Strafverfahrensrecht
= beinhaltet das rechtlich geordnete Verfahren, mit dem das Vorliegen einer strafbaren Handlung ermittelt und die im Gesetz vorgesehene Sanktion festgesetzt (Erkenntnisverfahren) und im Falle der Verurteilung vollstreckt wird (Vollstreckungsverfahren)
Kann der Einsatz eines Lockspitzels („agent provocateur“) ein Verfahrenshindernis darstellen?
Verstoß gegen Art. 6 EMRK
Skript S. 48
Der EGMR bezeichnet als Tatprovokation allerdings jedes Tätigwerden eines Lockspitzels, das über ein rein passives Aushorchen/Ausforschen des Betroffenen (der zudem bereits tatverdächtig sein muss) hinaus geht. „Die unzulässige Provokation unterscheidet sich von der erlaubten List dadurch, dass die betreffende Person aktiv zur Begehung einer Straftat verleitet wird, die sie anderenfalls nicht begangen hätte.“ Geprüft wird insbesondere, „ob vor der durch die Polizei ein durch Tatsachen begründeter Verdacht gegen den Betroffenen vorlag und ob Druck zur Begehung der Straftat ausgeübt wurde.“
EGMR verurteilt DE
BGH:
Strafzumessungslösung: polizeiliche Tatprovokation immer noch nur als Strafmilderungsgrund an (sog. Strafzumessungslösung). Die rechtsstaatswidrige Provokation einer Straftat durch Angehörige von Strafverfolgungsbehörden oder von ihnen gelenkte Dritte habe regelmäßig ein Verfahrenshindernis (kein Beweisverwertungsverbot) zur Folge. Mittlerweile hat sich auch der erste Strafsenat dieser Lösung über ein Verfahrenshindernis angeschlossen.
Wichtige Rechte des Beschuldigten
Nennen Sie wichtige Rechte der beschuldigten Person mit ihrer rechtlichen Grundlage!
Aufklärungsrecht darüber, welche Tat ihm zur Last gelegt wird, § 136 I 1 StPO
Nemo-tenetur: Aussageverweigerungsrecht - Umfassendes Schweigerecht des Beschuldigten; vgl. § 136 I 2, § 243 V 1 StPO, s.o.
Verbot, aus dem Schweigen negative Schlüsse zu ziehen (BGHSt 20, 281 (282 f.)
Keine Wahrheitspflicht - Beschuldigter darf grds. lügen! (BGHSt 3, 149 (152)
Recht auf rechtliches Gehör, Art. 103 I GG – weiter konkretisiert in §§ 33, 136 I 2 & II, 201 I, 243 V, 265 StPO (siehe Vorlesung 5/6)
Recht auf den gesetzlichen Richter, Art. 101 I S. 2 GG (siehe Vorlesung 5/6)
Recht auf Strafverteidigung (damit einhergehend das Recht auf einen Verteidigerbeistand, § 137 I S. 1 StPO, ggf. Beiordnung (Pflichtverteidigung))
Recht, Beweisanträge initiativ zu stellen, §§ 166 I, 201 I, 244 f. StPO
Informationsrechte (Aufklärungs- und Belehrungsrechte), §§ 147 IV und VI, 136 I, 201 I, 215 StPO
Fragerecht, § 240 II 1 i.V.m. I StPO
Recht auf das letzte Wort, § 258 I, II HS 2 StPO
Anwesenheitsrecht, § 230 I StPO
Pflichten des Beschuldigten
Keine Pflicht zur aktiven Sachverhaltsaufklärung, insb. keine Wahrheitspflicht (s.o.), jedoch:
Duldungspflichten: Zwang zur passiven Duldung von Verfolgungsmaßnahmen (z.B. körperliche Untersuchung und Blutabnahme, § 81a I StPO)
Mitwirkungspflichten
Pflicht zum Erscheinen zur Beschuldigtenvernehmung bei der StA (§ 163a III S. 1 StPO) oder beim Ermittlungsrichter (§§ 133 f. StPO)
bei Nichterscheinen ggf. Vorführung, §§ 134, 135 StPO; § 230 II
Anwesenheitspflicht in der HV, §§ 230-231 StPO
Was sind verbotene Vernehmungsmethoden, was hat ein Verstoß gegen ein Verbot zur Folge? Wo ist dies geregelt (denken Sie auch an die ermittelnden Strafverfolgungsbehörden!)?
Verbotene Vernehmungsmethoden:
Misshandlung
Ermüdung
Hypnose
Verabreichung von Mitteln
Körperliche Eingriffe
Quälerei
Täuschung
Unerlaubter Zwang
Unzulässige Drohungen
Alles, was auf die Freiheit der Willensentschließung einwirken
Folgen verbotener Vernehmungsmethoden:
Einlassung nicht verwertbar (§ 136a III StPO), auch nicht mit Zustimmung
Hinweis auf neues Beweismittel verwertbar
Persönliche und sachliche Beweismittel
Beweismittel ieS nach NC
persönlich
Zeugenbeweis, §§ 48ff. ZPO
Sachverständigenbeweis, §§ 72ff. StPO
sachlich
Urkundsbeweis, §§ 249ff. StPO
Augenscheinsbeweis, §§ 86ff. StPO
Welches sind nach dem „numerus clausus“ die Beweismittel im engeren Sinne?
Zeugenaussage (§§ 48 ff., 85 StPO)
Sachverständigenaussage (§§ 72 ff. StPO)
Urkundenverlesung ( §§ 249 ff.)
Inaugenscheinnahme (§§ 86 ff., 225)
Zeugenpflichten
Welches sind die Zeugenpflichten?
Anwesenheitspflicht, §48 Abs. 1 S. 1 StPO (beachte § 51 StPO)
Aussagepflicht, §48 Abs. 1 S. 2 StPO
Wahrheitspflicht, §57 S. 1 StPO
Eidespflicht, §59 Abs. 1 S. 1 StPO (beachte §§60 ff. StPO; ≠ Regelfall)
Wer hat Zeugnisverweigerungsrechte, wonach richtet sich dies? Muss hierüber belehrt werden, was sind die Konsequenzen einer fehlenden Belehrung?
