Umweltstoffe und ihr Ursprung
anthropogen:
Gewerbe-, Haushalts-, Industrieabfälle
Dünge- und Pflanzenschutzmittel
Schädlingsbekämpfungsmittel
Feueranlagen, Hütten, Kraftwerke, Industrie
geogen:
radioaktive Emanationen
vulkanische Aktivität
Bodenerosion
“Wetter”
biogen:
Gärungs- und Fäulnisprodukte (durch Algen, Bakterien, Pilze etc.)
Pflanzenbestandteile (Pollen etc.)
Anthropogene Umweltstoffe
Einzelnoxen (z.B. Benzol, Acrylamid, Uran)
Dioxine, PCB
Lösungsmittel
Weichmacher (z.B. Bisphenol A, Phthalate)
Metalle (z.B. Chrom VI, Blei, Quecksilber)
Gasförmige Verbindungen (z.B. VOC)
Schadstoffe/Zusatzstoffe/Inhaltsstoffe in Lebensmittel, Kosmetika, Bedarfsgegenständen
Tabakrauch
Physikalische Einwirkungen (z.B. ionisierende Strahlung, elektromagnetische Felder)
Chemische Kampfstoffe
Arzneistoffe (im weiteren Sinne)
Sinnesvermittelte Umweltfaktoren (z.B. Gerüche, Lärm)
Weltweite Produktion organischer synthetischer Chemikalien
lag vor 100 Jahren noch bei 0
exponentieller Anstieg seit 1930
seit dem nehmen Katastrophen und atopische Erkrankungen bei Kindern
Industrieunfälle und Umweltkatastrophen
Dioxin-Anschlag auf den ukrainischen Präsidenten Juschtschenko
Dioxine in Hühnereiern
Giftgaskatastrophe (42 Tonnen Methylisocyanat) in Bophal, Indien
Die Deepwater Horizon war eine Bohrplattform für die Erdölexploration im Golf von Mexiko: 16 Tonnen Schweröl verschmutzten die bretonisches Küste
Explodierter Atomreaktor in Tschernobyl, Ukraine (200x mehr Strahlung als bei Hiroshima)
Atopische Erkrankungen bei Kindern
Asthma
Heuschnupfen
Neurodermitis
Aufgabe der regulatorischen Toxikologie
Schutz von Mensch und Umwelt vor Schäden durch Umweltstoffe
Risikobewertung
Abschätzung und Bewertung von Gefahren und Risiken:
inhärente Stoffeigenschaften?
Stoffexposition?
quantitative Risikocharakterisierung
Risikomanagement
Regulierung toxischer Stoffe:
Herstellung, Verbreitung
Umgang und Verwendung
Eintrag in die Umwelt
Grenzwerte
Regulatorische Toxikologie - Intressengruppen
Industrie: Herstellung der Chemikalien, Profit, Vorgaben einhalten
Behörden: Durchführung des Prozess der Bewertung, toxikologische Grenzwerte ableiten und deren Einhaltung
Politik: Gesellschaftliches Bedürfnis, Schutzmaßnahmen, Risiko der Bevölkerung, auf was verzichtet werden kann
NGOs (non-governmental organization): Frühwarner, Anstoß für einen regulatorischen Prozess
Universitäten: Wissenschaftliche Basis
EU-Stoffrecht - Verordnungen
Chemikalienrecht
Pflanzenschutzmittelrecht
Biozidrecht
Kosmetikarecht
Lebensmittelhygienerecht
Arzneimittelrecht
Risikobewertung: Juristische Typisierung von Risiken - Art des Risikos
Gefahr
Risiko
Restrisiko, Typ 1
Restrisiko, Typ 2
Juristische Typisierung von Risiken: Gefahr
Sachstand: Konkrete Anhaltspunkte für Gefährdung
Rechtsfolgen: Zwingender Handlungsbedarf, Polizeirecht
Juristische Typisierung von Risiken: Risiko
Gefahr ist denkbar aber ungewiss
Schadenshöhe x Eintrittswahrscheinlichkeit
Sachstand: Unklare Datenlage, weitere Untersuchung notwendig
Rechtsfolgen: Versorgeprinzip, Verhältnismäßigkeitsprinzip, kein unmittelbarer Handlungsbedarf
Juristische Typisierung von Risiken: Restrisiko, Typ 1
bestimmbar
Sachstand: Risiko ist bekannt, quantifizierbar und gering
Rechtsfolgen: Limitierung des vertretbaren Risikos (z.B. durch Grenzwerte)
Juristische Typisierung von Risiken: Restrisiko, Typ 2
nicht bestimmbar
Sachstand: Risiko wird vermutet, aber ist derzeit nicht bestimmbar
Rechtsfolgen: De facto ohne Rechtsfolgen
Risiko chemischer Stoffe - Defintion OECD (2005)
Das Risiko ist die Wahrscheinlichkeit oder der Grad der Besorgnis, dass eine definierte Exposition gegenüber einem Stoff eine nachteilige Wirkung auf die betreffende Art oder die Umwelt haben wird.
