Baurechtliche Vorschriften und Zuständigkeiten - Übersicht
III. Funktionen der BauNVO
Planungserleichterung für den Planungsträger
Setzt der Planungsträger eines der Baugebiete im B-Plan fest, so werden die entsprechenden Vorschriften der §§ 2-11 und die allgemeinen Vorschriften der §§ 12-14 automatisch Bestandteil des B-Plans (§ 1 III 2). Darüber hinaus gilt § 15 BauNVO.
Planungsgrenze für den Planungsträger
Der Planungsträger ist hinsihctlich seiner Festsetzung im B-Plan an die Vorgaben der BauNVO gebunden. Das ist insbesonder für Festsetzungen betreffend die Art der baulichen Nutzung relevant.
Der Planungsträger kann im B-Plan grds. nur die in der BauNVO vorgesehenen Baugebiete festsetzen (kein Erfindungsrecht der Planungsbehörde - Ausnahme: § 12 BauGB vorhabenbezogener B-Plan).
Der Planungsträger ist bei der Ausgestaltung der Baugebiete hinsichtlich der zulässigen Nutzung an die Vorgaben der BauNVO gebunden. Er hat lediglich das Recht zu leichten Modifikationen (“Feinabstimmungen”) nach Maßgabe des § 1 IV-X. Er kann zB regeln, dass die in den §§ 2-9 BauNVO als Ausnahmen vorgesehenen Nutzungen nicht Bestandteil des B-Plans werden oder im Baugebiet allgemein zulässig sind. Verstöße führen zur Rechtswidrigkeit des B-Plans.
IV. Allgemeine Hinweise zur Anwendung der §§ 2-14 BauNVO
Systematik der BauNVO beachten:
Wird eine Nutzungsart von der BauNVO als besondere Nutzungsart angesehen, so kann sie nicht unter einen anderen Begriff subsumiert werden. Solche besonderen Nutzungsarten sind insbesondere Vergnügungsstätten, großflächige Einzelhandelsbetriebe und Gartenbaubetriebe.
Zulässig ist es idR eine im Abs. 2 genannte Nutzungsart unter einen weiteren Begriff in Abs. 3 zu subsumieren.
Berücksichtigung der Zweckbestimmung des Gebiets (generelle Gebietsunverträglichkeit)
Bei der Auslegung und Anwendung der von der BauNVO zur Bezeichnung der Nutzungsart verwandten Begriffe ist die allgemeine Zweckbestimmung des Baugebiets (Abs.1 der §§ 2 ff.) zu berücksichtigen. Regel- und Ausnahmenutzungen sind unzulässig, wenn sie den Charakter des Baugebiets, so wie er in der BauNVO geregelt ist, gefährden, weil sie bezogen auf diesen Gebietscharakter aufgrund ihrer typischen Nutzungsweise störend wirken und damit (generell) gebietsunverträglich sind.
V. Wohnnutzung iSd BauNVO
Der Begriff des Wohnens ist gekennzeichnet durch
eine auf Dauer angelegte Häuslichkeit,
die Eigengestlatung der Haushaltsführung und des häuslichen Wirkungskreises sowie
die Freiwilligkeit des Aufenthalts.
§ 3 IV BauNVO: Wohnen mit Betreuung und Pflege
Gem. § 3 IV BauNVO gehören zu Wohngebäuden auch solche, die ganz oder teilweise der Betreuung und Pflege ihrer Bewohner dienen. Damit wollte der Verordnungsgeber der BauNVO klarstellen, dass zum Wohnen auch das Wohnen mit Betreuung und Pflege gehört. Dies gilt auch dann, wenn der Betreuungs- und Pflegezweck gegenüber dem Wohnaspekt überwiegt, solange nur die für das Wohnen konstituierenden Merkmale - zumindest im Mindestmaß - noch erfüllt sind.
VI. § 13 BauNVO
Freiberufliche Tätigkeit - freiberufsähnliche Tätigkeit
Für den Begriff des freien Berufs kann auf die - allerding nicht abschließende - Zusammenstellung in § 18 I Nr. 1 S. 2 EStG und § 1 II PartGG zurückgegriffen werden. Darunter fallen insbes. Rechtsanwälte, Steuerberater, Ärzte etc.
Das maßgebliche Kriterium für die Vergleichbarkeit eines Gewerbes mit dem freien Beruf besteht darin, dass der Gewerbetreibende wie ein Freiberufler in unabhängiger Stellung individuelle Eigenleistungen für einen unbegrenzten Kreis von Interessenten erbringt. Das ist etwa anerkannt für Handelvertreter ohne Auslieferungslager, Versicherungsvertreter oder Masseure.