§§ 48 ff. StPO
§ 52 Zeugnisverweigerungsrecht der Angehörigen des Beschuldigten
= Schutz des persönlichen Näheverhältnisses durch Auflösung des Konflikts zwischen Wahrheitspflicht und Furcht, eine nahestehende Person belasten zu müssen
Belehrungspflicht, Abs. 3: Nichtbeachtung führt zu Unverwertbarkeit
§ 53 Zeugnisverweigerungsrecht der Berufsgeheimnisträger
Keine Belehrungspflicht
Bei Schweigepflichtsentbindung muss ausgesagt werden
Was ist ein Auskunftsverweigerungsrecht, wo ist es geregelt? Muss hierüber belehrt werden, was sind die Konsequenzen einer fehlenden Belehrung?
§ 55: Jeder Zeuge kann die Auskunft auf solche Fragen verweigern, deren Beantwortung ihm selbst oder einem der in § 52 I bezeichneten Angehörigen die Gefahr zuziehen würde, wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden
Schutz des Zeugen vor seelischer Zwangslage
Belehrung erforderlich: wenn sie unterbleibt aber kein Verwertungsverbot (Rechtskreistheorie), denn Vorschrift soll Zeugen schützen, nicht angeklagte Person (str.)
Sind Sachverständige bei Ihrer Beauftragung die eigentlichen Richter:innen?
Sachverständiger ist, wer über eine dem Gericht fehlende, nicht notwendig wissenschaftliche Sachkunde verfügt ≠ Zeuge
Aber es gibt sachverständige Zeugen, § 85 StPO, die zwar über besondere Sachkunde verfügen, die zur Herleitung eigener professioneller Schlüsse aus wahrgenommenen Tatsachen befähigt, anders als ein Sachverständiger aber nicht von den Strafverfolgungsbehörden beauftragt wurde (zB Arzt, der Verletzung gesehen und behandelt hat)
Einbringung der Expertise durch Erstattung von Gutachten, § 76 StPO
Werden mündlich befragt
Auswertung des Gutachtens: Gegenstand freier richterlicher Beweiswürdigung gem. § 261 StPO
Keine bloße Übernahme des durch den Sachverständigen gefundenen Ergebnisses, sondern gerichtliche Entscheidung in eigener Verantwortung
Wie ist die Rechtsmäßigkeit von Ermittlungsmaßnahmen (Ermittlungs- und Zwangsmaßnahmen, „Standardmaßnahmen“) zu prüfen?
Prüfung von Standardmaßnahmen, dh Überprüfung der Ermächtigungsgrundlage
I. Formelle Rechtmäßigkeit der Maßnahme
Anordnungskompetenz [Zuständigkeit]
Sonstiges [Verfahren, Form]
II. Materielle Rechtmäßigkeit der Maßnahme
Tatverdacht
Sonstige Voraussetzungen
Einschränkungen?
III. Art und Weise des Vollzugs
Was tut ein Ermittlungsrichter?
Kontrolle der Ermittlungshandlungen anderer Organe
Vornahme bestimmter Ermittlungshandlungen
Anordnung von Zwangsmaßnahmen
Auf Antrag der StA (§ 162)
Beweissicherung
Bei schweren Ermittlungseingriffen
Gesetzliche Regelung der körperlichen Untersuchung und ihrer Voraussetzungen
§§ 81a ff. StPO
Abs. 1 S. 1: einfache körperliche Untersuchung (Blutdruck, EKG, CT)
Abs. 1 S. 2: körperlicher Eingriff (Blutabnahme, vhmk und keine weiteren Gesundheitsnachteile)
Nur nach richterlicher Anordnung; Ausnahme: Gefahr im Verzug oder Verkehrsstraftat
Untersuchung bei Beschuldigten, § 81a StPO
Lediglich Duldungs- nicht Mitwirkungspflicht des Betroffenen
Rechtsgrundlage für Gewaltanwendung zur Durchführung: Annex-Kompetenz (Art. 70 GG Land, sofern nicht Bund)
Untersuchung Dritter, § 81c StPO
Nur bei Personen, die abstrakt als Zeugen in Betracht kommen
Untersuchungsverweigerungsrecht, § 81c III StPO
Sonst aber Duldungspflicht „wenn kein Nachteil für seine Gesundheit zu befürchten und die Maßnahmen zur Erforschung der Wahrheit unerläßlich ist (ggfs. Zwangsmaßnahmen); Duldung kann aber zumutbar sein, dann Untersuchung unzulässig (§ 81c IV)
Untersuchung durch Person des gleichen Geschlechts bzw ärztlichem Personal bei möglicher Verletzung des Schamgefühls, § 81d
DNA-Analyse
DNA Analyse, §§ 81e ff. StPO: Erstellung eines DNA Identifizierungsmusters, Vergleich mit DNA Spuren, Bestimmung von Abstammung und Geschlecht
§ 81g: Speicherung bei erheblichen Taten oder Wiederholungsgefahr beim BKA
Blutprobe eines bestimmten Kreises von Männern, die als Täter potenziell in Frage kommen, zulässig, § 81c iVm § 81e bei Kapitaldelikt mit sinnvoll beschränktem Personenkreis als informatorischer genetischer Fingerabdruck
Gesetzliche Regelung der Beschlagnahme und ihre Voraussetzungen
Beschlagnahme, Sicherstellung, §§ 94 ff.
Freiwillige Herausgabe: formlose Sicherstellung, § 94 I
Keine freiwillige Herausgabe: förmliche Beschlagnahme, § 94 II
Voraussetzung:
Anfangsverdacht
Tauglicher Gegenstand
Richterliche Anordnung (oder Gefahr im Verzug)
Keine Herausgabepflicht für diejenigen, die zeugnisverweigerungsberechtigt sind, § 97
Beschlagnahmeverbote und bei wem sie greifen
Zeugnisverweigerungsberechtigte, § 52 StPO
Berufsgeheimnisträger, § 53 I 1 Nr. 1—3b StPO
Berufshelfer, § 53a I 1
Verteidiger: § 148 Verteidigungsfähigkeit im Rahmen eines fairen Verfahrens
Presse, § 53 I 1 Nr. 5 und Berufshelfer
Abgeordnete, § 53 I 1 Nr. 4 und Berufshelfer
Alle iVm § 97 I, II
Verfassungskonforme Auslegung bei sonstigen nicht benannten Fällen
Gesetzliche Regelungen der Durchsuchung und ihre Voraussetzungen
Durchsuchung, §§ 102 ff.
