Nicht gesehen werden hat viele Gesichter
Grundbegriffe: race
= soziales Konstrukt, welches innerhalb von rassistischen Systemen wirksam ist und Menschen anhand gemeinsamer physischer und phänotypischer Merkmale (z.B. Farbe, Form oder Beschaffenheit der Haut, Augen, Haar) in Gruppen unterteilt
Grundbegriffe: ethnicity
Ethnizität ist eine soziale Kategorisierung, die auf der Zugehörigkeit zu oder Identifizierung einer Person mit einer bestimmten kulturellen oder ethnischen Gruppe mit gemeinsamen kulturellen Merkmalen wie Sprache, Abstammung, Praktiken und Überzeugungen beruht.
nationality
ethnic origin
Nationalität ist die rechtliche Zuordnung einer Person zu politisch definierten Nationen im Sinne der Staatsangehörigkeit.
Als Ethnische Herkunft wird die Ethnie der eigenen Vorfahren bezeichnet. Sie kann über DNA- Tests analysiert werden
Definition Rassismus
Im Kern wird Rassismus als eine Ideologie sowie als eine diskursive und soziale Praxis verstanden, in der Menschen
(1) aufgrund von körperlichen Merkmalen in verschiedene Gruppen eingeteilt werden (Kategorisierung), denen
(2) per „Abstammung“ verallgemeinerte, Verabsolutierte und unveränderliche Eigen- schaften zugeschrieben werden (Generali- sierung und Rassifizierung), die
(3) bewertet und (zum Vorteil der eigenen Gruppe) mit sozialen Rangstufen verbunden werden (Hierarchisierung), womit
(4) ungleiche Behandlung und gesellschaftliche Macht- und Dominanzstrukturen reproduziert und begründet werden (Legitimierung)
Definition Diskriminierung/ Rassistische Diskriminierung
Diskriminierung = benachteiligende Behandlung von Personen oder Gruppen
Rassistische Diskriminierung stellt – neben zum Beispiel sexistischer oder altersbezogener – eine konkrete Form der Diskriminierung dar.
Sie ist eine Praxis der benachteiligenden Behandlung von Personen oder Gruppen ausgehend von rassistischer Differenzierung und kann absichtlich oder unabsichtlich erfolgen
Problematik bei Rassismusforschung in Deutschland
deutschsprachige Rassismusforschung bisher kaum institutionalisiert
eindeutige Fachtermini existieren nicht -> Sprachgebrauch im Wandel
Forschungsergebnisse und Konzepte stammen größtenteils aus dem anglophonen Raum
in Deutschland konzentrieren sich Forschung und Literatur auf die Themen Kultur, Migration und Flucht
Relevanz von Rassismus
22% d. deutschen Gesamtbevölkerung haben Rassismus direkt erfahren; rassistisch markierte Personen machen mehrheitlich (58%) Rassismuserfahrungen (DeZIM, 2022)
Rassismus ist ein kontinuierlicher Stressor, der negativen Einfluss auf die mentale Gesundheit Betroffener hat und die Entstehung psychischer Störungen begünstigt
Afrozensus
community-basierter Ansatz
Befragung von fast 6000 Schwarzen, afrikanischen und afrodiasporische Menschen in DE zu ihren Lebensrealitäten und Diskriminierungserfahrungen
Diskriminierungserfahrungen in 14 Lebensbereichen, u.a. Wohnungsmarkt, Bildung, Arbeitsleben, Gesundheitswesen
Eigenschaftszuschreibungen/-projektionen
Eigenschaftszuschreibungen/- projektionen basierend auf einer Kategorisierung nach phänotypischen Merkmalen (siehe race).
Zugeschriebene Eigenschaften werden häufig herabgewertet, können aber auch vermeintlich positiv sein.
Die Zuschreibungen/ Projektionen sind in jedem Fall entmenschlichend, da sie entindividualisierend sind und den Menschen damit eine grundlegende menschliche Eigenschaft absprechen.
Anti-Schwarzer Rassismus (ARS) und typische Zuschreibungen
Schwarzer Rassismus (ARS) kennzeichnet die Herabwürdigung und Entmenschlichung Schwarzer Menschen afrikanischer Herkunft.