Nicht unter § 13 BauNVO fallen die Herstellung und der Vertrieb von Waren und damit jedenfalls nicht Handelsbetriebe, Handwerkbetriebe und Betriebe der Industrie.
Ggf.: Nur Teilnutzung des Gebäudes (“Räume”) zulässig - Doppelte 50%-Regelung
Mit der Beschränkung auf “Räume” wird nur eine Teilnutzung des Gebäudes für Zwecke des § 13 erlaubt. Das meint nicht, dass es sich nur um einzelne Räume innerhalb einer Wohnung handeln darf; zulässig ist auch die Nutzung kompletter Wohnungen. Das Gebäude darf aber nicht ganz oder überwiegend für Zwecke des § 13 genutzt werden, Grundsätzlich gilt eine doppelte 50%-Regelung. Danach dürfen nicht mehr als 50% der Wohnungen und nicht mehr als 50% der Wohnfläche des Hauses für Zwecke des § 13 genutzt werden.
VII. § 15 I BauNVO
Anwendungsbereich und Funktion von § 15 I BauNVO
§ 15 I dient allein zur Feinkorrektur von Regelungen betreffend die Art der baulichen Nutzung. Demgemäß kommt § 15 I nur dann zur Anwendung, wenn entweder ein B-Plan vorhanden ist, der Festsetzungen zur Art der baulichen Nutzung enthält (§ 30 I BauGB, uU § 30 III BauGB), oder wenn ein faktisches Baugebiet vorliegt (§ 34 II BauGB).
§ 15 I enthält das Gebot der Rücksichtnahme. Seine Anwendung setzt daher ferner die Feststellung voraus, dass die bauliche Anlage nach einer Bestimmung der §§ 2-14 BauNVO zulässig ist. § 15 I fungiert als “Feinfilter”, der die Unzulässigkeit der baulichen Anlage im Einzelfall begründen kann.
§ 15 I Satz 1 BauNVO
Satz 1 hat eine Doppelfunktion: Er regelt die Unzulässigkeit einer baulichen Anlage
wegen Gebietsunverträglichkeit im Einzelfall im Hinblick auf die das Baugebiet “an Ort und Stelle” konkret prägenden Verhältnisse.
Beachte: Insoweit ist KEINE (unzumutbare) Beeinträchtigung der Nachbarschaft erforderlich!
wegen unzumutbarer Beeinträchtigung der Nachbarschaft (= wegen Verstoßes gegen das Gebot der Rücksichtnahme)
Zur Bedeutung des “Umfangs baulicher Anlagen” iSv § 15 I 1
Der Umfang einer baulichen Anlage kann aus 2 Gründen zu deren Unzulässigkeit im Einzelfall führen:
Zum einen geht § 15 I 1 unter dem Gesichtspunkt der Gebietsunverträglichkeit davon aus, dass im Einzelfall Quantität (= ein “übermäßiger Umfang”) in Qualität umschlagen, also die Größe einer baulichen Anlage auch die Art der baulichen Nutzung erfassen kann. Das ist etwas der Fall, wenn die quantitativen Dimensionen des Vorhabens derart aus dem Rahmen fallen, dass eine in dem Baugebiet in seiner konkreten Ausgestaltung unzumutbare Qualität der Nutzung erreicht wird, etwas weil eine noch zumutbare Betriebsgröße überschritten wird oder das Vorhaben Ziel- und Quellverkehr in einer konkret nicht mehr baugebietsverträglichen Intensität auslöst.
Zum anderen kann der Umgang einer baulichen Anlage uU auch zu einer Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme führen. Das ist jedoch nur in Ausnahmefällen anzunehmen, etwas wenn die bauliche Anlage eine erdrückende Wirkung auf das Nachbargrundstück ausübt, weil sie zB das Nachbargrundstück regelrecht abriegelt und dort ein Gefühl des Eingemauertseins oder eine Gefängnishofsituation hervorruft.