§ 102: Bzgl. Beschuldigter Person: Ergreifen des Verdächtigen —> Wohnung oder Sachen des Beschuldigten durchsuchen unter der Voraussetzung, dass ein Anfangsverdacht besteht
§ 103: Bzgl. unbeteiligten Dritten: Zum Auffinden von Beweismitteln Wohnung oder Sachen von unverdächtigen Dritten durchsuchen unter der Voraussetzung, dass konkrete Tatsachen gegeben sind, die das Auffinden erwarten lassen
Nur nach richterlicher Anordnung, außer Gefahr im Verzug
Bei Räumen: zwei Durchsuchungszeugen
Räume nicht zur Nachtzeit durchsuchen (21 bis 4h bzw. 6h) (außer: auf frischer Tat oder Gefahr im Verzug)
Inhaber darf beiwohnen, sonst Angehöriger oder Nachbar
Gesetzliche Regelungen der verdeckten Ermittlungsmaßnahmen und ihre Voraussetzungen
Telekommunikationsüberwachung, § 100a
Anfangsverdacht einer Katalogtat (Abs. 2)
Tat muss auch im Einzelfall schwer wiegen
Subsidiarität: Aufklärung ansonsten erheblich erschwert
Nicht nur Erkenntnisse aus Kernberecht privater Lebensgestaltung zu erwarten
Richterliche Anordnung, außer Gefahr im Verzug
Akustische Überwachung, §§ 100c, 100f
Kleiner Lauschangriff, § 100f
Menschen, die draußen unterwegs sind
Großer Lauschangriff, § 100c
Besonders schwere Katalogtat, § 100b Abs. 2
Tat wiegt auch iE besonders schwer
Ziel: Äußerung des Beschuldigten oder Aufenthaltsermittlung
Subsidiarität
Keine Erkenntnisse aus Kernbereich zu erwarten
Nicht gegen Berufsgeheimnisträger, § 53 StPO
Richterliche Anordnung, bei Gefahr im Verzug nachträgliche Bestätigung
“Kernbereich privater Lebensgestaltung”
Kernbereichsschutz, § 100d I StPO
Erlangung von Erkenntnissen, die dem Bereich privater Lebensgestaltung angehören
Privatsphäre: Abwägung mit Strafverfolgungsinteresse
Sozialsphäre: kein besonderer Schutz
Kernbereich privater Lebensgestaltung: absolut geschützt
Etwa Selbstgespräche, Ausdruck besonderer Erregung = unverwertbar
Gesetzliche Regelung des verdeckten Ermittlers und seine Voraussetzungen
Unterschied verdeckter Ermittler/V-Mann
V-Person: auf Dauer angelegt, versorgen Polizei mit Informationen, entgeltlich (Vertrauensperson der Polizei)
Verdeckte Ermittler, § 110a: Ermitteln ohne Offenlegung ihrer Polizeizugehörigkeit
noeP: nicht offen ermittelnde Polizeibeamte, nur adhoc, nicht auf Dauer angelegt (unterscheide von verdeckten Ermittlern gem. § 110a)
Voraussetzungen:
Zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für Straftat von erheblicher Bedeutung aus dem Bereich der Organisierten Kriminalität oder Terrorismus
Oder Wiederholungsgefahr bei Verbrechen
Zustimmung der StA oder des Gerichts, § 110b II
Befugnisse erfassen nicht die Begehung von Straftaten!
Rechtsmittel gegen Ermittlungsmaßnahmen
Beschwerde (§ 304) immer möglich
Gegen Beschlüsse und Verfügungen, außer keine Anfechtbarkeit
Bei Gefahr im Verzug gibt es keinen Beschluss
Sowohl gegen das „Ob“ als auch das „Wie“
Antrag auf gerichtliche Entscheidung, § 98 Abs. 2 S. 2 StPO
Bei erledigten heimlichen Maßnahmen= Durchsuchung hat schon stattgefunden (§ 101 Abs. 1 StPO)
Antrag nach § 101 Abs. 7 S. 2 StPO
BGH: § 101 Abs. 7 S. 2 spezieller, daher kein Rückgriff auf Beschwerde
Beschwerde nach § 304 ff. StPO
Bei verdeckten Maßnahmen kein Rechtsschutz
Erledigte heimliche Maßnahmen, § 101 I
Antrag nach § 101 Abs. 7 S. 2
Beschwerde nach § 304 ff.
= Rechtsschutz auch bei verdeckten Maßnahmen, nur nachtröglich
Wie nennt man die Aussage eines Beschuldigten? Ist sie ein Beweismittel im engeren Sinne?Wenn ja, warum, wenn nein, warum nicht
Einlassung
Kein Beweismittel im engeren Sinne. Da aber die Aussage des Angeklagten im Rahmen der freien richterlichen Beweiswürdigung Berücksichtigung findet, spricht man von einem Beweismittel im weiteren Sinne.
Welches sind die Verfahrensgrundsätze/Prozessmaximen im Zusammenhang mit der Einleitung des Verfahrens?
Offizialprinzip
Legalitätsprinzip
Akkusationsprinzip
Grundsatz des gesetzlichen Richters
Welche Funktion hat der Anklagegrundsatz (Akkusationsprinzip)?
Begrenzungsfunktion der Anklageschrift, §§ 151, 155 StPO:
Das Gericht darf nur über Taten entscheiden, die angeklagt sind
Relevanz des prozessualen Tatbegriffs (→ § 264 StPO).
Welches sind die Verfahrensgrundsätze/Prozessmaximen im Zusammenhang mit der Durchführung des Verfahrens?
Ermittlungsgrundsatz (Untersuchungsgrundsatz); Grundsatz des rechtlichen Gehörs; Beschleunigungsgebot
Was versteht man unter dem Untersuchungs- oder Ermittlungsgrundsatz; in welchen Normen findet er sich wieder?
§ 244, §§ 155 II, 160 II, § 244 II StPO: Pflicht der Strafverfolgungsorgane zur Erforschung des wirklichen SV von Amts wegen
Beweisgrundsätze
Was besagt der Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung, wo findet er seine normativen (= gesetzlichen) Grundlage(n)?
Unmittelbarkeitsprinzip
Unschuldsvermutung, in dubio pro reo
Freie richterliche Beweiswürdigung
§ 261 StPO —> persönliche Überzeugung des Richters entscheidend mit Grenzen des freien Überzeugungsbildes
Lückenlose und folgerichtige Argumentation muss Grundlage sein
Welche Verfahrensgrundsätze der Form sollen für Transparenz des Verfahrens sorgen?
