Buffl

Völkerrecht

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by Hosna E.

2. Was sind die Völkerrechtssubjekte des Völkerrechts?

Völkerrechtssubjekte des Völkerrechts sind jene, die Rechte und Pflichten nach dem Völkerrecht haben und am internationalen Rechtsverkehr teilnehmen können.

  1. Staaten:

    • Primären Völkerrechtssubjekte; gelten als „geborene Völkerrechtssubjekte“; besitzen Souveränität und können int. Verträge abschließen

    • Besitzen als einziges Völkerrechtssubjekt volle int. Rechtsfähigkeit (alle anderen Völkerrechtssubjekte, insb. Int. Organisationen, besitzen nur teilweise int. Rechtsfähigkeit)

    • Vrrs.: Territorium, Bevölkerung, effektive Regierung (Drei-Elemente-Lehre)

  2. Internationale Organisationen:

    • Z.B. UN oder EU: Sekundäre Völkerrechtssubjekte mit eingeschränkten Rechten und Pflichten, die sich aus ihren Gründungsverträgen ableiten

  3. Individuen:

    • Können im Bereich des int. StR (z. B. Kriegsverbrechen, Völkermord) und der Menschenrechte Rechte und Pflichten haben (Bsp.: Anklagen gegen Kriegsverbrecher wie Charles Taylor vor dem Sondergerichtsh. f. Sierra Leone)

  4. Sonstige Akteure:

    • Völker, die ihr Selbstbestimmungsrecht geltend machen, z. B. Kurden oder Palästinenser (PLO)

    • Aufständische Gruppen, die im humanitären Völkerrecht Beachtung finden, Rebellen oder Freiheitsbewegungen (ANC, SWAPO)

    • Atypische/ historisch gewachsene Völkerrechtssubjekte wie der Heilige Stuhl, das internationale Komitee vom roten Kreuz und der Malteser Ritterorden

  5. Keine Völkerrechtssubjektivität besitzen NGOs. Sie können jedoch eine bedeutende Rolle im internationalen Rechtssystem spielen.

Vorlesung 4 "Subjects of Public International Law" & V7

6. Was ist die Drei-Elemente-Lehre?

Die Drei-Elemente-Lehre (Jellinek) beschreibt die Voraussetzungen für die Staatlichkeit im Völkerrecht. Ein Gebilde muss drei Kriterien erfüllen, um als Staat anerkannt zu werden. Sie ist ein zentraler Ansatz zur Definition von Staatlichkeit im Völkerrecht, wobei die politische Anerkennung oft entscheidend für die praktische Wirksamkeit ist.

  1. Elemente:

    • Staatsgebiet: Ein abgrenzbares Gebiet, das Grundlage der staatl. Herrschaft ist. Es kann auch umstritten sein, solange effektive Kontrolle besteht.

    • Staatsvolk: Ständige Bevölkerung, unabhängig ihrer Größe oder Homogenität

    • Staatsgewalt: Eine effektive Regierung, die Autorität über das Territorium und die Bevölkerung ausübt. Umfasst die, Gebiets-, Personal- und ggf. Flaggenhoheit. Die Staatsgewalt liegt vor, wenn sie grundsätzlich effektiv, dauerhaft und unabhängig/ souverän ist.

(Souverän ist ein Staat, wenn die Staatsgewalt rechtlich keiner anderen Macht untergeordnet ist, die sich im Innen- und Außenverhältnis frei (abgesehen von den Bindungen des Völkerrechts) entfalten kann.)

  1. Rechtsgrundlage:

    • Montevideo-Konvention über die Rechte und Pflichten der Staaten (1933)

    • Allgemeines Völkerrecht

  2. Bedeutung:

    • Lehre stellt sicher, dass Staaten über eine Mindeststruktur verfügen, um als eigenständige Akteure im int. Recht zu agieren

    • Sie ist auch relevant für die Anerkennung neuer Staaten

  3. Grenzfälle:

    • Somaliland: Erfüllt die Kriterien der Lehre, wird jedoch int. kaum anerkannt

    • Palästina: Anerkannt von vielen Staaten, aber mit eingeschränkter Kontrolle über sein Territorium


Vorlesung 4 "Subjects of Public International Law"

13. Was ist das Recht auf Selbstverteidigung und was bedeutet kollektives Selbstverteidigungsrecht?

—> Ausnahme vom Gewaltverbot des Art. 2 (4) UNCh und in Art. 51 UNCh geregelt. Es erlaubt Staaten, sich gegen bewaffnete Angriffe zu verteidigen bis der Sicherheitsrat Maßnahmen nach Kap. VII der Charta ergreift. Das kollektive Selbstverteidigungsrecht erweitert diese Befugnis auf den Beistand anderer Staaten.

  1. Individuelles Selbstverteidigungsrecht:

    Jeder Staat hat das Recht, sich gegen einen bewaffneten Angriff zu verteidigen, bis der UN-Sicherheitsrat Maßnahmen zur Wiederherstellung des Friedens ergreift.

    —> Voraussetzungen:

    a. Bewaffneter Angriff: Es muss ein tatsächlicher bewaffneter Angriff vorliegen.

    aa. rechtswidrig: Nach den Maßstäben des Völkerrechts rechtswidrig

    bb. unmittelbar: Angriff hat bereits begonnen und setzt sich noch fort

    b. Notwendigkeit: Keine mildere, aber ebenso wirksame Verteidigungsmaßnahme

    c. Verhältnismäßigkeit: Gegenmaßnahme darf nicht in einem Missverhältnis zur Schwere des ursprünglichen Angriffs stehen.


  2. Kollektives Selbstverteidigungsrecht:

    Ein Staat kann Hilfe von anderen Staaten anfordern, um sich gegen einen bewaffneten Angriff zu verteidigen.

    —> Voraussetzungen:

    a. Anforderung: Der angegriffene Staat muss explizit um Beistand bitten

    b. Gleiche Regeln wie beim individuellen Recht auf SV:

    Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit gelten auch hier.


—> Beispiel: NATO-Bündnisfall wurde nach 9/11 erstmals als kollektive Selbstverteidigung im Rahmen eines Vertragsbündnisses ausgerufen. -> OSCE/ OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa)

14. Was sind die Voraussetzungen für die Gültigkeit eines internationalen Vertrags?

Ein int. Vertrag ist nur gültig, wenn er bestimmte formelle und materielle Voraussetzungen erfüllt, die insbesondere in der Wiener Vertragsrechtskonvention (WVK) geregelt sind.

  1. Formelle Voraussetzungen:

    • Freiwillige Einwilligung aller Vertragsparteien (Art. 11 WVK)

    • Kompetenz: Unterzeichner müssen die Befugnis haben, den Staat zu vertreten (Art. 7 WVK)

    • Schriftform (Art. 2 WVK)

  2. Materielle Voraussetzungen:

    • Rechtskonformität: Vertrag darf nicht gegen ius cogens-Normen verstoßen (Siehe Art. 53 WVK – zur Nichtigkeit; & Art. 64 WVK – zur Beendigung des Vertrags)

    • Gegenstand: Vertrag muss sich auf völkerrechtl. zulässige Themen beziehen

  3. Schritte:

    • I. Vertragsverhandlungen: Staaten handeln die Vertragsinhalte aus und einigen sich auf den finalen Text

      II. Unterzeichnung: Der Vertrag wird von bevollmächtigten Vertretern der Staaten unterzeichnet, was die Absicht zur späteren Bindung signalisiert

      III. Ratifikation: Formeller Akt, durch den ein Staat seine völkerrechtliche Zustimmung gibt, an den Vertrag gebunden zu sein

      1. Der Vertrag wird in das nationale Recht eingebracht und vom zuständigen Organ (oft das Parlament) genehmigt

      2. Nach der innerstaatlichen Zustimmung hinterlegt der Staat die Ratifikationsurkunde beim Depositar des Vertrags (z. B. bei der UN)

      3. Mit Hinterlegung wird Vertrag für den Staat völkerrechtlich verbindlich

      IV. Inkrafttreten: Ein Vertrag tritt gemäß seinen Bestimmungen in Kraft, entweder nach der Ratifikation durch eine festgelegte Mindestanzahl von Staaten oder zu einem festgelegten Datum.


  4. Nichtigkeit: Verträge sind nichtig, wenn sie durch Zwang oder Betrug zustande kommen (Art. 52 WVK)

  5. Bedeutung für Dritte, Art. 34 WVK: Pacta tertiis nec nocent nec prosunt/ „Verträge schaden weder Dritten noch nützen sie ihnen.“

  6. Beispiele:

    • Pariser Klimaabkommen (2015): Nach der Ratifikation durch eine bestimmte Anzahl von Staaten trat es 2016 in Kraft.

    • Nichtiger Vertrag: Der Molotow-Ribbentrop-Pakt (1939) verstieß gegen ius cogens.


Vorlesung 3 "Sources of Public International Law" und WVK

15. Wer kann Diplomat sein? Was sind die Voraussetzungen für die Anerkennung eines Diplomaten?

Diplomat: Offizieller Vertreter eines Staates, der im Ausland oder in internationalen Organisationen tätig ist, um die Interessen seines Heimatlandes zu vertreten und die zwischenstaatliche Kommunikation zu fördern. Die Rechtsstellung von Diplomaten wird vor allem durch das Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen von 1961 geregelt.

Kategorien von Diplomaten:

  1. Berufsdiplomaten:

    • Botschafter (Ambassador): Der höchste Vertreter eines Staates in einem anderen Staat. Botschafter sind oft Leiter von Botschaften.

    • Gesandte und Geschäftsträger: Diplomaten mit niedrigerem Rang als Botschafter.

    • Konsuln: Vertreten die Interessen eines Staates in wirtschaftlichen und konsularischen Angelegenheiten, insbesondere für die Betreuung von Staatsbürgern.

  2. Ad-hoc-Diplomaten:

    • Sonderbeauftragte, die für bestimmte Missionen ernannt werden, wie bei Verhandlungen oder Konferenzen.

  3. Vertreter bei internationalen Organisationen:

    • Diplomaten, die ihren Staat bei Organisationen wie den Vereinten Nationen oder der EU vertreten.

  4. Ehrenkonsuln:

    • Privatpersonen, die ohne Berufsstatus bestimmte konsularische Aufgaben übernehmen. Sie genießen jedoch nicht denselben diplomatischen Schutz wie Berufsdiplomaten.

Voraussetzungen für die Anerkennung als Diplomat:

  • Akkreditierung: Diplomaten müssen vom Gastland offiziell anerkannt werden, was in der Regel durch ein Akkreditierungsschreiben oder eine Bestätigung erfolgt.

  • Diplomatische Immunität: Diplomaten genießen Schutz vor straf- und zivilrechtlicher Verfolgung im Gastland, gemäß dem Wiener Übereinkommen.

19. Was regeln die Genfer Konventionen und ihre Zusatzprotokolle?

Die Genfer Konventionen (verabschiedet am 12.08.1949) und ihre Zusatzprotokolle (1977) sind die Kerninstrumente des humanitären Völkerrechts, das darauf abzielt, die Leiden in Kriegszeiten zu minimieren, indem es grundlegende Rechte und Schutz für diejenigen bietet, die nicht oder nicht mehr an den Feindseligkeiten teilnehmen​​​. Die Genfer Konventionen wurden von fast allen Staaten der Welt ratifiziert.

  1. Grundlagen:

    • Die vier Genfer Konventionen behandeln den Schutz von:

      a. verwundeten und kranken Soldaten sowie medizinischem Personal auf dem Schlachtfeld (Landkrieg)

      b. Verwundeten, Kranken und Schiffbrüchigen der Streitkräfte auf See (Seekrieg)

      c. Behandlung von Kriegsgefangenen, einschließlich ihrer Rechte und des Verbots unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung

      d. Schutz von Zivilpersonen, insbesondere in besetzten Gebieten, und Bestimmungen zur Behandlung von Zivilpersonen während eines bewaffneten Konflikts

    • Die drei Zusatzprotokolle erweitern den Schutz auf moderne Konfliktsituationen, einschließlich nicht-internationaler Konflikte:

      a) Erstes Zusatzprotokoll (1977) erweitert den Schutz auf Opfer int. bewaffneter Konflikte

      b) Zweites Zusatzprotokoll (1977)  bezieht sich auf nicht-internationale bewaffnete Konflikte, wie Bürgerkriege

      c) Drittes Zusatzprotokoll (2005) führt zusätzliches Schutzzeichen ein: der "Rote Kristall"

  2. Grundprinzipien:

    • Unterscheidung: Zivilpersonen und militärische Ziele (darunter auch Kombattanten: Personen, die rechtmäßig an Feindseligkeiten teilnehmen) müssen voneinander unterschieden werden.

    • Verhältnismäßigkeit: Die eingesetzten Mittel und Methoden dürfen nicht unverhältnismäßige Verluste verursachen.

    • Humanität: Menschliche Behandlung von Gefangenen und Verwundeten

  3. Verbote:

    • Einsatz von Waffen, die unnötiges Leid verursachen (z. B. chemische Waffen, Streumunition)

    • Angriffe auf Zivilpersonen, medizinische Einrichtungen und kulturelle Objekte

  4. Durchsetzung:

    • Staaten sind verpflichtet, Verstöße zu verfolgen und zu ahnden

    • Internationale Organisationen wie das IKRK überwachen die Einhaltung der Konventionen

Beispiele:

  • Verurteilung von Kriegsverbrechern durch den Internationalen Strafgerichtshof (ICC).

  • Schutzmaßnahmen der Internationalen Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung in Konfliktgebieten.


Vorlesung 10 "Peacekeeping, Use of Force" und "6. Subjects of Public Int. Law“

21. Was ist das Prinzip der souveränen Immunität, und wie wird es im Völkerrecht angewandt?

—> Das Prinzip der souveränen Immunität schützt Staaten vor der Gerichtsbarkeit anderer Staaten. Es gewährleistet die Gleichheit und Unabhängigkeit der Staaten im internationalen System.

  1. Inhalt des Prinzips:

    • Staaten sind grundsätzlich immun gegenüber der Rechtsprechung anderer Staaten.

    • Immunität gilt vor allem für hoheitliche Handlungen (acta jure imperii), jedoch nicht für private oder kommerzielle Handlungen (acta jure gestionis).

  2. Rechtsgrundlagen:

    • Völkergewohnheitsrecht.

    • UN-Konvention über die Immunität der Staaten und ihres Vermögens (2004, noch nicht allgemein in Kraft).

  3. Einschränkungen der Immunität:

    • Kommerzielle Handlungen: Staaten können vor Gericht gestellt werden, wenn sie wie ein privater Akteur handeln (z. B. Handelsverträge).

    • Schwere Menschenrechtsverletzungen: Gerichte diskutieren zunehmend, ob Immunität bei Verbrechen wie Folter oder Genozid eingeschränkt werden sollte.

  4. Beispiele:

    • Gewährte Immunität: Ausländische Botschaften und diplomatische Missionen.

    • Einschränkungen: Ferrini-Fall (Italien, 2004), wo Deutschland für Kriegsverbrechen während des Zweiten Weltkriegs verklagt wurde.

  5. Kritik:

    • Die Immunität hoheitlicher Handlungen wird oft als Hindernis für die Ahndung schwerer Menschenrechtsverletzungen angesehen.

    • Sie kann Machtungleichgewichte zwischen Staaten verstärken.


Vorlesung 4 "Subj. of Pub. Int. Law" & Doc."6. Subjects of Pub. Int. Law – Ind., Human Rights"​​

26. Welche UN-Organe gibt es und was sind ihre Funktionen?

Die Vereinten Nationen (UN) verfügen über sechs Hauptorgane, die in Art. 7 UNCh festgelegt sind:

  1. Generalversammlung:

    • Diskussionsforum für alle UN-Mitgliedstaaten. Verabschiedet Resolutionen (nicht bindend) und wählt Mitglieder für andere UN-Organe.