§ 15 I Satz 2 BauNVO
§ 15 I 2 enthält - anders als Satz 1 - nur das Gebot der Rücksichtnahme. Danach sind die in den §§ 2-14 BauNVO aufgeführten baulichen und sonstigen Anlagen im Einzelfall unzulässig, wenn
von ihnen Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugebiets im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung unzumustbar sind (= Vorhaben stört)
oder wenn sie solchen Belästigungen oder Störungen ausgesetzt werden. (=Vorhaben wird gestört)
Planungsrechtliche Zulässigkeit eines Bauvorhabens
Normen entstammen dem BauGB
Baugenehmigung
Wesen der Baugenehmigung
I. Präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt
Das Recht zu Bauen gehört (von vornherein) zum Inhalt des Eigentums am Grundstück, Art. 14 I GG. Als präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt schränkt die Baugenehmigungspflicht die aus Art. 14 I GG folgende Baufreiheit nur formal ein. Die Baugenehmigungspflicht dient lediglich der präventiven Kontrolle, ob das Bauvorhaben gegen Vorschriften des materiellen Baurechts verstößt.
II. Verwaltungsakt iSd § 35 S. 1 VwVfG
VA mit ZWEI Teilen (Regelung)
a) Feststellender Teil der Baugenehmigung (feststellender VA)
Die Baugenehmigung stellt fest, dass dem Bauvorhaben die im Zeitpunkt der Erteilung geltenden und im Genehmigungsverfahren zu prüfenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften nicht entgegenstehen.
b) Verfügender Teil der Baugenehmigung (rechtsgestaltender VA)
Der verfügende Teil der Baugenehmigung besteht in der konstitutiven Aufhebung des Bauverbots (arg. ex § 72 II Nr. 1 BauO Bln) und beinhaltet die sog. Baufreigabe, also die Erlaubnis, dass mit der Bauausführung begonnen werden darf, sowie die Genehmigung zur entsprechenden Nutzung.
VA mit DOPPELWIRKUNG iSd § 80a VwGO
Die Baugenehmigung wirkt für den Bauherrn begünstigend, für den Nachbarn kann sie belastend wirken. Gegen eine erteilte Baugenehmigung kann der Nachbar prozessual (ggf. nach Durchführung eines Vorverfahrens) mit einer (Dritt-)Anfechtungsklage, § 42 I Var. 1 VwGO) vorgehen. Der vorläufige Rechtsschutz richtet sich nach § 80a VwGO.
Sachbezogener VA
Die Baugenehmigung ist keine “persönliche”, sondern eine grundstücksbezogene Erlaubnis. Als somit sachbezogener VA wirkt sie für und (hinsichtlich belastender Nebenbestimmungen) auch gegen den Rechtsnachfolger des Bauherrn, § 58 II BauO Bln.
Mitwirkungsbedürftiger VA
Die Baugenehmigung ist ein mitwirkungsbedürftiger VA, weil ihre Erteilung einen Antrag voraussetzt, § 69 BauO Bln. Eine ohne Antrag erteilte Baugenehmigung ist rechtswidrig; der Mangel kann aber durch nachträgliche Antragstellung geheilt werden, § 45 I Nr. 1 VwVfG.
III. Erlöschen/ Erledigung der Baugenehmigung
Wurde das Bauvorhaben nicht innerhalb der Geltungsdauer der Baugenehmigung (§ 73 BauO Bln) verwirklicht oder länger unterbrochen, erlischt die Baugenehmigung, wenn sie nicht verlängert wird. Wird das genehmigte Gebäude zerstört, erledigt sich die Baugenehmigung (vgl. § 43 II VwVfG) und büßt ihre Regelungswirkung ein. Dasselbe gilt, wenn der Genehmigungsinhaber auf sie verzichtet, was auch durch schlüssiges tatsächliches Tun wie die endgültige Nutzungsaufgabe geschehen kann.
Ausnahmen von der Genehmigungspflicht
Gemäß § 59 I BauO Bln bedürfen die Errichtung, Änderung und Nutzungsänderung von Anlagen einer Baugenehmigung, soweit in den §§ 60 bis 62, 76 und 77 BauO Bln nicht anderes bestimmt ist.
§ 60 BauO Bln: Vorrang anderer (speziellerer) Gestattungsverfahren
§ 61 BauO Bln: Verfahrensfreie Bauvorhaben
§ 62 BauO Bln: Von der Genehmigugnspflicht freigestellte Bauvorhaben
Gemäß § 62 BauO Bln werden insbesondere Vorhaben im Geltungsbereich eines (qualifizierten oder vorhabenbezogenen) Bebauungsplans, die eigentlich genehmigungspflichtig (§ 59 I BauO Bln) sind, kraft Gesetzes von der Genehmigungspflicht freigestellt. Eine Baugenehmigung wird weder benötigt noch erteilt.
