• Hier ebenfalls sowohl stammesgeschichtlich alte als auch jüngere Teile relevant:
o Amygdala:
Erkennen von potentiellen Belohnungen und Bestrafungen
o Striatum (Teil des dopaminergen Systems):
Selektion und Verstärkung von Verhaltensweisen
o Nucleus Accumbens:
kodiert motivationale Salienz, Aktivität hängt mit Suchen von Anreizen zusammen
o orbitofrontaler Kortex:
Belohnungszentrum, Aktivität ist mit Bewertung von Belohnungen/ Bestrafungen assoziiert
o lateraler präfrontaler Kortex:
(sprachliche) Repräsentation von Zielen und komplexen Plänen, reguliert zentralen Motivationsstrukturen (z.B. Amygdala), vermittelt bei Konflikt zwischen konkurrierenden Verhaltenstendenzen
Historische Perspektive: Triebe vs. Instinkte
• William James (1890) sah im Instinkt das Vermögen, intuitiv zu handeln.
• Nach McDougall (1908) sind Instinkte angeborene Erklärungskonstrukte mit antreibender und steuernder Funktion:
→ gekennzeichnet durch geordnete Abfolge prädisponierter kognitiver, affektiver und konativer Prozesse
• Zunehmende Kritik am Instinktbegriff, z.B. weil für jedes beobachtbare Verhalten ein Instinkt angenommen wurde
• Ablösung durch das Triebkonzept (z.B. in den Theorien von Freud und Hull)
→ Ein Trieb ist ein sich immer wieder erneuernder (physiologisch begründeter) Zustand, der als aversiv erlebt wird (etwas fehlt).
→ Triebreduktion:
- es wird Verhalten angestrebt, das diesen unangenehmen Zustand (z.B. Hunger, Durst) hilft zu beseitigen:
- ist damit nicht positive sondern negative Verstärkung
Triebtheorie von Clark Hull (1884–1952)
• Es gibt einen allgemeinen Trieb, der für die Energetisierung sorgt
→ der allgemeine Trieb ist unspezifisch, in ihn fließen alle Primärtriebe, wie z. B. Hunger, Durst oder das Bedürfnis nach Schmerzvermeidung ein
• Wenn beim Lernen von Reiz-Reaktions-Verbindungen eine Triebreduktion erfolgt, wirkt dies belohnend und die Reiz-Reaktions-Verbindungen wird verstärkt
→ daraus ergeben sich Habits (Gewohnheiten), definiert als gelernte ReizReaktions-Verbindungen, die den Trieb reduzieren und damit positiv erlebt werden
• Motivationsgleichung nach Hull (1943): E = D × H
E: Verhaltensstärke (evocation potential); D: Trieb (drive), H: Gewohnheit (habit)
Es muss sowohl Trieb als auch Gewohnheit da sein, damit Verhalten erfolgt.
• Hull (1952) revidierte seine Theorie später: E = (D × H × K)
→ Er ergänzte die Anreiz-Komponente (K), nachdem Studien gezeigt haben, dass Lernen und Verhalten unterschiedlich ausfallen kann, auch wenn D und H gleich sind
Empirische Evidenzen
• Hull (1952) fasste seine theoretischen Annahmen mathematisch hoch formalisiert in 17 Postulaten und 15 Begleitsätzen, die er ausschließlich in Experimenten mit Versuchstieren überprüfte.
→ Gewohnheitsstärke (H): Funktion der Anzahl der Lerndurchgänge
→ Triebstärke (D): Funktion der Deprivationsdauer
→ Verhaltensstärke (E): Wahrscheinlichkeit mit der bestimmtes Verhalten ausgeführt wird
Feldtheorie von Kurt Lewin (1890- 1947)
• Lewin (1938) beschreibt Verhalten (V) als eine Funktion von Person (P) und Umwelt (U): V = f (P,U)
• Entwickelte Personenmodell (umfasst aktuelle Bedürfnisse und Handlungsabsichten) und Umweltmodell (Umwelt besteht aus voneinander abgegrenzten Teilbereichen, die bestimmte, für die Person relevante Ereignisse und Handlungsmöglichkeiten repräsentieren)
• Aus der Interaktion zwischen Personen- und Umweltmodell ergibt sich, das Objekte/Ziele eine Valenz haben.