    • 193 Mitgliedstaaten

    • Entscheidungen durch 2/3 Mehrheit -> nicht verbindlich

    • „One State – One Vote“

    • Treffen jährlich

    • Wichtigstes Forum für multilaterale Verhandlungen

    • Beispiel: Wahl der nicht-ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats

  2. Sicherheitsrat:

    • Verantwortlich für die Wahrung des Weltfriedens und der int. Sicherheit. Kann bindende Resolutionen verabschieden und Sanktionen verhängen.

    • 15 Mitglieder (5 ständige mit Vetorecht, 10 nicht-ständige).

  3. Wirtschafts- und Sozialrat (ECOSOC):

    • Koordiniert die Arbeit der UN-Sonderorganisationen und fördert internationale Zusammenarbeit in wirtschaftlichen und sozialen Fragen.

    • 54 Mitgliedstaaten

    • Wird jährlich durch die Generalversammlung gewählt

    • Hauptziel: Verringerung von Entwicklungslücken zwischen den Nationen

    • Beispiel: Zusammenarbeit mit der WHO oder der UNESCO.

  4. Internationaler Gerichtshof (IGH):

    • Hauptrechtsprechungsorgan der UN

    • entscheidet Streitigkeiten zwischen Staaten und erstellt Gutachten zu rechtlichen Fragen

    • auch beratend tätig

    • 15 Richter, die für 9 Jahre gewählt werden

    • Sitz: Den Haag.

  5. Sekretariat:

    • Führt die laufenden Aufgaben der UN aus und unterstützt die Arbeit der anderen Organe. Er ist zudem der oberste Verwaltungsbeamte der UN.

    • Beispiel: Umsetzung von Beschlüssen der Generalversammlung.

  6. Treuhandrat:

    • Ursprünglich zur Überwachung der Verwaltung von Treuhandgebieten. Seine Aufgaben sind seit 1994 weitgehend abgeschlossen.



Quelle: UN-Charta​​

28. Was ist das Vetorecht, und warum gilt es als reformbedürftig?

Das Vetorecht der fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats (China, Frankreich, Russland, USA und Großbritannien) erlaubt es diesen Staaten, jede Resolution zu blockieren, unabhängig von der Mehrheit der anderen Mitglieder.

  1. Funktion des Vetorechts:

    • Verhindert Maßnahmen, die gegen die Interessen eines ständigen Mitglieds gerichtet sind.

    • Soll sicherstellen, dass die Großmächte im internationalen System kooperieren.

  2. Kritikpunkte:

    • Blockaden: Das Vetorecht führt häufig zu politischen Lähmungen des Sicherheitsrats (z. B. Syrien-Konflikt).

    • Ungleiche Machtverteilung: Fünf Staaten haben überproportionalen Einfluss, während große Regionen wie Afrika und Südamerika nicht repräsentiert sind.

    • Missbrauch: Vetos werden oft genutzt, um nationale oder geopolitische Interessen zu schützen, statt Frieden zu fördern.

  3. Reformvorschläge:

    • Abschaffung des Vetos: Eine radikale, aber unwahrscheinliche Option.

    • Einschränkung: Vorschläge, das Vetorecht bei schweren Menschenrechtsverletzungen auszusetzen.

    • Erweiterung: Hinzufügung neuer ständiger Mitglieder ohne Vetorecht, z. B. Indien oder Brasilien.

    • Einführung eines Mehrheitsvotums: Das Veto könnte durch eine Supermehrheit ersetzt werden, um Blockaden zu verhindern.

  4. Beispiele:

    • Russland und China haben wiederholt Resolutionen zu Syrien blockiert.

    • Die USA blockieren regelmäßig Resolutionen zu Israel-Palästina.


Quelle: "Fassbender Reform UN-Sicherheitsrat FW 2020"​​

30. Was ist der Unterschied zwischen friedlicher Streitbeilegung und Zwangsmaßnahmen im Völkerrecht?

—> Die friedliche Streitbeilegung und Zwangsmaßnahmen sind zwei Mechanismen, mit denen das Völkerrecht auf internationale Konflikte reagiert. Sie unterscheiden sich grundlegend in ihrer Zielsetzung und den eingesetzten Mitteln.

  1. Friedliche Streitbeilegung:

    • Definition: Verfahren, um Konflikte zwischen Staaten ohne Gewalt zu lösen. Völkerrechtlich bevorzugter Ansatz zur Lösung von Konflikten.

    • Rechtsgrundlagen: Art. 2 (3) und Art. 33 UNCh verpflichten Staaten, Streitigkeiten friedlich beizulegen.

    • Methoden:

      • Verhandlungen: Direkte Gespräche zwischen den Parteien.

      • Vermittlung: Ein neutraler Dritter unterstützt die Parteien (z. B. der UN-Generalsekretär).

      • Schiedsgerichtsbarkeit: Einrichtung eines Ad-hoc-Tribunals mit bindendem Urteil.

      • Gerichtliche Verfahren: Verfahren vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH).

  2. Zwangsmaßnahmen:

    • Definition: Maßnahmen, die ohne Zustimmung der Konfliktparteien durchgesetzt werden. Greifen, wenn Frieden und Sicherheit akut bedroht sind.

    • Rechtsgrundlagen: Kapitel VII der UN-Charta erlaubt Sanktionen oder militärische Einsätze bei Bedrohung des Weltfriedens durch den UN-Sicherheitsrat.

    • Beispiele:

      • Wirtschaftliche Sanktionen (z. B. gegen Nordkorea).

      • Militärische Interventionen mit Sicherheitsratsmandat (z. B. im Irak 1991).

  3. Unterschiede:

    • Freiwilligkeit: Friedliche Streitbeilegung basiert auf Zustimmung; Zwangsmaßnahmen werden gegen den Willen der Konfliktparteien durchgesetzt.

    • Ziel: Friedliche Beilegung sucht Einigung, Zwangsmaßnahmen erzwingen Verhaltensänderungen oder beenden Gewalt.


Vorlesung 10 "Peacekeeping, Use of Force"

34. Was sind die Vor- und Nachteile der Gerichtsbarkeit des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC)?

Der Internationale Strafgerichtshof (ICC) verfolgt Einzelpersonen für schwerste Verbrechen wie Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Er ist ein zentraler Akteur im internationalen Strafrecht.

  1. Vorteile:

    • Bekämpfung der Straflosigkeit: Der ICC verfolgt Täter schwerster Verbrechen wie Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, auch wenn nationale Gerichte versagen.

    • Stärkung des internationalen Rechts: Der ICC setzt Standards für die strafrechtliche Verantwortlichkeit und trägt zur Weiterentwicklung des Völkerstrafrechts bei.

    • Universelle Geltung: Der ICC bietet ein Forum für globale Gerechtigkeit, unabhängig von der Staatsangehörigkeit der Täter oder dem Ort des Verbrechens.

    • Präventive Wirkung: Die potenzielle Strafverfolgung durch den ICC kann abschreckend wirken.

  2. Nachteile und Kritik:

    • Mangelnde Akzeptanz: Wichtige Staaten wie die USA, China und Russland sind nicht Vertragsparteien.

    • Voreingenommenheit: Der ICC wird oft beschuldigt, sich unverhältnismäßig auf afrikanische Staaten zu konzentrieren.

    • Eingeschränkte Zuständigkeit: Der ICC kann nur Verbrechen verfolgen, die nach dem Römischen Statut begangen wurden.

    • Abhängigkeit: Der ICC ist auf die Kooperation der Staaten angewiesen, z. B. bei der Festnahme von Angeklagten.

    • Langwierige Verfahren: Die Prozesse vor dem ICC sind komplex und können Jahre dauern, was die Effizienz des Gerichts in Frage stellt.

    • Politische Einflussnahme: Der ICC wird gelegentlich beschuldigt, politischen Interessen zu dienen, anstatt unabhängig zu agieren.

  3. Rechtsgrundlage:

    • Römisches Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (1998)

  4. Beispiele:

    • Erfolg: Verurteilung von Thomas Lubanga wegen der Rekrutierung von Kindersoldaten.

    • Kritik: Fehlende Verfolgung von Verbrechen in Syrien wegen politischer Blockaden im UN-Sicherheitsrat.

    • Fall Omar al-Bashir: Der ICC stellte Haftbefehle gegen den ehemaligen Präsidenten des Sudan aus, doch viele Staaten kooperierten nicht bei seiner Festnahme.

    • Fall Afghanistan: Die Untersuchung von Verbrechen durch US-Soldaten stieß auf Widerstand der USA und wurde zeitweise ausgesetzt.


Vorlesung 6 "Duties of the Individual – Development of International Criminal Law"

36. Was ist das Prinzip der Nichtweiterverbreitung von Kernwaffen, und welche Mechanismen existieren dafür?

—> zielt darauf ab, die Verbreitung von Nuklearwaffen zu verhindern und gleichzeitig die friedliche Nutzung der Kernenergie zu fördern. Es ist ein zentraler Baustein der globalen Sicherheitspolitik, steht jedoch vor politischen und praktischen Herausforderungen.

  1. Rechtsgrundlagen:

    • Atomwaffensperrvertrag (NPT, 1968): Regelt die Verpflichtungen zur Nichtweiterverbreitung, Abrüstung und friedlichen Nutzung von Kernenergie.

    • Allgemeines Völkerrecht: Unterstützt die Reduzierung nuklearer Bedrohungen.

  2. Inhalt des NPT:

    • Nichtweiterverbreitung: Nuklearwaffenstaaten dürfen keine Waffen oder Technologie an andere Staaten weitergeben, und Nichtkernwaffenstaaten dürfen keine solchen Waffen entwickeln.

    • Abrüstung: Verpflichtung zur nuklearen Abrüstung.

    • Friedliche Nutzung: Förderung der zivilen Nutzung von Kernenergie unter strikter Kontrolle.

  3. Mechanismen:

    • IAEA-Überwachung: Die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEA) überwacht die Einhaltung des Vertrags.

    • Verifikationssysteme: Regelmäßige Inspektionen und Berichte.

  4. Herausforderungen:

    • Staaten außerhalb des NPT (z. B. Indien, Pakistan, Israel) unterliegen keiner direkten Kontrolle.

    • Nordkorea zog sich aus dem NPT zurück und entwickelte Atomwaffen.

  5. Beispiele:

    • Iran-Atomabkommen (2015): Ziel war die Einschränkung des iranischen Nuklearprogramms.

    • Abrüstungsverhandlungen zwischen den USA und Russland (z. B. START-Verträge).


Vorlesung 7 "Envir. Protection and Int. Responsibility" & Doc. "10. Peacekeep., Use of Force"​​

38. Erläutere kurz, worum es in dem Fall Chorzow ging und warum er völkerrechtlich relevant ist!

Der Chorzów-Fall ist ein wegweisender Fall im Völkerrecht, der vom StIGH entschieden wurde.

  1. Hintergrund:

    • Im Jahr 1922 wurde ein Stickstoffwerk in Chorzów (Oberschlesien) von Polen verstaatlicht. Dieses Werk war ursprünglich im Eigentum eines deutschen Unternehmens (Bayerische Stickstoffwerke AG), das im Rahmen eines deutsch-polnischen Abkommens bestimmte Rechte hatte.

    • Polen berief sich auf das Versailler Vertragswerk und die Regelungen der Gebietsübergabe von Oberschlesien, während Deutschland die Verstaatlichung als Verstoß gegen das deutsch-polnische Abkommen betrachtete, das private Eigentumsrechte schützen sollte​​.

  2. Klagegrund:

    • Deutschland erhob Klage gegen Polen, weil es die Verstaatlichung als unrechtmäßige Enteignung ansah und Schadensersatz verlangte.

  3. Entscheidung:

    • StIGH entschied 1928, dass die Verstaatlichung durch Polen eine völkerrechtswidrige Handlung darstellte, weil sie gegen internationale Verträge verstieß.

    • StIGH stellte fest, dass Polen verpflichtet sei, "Wiedergutmachung in natura" zu leisten oder andernfalls eine finanzielle Entschädigung zu zahlen​​.

  4. Grundsatzentscheidung:

    • Der Gerichtshof formulierte den berühmten Satz: „Eine Verletzung eines internationalen Rechtsanspruchs verpflichtet zur Wiedergutmachung.“ Dies legte den Grundstein für das Prinzip der Staatenverantwortlichkeit und der völkerrechtlichen Wiedergutmachung​​.

Völkerrechtliche Relevanz:

  1. Staatenverantwortlichkeit:

    • Der Fall etablierte den Grundsatz, dass Staaten für völkerrechtswidriges Verhalten zur Wiedergutmachung verpflichtet sind. Dies ist heute in den Draft Articles on Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts (ILC, 2001) kodifiziert.

  2. Wiedergutmachung:

    • Der Fall präzisierte die verschiedenen Formen der Wiedergutmachung (Restitution, Kompensation, Genugtuung) und betonte die Bedeutung der Wiedergutmachung in natura als primäre Form​​.

  3. Rechtsstaatlichkeit im Völkerrecht:

    • Der Chorzów-Fall war ein Meilenstein für die Durchsetzung des Rechtsprinzips und die Stärkung des Vertrauens in internationale Gerichte.

    • Dieser Fall hat bis heute eine zentrale Bedeutung in der Völkerrechtsdogmatik und dient als Referenz für Fragen der Staatshaftung und Wiedergutmachung.


—> Aus der Primärpflicht zur Befolgung geltender Völkerrechtsnormen muss auch zwingend die Sekundärpflicht zur Wiedergutmachung bei Veerletzung jener Normen folgen.

40. Was ist der Unterschied zwischen humanitärer Intervention und Responsibility to Protect (R2P)?

Humanitäre Intervention und Responsibility to Protect (R2P) sind Konzepte des Völkerrechts zur Verhinderung schwerer Menschenrechtsverletzungen, unterscheiden sich jedoch in ihrer rechtlichen Grundlage und ihrem Fokus.

  1. Humanitäre Intervention:

    • Definition: Einsatz militärischer Mittel durch Staaten ohne Zustimmung des betroffenen Staates, um schwere Menschenrechtsverletzungen zu beenden.

    • Rechtslage:

      • Keine explizite Anerkennung durch UNCh

      • Oft als Verstoß gegen das Gewaltverbot (Art. 2 (4) UNCh) kritisiert.

      • Lediglich der Sicherheitsrat ist gem. Kap. VII UNCh autorisiert oder kann dazu Staaten ermächtigen, die territoriale Integrität eines Staates zu verletzten, wenn es eine ernsthafte Bedrohung für den Weltfrieden erkennt.

    • Beispiele: NATO-Intervention im Kosovo (1999)

  2. Responsibility to Protect (R2P):

    • Definition: Konzept, das die internationale Gemeinschaft verpflichtet, schwerste Menschenrechtsverletzungen zu verhindern, wenn der betroffene Staat versagt.

    • Rechtslage:

      • Politisch anerkannt durch UN-Weltgipfel 2005.

      • Maßnahmen erfordern ein Mandat des UN-Sicherheitsrats (Kapitel VII).

    • Beispiele: Libyen-Intervention (2011) mit Sicherheitsratsmandat.

  3. Unterschiede:

    • Legitimität: R2P erfordert eine Sicherheitsratsresolution, während die humanitäre Intervention unilateral erfolgt.

    • Fokus: Humanitäre Intervention betont den Eingriff, R2P die Prävention und Nachbereitung.

    • Rechtsgrundage: Humanitäre Intervention ist rechtlich umstritten, während R2P eine politisch anerkannte Weiterentwicklung des Schutzgedankens darstellt.