Der Bauherr darf bereits einen Monat nach Vorlage der erforderlichen Unterlagen bei der Bauaufsichtsbehörde mit dem Bauvorhaben beginnen, wenn nicht die Behörde die Frist um einen weiteren Monat verlängert (§ 62 III 1, 2 BauO Bln) oder innerhalb dieser Frist erklärt, dass das vereinfachte Baugenehmigungsverfahren durchgeführt werden soll (§ 62 II Nr. 3 BauO Bln).
Genehmigungsverfahren und Prüfungsumfang
Für die Erteilung einer Baugenehmigung kommen nach der BauO Bln grundsätzlich zwei Verfahren in Betracht. Diese unterscheiden sich durch das von der Behörde anzuwendende Prüfungsprogramm, also die Frage, wie umfangreich die Behörde die Vereinbarkeit des Bauvorhabens mit öffentlich-rechtlichen Vorschriften prüft.
I. Regelfall: Vereinfachtes Baugenehmigungsverfahren, §§ 63, 63a BauO Bln
Das “vereinfachte” Baugenehmigungsverfahren (§§ 63, 63a BauO Bln) ist heute das Regelverfahren. In ihm erfolgt aus Gründen der Verfahrensbeschleunigung nur eine nach Maßgabe der §§ 63, 63a BauO Bln eingeschränkte Prüfung der Zulässigkeit des Bauvorhabens. Die Prüfung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens ist auf die Prüfung der §§ 29-38 BauGB, die Prüfung der bauordnungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens ist auf die Prüfung einiger angeführter Vorschriften beschränkt.
II. Sonderfall: Genehmigungsverfahren, § 64 BauO Bln, für die in § 2 IV BauO Bln aufgezählten Sonderbauten
Im Baugenehmigungsverfahren erfolgt gem. § 64 BauO Bln eine umfassende Überprüfung der Vereinbarkeit des Vorhabens mit dem Bauplanungsrecht, dem Bauordnungsrecht und mit anderen öffentlich-rechtlichen Vorschriften, soweit wegen der Baugenehmigung eine Entscheidung nach anderen öffentlich-rechtlichen Vorschriften entfällt oder ersetzt wird. Dieses Verfahren findet heute nur noch bei den in § 2 IV BauO Bln aufgezählten Sonderbauten statt.
Legalisierungswirkung der Baugenehmigung
I. Feststellender Teil der Baugenehmigung und Legalisierungwirkung
Die in einer (bestandskräftigen und nicht anderweitig erledigten) Baugenehmigung getroffenen Feststellungen zur Vereinbarkeit des Bauvorhabens mit öffentlich-rechtlichen Vorschriften bewirken eine Legalisierung des Bauvorhabens, die das Bauvorhaben sowohl gegen behördliche Bauordnungsmaßnahmen als auch gegen Angriffe des Nachbarn schützt (Schutzfunktion der Baugenehmigung). Da sich der Schutz (ohne Rückgriff auf Art. 14 I GG) unmittelbar aus der Baugenehmigung selbst ergibt, handelt es sich um eine (formelle) Legalisierung.
Die Legalisierungswirkung ist nicht davon abhängig, dass das Vorhaben bereits verwirklich ist. Ist die Baugenehmigung einmal wirksam erteilt und noch gültig, so darf der Bauherr sein Vorhaben selbst dann noch verwirklichen, wenn es jetzt infolge einer Rechtsänderung (zB Änderung des Bebauungsplans) nicht mehr genehmigungsfähigk wäre. Einem genehmigungskonform verwirklichten Vorhaben kann auch später nicht entgegengehalten werden, dass es schon bei seiner Verwirklichung gegen materielles Baurecht verstoßen habe. In gleicher Weise wird das Vorhaben durch die Baugenehmigung auch vor späteren Rechtsänderungen geschützt.
Die Legalisierungswirkung der Baugenehmigung erfasst idR auch die übliche Nutzung der baulichen Anlage. Das ist etwa dann von Bedeutung, wenn ein Nachbar unter Immissionsgesichtspunkten versucht, eine Einschränkung oder gar Einstellung der üblichen Nutzung der baulichen Anlage durchzusetzen.