Mündlichkeit, §§ 261, 264 StPO
Mündliche Verhandlung
Alle relevanten Dinge müssen in der Verhandlung grundsätzlich mündlich vorgebracht werden
Verlesung elementar, Protokoll
Öffentlichkeit, § 169 GVG
Schutz vor Geheimjustiz
Festigung des öffentlichen Vertrauens in die Justiz
Verletzung bei ungerechtfertigtem Ausschluss —> absoluter Revisionsgrund, § 338 Nr. 6
Welche Ausnahmen gibt es vom Öffentlichkeitsgrundsatz (nennen Sie zwei Beispiele), welche Interessen sind hier gegeneinander abzuwägen? Gibt es Argumente für eine erweiterte Medienöffentlichkeit im Gerichtssaal?
Jugendstrafverfahren, § 48 Abs. 1 JGG
Gefährdung der Staatssicherheit, der öffentlichen Ordnung oder Sittlichkeit, § 172 Nr. 1 GVG
Gefährdung von Zeugen oder anderen Personen, § 172 Nr. 1a GVG
Erörterung bestimmter Geheimnisse mit überwiegenden schutzwürdigen Interessen, § 172 Nr. 2 GVG r
Erörterung privater Geheimnisse, § 172 Nr. 3 GVG
Vernehmung von Personen unter 18 Jahren, § 172 Nr. 4 GVG
Weitere Ausnahmen in §§ 171a, 171b GVG „soweit Umstände aus dem persönlichen Lebensbereich eines Prozessbeteiligten, eines Zeugen oder eines durch eine rechtswidrige Tat (§ 11 Absatz 1 Nummer 5 des Strafgesetzbuchs) Verletzten zur Sprache kommen, deren öffentliche Erörterung schutzwürdige Interessen verletzen würde. Das gilt nicht, soweit das Interesse an der öffentlichen Erörterung dieser Umstände überwiegt. …“
Erklären Sie die Begriffe tatverdächtige, beschuldigte, angeschuldigte und angeklagte Person
Tatverdächtige Person: gegen den ein Anfangsverdacht besteht
Beschuldigte Person: gegen den ein Ermittlungsverfahren betrieben wird
Status endet bei Einstellung des Verfahrens, rechtskräftiger Entscheidung oder Tod
Angeschuldigte Person: gegen die Anklage erhoben ist
Angeklagte Person: gegen die Eröffnung des Hauptverfahrens beschlossen ist
Verurteilte Person: gegen die rechtskräftig auf Strafe entschieden wurde
Was besagt der Grundsatz „nemo tenetur se ipsum accusare“? Nennen Sie Verfassung- und StPO-Normen, die ihre Grundlage in diesem Grundsatz haben
Selbstbelastungsfreiheit
Kein Zwang zur Mitwirkung an eigener Überführung
Schweigerecht in der StPO
Keine negativen Schlüsse aus Schweigen ziehen
Grundlage in:
Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG
Art. 6 EMRK
§§ 55, 136 Abs. 1 S. 2 StPO
Verstoß begründet grundsätzlich ein Beweisverwertungsverbot, außer…
es steht sicher fest, dass der Beschuldigte sein Schweigerecht trotz unterbliebener Belehrung anerkannt hat
der anwaltlich verteidigte Beschuldigte in der Hauptverhandlung der Verwertung ausdrücklich zugestimmt oder explizit widerspricht
Wodurch entsteht der Beschuldigtenstatus, inwiefern ist dies umstritten?
Begründung des Beschuldigte-Status durch Tatverdacht (Verfolgungswille) und eines entsprechenden Willensakts der Strafverfolgungsbehörde (Inkulpationsakt)
Verschiedene Auffassungen zum Beschuldigtenbegriff:
Materieller Beschuldigtenbegriff: allein objektiver Tatverdacht, der auf gesicherten Erkenntnissen beruht, maßgeblich
Formeller Beschuldigtenbegriff: förmliches Strafverfahren oder Vernehmung als Beschuldigter notwendig
H.A.: Formell-materielle Sichtweise: einerseits ein objektiver Tatverdacht und andererseits eine staatliche Maßnahme notwendig, die erkennbar der Strafverfolgung einer bestimmten Person dient (zu den Konsequenzen gleich)
Verfassungs- und europarechtliche Grundlagen des Strafverfahrens (v.a.: Menschenwürde, Folterverbot und faires Verfahren)
Relevante Verfassungsprinzipien?
Relevante Grundrechte?
Was versteht man unter dem Grundsatz des fairen Verfahrens und wo ist er rechtlich geregelt?
Was versteht man unter dem Problem der Tatprovokation („Lockspitzeleinsatz“, Agent Provocateur); liegt ein Verstoß gegen Art. 6 EMRK vor?
Demokratie-, Sozialstaats-/Verhältnismäßigkeitsprinzip
Gewaltenteilung, Grundrechte, Gesetzesvorbehalt
Art. 6 I EMRK (Unschuldsvermutung/Dolmetscher/Verteidigung (Pflichtverteidiger)
Art. 1 II, Art. 20 I, III GG (in DE)
Ja (+); BGH nun: Verfahrenshindernis
BReg erlaubt unter Bedingungen
Welche Konsequenzen hat ein Verstoß gegen die Belehrungspflicht aus § 136 I S. 2? Was ist mit einer „qualifizierten Belehrung“ in diesem Zusammenhang gemeint?
Es steht sicher fest, dass der Beschuldigte sein Schweigerecht trotz unterbliebener Belehrung anerkannt hat
Der anwaltlich verteidigte Beschuldigte in der Hauptverhandlung der Verwertung ausdrücklich zugestimmt oder explizit widerspricht
(P) Problem der qualifizierte Belehrung: Wie muss Belehrung vor einer 2. Vernehmung beschaffen sein, um noch zu einer Verwertbarkeit zu kommen?
Lange strittig, ob dann Hinweis auf die Unverwertbarkeit der ersten Aussage notwendig ist (die Belehrung also entsprechend „qualifiziert“ sein muss); inzwischen hA, dass dies notwendig ist)
Eine qualifizierte Belehrung setzt voraus, dass der Beschuldigte auf die fehlende Verwertbarkeit seiner früheren Aussage hingewiesen wird.
Vernehmung zur Person —> Offenbarung des Tatvorwurfs —> keine Belehrung = Aussage unverwertbar —> Vernehmung zur Sache —> Belehrung: Äußerungs- und Schweigerecht, Verteidiger*in —> qualifizierte Belehrung für zweite Vernehmung zur Sache?
Was muss die StA tun, wenn die Ermittlungen einen hinreichenden Tatverdacht ergeben und die Prozessvoraussetzungen gegeben sind? Nennen Sie die gesetzliche Grundlage.