46. Was regeln die einzelnen Artikel der ILC Draft Articles zur Staatenverantwortlichkeit?

—> Kapitel I: Allgemeine Grundsätze (Art. 1-3)

  • Art. 1: Verantwortlichkeit für völkerrechtswidrige Handlungen

    —> Jeder Staat ist völkerrechtlich verantwortlich, wenn er eine völkerrechtswidrige Handlung begeht.

  • Art. 2: Elemente einer völkerrechtswidrigen Handlung

    • Eine Handlung ist völkerrechtswidrig, wenn:

      1. Sie einem Staat zurechenbar ist.

      2. Sie gegen eine völkerrechtliche Verpflichtung verstößt.

  • Art. 3: Unabhängigkeit vom innerstaatlichen Recht

    —> Die Einordnung einer Handlung als völkerrechtswidrig erfolgt unabhängig von ihrer Zulässigkeit nach innerstaatlichem Recht.

—> Kapitel II: Zurechenbarkeit (Art. 4-11)

  • Art. 4: Handlungen staatlicher Organe

    —> Handlungen staatlicher Organe gelten als dem Staat zurechenbar, auch wenn sie ihre Befugnisse überschreiten.

  • Art. 5: Handlungen von Organen mit staatlichen Aufgaben

    —> Handlungen privater Akteure, die staatliche Aufgaben ausüben, werden dem Staat zugerechnet.

  • Art. 6: Handlungen ausgeliehener Organe

    —> Handlungen eines Organs eines anderen Staates, das unter der Kontrolle des handelnden Staates steht, sind diesem zurechenbar.

  • Art. 8: Handlungen unter Kontrolle eines Staates

    —> Private Handlungen werden einem Staat zugerechnet, wenn sie unter dessen „effektiver Kontrolle“ erfolgen.

  • Artikel 11: Anerkennung und Übernahme

    —> Ein Staat ist verantwortlich, wenn er eine ursprünglich private Handlung später als seine eigene anerkennt.

—> Kapitel III: Verletzung völkerrechtlicher Verpflichtungen (Art. 12-15)

  • Art. 12: Verletzung einer Verpflichtung

    —> Eine völkerrechtliche Verpflichtung ist verletzt, wenn sie nicht erfüllt wird.

  • Art. 13: Zeitpunkt der Verpflichtung

    —> Verletzung liegt nur vor, wenn Verpflichtung zum Zeitpunkt der Handlung für Staat bindend war.

  • Art. 14-15: Fortdauernde und zusammengesetzte Handlungen

    —> Fortdauernde Verstöße und Verstöße durch eine Reihe zusammenhängender Handlungen werden umfassend betrachtet.

—> Kapitel IV: Rechtfertigungsgründe (Art. 20-27)

  • Art. 20: Zustimmung

    —> Handlungen, die mit Zustimmung des betroffenen Staates erfolgen, sind nicht völkerrechtswidrig.

  • Art. 21: Selbstverteidigung

    —> Handlungen in Selbstverteidigung (Art. 51 UN-Charta) sind zulässig.

  • Art. 22: Repressalien

    —> Rechtmäßige Gegenmaßnahmen (Repressalien) schließen die Völkerrechtswidrigkeit aus.

  • Art. 25: Notlage (necessity)

    —> Staat kann sich auf Notlage berufen, wenn die Handlung notwendig ist, um wesentliche staatliche oder öffentliche Interessen zu schützen.

—> Kapitel V: Folgen der Staatenverantwortlichkeit (Art. 28-41)

  • Art. 30: Pflichten des verantwortlichen Staates

    —> Verantwortlicher Staat muss die völkerrechtswidrige Handlung beenden und Garantien gegen Wiederholung geben.

  • Art. 31: Wiedergutmachung

    —> Staat ist verpflichtet, vollständige Wiedergutmachung für Schaden zu leisten.

  • Art. 34-37: Formen der Wiedergutmachung

    —> Restitution (Wiederherstellung), Entschädigung und Genugtuung sind mögliche Wiedergutmachungsformen.

  • Art. 40-41: Verletzung erga omnes-Verpflichtungen

    —> Bei schwerwiegenden Verletzungen von Verpflichtungen gegenüber der int. Gemeinschaft (z. B. Verbot von Völkermord) bestehen besondere Pflichten, z. B. Nichtanerkennung.

—> Kapitel VI: Durchsetzung der Verantwortung (Art. 42-48)

  • Art. 42: Anspruchsberechtigung

    • Staaten, die direkt durch die völkerrechtswidrige Handlung verletzt wurden, können Ansprüche geltend machen.

  • Art. 48: Erga omnes-Verpflichtungen

    • Auch Staaten, die nicht direkt betroffen sind, können bei Verletzungen von Verpflichtungen gegenüber der internationalen Gemeinschaft Ansprüche erheben.


48. Was ist gem. Art. 2 (4) UNCh unter Gewaltandrohung zu verstehen? Wo gibt es unterschiedliche Meinungen zur Androhung von Gewalt?

—> GemäßArt. 2 (4) UNCh ist die Androhung von Gewalt, ebenso wie die Anwendung von Gewalt, untersagt, wenn sie gegen die territoriale Integrität oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtet ist oder anderweitig mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbar ist.

  1. Bedeutung von „Gewaltandrohung“

  • Definition: Eine Gewaltandrohung liegt vor, wenn ein Staat erklärt oder impliziert, dass er Gewalt einsetzen wird, falls ein anderer Staat nicht bestimmte Forderungen erfüllt. Diese Drohung muss glaubhaft und auf eine bestimmte Art von Gewalt bezogen sein, wie militärische Angriffe oder andere Formen der Waffengewalt.

  • Gegenstand des Verbots: Die Androhung bezieht sich auf physische Gewalt zwischen Staaten, nicht auf wirtschaftlichen oder politischen Druck (diese können jedoch anderweitig völkerrechtlich problematisch sein).

  1. Beispiele für Gewaltandrohung

  • Explizite Drohungen:

    • Eine öffentliche Ankündigung militärischer Maßnahmen, falls ein Staat eine bestimmte Handlung nicht unterlässt (z. B. Ultimaten).

  • Implizite Drohungen:

    • Militärmanöver in der Nähe der Grenzen eines anderen Staates, die als Signal verstanden werden können.

    • Mobilisierung von Truppen mit klarer Botschaft, Gewalt anzuwenden, falls keine Einigung erzielt wird.

  1. Relevante Kriterien

    a) Kontext: Umstände und Tonfall einer Äußerung oder Handlung entscheidend, um zu bestimmen, ob es sich um Gewaltandrohung handelt.

    b) Absicht: Klare Botschaft muss gesendet werden, dass Gewalt eingesetzt wird, falls bestimmte Bedingungen nicht erfüllt werden.

    c) Glaubwürdigkeit: Drohung muss ernsthaft und glaubwürdig sein.

  1. Umstrittene Aspekte

    a) Was zählt als Gewalt?

    • Unterschiedliche Auffassungen darüber, welche Art von Gewaltandrohung erfasst wird:

      • Physische Gewalt: Konsens besteht, dass militärische Gewaltandrohung unter Art. 2 (4) fällt.

      • Andere Formen von Druck: Str., ob wirtschaftlicher oder politischer Druck als Gewaltandrohung zu verstehen ist.

        —> Mehrheit der Staaten und Völkerrechtler verneint dies, aber es gibt Debatten über hybride Bedrohungen (z. B. Cyberangriffe).

    b) Unterschied zwischen Drohung und zulässiger Abschreckung:

    • Einige Staaten argumentieren, dass Abschreckung (z. B. der Besitz und Einsatz von Nuklearwaffen als „Schutzschild“) keine Gewaltandrohung ist, solange keine konkrete Bedrohung ausgesprochen wird.

    • Kritiker sehen in der nuklearen Abschreckung (z. B. durch die Nuclear Posture Reviews bestimmter Staaten) eine permanente, völkerrechtswidrige Androhung von Gewalt.

    c) Reichweite des Verbots:

    • Uneinigkeit darüber, ob jede Form von Gewaltandrohung verboten ist oder nur solche, die gegen die territoriale Integrität oder politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtet ist.

    • Einige interpretieren Art. 2 (4) enger und argumentieren, dass nur Drohungen verboten sind, die sich spezifisch gegen die Kernbereiche eines Staates richten.

    d) Gewaltandrohungen in internationalen Beziehungen:

    • Manche Staaten rechtfertigen Gewaltandrohungen, wenn sie der „Aufrechterhaltung des Friedens“ dienen sollen, z. B. durch Ultimaten zur Verhinderung von Aggressionen.

    • Beispiele:

      • Die Drohung militärischer Maßnahmen durch die USA gegen den Iran wegen seines Atomprogramms.

      • NATO-Manöver nahe der russischen Grenze, die von Russland als Drohung interpretiert werden.

  2. Völkerrechtliche Bewertung

    —> Verbot als Bestandteil des Gewaltverbots: Gewaltandrohungen stehen im selben Rang wie die tatsächliche Anwendung von Gewalt und verletzen grundlegende völkerrechtliche Prinzipien.

    —> Interpretationsspielräume:Praxis zeigt, dass viele Staaten Gewaltandrohungen nutzen, was eine klare Trennung zwischen legitimen Abschreckungsmaßnahmen und völkerrechtswidrigen Drohungen erschwert.


49. Darf ein Staat zum Schutze seiner eigenen Staatsbürger gegen den Willen eines anderen Staates, dessen territoriale Integrität verletzen und gegen das Interventionsverbot verstoßen?

Einige Staaten argumentieren, dass ein Eingriff zur Rettung eigener Staatsbürger unter bestimmten Umständen gerechtfertigt sein kann, insbesondere in Fällen akuter Gefahr. Dafür wird oft auf folgende Grundsätze Bezug genommen:

  1. Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit

  • Analog zur Caroline-Formel kann ein Eingriff unter folgeden Voraussetzungen gerechtfertigt sein:

    a) Die Gefahr: Unmittelbar und rechtswidrig

    b) Notwendigkeit

    c) Verhältnismäßigkeit

  1. Schutzpflicht des Staates:

    Staaten haben die völkerrechtliche Pflicht, ihre Staatsbürger zu schützen, auch im Ausland. Dies kann eine militärische Intervention rechtfertigen, wenn der Aufenthaltsstaat nicht in der Lage oder nicht bereit ist, diese Schutzfunktion zu gewährleisten.

Praxisbeispiele

  1. Israel in Entebbe (1976):

    • Israel führte eine Militäraktion zur Befreiung entführter Geiseln in Uganda durch.

      —> Wurde international teilweise als gerechtfertigt angesehen, da Uganda die Entführung unterstützte.

  2. Deutschland in Libyen (2011):

    • Deutschland entsandte Bundeswehrflugzeuge zur Evakuierung eigener Staatsbürger aus Libyen während des Bürgerkriegs.

      —> Dies geschah im Konsens mit den libyschen Behörden und verletzte somit nicht die territoriale Integrität.

Kritik und Gegenargumente

  • Missbrauchsgefahr: Eine großzügige Interpretation könnte dazu führen, dass Staaten das Prinzip der territorialen Integrität unter dem Vorwand des Schutzes ihrer Bürger umgehen. (Rückentwicklung zu einem bellum iustum)

  • Erforderliche Zustimmung: Ohne Zustimmung des betroffenen Staates bleibt ein Eingriff problematisch und könnte als Verletzung des Völkerrechts betrachtet werden.

  • UN-Sicherheitsrat: Eine internationale Autorisierung durch den Sicherheitsrat ist der rechtlich bevorzugte Weg, um Maßnahmen zur Rettung eigener Staatsbürger zu legitimieren.

    —> “Gegen”-Gegenargument: Vetomächte könnten erforderliche Resolutionen blockieren.

​​

52. Erläutere kurz, worum es in dem Teheraner Geiselfall ging und warum er relevant ist, wenn es um die Frage der Staatenverantwortlichkeit geht!

Der Teheraner Geiselfall (USA v. Iran, 1980) ist ein prägender Fall für die Frage der Staatenverantwortlichkeit im Völkerrecht.

  1. Hintergrund:

    • Am 4. November 1979 stürmten iranische Studenten die US-Botschaft in Teheran und nahmen 52 US-Diplomaten und Mitarbeiter als Geiseln. Die Geiselnahme dauerte 444 Tage.

    • Die neue iranische Regierung unterstützte die Besetzung nachträglich und billigte die Handlungen der Geiselnehmer offiziell.

    • Die USA reichten Klage beim Internationalen Gerichtshof (IGH) ein und warfen Iran vor, gegen die Wiener Übereinkommen über diplomatische und konsularische Beziehungen von 1961 und 1963 zu verstoßen.

    • Die zentrale Frage war, ob Iran durch eigenes Handeln oder Unterlassen völkerrechtlich verantwortlich gemacht werden kann.

  2. Entscheidung des IGH:

    a) Verletzungen durch Iran:

    • Unterlassungspflicht: Iran habe seine Verpflichtung verletzt, die Botschaft und die dortigen Diplomaten zu schützen. Diese Schutzpflicht ergibt sich aus den Wiener Übereinkommen, die Iran ratifiziert hatte.

    • Aktive Unterstützung: Die Billigung der Geiselnahme durch iranische Regierungsstellen bedeutete eine völkerrechtlich relevante Handlung, die Iran direkt verantwortlich machte.

    b) Staatenverantwortlichkeit:

    • Der IGH stellte fest, dass ein Staat völkerrechtlich verantwortlich ist, wenn:

      • Er gegen internationale Verpflichtungen verstößt (hier: Schutz diplomatischer Vertretungen).

      • Staatliche Organe aktiv an einem Verstoß beteiligt sind oder diesen unterstützen.

    • Iran wurde daher sowohl für die Unterlassung als auch für die aktive Billigung der Geiselnahme verantwortlich gemacht.

  3. Pflichten Irans laut Urteil:

    • Die Geiseln freizulassen.

    • Die Botschaft der USA unverzüglich an die Vereinigten Staaten zurückzugeben.

    • Entschädigung für die erlittenen Schäden zu leisten.

  4. Relevanz für die Bedeutung der Staatenverantwortlichkeit:

    a) Erweiterung der Verantwortlichkeit:

    Der IGH betonte, dass ein Staat nicht nur für das Handeln staatlicher Organe direkt verantwortlich ist, sondern auch für das Unterlassen von Schutzmaßnahmen, wenn eine völkerrechtliche Verpflichtung besteht.

    —> Hierzu zählt insbesondere der Schutz diplomatischer Missionen.

    b) Billigung als staatliches Handeln:

    Die nachträgliche Billigung der Geiselnahme durch iranische Regierungsstellen machte die vorher private Handlung der Studenten zu einer staatlich zurechenbaren Handlung.

    c) Präzedenzfall: Der Fall klärte die Reichweite der Staatenverantwortlichkeit bei Verstößen gegen diplomatische Schutzpflichten und die Bedeutung der Zurechnung privater Handlungen, die durch staatliche Billigung "verstaatlicht" werden.


55. Worum geht es im Caroline Fall? Und was ist die Caroline-Formel?

Der Caroline-Fall (1837) ist ein bedeutender Präzedenzfall im Völkerrecht, insbesondere für das Recht auf Selbstverteidigung. Er entwickelte die Kriterien für eine rechtmäßige Selbstverteidigung in internationalen Konflikten.

  1. Hintergrund:

    • Der Fall ereignete sich während eines Aufstands in Kanada (Rebellion von 1837), bei dem US-amerikanische Bürger die Rebellen unterstützten, die gegen die britische Kolonialherrschaft kämpften.

    • Die Rebellen nutzten das US-Schiff Caroline, um Waffen und Kämpfer über den Niagara-Fluss nach Kanada zu transportieren.