II. Reichweite der Legalisierungswirkung
Die Legalisierungswirkung der Baugenehmigung kann immer nur so weit reichen, wie die Baugenehmigung Feststellungen zur Vereinbarkeit des Vorhabens mit öffentlich-rechtlichen Vorschriften trifft. Der Umfang der in der Baugenehmigung getroffenen Feststellungen ergibt sich aus dem behördlichen Prüfungsprogramm, das in den Vorschriften über das Baugenehmigugnsverfahren festgelegt ist, das der Erteilung der Baugenehmigung jeweil zugrunde liegt. Zur Vereinbarkeit des Bauvorhabens mit Vorschriften, die außerhalb des behördlichen Prüfungsprogramms liegen, enthält die Baugenehmigung keine Feststellungen. Folgerichtig kann die Baugenehmigung insoweit auch ihre (formelle) Legalisierungswirkung nicht entfalten.
III. Folgen für genehmigungsfreie und vereinfacht genehmigte Bauvorhaben
Für Vorhaben, die genehmigungsfrei sind oder in einem Genehmigungsverfahren mit eingeschränkter bauaufsichtsrechtlicher Prüfung genehmigt wurden, hat dies weitreichende Konsequenzen: Gemäß § 59 II BauO Bln bleibt in beiden Fällen der Bauherr uneingeschränkt zur Einhaltung aller der für sein Bauvorhaben geltenden Vorschriften des materiellen (Bau-)Rechts verpflichtet und die Behörde zur Ausübung ihrer bauaufsichtsrechtlichen Eingriffsbefugnisse berechtigt, um diese Pflichten durchzusetzen. Der mit der Genehmigungsfreiheit bzw. Prüfungsbeschränkung bezweckten Verfahrenbeschleunigung steht also ein nicht unerheblicher Verlust an Rechtssicherheit gegeüber. Die ganz oder teilweise fehlende behördliche Prüfung hat zur Folge, dass der Bauherr sein Bauvorhaben im Ergebnis auf eigenes Risiko realisiert.
Das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme (GdR) als objektiv-rechtliches Gebot
I. Geltung des GdR (wichtiger Klausurhinweis)
Das als solches an keiner Stelle im öffentlichen Baurecht ausdrücklich normierte GdR ist kein allgemeines übergesetzliches Rechtsprinzip. Es gilt vielmehr nur dann, wenn es in Tatbestandsmerkmalen bauplanungsrechtlicher Normer enthalten ist, die von dem geplanten Bauvorhaben einzuhalten sind. Hierfür kommen nur die folgenden Tatbestandsmerkmale in Betracht:
II. Folge: Abwägung der widerstreitenden Interessen
Auszugehen ist von Wertungen der §§ 30-35 BauGB
Ein danach grds. zulässiges Vorhaben kann nur in einem bes. Einzelfall unzulässig sein. Die Schutzwürdigkeit der Interessen des Bauherrn vermindert sich, wenn das Vorhaben nur ausnahmsweise zulässig ist (§ 31 I BauGB), und tritt noch weiter zurück, wenn es um eine Befreiung (§ 31 II BauGB) geht.
Festzustellen ist die Intensität der Beeinträchtigung und deren Zumutbarkeit
Immissionen: Hier orientiert sich die Zumutbarkeit am BlmSchG iVm TA-Luft und TA-Lärm
Planungsrechtliche/ tatsächliche Vorbelastungen der Nachbargrundstücke. Sie sind ggf. bei der Beurteilung der Zumutbarkeit zu berücksichtigen.
Keine Rücksicht genommen werden muss auf objektiv rechtswidrige Vorhaben/ Nutzungen. Umgekehrt genießt eine durch Baugenehmigung legalisierte Anlage grds. Bestandsschutz (außer im Anwendungsbereich des § 22 BlmSchG)
Der Bestandsschutz einer unter § 22 BlmSchG fallenden Anlage kann sich nur in den Grenzen entfalten, die das Immissionsschutzrecht zulässt. Dieses Recht ist dynamisch ausgelegt. Die Grundpflichten gem. § 22 I 1 BlmSchG sind nicht nur im zeitpunkt der Errichtung, sondern in der gesamten Betreibsphase zu erfüllen.
Zu prüfen ist auch, ob sich negative Auswirkungen bzw. Konflikte durch Auflagen vermeiden oder durch zumutbare Ausweichmaßnahmen eines Beteiligten lösen lassen.
Baurechtlicher Nachbarschutz
Abwehrberechtigte (“Nachbar”)
Das öffentliche Baurecht regelt die Nutzung von Grundstücken, ist also grundstücks- und nicht personenbezogen. Abwehrberechtigt sind daher grds. nur dinglich Berechtigte (Eigentümer/ Nießbräucher/ Erbbauberechtigter).