Wenn nicht?
weitere Möglichkeiten in Fällen geringer und mittlerer Qualität
Anklageerhebung oder Strafbefehlsantrag
§ 170 I StPO
§ 407 I S. 4 StPO
Antrag auf besondere Verfahrensart:
Vereinfachtes Jugendstrafverfahren, § 76 JGG
Beschleunigtes Verfahren, § 417 StPO
Sicherungsverfahren, § 413 StP
Einstellung mangels Tatverdachts, § 170 II StPO
Einstellung wegen Geringfügigkeit oder gegen Auflagen, § 153 ff.
Nennen sie Beispiele für positive Prozessvoraussetzungen und Beispiele für negative Prozessvoraussetzungen!
Beispiele für positive Prozessvoraussetzungen und Beispiele für negative Prozessvoraussetzungen!
Positive Prozessvoraussetzungen (müssen vorliegen):
Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts
Gericht ist örtlich und sachlich zuständig
Strafmündigkeit und Verhandlungsfähigkeit
Strafantrag
Wirksame Anklage und
Eröffnungsbeschluss
Negative Prozessvoraussetzungen (dürfen nicht vorliegen):
Keine anderweitige Rechtshängigkeit
Keine entgegenstehende Rechtskraft (ne bis in idem)
Keine Verfolgungsverjährung § 78 StGB: zwischen drei und 30 Jahren (Ausnahme: Mord)
problematische Fallgruppen:
überlange Verfahrensdauer;
polizeiliche Tatprovokation durch agent provocateur;
Begrenzte Lebenserwartung des*r Beschuldigten
Aufgaben und Ziele des Strafverfahrensrechts
Ziele des Strafverfahrens:
eine materiell richtige,…
Wahrheit, Richtigkeit als Voraussetzung für Gerechtigkeit und die Rechtsfriedensfunktion = Wahrheitsfindung
Prozessordnungsmäßig zustande kommende,…
Gewährleistung eines rechtsstaatlichen Verfahrens = Rechtsstaatlichkeit
Unschuldsvermutung
Art. 103 zu rechtlichem Gehör und Rückwirkungsverbot, ne bis in idem
Art.. 104 zu Festnahme und Untersuchungshaft
Rechtsfrieden schaffende… = Rechtsfrieden
Feststellung und Durchsetzbarkeit des staatlichen Strafanspruchs
Staatliches Gewaltmonopol
Entsprechend: Anspruch der Gesellschaft an den Staat, begangenes Unrecht auch zu ahnden (Justizgewährleistungsanspruch)
Notwendig: Funktionstüchtige Strafrechtspflege bzw effektive Strafverfolgung
Ziel: Herstellung von Rechtsfrieden, Rechtsgüterschutz, Vertrauen der Bevölkerung
…Entscheidung über die Strafbarkeit des Beschuldigten
Gang des Strafverfahrens
Ermittlungsverfahren, §§ 151 ff. StPO
Einleitung, § 152 II
StA Herrin des Verfahrens
Zwischenverfahren, §§ 199 ff.
hinreichender Tatverdacht
Anklage & Eröffnung, §§ 170 I, 203 StPO
Verfahrensherrschaft des Gerichts
Hauptverfahren, §§ 213 ff.
Richterliche Überzeugung
Urteil, § 261 StPO
Rechtsmittelverfahren, §§ 296
Staatsanwaltschaft kann das Verfahren einstellen, § 153 ff.
Nemo tenetur se ipsum accusare
Prinzip der Selbstbelastungsfreiheit
Niemand darf gezwungen werden, sich im Strafprozess selbst belasten zu müssen
Ine bis in idem
Damit soll verhindert werden, dass niemand mehrmals wegen der selben Tat bestraft wird
Prinzip des Strafklageverbrauchs, das Strafgerichte und Strafverfolgungsorgane als Verfahrenshindernis von Amts wegen in jedem Stadium des Strafverfahrens zu beachten haben
In dubio pro reo
Wenn das Gericht nicht zweifelsfrei von der Schuld des Angeklagten überzeugt ist, Ist von der für ihn günstigsten Verurteilung im Strafprozess auszugehen
Art. 20 III GG Rechtsstaatsgrundsatz
Beweislast im Strafprozess liegt beim Staat
gilt nicht für Rechtsfragen, sondern nur für die Schuldfrage
Zweifelssatz als Entscheidungsregel, nicht Beweisregel
Gilt nicht für Prozessvoraussetzungen
P: Untersuchungshaft: dringender Tatverdacht (§ 112) und Haftgrund sowie Wahrung der VHMK vorausgesetzt = keine Vorverurteilung!
Das Offizialprinzip findet sich in § 152 I StPO und besagt, dass die Staatsanwaltschaft für die Erhebung der öffentlichen Klage zuständig ist. Die Strafverfolgung erfolgt also von Amts wegen und nicht durch einen einzelnen Bürger (Anklagemonopol des Staates). Das Strafprozessrecht unterscheidet sich darin vom Zivilprozessrecht, in dem es dem einzelnen Bürger überlassen ist, ob ein Verfahren eingeleitet wird oder nicht (dort: Dispositionsmaxime). Einschränkungen des Offizialprinzips im Strafprozessrecht gelten bei Antragsdelikten und Ermächtigungsdelikten. Bei absoluten bzw. reinen Antragsdelikten (§ 77 ff. StGB) kann eine Verurteilung nur bei Vorliegen eines wirksamen Strafantrags erfolgen (z. B. bei Hausfriedensbruch nach § 123 II StGB). Liegt dagegen ein relatives Antragsdelikt vor (z. B. bei einfacher Körperverletzung nach §§ 223, 230 I StGB), so kann der fehlende Strafantrag dadurch überwunden werden, dass die Strafverfolgungsorgane das sog. besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung bejahen. Wird die öffentliche Klage erhoben, bedeutet dies konkludent die Bejahung dieses besonderen Interesses. Im Fall von Ermächtigungsdelikten hängt die Strafverfolgung von der Ermächtigung einer bestimmten Person ab (z. B. der des Bundespräsidenten bei § 90 IV StGB). Eine Ausnahme bilden schließlich die sog. Privatklagedelikte. Bei diesen hat der Geschädigte die Möglichkeit, auf die Anrufung der Staatsanwaltschaft zu verzichten und selbst die Rolle des Anklägers zu übernehmen (§ 385 StPO). Der Staatsanwaltschaft ist es aber unbenommen, von Amts wegen die öffentliche Klage zu erheben, wenn dies im öffentlichen Interesse ist (§ 376 StPO). Ebenso kann die Staatsanwaltschaft die Sache bis zum Eintritt der Rechtskraft an sich ziehen (§ 377 II S. 1 StPO).