→ Objekte mit positiver Valenz: Anziehung
→ Objekte mit negativer Valenz: Abstoßung
• Valenz ergibt sich aus der Bedürfnisspannung der Person und der Qualität des Zielobjekts. Ist ein Bedürfnis befriedigt, verliert ein Ziel seine Valenz.
Verhalten ist das Resultat anziehender und abstoßender Kräfte.
• Einfluss der Bedürfnisspannung wurde von Lewins Mitarbeiterin Bluma Zeigarnik (1927) untersucht: Zeigarnik-Effekt
→ Versuchspersonen sollten unterschiedliche Aufgaben (z.B. Figuren formen, Rechenaufgaben lösen)
→ bei der Hälfte der Aufgaben wurden sie unterbrochen
→ unerledigte Aufgaben konnten doppelt so gut erinnert werden
• Zeigarnik hatte schon Beobachtungen gemacht, dass der Effekt bei „ehrgeizigen“ Versuchspersonen ausgeprägterer ist als bei nicht ehrgeizigen
→ Größe des Zeigarnik-Effekts ist individuell verschieden
• Da in der Umwelt oft mehrere Objekte anwesend sind, kann es zur Überlagerung von Feldkräften kommen, die Konflikte erzeugen:
- Aufsuchen-Aufsuchen-Konflikt (will man Schoko- oder Erdbeereis?)
- Meiden-Meiden-Konflikt (bei Regen unterstellen oder weitergehen?)
- Aufsuchen-Meiden-Konflikt (Klausur jetzt oder später?)
Incentive-Sensitization Theory of Addiction
• Motivation besteht aus zwei wesentlichen Phasen:
→ Motivationsphase: Phase in der der Organismus darauf hinarbeitet, eine Belohnung zu bekommen oder eine Bestrafung zu vermeiden
- Umgangssprachlich wird diese Phase mit Konstrukten wie Verlangen, Sehnsucht oder Anziehung/Abstoßung in Verbindung gebracht
- Berridge (1996, 2018) bezeichnete diese Phase in der Motivationssequenz als „Wanting“
→ Abschlussphase: Phase in der der Organismus die Handlung abschließt und den Wert der Belohnung/Bestrafung bestimmt oder ermittelt
- Berridge bezeichnete diese Phase der Bewertung der hedonischen Eigenschaften von Belohnung/Bestrafung als „Liking“
- Phase dient auch der Adaptation der Motivation („Wanting“) mit Blick auf die aktuelle Erfahrung:
→ ist Belohnung z.B. geringer als erwartet, verringert sich das „Wanting“
→ ist Belohnung z.B. angenehmer als erwartet, erhöht sich das „Wanting“
• In der Regel scheinen „Wanting“ und „Liking“ zusammenzufallen (wir wollen was wir mögen), aber die (neuronalen) Prozesse sind unterschiedlich
→ Robinson & Berridge zeigten die Differenzierung vor allem im Zusammenhang mit der Entwicklung von substanzbedingten Abhängigkeiten und der Funktionsweise des dopaminergen Systems
→ Wiederholte Einnahme von Drogen sensitiviert das dopaminerge System, was zu einer Intensivierung von „Wanting“ führt (die nichtbewusste Attribution von Etwas-zu-Wollen), während es keinen Einfluss auf das „Liking“ (die hedonische, rein affektive Erfahrung des Drogenkonsums)
• Erste empirische Evidenzen kamen aus Tierstudien
→ Studie von Wyvell & Berridge (2000):
- Ratten lernten einen von zwei Hebeln zu drücken, um Belohnung (Zuckerpillen) zu bekommen
- zusätzliche klassische Konditionierung: neutraler Reiz wurde mit Gabe von Zuckerpillen kombiniert
- in einer Testphase drückten die Ratten den “Zucker”-Hebel häufiger, wenn der konditionierte Reiz gezeigt wurde
- Injektionen von Dopamin-Agonisten verstärkten „Wanting“ (Hebeldrücken), aber nicht „Liking“ (hedonische Gesichtsausdrücke auf Zuckerpillen)
• Auch Studien an Menschen liefern positive Evidenzen, z.B. für Sensitivierung:
→ mesolimbisches System von abhängigen Personen beim Betrachten von Bildern von drogenkonsumierenden Personen reagiert stärker als bei nicht-abhängigen Personen (z.B. Ferenczi et al. 2016)
→ neuronale Hyperaktivität für suchtspezifische Reize auch für andere Abhängigkeiten (z.B. Spielsucht) beobachtet
Motivation durch “Druck” vs. “Zug”