Abwehrrechte aus einfachem Recht (2 Fälle)
I. Genereller (absoluter) Nachbarschutz (ohne Beeinträchtigung/ Interessenabwägung)
Das Abwehrrecht entsteht allein durch den Normverstoß. Weder ist eine Beeinträchtigung des Nachbarn noch eine Interessenabwägung erforderlich.
aus Vorschriften des FORMELLEN Baurechts?
Aus dem Fehlen der erforderlichen Baugenehmigung kann der Nachbar keine Rechte herleiten, weil die Vorschriften über das Baugenehmigungsverfahren allein der geordneten städtbaulichen Entwicklung dienen.
Ob der Nachbar aus einer unterbliebenen Beteiligung des Nachbarn (§ 70 BauO Bln) Rechte herleiten kann, ist streitig; bejaht man dies, so ist die Relevanz des Verstoßes am Maßstab von § 46 VwVfG (Land) zu prüfen.
aus Vorschriften des MATERIELLEN Baurechts?
a) das Planungsrecht? (grds. nur in zwei Fällen)
grds. nicht nachbarschützend. Etwas anderes gilt grds. nur in zwei Fällen:
Vorschriften über die ART der baulichen Nutzung (§ 30 I, III BauGB iVm B-Plan; § 34 II BauGB)
Jeder Nachbar, dessen Grundstück im selben Baugebiet liegt, hat einen Anspruch auf die Erhaltung der Gebietsart (sog. Gebietsgewährleistungsanspruch - GGA)
Grund: Durch die Vorschriften bzgl. der Art der baulichen Nutzung werden die Betroffenen hinsichtlich der Nutzung ihrer Grundstücke zu einer rechtlichen Schicksalsgemeinschaft verbunden. Die Beschränkung der Nutzungsmöglichkeit des eigenen Grundstücks wird dadurch ausgeglichen, dass auch die anderen Grundeigentümer diesen Beschränkungen unterworfen sind. Nachbarn mit Grundstücken aus anderen Baugebieten sind hingegen nicht geschützt, weil sie nicht Teil der Schicksalgemeinschaft sind.
Reicheweise des Schutzes: Der GGA schützt gegen Vorhaben, die
schon nach dem Wortlaut der §§ 2-14 BauNVO unzulässig sind;
unter Berücksichtigung der allgemeinen Zweckbestimmung des Baugebiets (Abs. 1 der §§ 2 ff. BauO Bln) dort generell gebietsunverträglich sind;
nach § 15 I 1 BauNVO unzulässig sind, weil sie im Einzelfall nach Lage, Umfang, Anzahl oder Zweckbestimmung den Charakter widersprechen, der das konkrete Baugebiet prägt, also konkret gebietsunverträglich sind.
AUSDRÜCKLICH nachbarschützende Festsetzung des B-Plans (selten)
Dem Planungsträger ist es nicht verwehrt, durch einzelne Festsetzungen bestimmte Personen zu schützen. Eine derartige Absicht muss sich aber mit hinreichender Deutlichkeit aus der Planungsbegründung ergeben. UU können Festsetzungen iSd § 9 I Nr. 23 und 24 BauGB zum Schutz vor schädlichen Unwelteinwirkungen drittschützend sein.
b) des Ordnungsrechts (wenige)
Die Vorschriften des BauOrdR können nachbarschützenden Charakter haben, soweit sie Individualinteressen wie Leben, Körper und Gesundheit schtzen sollen. IÜ enthält das BauOrdR lediglich objektives Recht, das keinen Nachbarschutz vermittelt.
II. Patieller (relativer) Nachbarschutz (nur bei unzumutbarer Beeinträchtigung) - GdR
Das Abwehrrecht entsteht nur bei unzumutbarer Beeinträchtigung des Nachbarn, die aufgrund einer Interessenabwägung festzustellen ist. Prüfungsgang:
Gilt das Gebot der Rücksichtnahme?
Kläger rücksichtnahmeberechtigt? (+), wenn er individualisiert und qualifiziert betroffen ist.
Anspruch auf Rücksichtnahme hat nicht jeder dinglich Berechtigte, sondern nur derjenige, der von dem Bauvorhaben zusätzlich individualisiert und qualifiziert betroffen ist.