Nach dem in den §§ 152 II, 170 I StPO enthaltenen Legalitätsprinzip ist die Staatsanwaltschaft bei Vorliegen eines Anfangsverdachts verpflichtet, Ermittlungen aufzunehmen und im Fall eines sich dann ergebenden hinreichenden Tatverdachts die öffentliche Klage zu erheben. Umschrieben wird dies mit Ermittlungs-, Anklage- und Verfolgungszwang. Soweit die Polizei in die Ermittlung eingeschaltet ist (§ 163 StPO), gilt das Legalitätsprinzip auch für sie. Das Legalitätsprinzip ergänzt das o. g. Offizialprinzip und stellt sicher, dass gegen jeden Verdächtigen auch wirklich vorgegangen wird, was wegen Art. 3 I GG geboten ist. Bei Untätigkeit der Staatsanwaltschaft kann der Verletzte (zum Verletztenbegriff s. unten unter I.5.) ein Klageerzwingungsverfahren (§§ 172 ff. StPO) anstrengen. Das BVerfG geht davon aus, dass nicht direkt Betroffene ausnahmsweise einen Anspruch auf effektive Strafverfolgung bei erheblichen Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung und die Freiheit der Person haben. Gleiches soll bei Delikten von Amtsträgern gelten und bei Straftaten, bei denen sich das Opfer in einem „besonderen Obhutsverhältnis“ des Staates befand. Dieser Anspruch sei nach Erschöpfung des Rechtswegs mit der Verfassungsbeschwerde (Art. 93 I Nr. 4 lit. a) GG) geltend zu machen. Der EGMR erkennt einen solchen Anspruch bei bestimmten Kapitaldelikten ebenfalls an. Er leitet ihn aus Art. 2 i. V. m. Art. 1 EMRK ab. Den Gegensatz zum Legalitätsprinzip bildet das Opportunitätsprinzip, nach dem es im Ermessen der Strafverfolgungsbehörden steht, eine Straftat zu ahnden oder auf Bestrafung zu verzichten. Solche Einstellungsmöglichkeiten aus Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten finden sich in den §§ 153 ff. StPO.
Anklagegrundsatz bzw. Akkusationsprinzip
Der Anklagegrundsatz in § 151 StPO bedingt, dass ein Gericht nur dann ein Strafverfahren führt, wenn die Staatsanwaltschaft (§ 152 StPO) öffentliche Klage erhebt (Ausnahme: Privatklage, §§ 374 ff StPO). Die Staatsanwaltschaft erforscht zunächst den Sachverhalt (§ 160 I StPO). Wenn die Ermittlungen dann genügenden Anlass dafür bieten davon auszugehen, dass der Beschuldigte mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eine strafbare Handlung begangen hat und dafür verurteilt werden wird (sog. hinreichender Tatverdacht, s. Beulke/Swoboda, Rn. 175), erhebt die Staatsanwaltschaft die öffentliche Klage (§ 170 I StPO) oder stellt Antrag auf Erlass eines Strafbefehls (§ 407 I S. 1 StPO). Der Prozessstoff ergibt sich im Wesentlichen aus der Anklageschrift (zum als Anklagesatz bezeichneten Inhalt s. § 200 I S. 1 StPO). Das Gericht ist auf eine Prüfung der angeklagten Taten (im prozessualen Sinn, s. § 264 I StPO) beschränkt (§§ 151, 155 StPO), in der Form, wie sie sich zum Ende der Hauptverhandlung darstellen (sog. prozessualer Tatbegriff). Tat im prozessualen Sinn ist dabei „das gesamte Verhalten des Beschuldigten, soweit es mit dem durch die Strafverfolgungsorgane (z. B. in der Anklage) bezeichneten geschichtlichen Vorkommnis nach der Auffassung des Lebens einen einheitlichen Vorgang bildet“. Kommen weitere Straftaten während der Hauptverhandlung auf, können diese in den Prozessmiteinbezogen werden, wenn es sich um dieselbe Tat im prozessualen Sinne handelt (also um einen Bestandteil des abgeurteilten Gesamtgeschehens i. S. von § 264 I StPO). Andernfalls muss gem. § 266 I StPO entweder eine Nachtragsanklage oder in einem völlig neuen Verfahren wegen dieser Taten gesondert Anklage erhoben werden. Der Angeklagte muss auf jede Veränderung rechtlicher Gesichtspunkte oder die Veränderung weiterer, für seine Verteidigung wichtiger Aspekte, rechtzeitig hingewiesen werden (Einzelheiten in § 265 StPO).
Ermittlungsgrundsatz
Ermittlungsgrundsatz/Untersuchungsgrundsatz/Instruktionsprinzip
§ 244 II StPO normiert die Pflicht der Strafverfolgungsorgane, den verfahrensrelevanten Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen und aufzuklären. Dieser sog. Ermittlungs- oder Untersuchungsgrundsatz (auch Instruktionsprinzip genannt) findet sich ferner in den §§ 155 II, 160 II StPO. Im Strafverfahren kollidieren Freiheitsrechte des Angeklagten mit dem staatlichen Interesse an der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs. Die Auflösung dieser Kollision im Sinne eines rechtsstaatlichen Verfahrens (Art. 20 III GG) erfordert zum einen die gesetzliche Festlegung materieller Eingriffsschranken (bezogen auf Eingriffe in Grundrechte des Betroffenen) und zum anderen das Gebot einer zureichenden richterlichen Sachaufklärung im Verfahren. Im Strafverfahren soll das wirkliche Geschehen festgestellt werden (Prinzip der materiellen Wahrheit). So muss der Angeklagte keinen Antrag darauf stellen, dass ihn entlastende Beweise ermittelt werden. Dies hat vielmehr schon durch die Staatsanwaltschaft und später vom Gericht von Amts wegen zu erfolgen. Im Gegensatz dazuliegt es im Zivilprozess in den Händen der Prozessparteien, welche Tatsachen in den Prozess eingeführt werden und welche nicht (dort: Verhandlungsmaxime bzw. Beibringungsgrundsatz). Im Zivilprozess gilt somit das Prinzip der formellen Wahrheit.
Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung
Grenzen
Aussage gegen Aussage Konstellationen
Das Gericht entscheidet über das Ergebnis der Beweisaufnahme nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung gewonnenen persönlichen Überzeugung (§ 261 StPO).
folgerichtig, lückenlos und widerspruchsfreie Überzeugung des Richters
Es gelten grundsätzlich keine Beweisregeln, auch nicht für Vorfragen (s. § 262 StPO). Die Überzeugung des Richters bildet damit den Maßstab dafür, ob für das Urteil eine Tatsache als wahr oder unwahr gilt.
Grenzen: Bindung an Gesetze und Logik und Wissenschaft, theoretische Möglichkeiten eines abweichenden Geschehensverlaufs = keine Willkür
Eine Ausnahme vom Grundsatz der freien Beweiswürdigung normiert § 274 StPO: Verstöße gegen wesentliche Förmlichkeiten der Hauptverhandlung können nur mittels des Sitzungsprotokolls nachgewiesen werden. Weitere Einschränkungen für die freie Überzeugungsbildung des Richters ergeben sich aus den Beweisverwertungsverboten und auch den Verteidigungsrechten des Angeklagten. So darf z. B. der Gebrauch des Aussageverweigerungsrechts nicht zum Nachteil des Angeklagten verwendet werden. Ebenso darf aus einem erwiesenermaßen unwahren Alibi nicht automatisch der Schluss gezogen werden, dass der Angeklagte der Täter war.
Aussage-gegen-Aussage-Konstellationen: Entscheidung hängt allein davon ab, welchem der beiden einander widersprechenden Aussagen des Gericht folgt, sind “besonders schwere Anforderungen” an die Beweiswürdigung zu stellen
Mündlichkeitsprinzip
Ebenfalls aus § 261 StPO herauszulesen ist der Grundsatz der Mündlichkeit der Beweisaufnahme. Er verlangt, dass der gesamte Prozessstoff in der Hauptverhandlung ausgesprochen wird. Das Urteil darf nur auf solchen Tatsachen beruhen, die mündlich eingebracht wurden und damit für alle Verfahrensbeteiligte und den Zuhörer zu hören waren. So sind Urkunden grundsätzlich gem. § 249 I StPO zu verlesen (Ausnahme: nach § 249 II StPO für Prozesse auf der Basis umfangreicher Urkundenbeweise). Das Mündlichkeitsprinzip soll das Strafverfahren für den Beschuldigten und auch die Öffentlichkeit transparenter machen.
Unmittelbarkeitsmaxime
Der Grundsatz der Unmittelbarkeit ergibt sich aus den §§ 226 I, 250, 261 StPO und besagt, dass das Gericht sich einen möglichst direkten und unvermittelten Eindruck vom Geschehen zu verschaffen hat. Das Unmittelbarkeitsprinzip hat zwei Aspekte: Zum einen muss sich das Gericht persönlich unmittelbar einen Eindruck von den Verfahrensbeteiligten und den Beweisen verschaffen, zum anderen gilt grundsätzlich ein (von vielen Ausnahmen durchbrochener) Vorrang des „sachnäheren“ Beweises. Persönliche Unmittelbarkeit: Das Gericht muss während der gesamten Hauptverhandlung ununterbrochen anwesend sein (§ 226 I StPO; zu Ergänzungsrichtern s. § 192 II GVG). Sachliche Unmittelbarkeit: Bei mehreren zur Verfügung stehenden Beweismitteln soll das Gericht nach Möglichkeit auf das tatnächste zurückgreifen, also etwa einen Augenzeugen eher befragen als einen Zeugen vom Hörensagen. Aber auch der Zeuge vom Hörensagen als mittelbarer Zeuge bleibt ein unmittelbares Beweismittel, weil er unmittelbar über das berichtet, was er von jemand anderem gehört hat. Der Grundsatz der Unmittelbarkeit gilt in Deutschland nicht so streng wie in anderen Staaten, sodass das Gericht bei der Wahl zwischen „nahen“ und „fernen“ Zeugen auch den „fernen“ Zeugen befragen darf, solange § 244 II StPO dadurch nicht verletzt wird, also die Ermittlung der materiellen Wahrheit erschwert wird. Deutlicher zeigt sich der Grundsatz beim Verhältnis zwischen Personal- und Urkundenbeweis: Wenn der Beweis einer Tatsache auf der Wahrnehmung einer Person beruht, so ist diese Person als Zeuge in der Hauptverhandlung zu vernehmen. Es darf dann gem. § 250 StPO kein Protokoll einer früheren Vernehmung desselben Zeugen verlesen werden. Es gilt der Vorrang des Personalbeweises vor dem Urkundenbeweis. Die §§ 251 ff StPO enthalten aber auch hier zahlreiche Durchbrechungen.
Unschuldvermutung
Nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ (lat. für „im Zweifel für den Angeklagten“) soll materiell-rechtlich nur derjenige Angeklagte verurteilt werden, der für schuldig befunden Wird (sog. Schuldgrundsatz). Prozessual muss dies in einem ordnungsgemäßen Verfahren festgestellt werden. Bleiben gewichtige und vernünftige, nicht bloß theoretische Zweifel des erkennenden Gerichts an der Schuld des Angeklagten, so ist dieser freizusprechen. Hergeleitet wird „in dubio pro reo“ aus § 261 StPO, wonach das Gericht von der Schuld des Angeklagten überzeugt sein muss, und aus der Unschuldsvermutung in Art. 6 II EMRK. Der Zweifelsgrundsatz gilt auch für die Strafzumessung. Darüber hinaus gilt er zwar grundsätzlich auch für Prozessvoraussetzungen, nach der Rspr. des BGH aber nicht für sonstige Verfahrensfehler.
Beschleunigungsgebot
Es besagt, dass der Angeklagte möglichst schnell Klarheit über den Strafvorwurf erhalten soll. Er muss daher „innerhalb einer angemessenen Frist“ vor Gericht gehört werden (Art. 6 I S. 1 EMRK). Diese beginnt mit der offiziellen Mitteilung an den Beschuldigten, dass gegen ihn ermittelt wird. Ihre Länge ist abhängig vom Umfang der Beweisaufnahme, der Schwere des Tatvorwurfs und vor allem von den Belastungen des Beschuldigten. Insbesondere im Falle der Untersuchungshaft des Beschuldigten muss schnell eine Entscheidung herbeigeführt werden. Nach der herrschenden Ansicht in der Rspr. begründet ein überlanges Verfahren in der Regel kein Verfahrenshindernis, sondern der Rechtsverstoß wird dadurch „kompensiert“, dass eine Anrechnung auf die zugemessene und zu vollstreckende Strafe erfolgt (sog. Vollstreckungslösung, die zu vollstreckende Strafe wird um einen Strafteil verkürzt, der zum Zwecke der Kompensation des Rechtsverstoßes bereits als vollstreckt gelten soll).