ARS: Typische Zuschreibungen:
Schwarze Menschen seien weniger intelligent.
Schwarze Menschen würden nicht zu Deutschland gehören.
Schwarze Körper seien gewältig und gefährlich.
Schwarze Körper würden von der Normalität abweichen.
Schwarze Körper seien besonders kräftig und leistungsfähig.
Schwarze Körper seien einerseits weniger schmerzempfindlich, haben andererseits ein übertriebenes Schmerzempfinden.
Schwarze Kulturleistungen steckten Schwarzen Menschen „im Blut“.
Nationaler Diskriminierungs- & Rassismusmonitor (NaDiRa)
Systematische Untersuchung der Ursachen, des Ausmaßes und der Folgen von Diskriminierung und Rassismus in DE
Monitoring mittels repräsentativer Umfragen
durchgeführt durch das Deutsche Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM)
NaDiRa: Namensbasierte Diskriminierung beim Zugang zur Psychotherapie
Ergebnis:
Signifikant weniger positive Rückmeldung von niedergelassenen Psychotherapeut*innen bei türkischen Namen (-12%) und nigerianischen Namen (-8%) im Vgl. zu deutschen Namen.
Ungleichheiten in der psychischen Belastung und Versorgung zum Nachteil rassismusvulnerabler Menschen:
EIN TEUFELSKREISLAUF DES STRUKTURELLEN RASSISMUS
Was ist rassismussensible Psychotherapie?
auch rassismussensitive oder rassismuskritische Psychotherapie
Achtung: rassismussensible Therapie ist keine neue oder andere für rassismusvulnerable Menschen ! (Othering)
psychotherapeutische Methoden sind universell, d.h. für alle Menschen einsetzbar
eine Psychotherapie frei von Rassismus ist noch keine rassismussensible Psychotherapie!
Rassismussensible Psychotherapie ist eine Therapie, die rassifizierten Menschen
einen sicheren Ort bietet
ihre Erfahrungen validiert
ihre Lebensrealität und den erfahrenden Rassismus als Wirkfaktor auf ihre psychische Gesundheit mitberücksichtigt
Othering
Unterscheidungsprozess, in dem ein imaginiertes “Wir” in Abgrenzung zu den “Anderen” und “Fremden” diskursiv hervorgebracht wird
das “Wir” wird als Norm und das “Andere” als Abweichung gesetzt und in ein hierarchisches Verhältnis gebracht
reproudziert so eine niedrigere, minderwertige Position und führ tzur Unterwerfung und Ausgrenzung der vermeintlich “Anderen”
Grundbausteine Rassismussensibler Psychotherapie
Kritisches (weißes) Bewusstsein
Einen sicheren Raum schaffen
Validierung rassistischer Erfahrungen
Rassismus als Wirkfaktor auf die psychische Gesundheit beachten
umfasst die Anerkennung, dass Rassismus existiert, das Bewusstsein für die eigene privilegierte Position als auch die Reflexion über eigene (unbewusste) rassistische Denkmuster
Es ist nicht die Aufgabe von Patient*innen, Therapeut*innen über Rassismus aufzuklären!
Voraussetzung dafür, dass therapeutisches Setting ein sicherer Ort sein kann, in dem Rassismuserfahrungen nicht reproduziert werden
einen sicheren Raum schaffen
Rassismus proaktiv thematisieren und Patient*innen die Möglichkeit geben, darüber zu sprechen
Validierung rassistischer Erfahrungen und Diagnose
bei wie viel prozent wird rassismus in therapie invalidiert?
Anerkennung von Rassismuserfahrungen und deren Auswirkungen auf die psychische Gesundheit
Diagnosestellung
keine eigenständige Diagnose oder Spezifizierung
ICD-10 Zusatzcodierung Z60 „Kontaktanlässe mit Bezug auf die soziale Umgebung“ einschließlich „Zielscheibe feindlicher Diskriminierung“
ICD-11 Kapitel 24 „Faktoren, die den Gesundheitszustand beeinflussen“ – QE04 „Zielscheibe feindlicher Diskriminierung oder Verfolgung“
Rassismus als Wirkfaktor auf psychische Gesundheit beachten
-> Studienlage
signifikante Zusammenhänge von Rassismus mit verschiedenstenen Variablen psychischer Gesundheit
Internalisierter Rassismus
-> Definition und typische Symptome
Personen, die selbst von Rassismus betroffen sind, haben möglicherweise (bewusst oder unbewusst) Stereotype gegen- über rassifizierten Gruppen verinnerlicht. Das kann auch für die Gruppen gelten, denen sie selbst zugeordnet werden.