Der Kläger ist individualisiert betroffen, wenn sich aufgrund der tatsächlichen Umstände “handgreiflich” ergibt, dass er zu dem - engen - Kreis der Betroffenen zählt. Das ist bei unmittelbaren Nachbarn grds. der Fall.
Der Kläger ist qualifiziert betroffen, wenn eine besondere rechtliche Schutzwürdigkeit anzuerkennen ist. Bloße Lästigkeiten reichen nicht aus; erforderlich ist eine “qualifizierte Störung”, ein “Missgriff”. Andererseits ist nicht erforderlich, dass der Kläger schwer und unerträglich betroffen ist.
Beachte: Anders als beim GGA (oben) ist es beim GdR nicht erforderlich, dass der Kläger ein Grundstück im gleichen Baugebiet wie der Bauherr hat. Das GdR wirkt baugebietsübergreifend (vg. § 15 I 2 BauNVO: “im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung”).
Interessenabwägung
III. Sonderfall: Befreiung, § 31 II BauGB
Befreiung wurde erteilt
Reichweite des Nachbarschutzes hängt von der Rechtsnatur der Vorschrift ab,von deren Einhaltung befreit wurde:
Die Befreiung von einer nachbarschützenden Vorschrift muss der Nachbar nur hinnehmen, wenn die Befreiung vollständig rechtmäßig ist. Er kann also jeden Verstoß gegen § 31 II BauGB geltend machen.
Die Befreiung von einer nicht nachbarschützenden Vorschrift kann der Nachbar hingegen nur dann mit Erfolg abwehren, wenn sie gegen das GdR verstößt.
Keine Befreiung trotz Abweichung von Vorschriften
Es ist zu differenzieren:
Verstößt das Vorhaben gegen eine nachbarschützende Vorschrift folgt das Abwehrrecht des Nachbarn unproblematisch aus der Verletzung der nachbarschützenden Vorschrift.
Verstößt das Vorhaben aber gegen eine nicht nachbarschützende Vorschrift so wäre der Nachbar an sich schutzlos gestellt.
Da der Nachbar durch das rechtswidrige Handeln der Behörde nicht schlechter stehen darf, als wenn die Behörde die erforderliche Befreiung tatsächlich erteilt hätte, wird in diesem Fall § 31 II BauGB analog angewandt (sog. heimlicher/ versteckter/ verdeckter Dispens).
Grds. kein Abwehrrecht aus Grundrechten
Art. 2 I GG (-), da Nachbar nicht Regelungsadressat der Baugenehmigung ist. Nachbar wird auch nicht dadurch zum Regelungsadressaten der Baugenehmigung (mit der Folge einer Anwendbarkeit des Art. 2 I GG), wenn die Behörde ihm die Baugenehmigung amtlich bekannt gibt.
Art. 14 I 1 GG (-). Soweit es um die Erteilung oder Abwehr einer Baugenehmigung geht, ist eine Berufung auf Art. 14 I 1 GG unter Bezugnahme auf die zum Grundeigentum zählende Baufreiheit ausgeschlossen. Die Normen des einfachen Baurechts stellen eine grds. zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung iSv Art. 14 I 2 GG dar und schließen damit zugleich einen Rückgriff auf Art. 14 I 1 GG aus.
Aber: Gegenüber einer Bauordnungsverfügung ist eine Berufung auf Art. 14 I 1 GG grds. möglich, weil es in diesem Zusammenhang nicht um die vom Gesetzgeber auszugestaltende Baufreiheit, sondern um die Frage des Bestandsschutzes geht.
Art. 2 II 1 GG (Leben und Gesundheit). Eine Berufung auf Art. 2 II 1 GG ist bei Vorliegen einer entsprechenden Sachlage nicht von vornherein ausgeschlossen.
Die Anträge nach § 80a VwGO am Beispiel des Baurechts
Anmerkungen:
Darstellungsproblem: Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs
Bei § 80 V 1 VwGO wird die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs normalerweise unter Rückgriff auf die Hauptsache geprüft. In 2 Fällen des § 80a VwGO ist dies problematisch, weil der Widerspruchsführer oder Kläger der Hauptsache nicht notwendig auch der Antragsteller im Verfahren nach § 80a VwGO ist.
bei § 80a I Nr. 1 VwGO ist Widerspruchsführer bzw. Kläger der Dritte, Antragsteller aber der Begünstigte.
bei § 80a II VwGO ist Widerspruchsführer bzw. Kläger der Adressat, Antragsteller aber der Dritte.