    • Britische Truppen überquerten in der Nacht vom 29. auf den 30. Dezember 1837 die Grenze in die USA, setzten die Caroline in Brand und ließen sie die Niagarafälle hinuntertreiben. Dabei kamen mehrere Menschen ums Leben.

    • Die USA protestierten scharf gegen die Verletzung ihrer Souveränität und betrachteten die britische Aktion als völkerrechtswidrig.

  2. Völkerrechtliche Bedeutung

    Der Fall führte zu einem diplomatischen Austausch zwischen den USA und Großbritannien. Dabei wurden die Kriterien für eine rechtmäßige Selbstverteidigung formuliert:

    a) Notwendigkeit („necessity“):

    • Selbstverteidigung ist nur dann gerechtfertigt, wenn die Gefahr unmittelbar und überwältigend ist, sodass keine Zeit für Verhandlungen oder andere friedliche Mittel bleibt.

    b) Verhältnismäßigkeit („proportionality“):

    • Die angewandte Gewalt muss im Verhältnis zur Bedrohung stehen und darf nicht über das hinausgehen, was zur Abwehr erforderlich ist.

    —> Diese Kriterien wurden später als Caroline-Formel bekannt und gelten bis heute als grundlegende Prinzipien für das Recht auf Selbstverteidigung im Völkerrecht.

  3. Spätere Entwicklungen

  • Die Caroline-Formel wurde in späteren völkerrechtlichen Diskussionen und Urteilen häufig zitiert, insbesondere zur Beurteilung von Fällen präventiver oder präemptiver Selbstverteidigung.

  • Sie bildet die Grundlage für die enge Auslegung des Rechts auf Selbstverteidigung gemäß Artikel 51 der UN-Charta.


65. Wird die Bush Doctrine vom Recht auf Selbstverteidigung umfasst?

  • Die Bush-Doktrin, die unter der Präsidentschaft von George W. Bush nach den Anschlägen vom 11. September 2001 formuliert wurde, stellte eine neue sicherheitspolitische Strategie der USA dar.

  • Kernpunkte waren die Präventivkriegsführung und das einseitige Handeln im Namen der nationalen Sicherheit.

  • Völkerrechtliche Bewertung umstritten: Kann mit den Grundprinzipien des internationalen Rechts, insbesondere der UN-Charta, in Konflikt geraten.

  • Erweitert das traditionelle Selbstverteidigungsrecht, indem militärische Maßnahmen auch gegen potenzielle Bedrohungen oder Staaten, die künftige Angriffe vorbereiten könnten, gerechtfertigt werden. —> Bruch mit dem engen Rahmen von Art. 51 UNCh.

    —> Beansprucht das Recht auf Prävention, auch wenn ein Angriff nicht unmittelbar bevorsteht.

    —> Art. 51 hingegen bezieht sich nur auf Angriffe, die bereits erfolgt sind oder unmittelbar bevorstehen („necessity of self-defense, instant, overwhelming, leaving no choice of means“ – Caroline-Kriterium).


(Weitere Kritikpunkte:

  • Der Unilateralismus der Bush-Doktrin steht im Widerspruch zur UN-Charta, die kollektive Entscheidungen bei der Friedenssicherung vorsieht.

  • Die Auslegung des Selbstverteidigungsrechts gegen nichtstaatliche Akteure bleibt ein umstrittenes Thema im Völkerrecht.

  • Präventivkriege und die langfristige Besetzung von Ländern führten zu erheblichen humanitären und politischen Krisen, wie im Irak und Afghanistan.)


80. Was sind die Voraussetzungen für das Bestehen von Völkergewohnheitsrecht?

Das Völkergewohnheitsrecht ist eine der Hauptrechtsquellen des Völkerrechts und ergibt sich aus der allgemeinen Staatenpraxis, die von einer rechtlichen Überzeugung getragen wird (opinio iuris).

  1. Elemente des Völkergewohnheitsrechts:

    • Allgemeine Übung (staatliche Praxis): Diese muss von einer repräsentativen Anzahl von Staaten einheitlich und beständig ausgeübt werden. Beispiele sind innerstaatliche Akte, Verhaltensweisen in int. Beziehungen oder Beschlüsse int. Organisationen.

      —> „die wiederholte, konsolidierte oder regelmäßige, einheitliche (allgemeine) Ausübung durch relevante (d. h. nicht unbedingt alle) Subjekte und Organe“ (Vitzthum)

    • Rechtsüberzeugung (opinio iuris): Staaten handeln aus der Überzeugung, dass ihre Praxis rechtlich geboten ist. Dies unterscheidet Völkergewohnheitsrecht von reinem Brauchtum.

  2. Besondere Formen des Völkergewohnheitsrechts:

    • Universelles Gewohnheitsrecht: Gilt für alle Staaten, unabhängig von ihrer Zustimmung, z.B. Gewaltverbot Art. 2 (4) UNCh

    • Regionales Gewohnheitsrecht: Gilt nur für eine spezifische Gruppe von Staaten, z. B. diplomatisches Asyl in Lateinamerika

  3. Besonderheiten:

    • Persistent Objector: Ein Staat, der sich frühzeitig und konsequent gegen eine entstehende Gewohnheitsnorm wendet, ist an diese nicht gebunden.

      —> Bedingungen:

      (1) Klare und unmissverständliche Ablehnung der Norm.

      (2) Dauerhafte Ablehnung, ohne nachträgliche Akzeptanz.

    • Neustaaten: sind grds. an bestehendes Völkergewohnheitsrecht gebunden.

  4. Änderung oder Beendigung von bestehendem Völkergewohnheitsrecht:

    o   Durch regelmäßiges Zuwiderhandeln oder eben Nichthandeln basierend auf opinio iuris

  5. Kodifizierung von Völkergewohnheitsrecht und seiner Entwicklung:

    o   Art. 13 (1) (a) UNCh

Herausforderungen:

  • Nachweis der Rechtsüberzeugung kann schwierig sein

  • Konflikte über Anerkennung eines Persistent Objectors, insb. in multilateralen Kontexten.


Vorlesung 3

81. Welche Auslegungsregeln gibt es im Völkerrecht?

Im Völkerrecht dienen Auslegungsregeln dazu, den Inhalt und die Bedeutung von Verträgen, Normen und Prinzipien zu klären. Sie sind Art. 31-33 WVK kodifiziert und werden durch allgemeine Grundsätze des Völkerrechts ergänzt.

  1. Auslegungsregeln gemäß der WVK:

    • Wörtliche Auslegung (Artikel 31 Abs. 1):

      • Verträge sind nach dem gewöhnlichen Wortsinn der Begriffe auszulegen.

    • Systematische Auslegung:

      • Der Kontext umfasst den Vertrag, Präambel, Anhänge und Vereinbarungen, die zwischen den Parteien getroffen wurden.

    • Teleologische Auslegung:

      • Ziel und Zweck des Vertrags müssen berücksichtigt werden, um eine sinnvolle und effektive Interpretation sicherzustellen (effet utile).

    • Objektive und Subjektive Auslegung

  2. Hilfsmittel zur Auslegung:

    • Ergänzende Mittel (Artikel 32 WVK):

      • Travaux préparatoires (Verhandlungsunterlagen, Entstehungsgeschichte und Umstände des Vertragsabschlusses werden herangezogen)

      • Subsequent practice: Die nachfolgende Praxis

    • Mehrsprachige Verträge (Artikel 33 WVK):

      • Sind mehrere Sprachen gleichermaßen verbindlich, müssen Abweichungen im Sinn harmonisiert werden.

    • Treu und Glaube/ Good Will

  3. Beispiele:

    • IGH im Pulp Mills-Fall: Berücksichtigung der Zweckbestimmung zur nachhaltigen Nutzung von Wasserressourcen.

    • Anwendung der Präambel der UN-Charta zur Auslegung von Kapitel VII.

  4. Herausforderungen:

    • Unterschiedliche Auslegungsmethoden können zu abweichenden Interpretationen führen.

    • Politische und kulturelle Unterschiede beeinflussen oft die Anwendung der Auslegungsregeln.


Vorlesung 3 und Wiener Vertragsrechtskonvention​​

82. Was sind die Grundprinzipien des Völkerrechts?

—> Grundlegende Normen, die das Verhalten von Staaten und anderen Völkerrechtssubjekten regeln. Sie bilden die Basis des internationalen Rechtssystems und sind in der UN-Charta (Art. 2) und dem Völkergewohnheitsrecht verankert.

  1. Zentrale Grundsätze:

    • Souveräne Gleichheit der Staaten: Alle Staaten sind unabhängig und gleichberechtigt (Art. 2 (1) UNCh).

    • Gewaltverbot: Anwendung oder Androhung von Gewalt ist untersagt (Art. 2 (4) UNCh).

    • Interventionsverbot: Einmischung in die inneren oder äußeren Angelegenheiten eines anderen Staates ist verboten.

    • Selbstbestimmungsrecht der Völker: Völker haben das Recht, frei über ihren politischen Status und ihre Entwicklung zu entscheiden (Art. 1 (2) UNCh).

    • Pflicht zur friedlichen Streitbeilegung: Konflikte müssen ohne Gewalt gelöst werden (Art. 2 (3) & Art. 33 UNCh).

    • Achtung der Menschenrechte: Förderung und Schutz der fundamentalen Menschenrechte (Art. 1 (3) UNCh).

    • Pacta sunt servanda: Verpflichtung zur Einhaltung von Verträgen (Art. 26 WVK).

    • Territoriale Integrität und Unverletzlichkeit der Grenzen: Grenzen eines Staates dürfen nicht gewaltsam verändert werden.

    • Kooperationspflicht im internationalen System: Staaten sind verpflichtet, zusammenzuarbeiten, um internationale Herausforderungen zu bewältigen (z. B. Klimaschutz, globale Sicherheit).

  2. Weitere Prinzipien aus Deklarationen und Urteilen:

    • Treu und Glauben: Staaten müssen ihre Verpflichtungen ehrlich erfüllen.

    • Reparationspflicht: Wiedergutmachungen bei Verletzungen von Völkerrechtsnormen

    • Equity

    • Verhältnismäßigkeit

    • Recht auf gerichtliches Gehör

    • Einrede höherer Gewalt (plea of force majeure)

    • Verbot des Rechtsmissbrauchs

  3. Herausforderungen:

    • Konflikte zwischen Grundsätzen, z. B. zwischen territorialer Integrität und Selbstbestimmungsrecht.

    • Politische Machtverhältnisse beeinflussen die Durchsetzung.


Vorlesung 1 "Definition and History" und Artikel 2 der UN-Charta​​.

95. Was sind diplomatische Immunitäten und wie sind sie geregelt?

Diplomatische Immunitäten sind besondere Vorrechte, die Diplomaten und diplomatischen Missionen zustehen. Diese Vorrechte sind notwendig, um die unabhängige und ungestörte Ausübung ihrer Aufgaben im Gastland zu gewährleisten. Sie sind hauptsächlich in der Wiener Übereinkunft über diplomatische Beziehungen (WÜD, 1961) geregelt.

  1. Unverletzlichkeit der Mission:

    • Die Gebäude der diplomatischen Mission sind unverletzlich und dürfen nicht betreten werden (Art. 22 WÜD).

    • Amtliche Korrespondenz und Kuriergepäck sind ebenfalls unverletzlich (Art. 27 WÜD).

  2. Unverletzlichkeit der Diplomaten:

    • Diplomaten genießen persönliche Unverletzlichkeit (Art. 29 WÜD). Sie dürfen weder festgenommen noch in irgendeiner Weise verhaftet werden.

    • Sie sind vor der Strafgerichtsbarkeit sowie in der Regel vor der Zivil- und Verwaltungsgerichtsbarkeit des Empfangsstaates immun (Art. 31 WÜD).

  3. Ausnahmen und Einschränkungen:

    • Diplomaten können bei privatrechtlichen Streitigkeiten wie Mietangelegenheiten teilweise verklagt werden (Art. 31 Abs. 1 WÜD).

    • Angehörige des Verwaltungs- und technischen Personals genießen begrenzte Immunität (Art. 37 WÜD).

  4. Beendigung der Immunität:

    • Immunitäten enden mit der Abreise des Diplomaten aus dem Gastland. Für dienstliche Handlungen bleibt die Immunität jedoch bestehen (Art. 39 WÜD).

    • Diplomaten können zur persona non grata erklärt werden, was ihre Abberufung erfordert (Art. 9 WÜD).


Vorlesung „Völkerrecht I – Prof. Dr. Stefanie Schiedermair“, Seiten 53-55​

105. Erläutere die Bedeutung von Monismus und Dualismus im Verhältnis von Völkerrecht zu nationalem Recht!

Monismus und Dualismus sind grundlegende Ansätze, die die Integration und Anwendung des Völkerrechts im nationalen Rechtssystem erklären. Ihre Bedeutung liegt in der Bestimmung, wie völkerrechtliche Normen innerhalb eines Staates wirksam werden:

  1. Monismus:

    • Der Monismus betrachtet Völkerrecht und nationales Recht als Teil eines einheitlichen Rechtssystems. Völkerrechtliche Normen werden direkt in das nationale Recht integriert, ohne dass ein Umsetzungsakt erforderlich ist. Sie gelten unmittelbar und können Einzelpersonen direkt Rechte und Pflichten verleihen.

      a)    Radikaler Monismus (Kelsen): Im Kollisionsfall ist die nationale Norm nichtig!

      b)    Gemäßigter Monismus (Seidl; Hohenfeldern): Im Kollisionsfall tritt das nationale Recht zurück, doch in anderen Konstellationen ohne Kollisionsfall kann es weiter existieren.

    • Praktische Relevanz: Erleichtert die Anwendung internationaler Normen, da sie automatisch geltendes Recht sind.

    • Beispiel: In den Niederlanden haben völkerrechtliche Verträge Vorrang vor nationalem Recht.

  2. Dualismus:

    • Der Dualismus trennt Völkerrecht und nationales Recht als eigenständige Rechtssysteme. Völkerrechtliche Normen müssen durch nationale Gesetzgebungsakte transformiert werden, um im innerstaatlichen Recht wirksam zu sein.

      a)    Radikaler Dualismus: Im Kollisionsfall geht die nationale Norm immer vor, sofern das Völkerrecht nicht transformiert wurde. Dadurch soll die staatliche Souveränität gestärkt werden.

      b)    Gemäßigter Dualismus: Im Kollisionsfall kann das Völkerrecht, je nach nationaler Rechtslage, Vorrang haben. (Völkerrecht kann in bestimmten Fällen unmittelbare Wirkung entfalten)

    • Praktische Relevanz: Sichert die Kontrolle des Parlaments über die Umsetzung internationaler Verpflichtungen, kann jedoch die schnelle Anwendung völkerrechtlicher Normen verzögern.

    • Beispiel: Deutschland verlangt die Transformation von Völkerrecht durch Gesetzgebung, bevor es innerstaatlich anwendbar ist.

      —> „gemäßigter Dualismus“ (BVerfG): Art. 59 II GG als zentrale Norm; <-> dagegen Art. 25 GG klingt monistisch

  3. Implementierung von internationalen Normen in nationales Recht durch:

    —> Adoption:Norm des internationalen Rechts wird als unmittelbar im nationalen Recht anwendbar erklärt.

    —> Transformation:Entwicklung von Parallelnormen im nationalen Recht.

    —>Ratifikation: Verbindliche Zustimmung eines Staates zu einem internationalen Vertrag nach Abschluss der innerstaatlich erforderlichen Verfahren, wodurch der Vertrag endgültig in Kraft tritt

—> Die Wahl zwischen Monismus und Dualismus beeinflusst maßgeblich, wie schnell und in welchem Umfang internationale Normen in einem Staat Wirkung entfalten und welche Rolle die nationale Souveränität dabei spielt. Diese Ansätze prägen die Wechselwirkung zwischen nationalem und internationalem Recht.

