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StPO Wissen

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by Ann-kathrin L.

Beweisverwertung im Strafprozess

Systematik

Zunächst ist zu unterscheiden zwischen

  • Beweiserhebungsverboten (= Verbot bestimmter Beweisthemen/ Beweismittel/ Beweismethoden)

  • Beweisverwertungsverboten (BVV) (= Beweismittel darf im Prozess nicht herangezogen werden)

    BVV können:

    • uneingeschränkt (= Beweismittel darf überhaupt nicht verwendet werden) oder (seltener)

    • eingeschränkt (= Beweismittel bei best. Verfahren/ Zwecken/ bes. Voraussetzungen unverwertbar) sein.

Ein BVV liegt zunächst immer dann vor, wenn das Beweismittel als solches nicht erhoben werden durfte (für den Fall des § 136a I folgt das zB aus § 136a III). Ist die Beweiserhebung als solche aber allgemein zulässig, so ist wie folgt zu differenzieren:

  • Ein selbstständiges BVV liegt vor, wenn es unabhängig von der Rechtswidrigkeit (also auch bei Rechtmäßigkeit) der Beweisgewinnung gegeben ist (zB § 252 StPO).

  • Ein unselbstständiges BVV liegt vor, wenn es die Folge einer rechtswidrigen Beweisgewinnung ist. Indes ergibt sich aus der Rechtswidrigkeit der Beweisgewinnung nicht automatisch ein BVV. Die Regel ist vielmehr, dass auch rechtswidrig erlangte Beweismittel vewertet werden können (vgl. § 244 II StPO, nach der die Beweisaufnahme auf alle relevanten Beweismittel zu erstrecken ist). Es bedarf daher einer Einzelfallprüfung, unter welchen Voraussetzungen von der gesetzgeberischen Ausnahme eines unselbstständigen BVV auszugehen ist.

Prüfungsablauf zur Ermittlung unselbstständiger Beweisverwertungsverbote

Prozessual ist zu beachten, dass die Geltendmachung eines BVV nach der vom BGH vertretenen Widerspruchslösung präkludiert, wenn der Angeklagte bzw. dessen Verteidiger der Verwertung nicht bis zu dem in § 257 I StPO genannten Zeitpunkt ausdrücklich widerspricht. Wann diese im Gesetz nicht geregelte (und deshalb von der Lit. kritisierte) Widerspruchslösung greift, ist im Wege wertender Betrachtung zu ermitteln. Ausnahmen macht der BGH jedenfalls dann, wenn besonders schwerwiegende Verstöße bei der Beweisaufnahme die Verwertung des Beweismittels schlechterdings unmöglich machen.

  1. Rechtswidrige Beweisgewinnung?

    Zunächst ist die Rechtmäßigkeit der Beweisgewinnung zu untersuchen. Sind zB Verfahrensfehler bei der Erhebung des Beweises ist unterlaufen?

    • Ermächtigungsgrundlage war nicht vorhanden

    • Ermächstigungsgrundlage war vorhanden, aber materielle Voraussetzungen fehlten

    • Formelle Eingriffsvoraussetzungen wurden nicht eingehalten

    • bei Vernehmung/ Befragung besonders zu beachten:

      • Eine Belehrung gem. §§ 136 I, 163a III 2, 4 StPO erfolgt nur bei förmlicher Vernehmung, dh wenn Polizei/ StA in amtlicher Eigenschaft gegenübertritt (hM).

      • Bei verbotenen Vernehmungsmethoden greift § 136a StPO. Dieser gilt nach hM ggf. analog, falls eine vernehmungsähnliche Situation vorliegt (dh ggf. auch bei nicht offener und amtlicher Befragung). Der Umfang der Anwendbarkeit von § 136a StPO soll in diesen Fällen ua von der Schwere des Verstoßes abhängen; str.

  2. Führt dieser Verstoß zu einem Verwertungsverbot?

Liegt ein Rechtsfehler, aber (noch) kein Verwertungsverbot vor: Welche sonstigen Auswirkungen sind möglich?

Erreicht die Prüfung zu Punkt 2. nicht die Schwelle eines vollständigen Verwertungsverbots, so kann sich die Rechtswidrigkeit der Beweisgewinnung gleichwohl auswirken.

  1. Kommt zB die Aussage unter Verstoß gg § 55 I, II StPO zustande, so folgt daraus kein Verwertungsverbot zu Gunsten des Angeklagten. Der nicht über sein Schweigerecht aufgeklärte Zeuge wird sich bei seiner aussage aber mit einiger Wahrscheinlichkeit von einer Tendenz zur Selbstbegünstigung und damit zur Belastung des Angeklagten leiten lassen. Dies muss der Richter iRd Würdigung der Aussage des Zeugen berücksichtigen (“Beweiswürdigungslösung”).