Typische Symptome (Williams, 2024, S. 81):
• geringer Selbstwert
• Selbstvorwürfe
• Negatives Selbstbild
• internalisierte Stereotype
• Scham- und Schuldgefühle
• Präferenz für die dominante Kultur
• Insuffizienzgefühle
• internale Konflikte
• Entfremdung von der eigenen Kultur
Internalisierter Rassismus:
Imposter Syndrome
Dt.: Hochstapler-Syndrom. Eigener Erfolg wird nicht anerkannt und als legitim empfunden, kann nicht in Zusammenhang mit dem eigenen Können und Wissen gebracht werden, da dieses von der betroffenen Person grundsätzlich in Frage gestellt wird. Betroffene haben oft ein erhöhtes Stressempfinden, denn sie leben mit der steten Angst, die eigens erlebte “Unfähigkeit” könne jeden Moment vom Umfeld aufgedeckt werden.
-> Internalisierung weniger intelligent und kompetent zu sein
Invisibility Syndrome
Dt.: Unsichtbarkeits-Syndrom. Wahrnehmung einer Person, die einer marginalisierten Gruppe angehört, dass ihre Fähigkeiten und ihre Identität nicht gesehen werden, weil vorgefasste Meinungen und Stereotype über sie vorherrschen. Daraus können Internalisierung von Annahmen wie „Ich bin nicht gut genug“, „Ich bin nichts wert“ entstehen.
Therapeutisches Ziel bei internalisiertem Rassismus
Externalisierung durch internalisierten Rassismus entstandenen dysfunktionaler Kognitionen über Techniken der Kognitiven Umstrukturierung und Arbeit mit Affirmationen.
Mikroaggressionen und deren Auswirkungen auf die psychische Gesundheit
Mikroaggressionen (microaggressions)
Verdeckte rassistische Handlungen, die unwahre Stereotype, sozialen Ausschluss und unfaire Behandlung verstärken
subtile, alltägliche bewusste od. unbewusste Demütigungen u. Herabsetzungen in Form von verbalen Äußerungen od. Verhaltensweisen
Botschaft: „Du bist anders. “, „Du gehörst nicht dazu. “, „Du bist weniger wert.
Auswirkungen auf psychische Gesundheit:
- die psychische Gesundheit:
Meta-Analyse (Lui & Quezada, 2019):
pos. Zsmh. mit Internalisieren v.
Problemen (r=.24), Externalisieren v.
Problemen/gesundheitsgefährdendes V.
(r= .12), psych. Leiden/neg. Affekt
(r=.187); neg. Zsmh. mit pos.