Vorlesung 2 & Doc. "Denza, The Relationsh. betw. Int. & Nat. Law"​​

106. Erläutere den negativen und positiven Friedensbegriff!

  1. Negativer Friedensbegriff:

    • Bedeutung: Der negative Friedensbegriff beschreibt die Abwesenheit von direkter Gewalt, insbesondere bewaffneter Konflikte und Kriege.

    • Relevanz im Völkerrecht: Dieser Begriff steht im Zusammenhang mit dem Gewaltverbot in Art. 2 (4) UNCh, das den Einsatz von Gewalt in internationalen Beziehungen grundsätzlich untersagt.

    • Beispiel: Waffenstillstände oder Abkommen, die kriegerische Auseinandersetzungen beenden.

  2. Positiver Friedensbegriff:

    • Bedeutung: Der positive Friedensbegriff umfasst die Schaffung von Bedingungen, die Gerechtigkeit, Menschenrechte und nachhaltige Entwicklung fördern. Frieden ist hier nicht nur die Abwesenheit von Gewalt, sondern auch die aktive Verwirklichung sozialer, wirtschaftlicher und politischer Stabilität.

    • Relevanz im Völkerrecht: Dieser Begriff spiegelt sich in den Menschenrechten und der Entwicklungszusammenarbeit der Vereinten Nationen wider, etwa in der Förderung von Bildung und Gleichberechtigung.

    • Beispiel: Maßnahmen zur Bekämpfung von Armut und struktureller Gewalt, wie UN-Missionen in Postkonfliktsituationen.

—> Zur UN-Charta: Während das Gewaltverbot (Art. 2 (4)) den negativen Frieden sichert, betonen die Ziele der UN (Präambel und Art. 1) die Verwirklichung des positiven Friedens durch Förderung von Menschenrechten und internationalen sozialen Fortschritt.


Quelle: „Völkerrecht I – Prof. Dr. Stefanie Schiedermair“, Abschnitt zu Art. 39 UNCh​​

107. Erläutere die deklaratorische und konstitutive Theorie der Anerkennung von Staaten!

—> Die Theorien beschreiben unterschiedliche Ansätze, wie ein neuer Staat im Völkerrecht anerkannt wird:

  1. Deklaratorische Theorie:

    • Bedeutung: Ein Staat existiert unabhängig davon, ob er von anderen Staaten anerkannt wird. Die Anerkennung ist lediglich eine Bestätigung der bereits bestehenden Staatlichkeit.

    • Rechtsgrundlage: Diese Theorie basiert auf der Drei-Elemente-Lehre (Bevölkerung, Territorium, effektive Regierung) und der Montevideo-Konvention von 1933.

    • Praktische Relevanz: Ein Staat, der die Kriterien erfüllt, hat Anspruch auf Anerkennung, unabhängig von der politischen Haltung anderer Staaten.

    • Beispiel: Kosovo hat trotz begrenzter Anerkennung durch die internationale Gemeinschaft nach dieser Theorie Anspruch auf Staatlichkeit.

  2. Konstitutive Theorie:

    • Bedeutung: Ein Staat erlangt erst durch die Anerkennung durch andere Staaten seine völkerrechtliche Existenz. Die Anerkennung ist somit ein konstitutiver Akt.

    • Rechtsgrundlage: Diese Theorie betont die politische Dimension der Staatlichkeit und die Notwendigkeit, in die internationale Gemeinschaft integriert zu sein.

    • Praktische Relevanz: Ein Staat, der nicht anerkannt wird, kann keine internationalen Rechte und Pflichten wahrnehmen.

    • Beispiel: Taiwan wird von vielen Staaten nicht anerkannt und hat daher eine eingeschränkte Position im internationalen System.

—> Die meisten Staaten und Völkerrechtler favorisieren die deklaratorische Theorie, da sie auf objektiven Kriterien basiert und nicht von politischen Erwägungen abhängt. Die konstitutive Theorie bleibt jedoch in der Praxis relevant, da Anerkennung oft von geopolitischen Interessen beeinflusst wird.


Vorlesung 4 "Subjects of Public International Law"

108. Was sind „Failing States“ und welche Herausforderungen stellen sie dar?

„Failing States“ sind Staaten, deren Funktionsfähigkeit durch innere Krisen so stark beeinträchtigt ist, dass sie wesentliche staatliche Aufgaben nicht mehr erfüllen können. In extremen Fällen spricht man von „Failed States“, wenn staatliche Strukturen völlig zusammenbrechen.

  1. Merkmale von Failing/Failed States:

    • Fehlende einheitliche Staatsgewalt: Zersetzung der zentralen Autorität.

    • Auflösung der Macht- und Ordnungsstrukturen: Anarchie und Gewalt herrschen vor.

    • Nicht-Erfüllung staatlicher Kernfunktionen: Sicherheit, öffentliche Dienstleistungen und Rechtsstaatlichkeit sind nicht mehr gewährleistet.

    • Beispiele: Somalia, Jemen, Südsudan, Afghanistan, Demokratische Republik Kongo.

  2. Rechtsfragen:

    • Status im Völkerrecht:

      • Ein „Failed State“ bleibt grundsätzlich ein Staat, solange die Möglichkeit zur Wiederherstellung der staatlichen Strukturen besteht.

      • Bei dauerhaftem Wegfall der Staatsgewalt könnte ein „Failed State“ theoretisch als Nicht-Staat betrachtet werden, was jedoch in der Praxis nicht vorkommt.

    • Bedrohung des Weltfriedens:

      • Der Sicherheitsrat kann Maßnahmen gemäß Kapitel VII der UN-Charta ergreifen (z. B. UN-Sicherheitsratsresolution 794 (1992) für Somalia).

  3. Herausforderungen:

    • Rechtsvakuum: Fehlen einer verantwortlichen Regierung erschwert internationale Zusammenarbeit und humanitäre Hilfe.

    • Regionale Instabilität: Konflikte in benachbarten Staaten durch Fluchtbewegungen und grenzüberschreitende Gewalt.

    • Gefahr für globale Sicherheit: Rückzugsorte für Terrorismus, Piraterie und organisierte Kriminalität.

  4. Maßnahmen der internationalen Gemeinschaft:

    • Friedensmissionen und humanitäre Interventionen

    • Aufbau von Regierungs- und Verwaltungsstrukturen („State-Building“)

    • Unterstützung durch Entwicklungszusammenarbeit & wirtschaftl. Förderung


Vorlesung "Subjects of Public International Law" und UN-Sicherheitsratsresolution

109. Was bedeutet Overall Control?

Overall Control ist ein Begriff im Völkerrecht, der insbesondere in Bezug auf die Zurechenbarkeit von Handlungen bewaffneter Gruppen an einen Staat verwendet wird. Dieses Konzept spielt eine zentrale Rolle bei der Bewertung, ob ein Staat durch sein Verhalten die Kontrolle über nicht-staatliche Akteure ausübt und somit für deren Handlungen verantwortlich gemacht werden kann.

Bedeutung und Anwendung des Begriffs

Der Begriff wurde wesentlich im Tadić-Fall des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) definiert. Hierbei handelt es sich um einen Maßstab für die Zurechenbarkeit von Handlungen bewaffneter Gruppen an einen Staat:

  1. Definition von "Overall control":

    • Der Staat muss nicht nur logistische Unterstützung oder Training bereitstellen, sondern auch eine gewisse Kontrolle über die strategischen Entscheidungen der Gruppe ausüben.

    • Dies umfasst jedoch nicht zwangsläufig die Befehlsgewalt über jede einzelne Operation der Gruppe.

  2. Abgrenzung von anderen Kontrollformen:

    Im Vergleich zur "effektiven Kontrolle" (wie sie vom Internationalen Gerichtshof im Nicaragua-Fall angewendet wurde), die eine detaillierte, direkte Kontrolle über spezifische Handlungen fordert, ist "Overall control" weiter gefasst. Es reicht aus, dass der Staat allgemeine Kontrolle und Anleitung bietet.

  3. Relevanz im humanitären Völkerrecht:

    Diese Zurechnungsregel spielt eine entscheidende Rolle bei der Bestimmung der Verantwortlichkeit von Staaten für Verstöße gegen das Völkerrecht, die durch verbündete Milizen oder andere bewaffnete Gruppen begangen werden.

  4. Kritik und Diskussionen:

    Das Konzept ist umstritten, da es möglicherweise zu einer weiten Zurechnung führen könnte. Der Internationale Gerichtshof bevorzugt dagegen die strengere "effektive Kontrolle", um Staaten für Handlungen von Dritten verantwortlich zu machen.

—> Das Konzept des "Overall Control" ist zentral in Fällen, in denen die Beteiligung von Staaten an internationalen Konflikten über Proxys untersucht wird, und spielt eine Schlüsselrolle bei der Bewertung staatlicher Verantwortung im Rahmen des humanitären Völkerrechts​​.

115. Beschreibe die Geschichte des modernen Völkerrechts!

Eckdaten der Geschichte des modernen Völkerrechts:


—> 1648 - Westfälischer Frieden: Beendete den Dreißigjährigen Krieg und etablierte das Prinzip der souveränen Gleichheit der Staaten und der territorialen Integrität als Basis für das moderne Völkerrecht​​.


—> 1776: Unabhängigkeitserklärung der USA von den Briten als Vorgänger des Prinzips des Selbstbestimmungsrechts.


—> 1789: Französische Revolution als weitere Wurzel des Selbstbestimmungsrechts. (Beginn des “langen 19. Jh” - endet mit Ausbruch des 1. Weltkriegs)


—> 1814-1815 - Wiener Kongress: Internationale Konferenz der europäischen Mächte, die nach den Napoleonischen Befreiungskriegen eine Neuordnung Europas anstrebte, um ein Gleichgewicht der Kräfte zu schaffen und dauerhaften Frieden durch territoriale und politische Stabilität zu sichern​​​. (Hierzu wurden persönliche Treffen der Vertreter der Staaten zur Streitschlichtung etabliert.)


—> 1899, 1907: Haager Friedenskonferenzen (2) – Bemühungen um eine friedliche Beilegung internationaler Streitigkeiten


—> Nach dem ersten Weltkrieg (1914-1918): Idee eines internationalen Friedensbundes, insbesondere durch die 14-Punkte-Rede des US-Präsidenten Woodrow Wilson im Jahr 1918.


—> daraus folgte 1919: Vertrag von Versailles, St. Germain und Trianon, Gründung des Völkerbundes, 1920 – „in order to promote international cooperation and to secure international peace and security (…)“ (Preamble to the Covenant of the League of Nations)


—> 27.08.1928 Briand-Kellogg-Pakt in Paris – allgemeines Kriegsverbot! Das erste weltweite Verbot des (Angriffs-) Kriegs im Völkerrecht

“Die Vertragsparteien — darunter auch das Deutsche Reich (1871–1945) — erklären, dass sie den Krieg als Mittel für die Lösung internationaler Streitfälle verurteilen und auf ihn als Werkzeug nationaler Politik in ihren gegenseitigen Beziehungen verzichten (Art. I).”


—> 1939 - 1945: Zweiter Weltkrieg


—> 24.10.1945: Gründung der Vereinten Nationen als ein bedeutender Wendepunkt für das Völkerrecht

  • Die Charta der Vereinten Nationen und die Weltordnungsverträge als Basisverträge für die Internationale Gemeinschaft

  • Allgemeines Verbot der Gewaltanwendung als eines der wichtigen Grundprinzipien (Art. 2 (4) UNCh)

  • Mehr Bedeutung von Rechten des Individuums ( -> ICCPR, ICESCR, 1966/ 1967)


—> insgesamte Entwicklung des internationalen Völkerrechts: Law of Coexistence -> Law of Cooperation -> Law of Constitutionalization

120. Wovon handelt der berühmte Lotus-Case (1927)? (zu extraterritorialen Kompetenzen)

—> Urteil des StIGH

—> Befasste sich mit grundlegenden Fragen der völkerrechtlichen Zuständigkeit und der Souveränität von Staaten. Es wird häufig als wegweisender Fall im internationalen Recht zitiert.

 

„International law governs relationsships between independent States“ (V.4)

 

—> Der Lotus-Fall betrifft einen Zusammenstoß im Jahr 1926 auf hoher See zwischen dem französischen Dampfer S.S. Lotus und dem türkischen Kohlendampfer Bozkurt, bei dem mehrere türkische Staatsangehörige getötet wurden.

—> Nach der Ankunft des Kapitäns der Lotus in der Türkei wurde dieser von den türkischen Behörden wegen Fahrlässigkeit angeklagt.

—> Frankreich argumentierte, dass die Türkei nicht berechtigt sei, die Strafverfolgung einzuleiten, da das internationale Recht ausschließlich den Flaggenstaat des Schiffes (in diesem Fall Frankreich) berechtigt, Straftaten, die auf hoher See begangen wurden, zu verfolgen.


Die zentrale Frage lautete: Hat die Türkei das Recht, einen französischen Staatsangehörigen wegen eines Vorfalls auf hoher See strafrechtlich zu verfolgen?

 

Entscheidung des StIGH (entschied mit knapper Mehrheit zugunsten der Türkei und stellte mehrere wichtige Grundsätze des Völkerrechts fest):

  1. Souveränität der Staaten: Ein souveräner Staat darf jede Handlung vornehmen, die nicht durch int. Recht verboten ist.

  2. Territoriale Zuständigkeit: Türkisches Schiff wird als türkisches Territorium aufgefasst.

  3. Fehlen eines allg. Verbots: Das internationale Recht verbietet nicht ausdrücklich die türkische Strafverfolgung.

Bedeutung des Urteils:

  1. Grundsatz der Freiheit der Staaten – Der Fall wird oft als Ausprägung des „positivistischen“ Völkerrechts zitiert: Staaten haben (bis zu den Grenzen des internationalen Rechts) die Freiheit zu handeln.

  2. Stärkung des Territorialitätsprinzip

Kritik

—> Man kann die Auffassung vertreten, dass hier der Spielraum für staatliches Handeln zu weit gefasst wird und somit potenziell die internationale Ordnung gefährden könnte.

—> Moderne Entwicklungen im Völkerrecht, wie die Anerkennung universeller Menschenrechte und des Gewaltverbots, stehen teilweise im Gegensatz zu der weitgehenden Freiheit, die im Lotus-Urteil postuliert wurde.

—> Doch auch wenn einige seiner Prinzipien heute durch restriktivere Normen überlagert wurden, bildet das Urteil nach wie vor einen Ausgangspunkt für Diskussionen über die Grenzen staatlicher Befugnisse, Zuständigkeit und Souveränität im internationalen Recht​​​. Somit bleibt der Lotus-Fall eine der bedeutendsten Entscheidungen des internationalen Rechts.

121. Worum geht es in der „Friendly Relations Declaration“ von 1970?

—> Eine bedeutende Resolution der UN-Generalversammlung (Resolution 2625 (XXV)), die die Prinzipien des Völkerrechts im Einklang mit der Charta der Vereinten Nationen konkretisiert.

—> Gilt als eine der wichtigsten Dokumente zur Weiterentwicklung des internationalen Rechts und der internationalen Beziehungen nach dem Zweiten Weltkrieg.


Hintergrund:

—> Verabschiedet am 24. Oktober 1970, anlässlich des 25. Jahrestags der UN im Konsensverfahren (-> bedeutet: Entscheidungen werden angenommen, indem festgestellt wird, dass eine Abstimmung nicht verlangt oder kein Einspruch eingelegt wird)

—> Ziel: Die in der UN-Charta niedergelegten Grundprinzipien klarer zu definieren und ihre praktische Anwendung in den internationalen Beziehungen zu fördern.

