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6. Neglect

ND
by Nipu D.

ÜBUNGSFRAGE

Beschreiben Sie, welche Defizite Neglectpatient/-innen zeigen könnten (in neuropsychologischen Tests als auch im Alltag).


Defizite bei Neglect-Patienten/-innen:

1. Definition des Neglects: Neglect bezeichnet eine Störung der Aufmerksamkeit, bei der Betroffene eine Seite des Raum- oder Körperbereichs (meistens die linke Seite) nicht wahrnehmen, ignorieren oder nicht angemessen darauf reagieren. Es handelt sich dabei nicht um eine primäre sensorische Beeinträchtigung, sondern um eine Aufmerksamkeitsstörung, die häufig nach Schädigungen in der rechten Hemisphäre des Gehirns (insbesondere im Parietallappen) auftritt.

1. Neuropsychologische Defizite:

a) Visueller Neglect:

Betroffene nehmen visuelle Reize auf der kontralateralen Seite (zumeist links) nicht wahr.

In Tests wie der Benton Visual Retention Test oder Line Bisection Test zeigen die Patienten eine starke Neigung, Linien oder Objekte auf der linken Seite zu ignorieren oder unvollständig zu zeichnen.

Patienten zeichnen häufig nur den rechten Teil von Objekten oder Szenen, was als hemispatial neglect bezeichnet wird.

b) Motorischer Neglect (Aktionelles Neglect):

Es kommt zu einer verminderten oder gar nicht stattfindenden Reaktion auf Reize, die von der vernachlässigten Seite des Körpers ausgehen.

Im Test Benton’s Judgment of Line Orientation können Betroffene Linien nur korrekt zuordnen, wenn diese in der rechten Hälfte des Sichtfeldes präsentiert werden.

c) Körperbildstörung:

Patienten zeigen häufig eine Störung des Körperbildes und reagieren nicht auf Berührungen oder Schmerzen auf der vernachlässigten Körperseite (somatosensibler Neglect). Dies kann in Tests wie dem Double Simultaneous Stimulation Test überprüft werden, bei dem zwei Berührungen gleichzeitig an verschiedenen Stellen des Körpers erfolgen. Patienten nehmen in der Regel nur die Berührung auf der bevorzugten Seite wahr.

d) Auditory Neglect:

Auch akustische Reize auf der kontralateralen Seite (meistens links) werden nicht wahrgenommen.

In auditorischen Tests (z.B. Dichotisches Hören) ignorieren die Patienten häufig Geräusche oder Stimmen, die auf der vernachlässigten Seite auftreten.

2. Alltagsbezogene Defizite:

a) Unaufmerksamkeit auf der vernachlässigten Seite:

Im Alltag ignorieren Patienten die linke Seite des Raumes, was zu Problemen bei der Orientierung führt.

Sie könnten beim Gehen oder in einer Menschenmenge dazu neigen, die linke Seite nicht zu beachten und dadurch in Gefahrensituationen geraten.

b) Schwierigkeiten beim Essen:

Beim Essen lassen Neglect-Patienten häufig das Essen auf der linken Seite ihres Tellers oder in der linken Hälfte eines Rahmens zurück.

In extremen Fällen wird das gesamte Essen nur von der rechten Seite des Tellers aufgenommen.

c) Probleme beim Anziehen:

Patienten ziehen sich oft auf der bevorzugten (rechten) Seite korrekt an, während sie die linke Seite ignorieren (z.B. das linke Ärmel oder den linken Schuh).

d) Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben:

Neglect-Patienten haben oft Schwierigkeiten, vollständige Sätze zu lesen, weil sie die linke Seite des Textes auslassen. Beim Schreiben kann es dazu kommen, dass sie nur die rechte Seite des Papiers beschriften oder unvollständige Wörter schreiben.

e) Verkehrssicherheit:

Beim Autofahren oder Gehen auf der Straße kann es zu gefährlichen Situationen kommen, da Neglect-Patienten die linke Seite des Straßenverkehrs ignorieren. Sie sehen beispielsweise den herannahenden Verkehr aus der linken Richtung nicht rechtzeitig.

f) Beeinträchtigte soziale Interaktionen:

Neglect-Patienten nehmen oft soziale Signale von der linken Seite nicht wahr, was ihre Fähigkeit zur sozialen Interaktion beeinträchtigt. Sie könnten Gespräche oder gestische Hinweise von Personen auf der linken Seite nicht beachten und daher als desinteressiert oder unhöflich wahrgenommen werden.