  2. Die Rechtswidrigkeit der Beweisgewinnung wurde von der Rspr. zudem iRd Strafzumessung berücksichtigt (“Strafzumessungslösung”).

  3. In einer Entscheidung ist der 2. Strafsenat unter Aufgabe seiner bisherigen Rspr. der Auffassung, dass jedenfalls eine rechtsstaatswidrige Tatprovokation durch verdeckte Ermittler (gleiches gilt für V-Leute) ein eigenständiges Verfahrenshindernis begründe. Zwar sei die Rechtsfigur in der StPO nicht definiert, aber dogmatisch anerkannt. Das Verfahrenshindernis “rechtsstaatswidrige Tatprovokation” führe dazu, dass ein entsprechendes Verfahren einzustellen ist (§§ 206a, 260 III StPO).

  4. Der EGMR hat inzwischen ebenfalls entschieden, dass jedenfalls bei einer rechtsstaatswidrigen Tatprovokation eine ledigliche Berücksichtigung iRd Strafzumessung nicht ausreiche. Liege eine konventionswidrige Anstiftung vor, so seien die zuständigen Behörden bzw. Gerichte verpflichtet, entweder das Verfahren wegen Verfahrensmissbrauchs einzustellen oder alle durch die Anstiftung erlangten Beweise auszuschließen bzw. auf andere Weise vergleichbare Ergebnisse herbeizuführen. Eine erhebliche Midlerung der Straft führe nicht zu vergleichbaren Ergebnissen. Eine rechtsstaatswidrige Tatprovokation könne daher nicht lediglich auf der Ebene der Strafzumessung Berücksichtigung finden; hierdurch werde die durch die Tatprovokation verursachte Verletzung von Art. 6 I EMRK nicht ausreichend kompensiert und der Beschuldigte könne weiterhin behaupten, Opfer einer verletzung von Artikel 6 I EMRK zu sein.

Wichtige gesetzliche Beweisverbote:

Besondere Verfahrensarten

Privatklage, §§ 374 ff. StPO

Bei den in § 374 StPO aufgezählten Delikten verfolgt die StA Privatklagedelikte gem. § 376 StPO nur bei Bejahung des öffentlichen Interesses. Anderenfalls wird der Verletzte auf den Privatklageweg verwiesen; d.h. er muss selbst im Strafprozess Anklage erheben; allerdings vorheriger Sühneversuch erforderlich, § 380 StPO.

Nebenklage, §§ 395 ff. StPO

Bei den in § 395 StPO aufgeführten Delikten besteht auf Opferseite ein Bedürfnis, persönlich im Prozess teilzunehmen. Die Privatperson tritt mit eigenen prozessualen Rechten neben der StA als Nebenkläger auf.

Beschleunigtes Verfahren, §§ 417 ff. StPO

Die Hauptverhandlung findet sofort statt, d.h eine Anklageschrift ist nicht erforderlich und das Zwischenverfahren entfällt. Die StA stellt den Antrag auf Entscheidung im beschleunigten Verfahren, falls die Sache aufgrund des einfachen Sachverhalts oder der klaren Beweislage zur sofortigen Verhandlung geeignet ist, § 417 StPO. Durch das besondere Festnahmerecht, § 127b I StPO, und die Hauptverhandlungshaft, § 127b II StPO, ist das Verfahren abgesichtert.

  • Kleiner Delikte mit klarer Tatsachen- und Beweislage

  • Hauptverhandlung zeitnah, schnell erforderlich (zB weil “reisender Täter”)

Strafbefehlsverfahren, §§ 407 ff. StPO

Dieses Verfahren ist schnell und kostengünstig, da eine Hauptverhandlung nicht erforderlich ist. Die StA erhebt öffentliche Anklage durch Antrag auf Erlass eines Strafbefehls. Dies Zulässigkeitsvoraussetzungen regelt § 407 StPO: Zuständigkeit des AG und Vergehen. Der Richter prüft gem. § 408 StPO Zuständigkeit und das Vorliegen hinreichenden Tatberdachts. Er erlässt den Strafbefehl. Der Beschuldigte kann binnen zwei Wochen Einspruch gegen den Strafbefehl einlegen. Dann findet eine Hauptverhandlung statt.

Das Verschlechterungsverbot (Verbot reformatio in peius) gilt dann - anders als bei den Rechtsmitteln gegen ein Urteil - nicht.

Ansonsten wird der Strafbefehl rechtskräftig, § 410 StPO.

  • Hauptverhandlung erscheint nicht als erforderlich.

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Ann-kathrin L.

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