—> Nicht rechtsverbindlich, jedoch als Ausdruck des Völkergewohnheitsrechts angesehen.

 

Inhalt und Grundprinzipien:

  1. Verbot der Gewaltanwendung

  2. Friedliche Streitbeilegung

  3. Interventionsverbot

  4. Souveräne Gleichheit der Staaten

  5. Selbstbestimmungsrecht der Völker (Insbesondere bei Entkolonialisierung bedeutend)

  6. Zusammenarbeit zwischen den Staaten (im Sinne von internationalem Frieden, Sicherheit, Menschenrechten, wirtschaftlicher Entwicklung)

  7. Erfüllung von Verpflichtungen aus der UN-Charta und dem Völkerrecht (insb. nach dem Prinzip „pacta sunt servanda“)

 

—> Da die Prinzipien als Ausdruck des Völkergewohnheitsrechts angesehen werden, binden sie auch Staaten, die die UN-Charta nicht unterzeichnet haben.

—> Die Deklaration unterstreicht das Ziel der UN, ein System internationaler Beziehungen zu schaffen, das auf Gleichheit, Respekt und Kooperation basiert.

—> Wird häufig als Interpretation der UN-Charta herangezogen und hat erheblichen Einfluss auf die Entwicklung des Völkerrechts genommen.

130. Beschreibe die historische Entwicklung der Menschenrechte!

—> Die Idee der Menschenrechte stammt aus dem Zeitalter der Aufklärung (17./18. Jh). Damals versteht man sie noch als bürgerliche und politische Rechte (Menschenrechte der 1. Generation).

—> erste Kodifizierungen z.B. „Virginia Bill of Rights“ von 1776, „Declaration des droits de l'homme et du citoyen“ von 1789

—> erste multilaterale Verordnung: Verbot der Sklaverei (Wiener Kongress, Schlussakte); Schutz von Individuen im Krieg (humanitäres Völkerrecht)

—> Auf der Ebene des Völkerrechts wurden lediglich die Staaten als Träger von Rechten und Pflichten und somit als Völkerrechtsubjekte anerkannt.

—> Bis hierher ist der Schutz des Individuums daher ein bloßer Rechtsreflex!

Folge: Nur Staaten konnten Verletzung von Menschenrechten gerichtlich geltend machen.

———————

—> nach dem zweiten Weltkrieg: „Universal Declaration of Human Rights“ von 1948

  • nicht verbindlich, aber Vorbild für zukünftige universelle und regionale Menschenrechtserklärungen.

  • wird als Nachweis für Völkergewohnheitsrecht in Rechtssystemen verwendet, in denen das Völkerrecht unmittelbar anwendbar ist.

  • Art. 1: „All human beings are born free and equal in dignity and rights. They are endowed with reason and conscience and should act towards one another in a spirit of brotherhood.“

—> Verteidigung durch: ICCPR und ICESCR von 1966 (Geltung seit 1976)


—> zunehmend menschenrechtszentriertes Völkerrecht: Individuum soll zumindest partielle Völkerrechtssubjektivität zukommen (vgl. Crawford). (dabei wird streng zwischen Rechtsfähigkeit und Handlungsfähigkeit unterschieden.)


—> 1948 Genozidkonvention

—> 1951 Flüchtlingskonvention

—> 1984 Folterkonvention

= Es wird vertreten, dass durch die Konventionen teilweise Gewohnheitsrecht entstanden ist, sodass sie auch für Staaten, die diese nicht unterzeichnet haben, verbindlich sind (insb. Genozidkonvention);


Vorlesung 5

131. Erläutere kurz die Entwicklung des Völkerstrafrechts!

—> 17. Jh.: Piraterie wird weltweit geahndet

—> 19. Jh.: Sklavenhandel auf hoher See

—> 1815: Verurteilung von Napoleon Bonaparte durch die alliierten Mächte

—> nach WWI (1914-1918): Erster Versuch durch die damaligen Siegermächte (USA, Frankreich, UK, Italien), Wilhelm II wegen des Angriffsverbrechens anzuklagen

  • siehe Art. 227 Vertrag v. Versailles, 1919

—> nach WWII: Nürnberger Prozesse und Tokioter Prozess (1945-1948)

  • Bestrafung schwerster Kriegsverbrechen des 2. Weltkriegs

  • Richter aus UK, Frankreich, USA & USSR

  • bestraft wurden: Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit auf Basis des London Agreement v. 8.8.1945

  • Doch es gab auch Kritik: Selbstjustiz der Siegermächte; Verstoß gegen den Grundsatz nulla poena sine lege

—> weitere wichtige Entwicklungen:

  • ICTY, 1993-2017: International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia

  • ICTR, 1994-2015: International Criminal Tribunal for Rwanda

    —> Beide Tribunale wurden durch den Sicherheitsrat auf Grundlage der Art. 39 und Art. 41 UNCh errichtet

  • „Hybride“ Strafgerichtshöfe: The Special Court of Sierra Leone (SCSL) 2002-2013, Extraordinary Chambers in the Courts of Cambodia (ECCC) 2003-heute, Special Tribunal for Libanon (STL) 2007-heute

    —> Mischung aus internationalen und nationalen Gerichten

—> 2002: ICC, International Criminal Court

  • Rechtsgrundlage ist das Römer Statut mit Wirkung vom 01.01.2002

  • Sitz in Den Haag

  • 18 Richter sollen die unterschiedlichen Rechtssysteme der Welt repräsentieren

  • 123 Mitglieder (~60 % aller Staaten; USA, China & Russland sind keine Mitglieder)

  • Rechtspr. ratione temporis (Art. 11 Rom-Statut) (d.h. nur für Verbrechen ab 2002)

  • Verfolgt: Genozid (Art. 6 Rom-Statut), Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 7 Rom-Statut), Kriegsverbrechen (Art. 8 Rom-Statut), Angriffsverbrechen (Art. 8 (2) (b))

Quelle: Vorlesung 6

135. Was sind der Prüfungsaufbau und die Rechtsfolgen für die staatliche Verantwortlichkeit?

  1. Deliktsfähigkeit:

    —> Rechtsfähigkeit zur Begehung einer international rechtswidrigen Handlung (Delikt)

    a) aktive Deliktsfähigkeit: Fähigkeit, Subjekt/ Täter eines völkerrechtlichen Delikts zu sein. Dies setzt Rechtsfähigkeit und Handlungsfähigkeit voraus.

    • Handlungsfähigkeit fehlt z.B. bei besetzten Staaten oder Failed States.

    b) passive Deliktsfähigkeit: Fähigkeit Objekt/ Opfer eines völkerrechtlichen Delikts zu sein. Nur die Rechtsfähigkeit ist erforderlich, daher kann jedes Völkerrechtssubjekt passiv deliktsfähig sein.

  2. Zurechenbarer Normverstoß:

    a) zurechenbare Handlung oder Unterlassung

    • Hierzu Art. 4-11 ILC DA: Menschliches Verhalten führt nur zur Verantwortlichkeit, wenn es dem Deliktssubjekt zurechenbar ist.

    b) Verletzung einer Norm des Völkerrechts

    —> Verletzung einer völkerrechtlichen Pflicht, die dem Deliktssubjekt gegenüber dem Deliktsobjekt obliegt.

    • Kann sich aus Vertrag, Gewohnheitsrecht oder allgemeinen Rechtsgrundsätzen ergeben, gem. Art. 38 IGH-Statut

    • bei mehreren in Betracht kommenden Rechtsquellen Grundsatz der Spezialität: Bilateraler Vertrag - Multilateraler Vertrag - Gewohnheitsrecht - allgemeine Rechtsgrundsätze

    • Auch Beihilfe, Effektive Kontrolle und Nötigung sind Verstöße (Art. 16-18)

  3. Rechtswidrigkeit

    —> keine Rechtfertigungsgründe ersichtlich:

    • EInwilligung, Selbstverteidigung, Gegenmaßnahme, höhere Gewalt, Notlage, Notstand (Art. 20-25 ILC DA)

  4. Rechtsfolgen: Wiedergutmachung (Restitution Art. 35 ILC DA, Schadenersatz/ Entschädigungspflicht Art. 36 ILC DA, Genugtuung Art. 37 ILC DA)


139. Beschreibe kurz den Irak-Kuwait Krieg und warum er völkerrechtlich relevant ist!

—> Begann am 2. August 1990, als der Irak unter Saddam Hussein Kuwait überfiel und annektierte.

—> Der Krieg wurde durch wirtschaftliche und territoriale Spannungen ausgelöst, einschließlich Streitigkeiten über Ölförderung und Grenzfragen.


—> Die internationale Reaktion, angeführt von den Vereinten Nationen und einer von den USA geführten Koalition, führte zur Verabschiedung mehrerer UN-Resolutionen (z. B. Resolution 678), die den Irak zur sofortigen Rücknahme der Besetzung aufforderten. Nach der Weigerung des Irak begann im Januar 1991 die Operation Desert Storm, ein massiver militärischer Angriff, der die irakischen Truppen aus Kuwait vertrieb und den Konflikt beendete.


Völkerrechtliche Relevanz:

  1. Verstoß gegen das Gewaltverbot (Art. 2 Abs. 4 UNCh): Die Invasion war eine eindeutige Verletzung der territorialen Integrität Kuwaits.

  2. UN-Reaktion: Der Sicherheitsrat verurteilte die Invasion in Resolution 660 und autorisierte später mit Resolution 678 eine multinationale Militärkoalition, um Kuwait zu befreien (Operation Desert Storm).

  3. Präzedenzfall für kollektive Sicherheit: Der Konflikt demonstrierte die Handlungsfähigkeit der UN zur Durchsetzung des Völkerrechts und die Anwendung von Zwangsmaßnahmen gemäß Kapitel VII der UN-Charta.

Der Irak-Kuwait-Krieg bleibt ein wichtiger Fall in der Diskussion über die Wahrung des internationalen Friedens und die Durchsetzung des Gewaltverbots.

141. Können internationale Organisationen zur Verantwortung gezogen werden? Müssen sich daneben auch die Mitgliedsstaaten der internationalen Organisation verantworten?

—> Gemäß den ILC Draft Articles in Responsibility of International Organizations von 2011 können auch internationale Organisationen zur Verantwortung gezogen werden.

—> Grundsätzlich sind die Regeln analog zu denen der Staatenverantwortlichkeit anwendbar

—> Dennoch gibt es einige Unterschiede:

  • Fähigkeit zur internationalen deliktischen Haftung: Entspricht der jeweiligen Subjektivität der Organisationen im Völkerrecht

    —> reicht nur so weit, wie der Gründungsvertrag der Organisation solche Befugnisse einräumt (derivative oder partielle Völkerrechtssubjektivität)

  • Zurechenbares Verhalten von internationalen Organisationen: Bei Inanspruchnahme staatlicher Organe kann das Verhalten einer internationalen Organisation nur dann zugerechnet werden, wenn sie effektive Kontrolle über diese Organe hatte (Art. 7 ILC DA IO)

    —> z.B. Einsatz von nationalen Streitkräften bei UN-Friedensmissionen

—> Gibt es eine Form der ergänzenden Haftung der Mitgliedsstaaten?

  • Gemäß Art. 62 ILC DA IO (-)

  • eine subsidiäre Haftung der Mitgliedsstaaten ist jedoch möglich, wenn diese der Organisation nicht ausreichend finanzielle Mittel zum Ausgleich der deliktischen Haftung zur Verfügung gestellt haben oder die rechtswidrig Handlung der internationalen Organisation nicht hinreichend kontrolliert haben (-> eigene Pflichtenverletzung des Mitgliedsstaates!)

Quelle: Vorlesung 8

143. Nenne Voraussetzungen dafür, wann Gewaltanwendung vorliegt und mögliche Ausnahmen dessen (Art.2 (4) UNCh)!

  1. Gewalt und Androhung von Gewalt (Einsatz von physischem oder psychischem Zwang)

    —> militärische Gewalt

    • nicht-militärische Gewalt umstritten, wahrscheinlich (+) bei physischen Zwangshandlungen mit vis absoluta

    • indirekte Gewalt: Gewaltanwendung durch Dritte

    • Anwendung von Gewalt gegenüber „territoriale Unversehrtheit oder politische Unabhängigkeit eines Staates“ muss nicht unbedingt vorliegen

    —> Androhung von Gewalt ist zumindest dann rechtswidrig, wenn die Anwendung derselbigen – egal in welchem Fall und aus welchem Grund – ebenfalls rechtswidrig sein würde (IGH-Gutachten 1996, 226, 246).

    (P) Was ist Gewaltandrohung? —> Muss nachzuweisen sein.

  2. In internationalen Beziehungen

    —> Die Voraussetzungen gelten nur für den International bewaffneten Konflikt – siehe Art. 2 (4) UNCh

    (≠ Nichtinternational bewaffneter Konflikt)

  3. Ausnahmen

    a) Maßnahmen des Sicherheitsrats

    —> nach Kap. VII UNCh (Art. 42 i.V.m. Art. 39 UNCh),

    —> in Zusammenarbeit mit regionalen Organisationen nach Kap. VIII (Art. 53 UNCh)

    b) individuelle oder kollektive Selbstverteidigung, Art. 51 UNCh

    (Eine weitere Ausnahme vom Gewaltverbot gibt es im Fall der sog. humanitären Intervention [obwohl umstritten], welche auf Kap. VII UNCh gestützt ist. 

    Oder wenn in einem völkerrechtlichen Vertrag ein Recht zur Intervention eingeräumt wurde. [Interessant zu wissen, dass die Feindstaatenklauseln der UN in den Art. 53, 107 und als Halbsatz in Art. 77 UNCh, denen zufolge gegen Feinde des 2. Weltkrieges von den Unterzeichnerstaaten Zwangsmaßnahmen ohne weitere Ermächtigung durch den UN-Sicherheitsrat ausgesprochen werden können, immer noch gültig ist, sollten diese Feindstaaten erneut eine aggressive Politik verfolgen. Konkret geht es um Deutschland, Japan und Italien.])

144. Nach welchen Voraussetzungen kann der Sicherheitsrat Maßnahmen nach Kap. VII UNCh bei Gefährdung des Friedens ergreifen? Welche Maßnahmen kann der Sicherheitsrat ergreifen?

Voraussetzungen:

—> Gefahr für den Frieden, Bruch des Friedens oder Angriffsakt:

  1. —> (tradit.) Def. Frieden: Abwesenheit von Gewalt (negativer Friedensbegriff) insb. eines militärischen Konflikts zwischen Staaten

    —> heute zunehmend auch innerstaatliche Konflikte davon umfasst, welche zu bewaffneten Konflikten führen könnten (Bürgerkrieg)

Mögliche Maßnahmen:

  1. Vorläufige Maßnahmen gem. Art. 40 UNCh:

    —> rechtlich bindende Maßnahmen: Z.B. Forderung zur Unterlassung bewaffneter Handlungen; Zulassung von UN-Beobachtern in ein Krisengebiet

  2. Nichtmilitärische Zwangsmaßnahmen gem. At. 41 UNCh:

    —> Ziel: Druck auf einen Staat ausüben für die Rückkehr zum rechtmäßigen Zustand;

    • z.B. durch vollständige oder teilweise Unterbrechung der Wirtschaftsbeziehungen, Eisenbahn-, See-, Luft-, Post-, Telegrafen-, Funk- und andere Kommunikationsmittel und Abbruch diplomatischer Beziehungen

  3. Militärische Zwangsmaßnahmen gem. Art. 42 UNCh („Peace-Enforcement“)

    —> Ursprünglich waren bei der Gründung der UNO Truppen unter Führung der UNO vorgesehen (s.a. Art. 43 UNCh)

    —> übliche Praxis: Sicherheitsrat ermächtigt einen oder alle Mitgliedstaaten zur Gewaltanwendung

    —> Militärische Zwangsmaßnahmen nur im Rahmen eines Mandats des Sicherheitsrats! (d.h. zeitliche und sachliche Begrenzung der Maßnahme)

    —> Beispiele:

    • Einmarsch des Irak in Kuwait 1990, Zweiter Golfkrieg

    • Koreakrieg 1950 – 1953

    • Kosovokrieg 1999: SR autorisierte einzelne Militärakionen von NATO-Staaten

    • Afghanistan seit 2001: Autorisierung Aufbau von ISAF-Schutztruppen


145. Was ist die Uniting for Peace Resolution?

  • Die Uniting for Peace Resolution (Resolution 377(V) der UN-Generalversammlung) wurde am 3. November 1950 verabschiedet und legt fest, dass die Generalversammlung Empfehlungen entgegen der vorrangigen Zuständigkeit des Sicherheitsrates (siehe Art. 12 Abs. 1 UNCh) aussprechen kann, wenn der Sicherheitsrat aufgrund des Vetos eines ständigen Mitglieds nicht in der Lage ist, bei Bedrohungen des Friedens, Friedensbrüchen oder Angriffshandlungen entsprechend zu handeln.