= Die Wahrscheinlichkeit, mit der in einer schadstoffexponierten Population eine Gesundheitsbeeinträchtigung (adverser Effekt) auftritt
Adverser Effekt
Eine unerwünschte Wirkung ist definiert als jede behandlungsbedingte Reaktion
die zu einer Veränderung der Morphologie, Physiologie, Wachstum, Entwicklung oder Lebensspanne eines Organsimus führt (+ Reproduktion)
zu einer Beeinträchtigung der Fähigkeit zur Kompensation von zusätzlichen Stress zu kompensieren
oder zu einer Erhöhung der Anfälligkeit für andere Umwelteinflüsse (z.B. Absorption mit Schwermetall an den Pollen —> stärkere allergische Reaktion)
Stufen der Risikoabschätzung
Beschreibung toxischer Stoffeigenschaften
Dosis-Wirkungs-Beziehung
Expositionsabschätzung
Charakterisierung und Quantifizierung des Risikos
Identifizierung und Charakterisierung der schädlichen Wirkungen eines Stoffes oder Stoffgemisches
Inhärente Toxizität = Gefahrenpotenzial (harzard)
Qualitative Beschreibung der schädlichen Wirkungen, die von einem Stoff ausgehen
Ziel: Stoffe klassifizieren und kennzeichnen (EU-Richtlinie 67/548 bzw. 1272/2008)
Einstufung, Verpackung, Kennzeichnung
R-Sätze (Gesundheitsgefahren)
S-Sätze (Sicherheitsratschläge)
GHS (Globally Harmonized System) seit 2008
Methoden zur Wefassung toxischer Wirkungen
Humane Studien
In silico Tests (Computer)
Tierversuche
In vitro Tests
Intrinsische toxische Stoffeigenschaften
Letalität: Akute Toxizität, 1 Dosis, LD50, aktue Intoxikation
Organtoxizität: Chronische Toxizität, täglich 1 Dosis,
subaktut: Dosisfindung, Zielorgan
subchronisch, chronisch: Wirkweise, NOAEL
Letalität
Vergleichbarkeit der toxischen Potenz verschiedener Stoffe möglich
erhebliche Speziesunterschiede
nur ein Parameter, der keinen Rückschluss auf Wirkmechanismus gibt
wenig aussagekräftig (hohe Konzentration)
Organtoxizität
Reproduktionstoxizität
Genotoxizität
Kanzerogenität
Reizwirkung
Einstufung der Gesundheitsgefahren nach EU-Verordnung EU/1272/2008 - Gefahrenklassen
3.4 Sensibilisierung der Atemwege/Haut
3.5 Keimzellmutagenität (M)
3.6 Karzinogenität (K)
3.7 Reproduktionstoxizität (R)
3.8 Spezifische Zielorgan-Toxizität
Welche schädlichen Wirkungen treten bei welcher Dosis und Exposition auf?
Zur Bestimmung des Gefahrenpotenziales einer Substanz durch Vergleich der toxikologischen Potenz (Klassifizierung, Kennzeichnung etc.) akute Toxizität
Zur quantitativen Ermittlung des toxikologischen Risikos eines Stoffes zusammen mit Kenntnissen über die Exposition (“Die Dosis macht das Gift”)
reversibel
Reizung mit kompensatorischer Anpassung
subletale Störung
irreversibel
Apoptose
Nekrose
Welche Expositionspfade gibt es? Höhe und Dauer der Exposition beim Menschen?