Zusammenfassung:


Neuropsychologische Tests zeigen, dass Patienten mit Neglect oft die kontralaterale (meist linke) Seite in visuellen, akustischen und somatosensorischen Tests ignorieren.

Im Alltag äußern sich diese Defizite in verschiedenen Bereichen wie der Körperwahrnehmung, der Orientierung, dem Lesen, Schreiben und in sozialen Interaktionen. Dies führt zu erheblichen Einschränkungen der Alltagsfunktionen, da Betroffene die vernachlässigte Seite ihres Umfeldes nicht wahrnehmen und dadurch viele Aufgaben nur eingeschränkt oder fehlerhaft ausführen können.



ÜBUNGSFRAGE

Was ist mit Extinktion gemeint?

Extinktion ist eine spezifische Form des Neglects und tritt meist in Verbindung mit anderen Formen der Aufmerksamkeitsstörung auf. Bei Neglect-Patienten handelt es sich bei der Extinktion also um eine störung der räumlichen Aufmerksamkeitsverarbeitung, bei der die Wahrnehmung von Reizen auf der vernachlässigten Seite durch die Präsenz von Reizen auf der anderen Seite "überschattet" wird.

Im Gegensatz zum klassischen Neglect, bei dem die Patienten die kontralaterale Seite (z.B. links) gar nicht wahrnehmen, können sie bei Extinktion die Reize wahrnehmen, aber nur, wenn keine konkurrierenden Reize auf der gegenüberliegenden Seite (z.B. rechts) vorliegen.

Beispiele in der Praxis:

Visuelle Extinktion: Wenn zwei Objekte gleichzeitig im rechten und linken Sichtfeld des Patienten präsentiert werden, wird nur das rechte Objekt wahrgenommen. Wird jedoch nur ein Objekt auf der linken Seite präsentiert, kann es unter Umständen korrekt erkannt werden.

Taktile Extinktion: Bei der gleichzeitigen Berührung von beiden Händen (z.B. mit einem Finger) kann der Patient möglicherweise nur die Berührung an der rechten Hand wahrnehmen und die Berührung an der linken Hand "löschen".


Zusammengefasst: Extinktion ist ein Phänomen, bei dem Patienten Reize auf der vernachlässigten Seite nur dann wahrnehmen, wenn keine gleichzeitigen Reize auf der gegenüberliegenden Seite präsentiert werden. Es ist eine Form der räumlichen Aufmerksamkeitsstörung, die bei Neglect-Patienten häufig vorkommt und ihre Fähigkeit, mehrere Reize gleichzeitig zu verarbeiten, beeinträchtigt.

ÜBUNGSFRAGE

Welche Ergebnisse / welches Verhalten würde die eine oder andere Aufmerksamkeitshypothese stützen?

1. Posners Modell der räumlichen Aufmerksamkeit:

Verhalten, das die Hypothese stützt:

Schnellere Reaktion auf valide Hinweise: Wenn ein Hinweisreiz (z.B. ein blinkendes Licht) korrekt den Zielort anzeigt, wird die Reaktionszeit auf den Zielreiz schneller.

Verlangsamte Reaktion auf invalide Hinweise: Wenn der Hinweisreiz den falschen Ort anzeigt, dauert es länger, bis die Aufmerksamkeit umgelenkt wird und die Reaktion erfolgt.

Beispiel: In einem Experiment nach Posner reagieren Probanden schneller auf einen Zielreiz, wenn dieser an dem Ort erscheint, auf den ein vorher gegebener Hinweis hinweist (valider Hinweis), und langsamer, wenn der Hinweis auf den falschen Ort verweist (invalider Hinweis).

2. Kinsbournes Modell der interhemisphärischen Asymmetrie:

Verhalten, das die Hypothese stützt:

Unilaterale Vernachlässigung (Neglect): Nach einer Schädigung der rechten Hemisphäre (z.B. durch Schlaganfall) zeigen Patienten eine Vernachlässigung der linken Raumhälfte, was bedeutet, dass sie diese Seite nicht mehr wahrnehmen oder ignorieren.