    —> wurde während Koreakrieg (1950–1953) verabschiedet, als der Sicherheitsrat wegen der (Veto-)Blockade der Sowjetunion in wichtigen Fragen handlungsunfähig war.

    —> USA führten die Initiative an, um die Rolle der Generalversammlung bei der Friedenssicherung zu stärken und eine Alternative zum blockierten Sicherheitsrat zu schaffen.

  • Generalversammlung kann Empfehlungen an Mitgliedstaaten aussprechen, einschließlich Maßnahmen zur Erhaltung oder Wiederherstellung internationalen Friedens und Sicherheit.

  • Eine Dringlichkeitssitzung muss auf Antrag von 9 Mitgliedern des Sicherheitsrats oder einer Mehrheit der Mitglieder der Generalversammlung einberufen werden.

  • Rechtlich nicht bindend, können jedoch politischen Druck auf Mitgliedstaaten ausüben.

  • Beispiele: Sueskrise (1956), Afghanistan – sowj. Invasion (1980), Ukraine-Konflikt (2022)

  • Kritik:

    • Einige Staaten argumentieren, dass die Generalversammlung nicht befugt sei, in Fragen des internationalen Friedens und der Sicherheit tätig zu werden, die primär dem Sicherheitsrat vorbehalten sind.

    • Es gibt Bedenken, dass die Resolution das Gleichgewicht der UN-Charta verschiebt.


146. Was ist der Unterschied zwischen einem „internationalen bewaffneten Konflikt“ und einem „nicht-international bewaffneten Konflikt“?

  1. International bewaffneter Konflikt

    —> Konflikt zwischen mind. 2 Staaten bzw. zwischen staatl. Streitkräften (Art. 2 (1) GA I-IV).

    —> Der bloße Einsatz militärischer Waffengewalt reicht aus.

    • Waffengewalt = alle technischen Instrumente, die geeignet sind, Gegner zu schädigen.

    • Cyber-Operation str.: H.M., die Cyber-Operationen müssen zumindest von der Auswirkung her entsprechend konventionelle Waffen eingesetzt worden sein.

    —> Offizielle Kriegserklärung nicht notwendig

    —> Auch Besatzungen erfasst (Art. 2 (2) GA I-IV)

  2. Nicht-internationaler bewaffneter Konflikt

    —> Art. 1 (1) ZP II: „im Hoheitsgebiet einer Vertragspartei“.

    —> Entweder Streitkräfte gegen nichtstaatliche organisierte Gruppen

    —> oder nichtstaatliche organisierte Gruppen unter sich.

    —> Gruppen stehen unter „verantwortlicher Führung“

    —> Gruppen verfügen über territoriale Basis.

    —> Gruppen sind in der Lage „anhaltende, koordinierte Kampfhandlungen“ durchzuführen.


—> Die höhere Gewaltschwelle des NIBK:

  • Während ein international bewaffneter Konflikt bereits durch einen Schuss ausgelöst werden kann, setzt der nicht-international bewaffnete Konflikt eine höhere Gewaltschwelle voraus (Art. 1 (2) ZP II).

  • Nur Konflikte von gewisser Intensität und Dauer.

  • Innere Unruhen dürfen nur nach nat. Recht (unter Beachtung menschenrechtlicher Verpflichtungen) bekämpft werden.

  • Terroristische Handlungen Einzelner genügen nicht

  • Vorliegen eines NIBK bemisst sich also nicht nach Sicht der Regierung, sondern nach objektiven Kriterien

  • (P): Fälle mit ausländischer Beteiligung

    Greift ein auswärtiger Staat in einen Bürgerkrieg ein, richtet sich die Konflikteinordnung nach dem Verhältnis der jeweiligen Konfliktparteien zueinander.

    —> zwischen den Bürgerkriegsparteien handelt es sich um einen NIBK.

    —> Greift der intervenierende Staat auf Seiten der Aufständischen gegen die staatl. Streitkräfte ein, dann liegt ein IBK vor.

    —> Greift der intervenierende Staat auf Seiten der Regierung ein (sog. Intervention auf Einladung), dann liegt ein NIBK vor.


152. Erläutere die historische Entwicklung der kollektiven Friedenssicherung vom Mittelalter bis zur Entstehung des Völkerbundes!

  1. Mittelalter

    • Lehre vom “gerechten Krieg” (bellum iustum)

      • ist nur aus gerechtem Grund zulässig, als Vergeltung für Rechtsverletzung und Durchsetzung des Glaubens

      • Theologische begründet durch Augustinus unter berufung auf antike Quellen (Cicero) von Thomas v. Aquin weiterentwickelt

  2. Klassisches Völkerrecht

    • 1623: Emeric Crucé - Der neue Kineas —> erster Entwurf eines Weltfriedensplans

      —> Wirtsch. Entwicklung wird durch Frieden gefördert; Streitigkeiten der Herrscher durch Schiedsspruch beilegen

    • 1648: Wesfälischer Friede

      —> Markiert das Ende des 30-Jährigen Krieges

      —> Entstehung des modernen Territorialstaats

      —> kein System kollektiver Friedenssicherung

    • Prinzip der Souveränität: Jean Bodin & Thomas Hobbes

    • 1758: Emer de Vattel: Droit de gens

      —> Gleichheit der Staaten; Staatenwelt als Gemeinschaft (société des nations)

    • 1795: Immanuel Kant: Zum ewigen Frieden

      —> Schrift dient als Vorlage zur Idee der Vereinten Nationen

    • Wiener Kongress 1815: Neuordnung Europas nach napoleanischen Kriegen

      • Heilige Allianz Bündnis zw. Österreich, Preußen & Russland) als erster Ansatz zu einem System kollektiver Friedenssicherung.

    • Europäisches Konzert - Pentarchie in Europa

    <-> 1914 - Ausbruch des ersten Weltkriegs (20 Mio. Tote, 21 Mio. Verletzte, 70 Mio. kämpfende Soldaten)

    • Erste wichtige Wegmarke für die Entwicklung des Völkerrechts.

  3. Entstehung des Völkerbundes (League of Nations)

    • 10.01.1920 gegründet

    • ging aus dem Versailler Vertrag vom 28.06.1919 hervor

    • Gründung folgt der Idee des US-Präsidenten Woodrow Wilson zur Anstrebung einer internationalen Friedenssicherung nach dem ersten Weltkrieg (14-Punkte-Plan, 08.01.1918)


153. Nenne die wichtigsten Daten (Entstehung, Struktur, Steitbeilegung) zum Völkerbund (League of Nations)!

  1. Entstehung

    • 10.01.1920 gegründet

    • ging aus dem Versailler Vertrag vom 28.06.1919 hervor

    • Gründung folgt der Idee des US-Präsidenten Woodrow Wilson zur Anstrebung einer internationalen Friedenssicherung nach dem ersten Weltkrieg (14-Punkte-Plan, 08.01.1918)

      —> Selbstbestimmungsrecht der Völker wird zur Basis eines modernen Völkerrechts erklärt

      —> Forderung öffentlicher Abwicklung int. Friedensverträge -> Transparenz

      —> Freiheit der Schiffahrt auf den Weltmeeren (heute Seerecht)

      —> Zunehmender Abbau wirtschaftl. Schranken, möglichst gleiche Handelsbedingungen für die Staaten (heute: Welthandelsrecht)

      —> Rüstungsbeschränkungen für alle Nationen

      —> “Verband der Nationen” soll durch gegenseitige Bürgschaften Unabhängigkeit und Unverletzbarkeit nationaler Territorien aller Länder absichern (System kollektiver Sicherheit; Erstmals Verknüpfung von Theorie und Praxis)

  2. Struktur

    • Bundesversammlung: Jedes Mitgl. hat eine Stimme; idR Einstimmigkeit für Beschlüsse erforderlich

    • Rat

      • ständ. Mitgl.: Brit. R., FR., IT., JAP., DT. Reich (1926 - 1933), UdSSR (1934 - 1939)

      • nichtst. Mitgl.: zunächst 4, später 12 (Art. 4 VBS)

    • Ständiges Sekretariat am Bundessitz in Genf: Ein Generalsekretär, Sekretäre und Personal

  3. Streitbeilegung

    • Kern des Völkerbundes

    • Mechanismen zur Kriegsverhütung

      —> Jeder Krieg gegen ein Mitgl. betrifft den VB insgesamt (Art. 11 VBS)

      —> Jeder Angriff eines Mitgl. auf ein anderes Mitgl. betrifft den VB insgesamt (Art. 16 VBS)

      —> Im Fall des Angriffs auf ein Mitgl. sind alle Mitgl. zum Abbruch der Handels- und FInanzbeziehungen verpflichtet

      —> Rat konnte milit. Maßnahmen gegen den betroffnen Staat vorschlagen

  4. Schwächen des Völkerbundes

    • Rat des VB konnte keine verbindlichen militärischen Zwangsmaßnahmen beschließen (Art. 16 II).

    • Kein materielles Gewaltverbot

      —> zwarBriand-Kellogg-Pakt (1928): (nur) Materielles Kriegsverbot, das für die meisten Mitgl. der damaligen Völkergemeinschaft galt, ABER es gab keine materiellen Durchsetzungsintrumente und der Pakt wurde auch nicht ausdrücklich in VBS aufgenommen.

    • Keine Universalität des VB

      —> USA nie Mitglied

      —> Austritt des DT. Reichs, 1933, JAP 1933, IT 1937, SP 1937

      —> Ausschluss der Sowj.U. 1939 nach Angriff auf Finnland

  5. (Koflikte)

    —> Manschurei 1932 (China - Japan)

    —> Äthiopien 1935 (Italien - Äthiopien)

    —> Finnland 1939 (Sowj.Union - Finnland)


156. Welche Voraussetzungen müssen für den Beitritt eines Staates in die Vereinten Nationen gegeben sein?

—> Voraussetzungen des Beitritts nach Art. 4 (1) UNCh:

  1. Staat

    —> Drei-Elemente-Lehre

    —> UND die Fähigkeit zur Aufnahme internationaler Beziehungen (Montevideo-Konvention)

    —> Anerkennung durch andere Staaten erforderlich?

    • Deklaratorische Theorie (-)

    • Konstitutive Theorie (+)

    Bei der Entscheidung über die Staatlichkeit eines aufzunehmenden Staates besitzen die Organe Ermessensspielraum (Art. 4 UNCh) - ABER: Ermessensreduktion, soweit Beitrittskandidat zuvor bereits von allen MS anerkannt wurde

    • (Es besteht eine eigens gegründete Kommission des SR zur Aufnahme neuer Mitglieder)

  2. Wille und Befähigung, die Verpflichtung aus der Charta zu erfüllen

    —> Befähigung setzt effektive Staatsgewalt voraus

    —> Negativbeispiel: Apartheidstaat -> Verstößt gegen das Selbstbestimmungsrecht der Völker -> Antrag würde abgelehnt werden

  3. Friedliebender Staat

    —> Nicht friedliebend nach Vorstellung der Gründungsväter waren:

    • Die Feindstaaten und

    • Regime, die mit deren Hilfe an die Macht kamen.


(—> Beitrittsverfahren (vgl. Art. 4 (2) UNCh):

  • Generalsekretär legt Aufnahmegesuch den Vertretern im Sicherheitsrat vor.

  • Gesuch wird an einen Ausschuss des Sicherheitsrats überwiesen, in dem jedes Mitgl. des Rates vertreten ist.

  • Ausschuss prüft jedes ihm vorgelegte Gesuch und erstattet dem Rat über das Ergebnis dieser Prüfung spätestens 35 Tage vor einer ordentlichen Tagung der Generalversammlung Bericht)


157. Wovon handelt der ICJ Nuclear-Test-Case?

  1. Hintergrund

    —>Nuclear-Tests-Cases (1974) vor dem IGH bezeichnen zwei Verfahren, die Australien und Neuseeland gegen Frankreich eingeleitet hatten. Kern des Rechtsstreits war Frankreichs Durchführung von atmosphärischen Atomtests im Südpazifik, in Französisch-Polynesien.

    —>Australien und Neuseeland waren besorgt über mögliche radioaktive Fallouts, die Gesundheit und Umwelt im Pazifik gefährden könnten.

    —> Sie beantragten beim IGH, Frankreich möge die Tests einstellen und künftig unterlassen.

  2. Verlauf vor dem IGH

    —> 1973:Australien und Neuseeland reichten getrennte Klagen beim IGH ein.

    —> IGH stellte zunächstvorläufige Maßnahmen in Aussicht, die Frankreich zur Einstellung der Tests auffordern sollten.

  3. Urteil und Bedeutung

    —> Frankreichs einseitige Erklärung:Noch während des Verfahrens gab Frankreich bekannt, es werde keine weiteren atmosphärischen Tests mehr durchführen und stattdessen auf unterirdische Tests umstellen.

    —> Da der IGH den französischen Erklärungen vertraute und diese als verbindlich ansah, erklärte er das Verfahren 1974 für erledigt („moot“). -> Hauptziel der Klagen somit bereits erreicht.

  4. Relevanz in der Völkerrechtsgeschichte

    —> Unilaterale Erklärungen:Das Urteil machte deutlich, dass ein Staat durch eine unilaterale Erklärung völkerrechtlich gebunden sein kann, wenn sie eindeutig und öffentlich erfolgt.

    —> Umwelt- und Gesundheitsaspekte:Die Fälle unterstrichen das wachsende Bewusstsein für den Umweltschutz und die gesundheitlichen Risiken von Atomwaffentests.

    —> Völkerrechtliches Vorgehen:Sie zeigen, dass Staaten vor dem IGH Rechtsschutz suchen können, um Aktionen anderer Staaten, die Mensch und Umwelt gefährden, untersagen zu lassen – sofern die Gerichtsbarkeit des IGH anerkannt wird.

—> Obwohl die Verfahren durch Frankreichs Ankündigung quasi gegenstandslos wurden, gelten die Nuclear-Tests-Cases bis heute als wichtiger Meilenstein für das Völkerrecht, insbesondere im Hinblick auf die Bindungswirkung unilateraler Erklärungen und den Schutz vor grenzüberschreitenden Umweltgefahren.

163. Wovon handelt der Injuries Suffered Case?

Der "Injuries Suffered in the Service of the United Nations"-Fall (auch bekannt als der Reparations for Injuries Suffered in the Service of the United Nations-Fall) wurde 1949 vom IGH entschieden. Dieser Fall war grundlegend für die Klärung der Rechtsstellung internationaler Organisationen, insbesondere der Vereinten Nationen (UNO), im Völkerrecht.

Hintergrund:

  • UN-Mediator, Graf Folke Bernadotte, wurde 1948 während seines Einsatzes im Konfliktgebiet Palästina ermordet.