Anpassung/pos. Affekt (r=-.17)
bei Schwarzen College-Studierenden
waren während der Highschool
erfahrende Mikroaggressionen mit dem
Inhalt „akademische Unterlegenheit”
verbunden mit höheren depressiven
Symptomen während des ersten
College-Jahres p = .001; Keels et
al., 2017)
Beispiele für Mikroaggressionen
racial trauma und Symptome
Traumatisierung/psychische Verletzung aufgrund rassistischer Erfahrungen, resultierend aus Makroaggressionen (z. B. Hasskriminalität, Polizeigewalt) od. kumulierten Mikroaggressionen (z. B. Alltagsrassismus)
kann als PTSD diagnostiziert werden, wenn A- Kriterium (DSM-5) erfüllt ist (Aufführung als spezifisches Ereignis fehlt)
Unterschied: bei Diagnose und Behandlung PTSD ist das traumatische Event meistens abgeschlossen/Vergangenheit, während bei racial trauma der Stressor (Rassismus) fortlaufend andauert (objektive Sicherheit nicht herstellbar)
typische Symptome
Intrusionen
emotional. & körperl. Reaktion auf Trigger
Schlafprobleme und Albträume
Hypervigilanz & -arousal
Erhöhte Schreckhaftigkeit
emotionale Leere und Taubheit
Ärger und Irritabilität
Allgemeines Unsicherheits- und Bedrohungserleben
Vermeidung von Orten an denen Makro- und Mikroagressionen stattfanden, sozialer Rückzug
Misstrauen in andere
Scham- und Schulderleben
negative Affektivität
Entstehungsmodell Posttraumatischer Belastungsstörung – Ableitung eines Behandlungsrationals für Racial Trauma
Behandlungsmanual für Behandlung von racial trauma
-> welche 3 Behandlungsphasen
standardisiertes, KVT-Behandlungsprogramm für das ambulante Einzelsetting
12 Sitzungen (60min), 1x/Woche
Einflüsse aus der KVT, ACT und der Funktional-Analytischen Psychotherapie (FAP)
Hausaufgaben zwischen den Sitzungen
3 Behandlungsphasen:
Stabilisierung & Unterstützung (Abbau derStressreaktion)
Heilungsphase (Kognitive Umstrukturierung und Exposition)
Empowerment (Werkzeuge, um im Alltag gegen Rassismus anzukämpfen
Healing the wounds of racial trauma:
Phase 1
Stabilisierung & Unterstützung
(Abbau der Stressreaktion)
Ziel: Validierung von Rassismuserfahrungen, Aufbau einer Selbstfürsorge-Routine und eines stützenden sozialen Netzwerkes
Phase 2
Heilungsphase
(Kognitive Umstrukturierung und Exposition)
Ziel: Abbau von internalisiertem Rassismus, Aufbau einer positiv besetzten ethnischen Identität und Verarbeitung traumatischer Erlebnisse
Phase 3
Empowerment
(Werkzeuge, um im Alltag gegen Rassismus anzukämpfen)
Ziel: den eigenen Handlungsspielraum erhöhen, Posttraumatisches Wachstum & Bedeutungsgebung (Narrativ-Wechsel), Rückfallprophylaxe
Phase 3 - Zeichen dafür, dass Klient*innen bereit sind, die Therapie zu beenden
Sie erleben keine unkontrollierbare Angst vor Rassismuserfahrungen mehr.
Sie haben Menschen um sich herum, denen sie vertrauen können und die sie unterstützen.
Sie haben Handlungsstrategien gegen Mikroaggressionen.
Sie internalisieren Rassismuserfahrungen nicht mehr.
Sie betreiben regelmäßig Selbstfürsorge.
Sie haben Werkzeuge, wenn Rassismuserfahrungen sie erneut herunterziehen sollten.
Mögliche Behandlungsfehler
Achtung: psychische Störungen sind multifaktoriell bedingt
Rassismus ist ein möglicher Wirkfaktor, der mitbedacht werden sollte
Belastungsfaktor, der in jedem Fall die Wahrscheinlichkeit für die Entwicklung einer psychischen Störung erhöht
rassismusvulnerable Menschen können psychische Störungen entwickeln, die nicht oder zumindest nicht hauptsächlich durch Rassismus bedingt sind (psychisches Leiden ist Teil der menschlichen Universalität)
Vorsicht beim Einsatz kognitiver Umstrukturierung!
Rassismuserfahrungen sind reale Bedrohungen und keine realitätsverzerrten Wahrnehmungen
durch häufig erfahrende Invalidierung, also dem Absprechen oder Relativieren von Rassismuserfahrungen durch andere, zweifeln Betroffene meisten schon selbst an ihrer eigenen Wahrnehmung. Ein sokratischer Dialog könnte zur weiteren Verunsicherung führen. Rassismuserfahrungen sollten klar validiert werden.
Kognitive Umstrukturierung ist aber eine wirksame Methode bei internalisiertem Rassismus, also negativen Selbstannahmen, welche in Folge von Rassismuserfahrungen verinnerlicht wurden. Hier gilt es eine realitätsnahe Wahrnehmung wiederherzustellen, z.B. über Reattributions- und Externalisierungstechniken
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