• Motivationstheorien lassen sich entsprechend der diskutierten Mechanismen in zwei Gruppen einteilen
→ Motivation durch „Druck“: Triebtheoretischen Ansätze (z.B. die Theorien von Freud, Hull, aber auch die von Lewin) begründen Verhalten mit „inneren“ Trieben, die es abzubauen gilt:
- der innere Trieb im Sinne einer unangenehmen Spannung scheint vor allem auf biologische Bedürfnisse wie Hunger zuzutreffen
- dominierte die Forschung bis in die 1960er Jahre
→ Motivation durch „Zug“: Anreiztheorien, die Motivation über die Antizipation von positiv bewerteten Endzuständen (Anreize) erklären(z.B. Theorien von Atkinson, Lewin, Murray, Berridge)
- der Wechsel wurde durch Stimulationsstudien im Zusammenhang mit dem Belohnungssystem, die zur Unterscheidung von „Wanting“ und „Liking“ beitrugen
- wird vor allem zur Erklärung von komplexeren zielgerichteten Verhalten genutzt
Opponent-Process Theory (Solomon & Corbit, 1974)
• Führt ein Reiz zur Aktivierung eines (z.B. positiven) affektiven Zustandes (Prozess a), wird ein gegensätzlicher Prozess (Prozess b, z.B. einen negativen affektiven Zustand) ausgelöst, um wieder ein Gleichgewicht herzustellen
→ der gegensätzliche Prozess tritt zeitverzögert ein, dauert etwas länger an und wird bei wiederholter Stimulation stärker
→ Erlebt wird die Summe aus Prozess a und Prozess b
→ Das Modell erklärt substanzbedingte Abhängigkeit durch die Tendenz, Gegenreaktion abzuschwächen (Druck) und nicht durch den Anreiz der Droge
Motivation ist dynamisch
• Aus dem Zusammenspiel von “Wanting” und “Liking” ergibt sich, dass Motivation dynamisch ist
→ wenn Belohnung gegeben wird, ist Bedürfnis vorerst befriedigt
→ Unterschiede in der Stärke von „Wanting“ oder von inneren Motiven beeinflussen, wie schnell Bedürfnis wieder da ist oder wie wahrscheinlich Situationen aufgesucht werden, die mit bestimmten Arten von Belohnung assoziiert sind
• Auch schon vor der Unterscheidung in „Wanting“ und „Liking“ sind individuelle und intraindividuelle Unterschiede in der Bewertung von Belohnung beobachtet worden: ein und dieselbe Belohnung wird nicht immer gleich gemocht
• Veränderte subjektive Bewertung derselben Belohnung über die Zeit hinweg wird auch als Alliästhesie bezeichnet:
→ Hunger führt z.B. dazu, dass Essen einen größeren hedonischen Wert hat
→ Menschen und Labortiere, die wiederholt mit einem einzelnen (belohnenden) Geschmack konfrontiert werden, ermüden schnell und konsumieren weniger
• Änderungen im motivationalen Charakter von Belohnung ist auch in geänderter Aktivität/Reaktion des Orbitofrontalen Kortex (OFC) zu beobachten
Zusammenfassung
• Motivationspsychologie beschäftigt sich mit zielgerichtetem Verhalten.
• Im Sinne von Hedonismus und Homöosthase versuchen Organismen, positive Affekt zu vermehren, negative zu vermeiden und ein optimales Gleichgewicht herzustellen. Daher sind Affekt und Motivation eng miteinander verbunden.
• Zielgerichtetes Verhalten kann nur als eine Funktion aus Person und Umwelt verstanden werden.
→ Zentrale Konzepte sind Motive bzw. Bewertungsdispositionen: Sie haben Einfluss darauf, welche Reize und Ereignisse man bevorzugt wahrnimmt und worauf man emotional reagiert, was damit Anreizcharakter erhält und welche Zielzustände man anstrebt
• Viele Aspekte von Motivation sind nicht bewusst
→ entsprechend der Trennung in Wanting und Liking können auch neuronal verschiedene Kreisläufe unterschieden werden, die mit expliziter Bewertung oder implizitem Anreiz assoziiert sind
→ wie unabhängig oder interaktiv diese Systeme funktionieren, ist Gegenstand aktueller Forschung in der neurowissenschaftlichen Motivationspsychologie
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