Umweltmonitoring: Schadstoffe in der Umwelt —> äußere Exposition, äußere Belastung
Human-Biomonitoring:
Belastungsmonitoring: Schadstoffe im menschlichen Organismus —> innere Exposition, innere Belastung
Effektmonitoring: Abweichung biologischer Messgrößen von der Norm —> Beanspruchung
Äußere Exposition, äußere Belastung —> individuelle Faktoren —> innere Exposition, innere Belastung —> individuelle Faktoren —> Beanspruchung
Umweltmonitoring
Umweltmedien (Wasser, Boden, Luft): Landeslabor, Badewasseruntersuchungstellen
Lebensmittel: Trinkwasseruntersuchungsstellen
Bedarfsgegenständen und sonstige Materialien (z.B. Hausstaub, Waschmittel, Spielzeug, Klamotten, Möbel): LAsD
Human-Biomonitoring (HBM)
Untersuchungsmaterial:
Eigenschaften des untersuchten Stoffes sind zu beachten (z.B. Löslichkeit, Kinetik)
Blut, Urin, Muttermilch
Haar (Metalle, jedoch diagnostischer Wert sehr gering)
Bezieht ein:
alle Aufnahmequellen (inhalativ, oral, dermal)
Aufnahmemenge
Metabolismus
Ausscheidung
Human-Biomonitoring ist gesundheitsrelevanter als Umweltmonitoring!
Welcher Risiko/welche Schäden sind bei einer definierten Population bei einer bestimmten Exposition zu erwarten?
Luft, Wasser, Boden, Sonne —> Resorption, Distribution —> Belastung vom Menschen —> Anwesenheit eines (Schad-)Stoffes in einzelnen Organen —> gesundheitsschädlich?
Risikobewertung - Toxikologisches Kenngrößen
Stoffe mit Wirkungsschwelle -> ADI-Konzept (nicht-kanzerogene Stoffe)
Stoffe ohne Wirkungsschwelle -> Unit Risk-Konzept (kanzerogene Stoffe)
ADI-Konzept (WHO)
ADI = acceptable daily intake
= NOAEL/Sicherheitsfaktor
ADI v.a. für Nahrungsmittelzusatzstoffe und Lebensmittelkontaminanten
für Stoffe mit Wirkungsschwelle (Konzentrationsgift)
Ausgangspunkt ist NOAEL oder LOAEL
wird durch (Un-)Sicherheits- und Extrapolationsfaktoren dividiert
ergibt Schwellenwert für den Menschen, bei dem gesundheitliche Schädigungen nicht erwartet werden (= zulässige Höchstaufnahmemenge lebenslang)
Konvention! (nicht strikt toxikologisch begründet)
NOAEL
No Observed Adverse Effect Level
LOAEL
Low Observed Adverse Effect Level
ADI =
NOAEL / Sicherheitsfaktor (mg/kg Körpergewicht und Tag)
Extrapolationsunsicherheiten
Extrapolation von LOAEL und NOAEL
Extrapolation von einer Testspezies auf den Menschen (Toxikokinetik unterschiedlich)
Extrapolation der Expositionsroute und des Expositionsrhythmus
Interspeziesextrapolation
Korrelation des kalorischen Grundumsatzes mit Toxikokinetik und -dynamik
Intraspeziesextrapolation
Alter, Krankheit, Geschlecht
Spezifische Konstitution (z.B. Gewicht, Fettanteil) und Situation (z.B. Gravidität)
Genetische Polymorphismen (z.B. fremdstoffmetabolisierende Enzyme)
erhebliche Unsicherheit (v.a. zwischen verschiedenen Schutzzielgruppen Faktor 10 vermutlich nicht ausreichend)
Extrapolations- und (Un-)Sicherheitsfaktoren
Extrapolationsfaktoren
Sicherheitsfaktoren
physiologisch/empirisch begründet
Berücksichtigung qualitativer Aspekte
Zeitextrapolation
LOAEL/NOAEL-Extrapolation
Datenqualität
Qualität der Effekte
Verdachtsmomente
Berücksichtigung toxikologisch nicht untersuchter aber prinzipiell als relevant angesehener Wirkungen
Für die Risikoabschätzung sind valide Humandaten tierexperimentellen Daten immer vorzuziehen!