Asymmetrische Aufmerksamkeitssteuerung: Wenn Probanden die Aufmerksamkeit zwischen den beiden Hemisphären verschieben müssen, können Personen mit einer Läsion in einer Hemisphäre Schwierigkeiten haben, die Aufmerksamkeit korrekt zu verteilen.

Beispiel: Bei Patienten mit Schädigung der rechten Parietalregion wird häufig die linke Raumhälfte ignoriert – ein Verhalten, das die Vorstellung stützt, dass die rechte Hemisphäre eine zentrale Rolle bei der Steuerung der Aufmerksamkeit auf die linke Seite des Raumes spielt.


Kurz gesagt:

Posner: Das Verhalten, dass Menschen ihre Aufmerksamkeit schneller verschieben, wenn Hinweise gültig sind, stützt die Hypothese der flexiblen Aufmerksamkeitsverschiebung.

Kinsbourne: Das Verhalten von Neglect-Patienten unterstützt die Hypothese, dass die Aufmerksamkeit in einer asymmetrischen Weise zwischen den Hemisphären verteilt wird.


ÜBUNGSFRAGE

Was besagt die Transformationshypothese und welche / s Ergebnisse / Verhalten würde diese stützen?

KARNATH UND FETTER (1995)

 Neglectpatient*innen bei der Ausrichtung der räumlichen

Aufmerksamkeit einen rechtsseitigen Bias:

▪ Schauen mehr nach rechts (sogar in Dunkeln)

▪ Zeigen nach rechts, wenn sie geradeaus zeigen sollen


▪ 5 Neglectpatient*innen

▪ 5 Kontrollproband*innen, keine Hirnschädigung

▪ Kegelförmiger Raum

▪ Stimuli: Laserpunkt an verschiedenen Stellen im Raum

▪ Aufgabe: Reaktionstaste drücken, um Laserpunkt zentral zu

positionieren


▪ Kontrollpatient*innen bewältigten die Aufgabe sehr gut

▪ Neglectpatient*innen wichen ca. 15 Grad nach rechts ab

▪ Neglectpatient*innen berechnen Geradeaus inkorrekt

▪ Vorliegen eines systematischen Fehlers


 Signale von verschiedenen peripheren Sinnesorganen

(Retina, Dehnungsrezeptoren der Halsmuskulatur,

Gleichgewichtsapparat usw.) werden in

Raumreferenzsysteme transformiert. Diese sind

 Kopfzentriert

 Rumpfzentriert

 Umgebungsbezogen

Funktion: visuell-räumliche Informationen unabhängig von

Augen- oder Kopfbewegungen abzubilden

20.11.2024


Störung der Transformation bei Neglect

 Fehlerhafte Rotation der Achse nach rechts

 Stete Hinwendung nach rechts; Vernachlässigung nach links

 Manipulation der Informationen

aus den Sinneskanälen → Beeinflussung

des Neglect z.B. durch Vibration

der Nackenmuskulatur


THERAPIE

Nackenmuskelvibration:

 Hintere, linksseitige Nackenmuskulatur vibrieren

 → verbessert das subjektive Geradeausempfinden im Raum

(Transformationshypothese)

 → Verbesserung der Exploration, Einüben von kompensatorischen

Suchstrategien


Prismenadaptation:

 Verursachen eine optische Abweichung, z.B. 10 Grad, zur rechten

Seite

 Zeigebewegungen üben; nach der Übungsphase Verbesserung der

linksseitigen Vernachlässigung

 Vermutlich bedingt durch Rekalibrierung der gestörten

Raumorientierung; Aktivierung von zerebellären und parietalen

Hirnregionen


Periphere Magnetstimulation

 Magnetische Stimulation der Hand aktiviert kontralateralen

somato-sensorischen Kortex

 Aktivierung der geschädigten Hemisphäre

 Reduziert taktile Extinktion und körperbezogenen Neglect


Alertnesstraining und

Daueraufmerksamkeitstraining:

 Haben auch positiven Einfluss auf Neglectsymptomatik

 Evtl. durch (Ausbreitung der) Aktivierung kortikaler Areale

(frontal, parietal)

20.11.2024

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Nipu D.

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