  • Vereinten Nationen stellten die Frage, ob sie im Namen ihrer Mitarbeiter Schadensersatz von einem Staat fordern könnten, wenn diese bei der Erfüllung ihrer Aufgaben verletzt oder getötet werden.

Zentrale Rechtsfragen:

  1. Völkerrechtliche Rechtspersönlichkeit der UNO:

    Kann die UNO im internationalen Recht als eigenständige Person auftreten, unabhängig von ihren Mitgliedstaaten?

  2. Recht auf Schadensersatz:

    Kann die UNO für Verletzungen, die einem ihrer Mitarbeiter während der Erfüllung von UN-Aufgaben zugefügt wurden, Schadensersatz von einem Staat fordern?

Entscheidung des IGH:

  1. Völkerrechtliche Rechtspersönlichkeit:

    • IGH stellte fest, dass die UNO eine eigene völkerrechtliche Rechtspersönlichkeit hat. Sie ist also Träger von Rechten und Pflichten im Völkerrecht und kann unabhängig von ihren Mitgliedstaaten handeln.

    • Rechtspersönlichkeit ist implizit aus der UN-Charta abzuleiten, da die UNO internationale Aufgaben und Befugnisse hat, die ohne eine solche Anerkennung nicht durchführbar wären.

  2. Recht auf Schadensersatz:

    • UNO kann im Namen ihrer Mitarbeiter Schadensersatz fordern, wenn deren Verletzungen in Ausübung ihrer offiziellen Aufgaben entstanden sind.

    • Dieses Recht basiert auf der Notwendigkeit, dass die Organisation ihre Aufgaben ohne Eingriffe oder Behinderungen durch Staaten ausführen können muss.

Bedeutung:

  • Der Fall war wegweisend für die Entwicklung des internationalen Organisationsrechts. Er bestätigte, dass internationale Organisationen, wie die UNO, nicht nur auf ihre Mitgliedstaaten beschränkt sind, sondern als eigenständige Akteure im Völkerrecht auftreten können.

  • Er stärkte die Unabhängigkeit und Effektivität der Vereinten Nationen bei der Erfüllung ihrer Missionen.


164. Wovon handelt der Fall Görgülü?


—>Fall Görgülü bezieht sich auf eine Reihe von deutschen Familienrechtsstreitigkeiten, in denen Kazim Görgülü, ein in Deutschland lebender türkischer Staatsbürger, über mehrere Jahre hinweg um das Sorgerecht und das Umgangsrecht für seinen Sohn kämpfte.


Hintergrund:

  • Görgülü und die Mutter seines Sohnes waren nicht verheiratet. Nach der Geburt gab die Mutter das Kind ohne Görgülüs Wissen und Zustimmung zur Adoption frei.

  • Kind wurde in eine Pflegefamilie gegeben, während Görgülü versuchte, sein Recht als Vater geltend zu machen.

Rechtliche Auseinandersetzungen:

  • AG Wittenberg: Entschied zugunsten Görgülüs und sprach ihm Umgangsrecht zu.

  • Oberlandesgericht Naumburg: Hob mehrfach Entscheidungen des Amtsgerichts auf und verweigerte Görgülü das Umgangsrecht.

  • EGMR: Görgülü brachte den Fall vor den EGMR, der entschied, dass deutsche Gerichte sein Recht auf Familienleben gemäß Art. 8 EMRK verletzt hatten.

  • BVerfG: In mehreren Entscheidungen betonte das BVerfG die Verpflichtung deutscher Gerichte, Urteile des EGMR zu berücksichtigen, und hob Entscheidungen des OLG Naumburg auf.

    —> BVerfG bezog dabei die konventionskonforme Auslegung auf das Grundgesetz selbst!

Bedeutung des Falls:

  • Berücksichtigung von EGMR-Urteilen: Fall unterstrich die Pflicht nationaler Gerichte, Entscheidungen des EGMR in ihre Rechtsprechung einzubeziehen.

  • Rechtsstaatlichkeit: Der Fall betonte die Bedeutung der Rechtsstaatlichkeit und der Einhaltung internationaler Menschenrechtsstandards in nationalen Gerichtsverfahren.

  • Völkerrechtsfreundlichkeit der deutschen Rechtsordnung! - Allgemeine Regeln des Völkerrechts sind gem. Art. 25 GG als Teil des Bundesrechts anzuerkennen.


166. Benenne mögliche Herausforderungen bei der Bewertung von Stellvertreterkriegen.

Ein Stellvertreterkrieg ist ein Konflikt, in dem Staaten oder andere Akteure nicht direkt gegeneinander kämpfen, sondern andere Parteien (z. B. nichtstaatliche Gruppen oder Drittstaaten) unterstützen, um ihre Interessen durchzusetzen. Dabei stellen sich zahlreiche völkerrechtliche Fragen, insbesondere im Hinblick auf Souveränität, Gewaltverbot und humanitäres Völkerrecht.

  1. Umgehung des Gewaltverbots (Art. 2 (4) UNCh)

  • Teilnehmer nutzen oft indirekte Mittel, um das Gewaltverbot formal zu umgehen, z. B. durch Unterstützung nichtstaatlicher bewaffneter Gruppen.

  • Es ist schwer nachzuweisen, ob ein Staat durch Waffenlieferungen, logistische Hilfe oder Ausbildung direkt Gewalt ausübt.

  • Die Abgrenzung zwischen rechtmäßiger Unterstützung und völkerrechtswidriger Gewaltanwendung bleibt oft unklar.

  1. Souveränität und Interventionsverbots

  • Die Unterstützung von Rebellengruppen oder Oppositionsbewegungen in einem anderen Staat stellt in vielen Fällen eine Verletzung der Souveränität dar.

  • Die Frage der Legitimität von Regierungen kann genutzt werden, um militärische Unterstützung für Oppositionsgruppen zu rechtfertigen.

  • Beispiel: Die Unterstützung der syrischen Opposition durch externe Staaten während des Bürgerkriegs führte zu Vorwürfen der völkerrechtswidrigen Einmischung.

  1. Zurechnung von Handlungen

  • Wenn Staaten nichtstaatliche Akteure wie Milizen oder Terrorgruppen unterstützen, bleibt oft unklar, in welchem Ausmaß diese Handlungen dem unterstützenden Staat zugerechnet werden können.

  • Die Kriterien für „effektive Kontrolle“ (wie im Nicaragua-Fall des IGH) sind schwer anzuwenden und nachzuweisen.

  • Folge: Staaten können schwer zur Rechenschaft gezogen werden, selbst wenn ihre Unterstützung zur Eskalation des Konflikts beiträgt.

  1. Humanitäres Völkerrecht und Kriegsverbrechen

  • Nichtstaatliche Akteure, die oft als Stellvertreter fungieren, verletzen häufig grundlegende Regeln des humanitären Völkerrechts (z. B. Schutz von Zivilisten, Verbot von Folter).

  • Unterstützende Staaten können völkerrechtlich verantwortlich gemacht werden, wenn sie bewusst Gruppen unterstützen, die Kriegsverbrechen begehen.

  • Beispiel: Die Unterstützung von Gruppen wie der Hisbollah oder den Huthi-Rebellen hat wiederholt zu Vorwürfen von Kriegsverbrechen geführt.

  1. Fragmentierung des Konflikts

  • Stellvertreterkriege führen oft zu einer Fragmentierung und Verlängerung des Konflikts, was die Umsetzung von Friedensverträgen und humanitären Maßnahmen erschwert.

  • Die Vielzahl an Akteuren macht es schwierig, Verantwortlichkeiten festzulegen und Friedensverhandlungen durchzuführen.

  1. Unklare Legitimität und Rechtsgrundlagen

  • Staaten berufen sich oft auf unterschiedliche rechtliche Begründungen, z. B. Selbstverteidigung (Art. 51 UN-Charta) oder die Einladung einer Regierung, um ihre Unterstützung zu rechtfertigen.

  • Die Legitimität solcher Argumente ist oft umstritten, insbesondere wenn die betroffene Regierung international nicht anerkannt ist.

  1. Schwache Mechanismen zur Durchsetzung des Völkerrechts

  • Internationale Kontrollmechanismen sind oft nicht in der Lage, Verstöße im Kontext von Stellvertreterkriegen effektiv zu sanktionieren.

  • Institutionen wie der Internationale Gerichtshof (IGH) oder der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) haben begrenzte Möglichkeiten, Staaten oder nichtstaatliche Akteure zur Verantwortung zu ziehen.

  1. Politische und moralische Doppelmoral

  • Staaten interpretieren das Völkerrecht oft selektiv, um ihre eigenen Interessen zu rechtfertigen, was die Glaubwürdigkeit und Einheitlichkeit des Völkerrechts schwächt.

  • Die unterschiedliche Behandlung von Konflikten durch den UN-Sicherheitsrat, abhängig von den Interessen der ständigen Mitglieder, verstärkt dieses Problem.


167. Wovon handelte der Gabčikovo-Nagymaros-Fall?

—> Dem Fall lag ein im Jahr 1977 vertraglich vereinbartes Staudammprojekt zwischen Ungarn und der damaligen Tschechoslowakei zugrunde.

—> Ungarn stellte aufgrund ökologischer Bedenken den ungarischen Teil des Projekts ein, wogegen die Tschechoslowakei protestierte. Die Tschechoslowakei führte in weiterer Folge ihren Teil des Projekts fort.

—> IGH hatte unter anderem die Frage zu beantworten, ob der ungarische Vertragsbruch der Einstellung des Projekts durch Notstand gedeckt war und ob die Tschechoslowakai Gegenmaßnahmen (Countermeasures) ergreifen durfte.

  • IGH bejahte, dass Umweltbedenken ein wesentliches Interesse im Sinne des Notstands darstellen können. Allerdings lag nach Ansicht des IGH weder ein schwere und unmittelbar drohende Gefahr vor, noch war der Vertragsbruch die einzige Möglichkeit zur Abwendung der Gefahr, weshalb sich Ungarn nicht auf den Rechtswidrigkeitsausschließungsgrund des Notstands berufen konnte.

  • Zudem war das Handeln der Tschechoslowakai nicht gedeckt von den Vorschriften zur Vornahme von Gegenmaßnahmen.

—> Vertrag von 1977 sei nicht beendet worden; beide Parteien hätten nicht vertragsmäßig gehandelt, jedoch könne weder das rechtswidrige Handeln einer Partei noch ein „ökologischer Notstand“ die vertragswidrige einseitige Beendigung der Bauarbeiten rechtfertigen.


—>Folgen der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit der Staaten:

Besteht das völkerrechtliche Unrecht in der Nichterfüllung eines Vertrages, so entsteht zusätzlich die Pflicht des Verletzers, Schutzmaßnahmen des Verletzten, wie die Auflösung oder Suspendierung des Vertrages, zu dulden.

168. Erläutere kurz, worum es im Nicaragua-Fall ging und warum er für die Frage der Staatenverantwortlichkeit relevant ist!

—> wegweisender Fall im Völkerrecht, der sich mit der Verantwortung von Staaten für die Unterstützung bewaffneter Gruppen in einem anderen Staat befasste. Der Fall wurde 1984 von Nicaragua gegen die USA vor dem IGH angestrengt.

Kernpunkte des Falls:

  1. Vorwürfe gegen die USA: Nicaragua warf USA vor, gegen das Gewaltverbot gem. Art. 2 (4) UNCh verstoßen zu haben, indem sie die Contra-Rebellen in Nicaragua unterstützten, militärische Aktionen durchführten und Minen in nicaraguanischen Häfen legten.

  2. Gegenposition USA: USA entgegnete, sie würden in kollektiver Selbstverteidigung auf Seiten El Salvadors, Honduras’ und Costa Ricas handeln.

  3. Relevanz des Gewohnheitsrechts: Da die USA den IGH nicht in vollem Umfang anerkannten, konnte der Gerichtshof keine Bestimmungen der UN-Charta prüfen. Stattdessen urteilte er auf Basis des Völkergewohnheitsrechts.

  4. Staatenverantwortlichkeit: Der IGH stellte fest, dass die USA durch die finanzielle, logistische und militärische Unterstützung der Contras die Souveränität Nicaraguas verletzt und das Gewaltverbot missachtet hatten, insbesondere, da es an einem kollektiven Recht auf Selbstverteidigung mangele. Die Minenlegung wurde ebenfalls als rechtswidrig gewertet.

Relevanz für die Staatenverantwortlichkeit:

  • Fall präzisierte die Kriterien, wann ein Staat für Handlungen bewaffneter Gruppen verantwortlich ist. Dazu führte der IGH das "effektive Kontrolle"-Kriterium ein: Ein Staat ist für die Handlungen einer nicht-staatlichen Gruppe verantwortlich, wenn er eine tatsächliche und umfassende Kontrolle über deren Handlungen ausübt.

    —> In diesem Fall verfügte die USA über keine effektive Kontrolle der Contras.

  • Dies setzte Maßstäbe für zukünftige Fälle, wie z. B. den Tadić-Fall vor dem Jugoslawien-Tribunal (ICTY —> entwickelte das Konzept des “Overall Control”), und beeinflusste die Entwicklung der Artikel zur Staatenverantwortlichkeit der ILC (siehe Art. 8 ILC DA).

Der Nicaragua-Fall ist somit ein Schlüsselurteil zur Präzisierung der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit von Staaten und der Anwendung von Gewaltverboten​​​.

Wenn man mit einem Staat eine Beziehung eingeht, den man nicht anerkennt, ist das eine automatische Anerkennung?

Nein, die Aufnahme von Beziehungen mit einem Staat bedeutet nicht automatisch dessen völkerrechtliche Anerkennung. Es kommt darauf an, welche Art von Beziehungen eingegangen wird und welche Absichten dahinterstehen. Die Anerkennung eines Staates ist ein bewusster, rechtlich bedeutender Akt, der in der Regel ausdrücklich erklärt wird.

Beziehungen ohne Anerkennung

Staaten können miteinander Beziehungen unterhalten, ohne dass eine völkerrechtliche Anerkennung vorliegt. Dies kann beispielsweise in folgenden Fällen vorkommen:

1. Pragmatische oder technische Beziehungen

Staaten können praktische Beziehungen eingehen, z. B. Handelsabkommen abschließen oder diplomatische Kontakte für bestimmte Themen pflegen, ohne den anderen Staat formell anzuerkennen.

Beispiel: Taiwan unterhält Handelsvertretungen in vielen Staaten, ohne dass diese Taiwan als Staat anerkennen.

2. Humanitäre Hilfe oder Verhandlungen

Auch bei Verhandlungen, Friedensgesprächen oder humanitärer Hilfe wird nicht automatisch ein Anerkennungsakt vorgenommen. Solche Kontakte dienen oft spezifischen Zwecken.

3. Implizite oder explizite Nichtanerkennung

Ein Staat kann ausdrücklich klarstellen, dass eine Zusammenarbeit oder Kontaktaufnahme nicht als Anerkennung verstanden werden soll. Dies ist oft bei politischen Konflikten der Fall.

Wann ist es eine Anerkennung?

Eine Anerkennung liegt vor, wenn ein Staat ausdrücklich oder durch Handlungen erkennen lässt, dass er den anderen Staat als eigenständige, souveräne Einheit im Sinne des Völkerrechts akzeptiert. Das kann durch:

• die Aufnahme diplomatischer Beziehungen (z. B. Botschaften),

• offizielle Erklärungen oder

• völkerrechtliche Verträge geschehen.

Fazit

Die bloße Aufnahme von Beziehungen bedeutet nicht automatisch eine Anerkennung. Entscheidend ist, ob der Staat eine solche Absicht durch Worte oder Handlungen klar macht.

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Hosna E.

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