In idesen Fällen besteht zum einen die Möglichkeit, auf die begehrte oder angegriffene Entscheidung der Behörde nach § 80a I, II VwGO abzustellen. Alternativ reicht ein Verweis darauf, dass es um die Vollziehung eines VA geht.
Vorheriger Antrag an die Behörde? - § 80a III 2 iVm § 80 VI VwGO
Str. ist die Frage, ob sich der Antragsteller im zunächst an die Behörde wenden muss, oder ob er seinen Antrag (wie im “normalen” Verfahren nach § 80 V VwGO) auch sogleich beim Verwaltungsgericht stellen kann. Nach § 80a III 2 VwGO gilt ua auch die Regelung des § 80 VI VwGO entsprechend. Die Bedeutung des Verweises ist unklar.
Meinung 1: Der Verweis ist ein Rechtsgrundverweis, dh ein vorheriger Antrag an die Behörde ist nur dann erforderlich, wenn es sich um einen VA iSv § 80 II 1 Nr. 1 VwGO handelt. Da ein adressat-begünstigender Abgaben- oder Kostenbescheid mit begünstigender Doppelwirkung kaum denkbar ist, geht der Verweis ins Leere. Ein vorheriger Aussetzungsantrag ist nach dieser Ansicht grds. nicht erforderlich.
Dafür spricht, dass ausweislich der Entstehungsgeschichte eine Ausdehnung der Regelung des § 80 VI VwGO über den Bereich der Abgabenangelegenheiten hinaus ausdrücklich nicht gewollt war. Zudem verweist § 80 III 2 VwGO einheitlich auf § 80 V-VIII VwGO. Hinsichtlich der Absätze 5, 7 und 8 handelt es sich eindeutig um Rechtsgrundverweisungen, so dass auch die Regelungssystematik für eine Rechtsgrundverweisung spricht. IÜ ist das gerichtliche Verfahren nach § 80a III VwGO kein Rechtsmittelverfahren gegen behördliche Entscheidungen; Es ist allgemein anerkannt, dass das Gericht im Verfahren nach § 80a VwGO ebenso wie im Verfahren nach § 80 V VwGO eine eigene Interessenabwägung vornimmt.
Meinung 2: Der Verweis ist ein Rechtsfolgenverweis, da der Verweis andernfalls eben keinen Sinn mache. Danach ist ein vorheriger Aussetzungsantrag an die Behörde grundsätzlich immer erforderlich.
Eine Entscheidung des Streits ist in folgenden Fällen entbehrlich:
Der Bauherr hat mit der Verwirklichung des Bauvorhabens begonnen oder die Bauarbeiten stehen unmittelbar bevor. Denn dieser Fall ist bei analoger Anwendung des § 80 VI 2 Nr. 2 VwGO dem Fall “Vollstreckung des VA” gleichzusetzen und berechtigt zum sofortigen Antrag an das VG.
Ein (weiterer) vorheriger Antrag an die Behörde ist auch dann entbehrlich, wenn die Behörde auf Antrag des Gegners bereits einmal eine Entscheidung zur Vollziehbarkeit des VA getroffen hat.
Formelle Anforderungen an eine behördliche Aussetzungsentscheidung
Kommt die Behörde dem Antrag des Dritten nach § 80a I Nr. 2 VwGO auf Aussetzung der Vollziehung nach, so kann der Adressat der Baugenehmigung beim VG einen Antrag auf AOsV seiner Baugenehmigung stellen, § 80a III 1, § 80a I Nr. 1, § 80 V 1 VwGO.
In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob die Behörde ihre Aussetzungsentscheidung - spiegelbildlich - analog § 80 III 1 VwGO begründen muss. Dafür spricht das Gebot der Waffengleichheit.
Genügt die Begründung der Aussetzungsentscheidung nicht den Anforderungen des § 80 III 1 VwGO analog, stellt sich die Frage, wie das Gericht tenorieren soll. Die Frage entspricht dem Problem, das auch im Rahmen des Verfahrens nach § 80 V VwGO erörtert wird, wenn die Behörde ihre Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht ordnungsgemäß begründet hat. Für eine bloße Aufhebung der fehlerhaften Aussetzungsentscheidung spricht, dass bereits durch die Tenorierung zum Ausdruck kommt, dass dem Antrag nur wegen eines formellen Mangels und nicht deswegen stattgegeben wird, weil das Gericht bei der Abwägung der gegenläufigen Interessen zu einem anderen Ergebnis gekommen ist als die Behörde.
Last changeda month ago