Schlafmittel Contergan (1956) - niedrigste wirksame Dosis bei verschiedenen Spezies
Dosis in mg/kg/Tag
Ratte: 4000
Hamster: 350
Hund: 100
Maus: 31
Affe: 10
Mensch: 1
Extrapolations- und Unsicherheitsfaktoren verschiedener Institutionen
Sehr unterschiedliche Faktoren aufgrund von Konventionen
Problematik der Extrapolation
Ergebnisse aus Kanzerogenitätsstudien an der Ratte für Dioxine als nicht-genotoxische Kanzerogene auf den Menschen
ADI-Werte für Dioxine im internationalen Vergleich
WHO-Interventionswert: 10 pg Toxizitätsäquivalent/kg/d
Kanada: 10
Niederlande: 4
Deutschland: 1
USA: 0,03
-> unterschiedliche Extrapolationsfaktoren wurden angewandt
Unit Risk-Konzept (EPA)
für Stoffe ohne Wirkungsschwelle (= Summationsgifte)
geschätztes zusätzliches lebenslanges Krebsrisiko für eine Person, die lebenslang (70 Jahre) einer Einheitskonzentration (“unit”) ausgesetzt ist (z.B. 1 Mikrogramm Schadstoff/Kubikmeter Luft)
akzeptables Risiko (US-EPA, WHO): 1:10.000 bis 1:1.000.000 (entspricht “praktisch sicherer Dosis” (engl. virtually safe dose (VSD)))
Probleme bei der Risikoabschätzunh für genotoxische Kanzerogene
theoretisch keine Schwellenwerte ableitbar
Kanzerogenitätsversuche an Nagern decken nur kleinen Dosisbereich ab (meist mehrere Größenordnungen über der menschlichen Exposition)
Extrapolation in den Niedrigdosis-Bereich bei ungwisser Dosis-Wirkungs-Beziehung beruht auf mathematisch-statistischen Modellen und nicht experimentellen Daten
MOS-Konzept
“margin of safety”
für Stoffe mit Wirkungsschwelle
NOAEL/Exposition = MOS
MOE-Konzept
“margin of exposure”
für Stoffe ohne Wirkungsschwelle
T-25 = Dosis, die bei 25 % der Tiere Tumore erzeugt
z.B. T-25/Exposition = MOE
Bewertung von MOS oder MOE
Berücksichtigt werden müssen:
Qualität der Daten und Konstanz der Studienergebnisse
Art der Effekte und Steilheit der Dosis-Wirkungs-Beziehung
Speziesunterschiede (Toxikokinetik und -dynamik)
Variabilität innerhalb der menschlichen Population
speziell gefährdete/empfindliche Personengruppen
-> Vergleich ADI-Konzept (Unsicherheiten bereits enthalten)
Transparenz
Die regulatorische Toxikologie befasst sich im Wesentlichen mit der Prognose gesundheitlicher Wirkungen von Umweltstoffen und der Entscheidungsfindung auf Basis eingeschränkter Daten
Unsicherheiten müssen zur Bezeichnung der Verlässlichkeit einer Risikoabschätzung transparent dargestellt werden -> bedeutende Information für das Risikomanagement
Ergebnis der Risikobewertung
a) Kein Anlass zur Besorgnis (NOAEL und Expositionshöhe liegen weit auseinander)
b) Daten reichen für Risikobewertung nicht aus und müssen komplettiert werden
c) Anlass zur Besorgnis -> Risikomanagement und Sicherheitsfaktoren-Konzept
Risikoabschätzung
Beurteilung der Daten:
Charakterisierung toxischer Effekte
Identifizierung möglicher Quellen
Ermittlung der Dosis-Wirkungs-Beziehung
Quantifizierung des Gesundheitsrisikos
Toxikologe, Arzt, Epidemiologe, Jurist, Soziloge, Politiker -> Nutzen-Risiko-Abwägung -> Grenzwerte
Schutzziele bei Grenzwertfestlegungen
Die Festlegung eines Grenzwertes hängt vom maßgebenden Schutzziel ab
Gesundheit
Wohlergehen
Technik
Wirtschaft
Umwelt
Ästhetik
Kultur
Risikobeurteilung
Schadenseintrittswahrscheinlichkeit w
w = 1
Schaden
Gefahrenabwehr
Grenzwert (Schwelle für intolerables Risiko)
Vorsorgebereich
Schwelle für tolerables Risiko
w = 0
Restrisiko
Was ist ein Grenzwert?
Grenzwerte sind in gesetzen und Verordnungen politisch festgelegte Höchstkonzentrationen für die betrachteten Stoffe
Grenzwerte entstehen durch wissenschaftliche Risiko-Abschätzung und soziale Kompromisse bezüglich Vertretbarkeit von Risiken, d.h. Grenzwerte schließen nicht jedes denkbare Risiko aus!
Vorteile der Grenzwerte
Rechtssicherheit
Überwachbarkeit
Nachteile der Grenzwerte
Kein Anreiz zu weitgehender Minderung von Belastung
Kombinationswirkungen
Die Gesamtwirkungen eines Schadstoffgemisches kann nur sehr unsicher aus der Wirkung einzelner Faktoren abgeleitet werden!
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