Welche Beweismittel gibt es im Strafprozess?
Im Strafprozessrecht sind vier Beweismittel vorgesehen:
der Zeugenbeweis (§§ 48-71 StPO),
der Sachverständigenbeweis (§§ 72-85 StPO),
der Augenscheinbeweis (§§ 86-93 StPO) und
der Urkundenbeweis (§§ 249-256 StPO).
Ist die Einlassung des Angeklagten ein Beweismittel?
Angesichts der abschließend geregelten Beweismittel im Strafprozessrecht (sog. numerus clausus der Beweismittel) handelt es sich bei der Einlassung des Angeklagten (vgl. § 244 I StPO) nicht um ein Beweismittel im engeren Sinne. Die Einlassung findet allerdings im Rahmen der freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 261 StPO) Berücksichtigung, sodass man sie jedenfalls als Beweismittel im weiteren Sinne bezeichnen kann.
Was sind Zeugnisverweigerungsrechte in Abgrenzung zu Auskunftsverweigerungsrechten? Wem stehen Zeugnisverweigerungsrechte zu?
Wer als Zeuge in einem Strafprozess auszusagen hat, kann bei Bestehen eines Zeugnisverweigerungsrechts seine Zeugenaussage umfassend verweigern.
Bei einem bloßen Auskunftsverweigerungsrecht hingegen kann ein Zeuge nur die Beantwortung einzelner Fragen verweigern, wenn er mit der Antwort sich selbst oder einen Angehörigen der Gefahr aussetzen würde, wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden (§ 55 I StPO).
Zeugnisverweigerungsberechtigt sind gem. § 52 I StPO Angehörige des Beschuldigten.
Erfasst sind zunächst Verlobte (bei zivilrechtlich unwirksamem Verlöbnis str.). Ob die Norm entsprechend auf dauerhafte nichteheliche Lebensgemeinschaften anzuwenden ist, ist streitig, doch die Rechtsprechung und die Kommentarliteratur geht grundsätzlich davon aus, dass nichteheliche Lebensgemeinschaften (einschließlich Nichtehen, das sind auch alle Ehen, die nicht vor einem Standesbeamten geschlossen wurden, z. B. die nach islamischem Ritus) kein Zeugnisverweigerungsrecht begründen. Ferner sind Ehegatten und Lebenspartner zeugnisverweigerungsberechtigt, auch wenn die Ehe bzw. Lebenspartnerschaft nicht mehr besteht. Schließlich haben Verwandte in gerade Linie und in der Seitenlinie bis zum dritten Grad (§ 1589 BGB) ein Zeugnisverweigerungsrecht, ebenso Verschwägerte in gerader Linie und in der Seitenlinie bis zum zweiten Grad (§ 1590 BGB).
Eine weitere Personengruppe, die ein Zeugnisverweigerungsrecht haben kann, sind die sog. Berufsgeheimnisträger, vgl. §§ 53 f. StPO. Unter den Voraussetzungen des § 53 II StPO kann das Zeugnisverweigerungsrecht aber entfallen
Nennen Sie mögliche Zwangsmittel zur Beweiserhebung, die die StPO vorsieht!
Neben der Möglichkeit, in der Hauptverhandlung etwa durch
Zeugenaussagen und
Urkundenverlesungen Beweise über die angeklagte Straftat zu behalten, sieht die StPO ein ganzes Arsenal an Zwangsmitteln vor, durch die Beweise erlangt werden können.
unter den Voraussetzungen der §§ 163f, 101 StPO die sog. längerfristige Observation möglich.
§ 81 StPO erlaubt die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus zur Beobachtung.
Der Beschuldigte kann gem. § 81a StPO (und Dritte gem. § 81c StPO) körperlich untersucht werden. Praktisch wichtigster Fall ist die Entnahme einer Blutprobe.
Die §§ 81e-81h StPO erlauben die molekulargenetische Untersuchung von DNA.
Von dem Beschuldigten können auf Grundlage von § 81b StPO Lichtbilder erstellt und Fingerabdrücke abgenommen werden. Die Identitätsfeststellung ist in §§ 163b, 163c StPO geregelt.
Sachen (einschließlich Daten) können nach den §§ 94 ff. StPO beschlagnahmt werden.
Durch § 95a StPO kann die Beschlagnahme bei Dritten als geheime Ermittlungsmaßnahme ausgestaltet werden.
Neben der Überwachung von Post (Beschlagnahme und Auskunftsverlangen, § 99 f. StPO) ermöglichen die §§ 100a-101b StPO
eine Vielzahl von Eingriffen in die Akustik der Wohnung des Beschuldigten (sog. Lauschangriffe) und in die Telekommunikation und Datenverarbeitung (insbes. in § 100b StPO die Online-Durchsuchung von Speichermedien und Netzwerken, u. a. auch vermittels Aufspielens von Viren und Trojanern).
Die Wohnung selbst kann nach Maßgabe der §§ 102 ff. StPO durchsucht werden.
Personen können gem. §§ 131 ff. StPO zur Fahndung ausgeschrieben werden. Auch eine Rasterfahndung ist nach Maßgabe der §§ 98a, 98b, 101 StPO möglich.
Der Straßenverkehr kann unter den Voraussetzungen von § 163g StPO mittels automatischer Kennzeichenerfassung überwacht werden.
Schließlich können verdeckte Ermittler eingesetzt werden, §§ 110a ff. StPO.
Schutz der Intimssphäre, Beweisverwertungsverbot
Schutz des unantastbaren Kernbereichs privater
Lebensgestaltung auch einfachrechtlich in § 100d StPO veranker
Wann folgt aus einem Beweiserhebungsverbot ein Beweisverwertungsverbot?
Teilweise wird auf den Schutzzweck der verletzten Norm abgestellt. Schützt diese den Beschuldigten gerade vor der Verwertung von rechtswidrig erlangten Beweismitteln, so ist ein Beweisverwertungsverbot anzunehmen.
Die sog. Abwägungslehre ermittelt das Vorliegen eines Beweisverwertungsverbots daran, ob das Individualinteresse des Bürgers auf Wahrung seiner Rechte das staatliche Interesse an der Strafverfolgung im Einzelfall überwiegt. Hauptkriterien sind hierbei das Gewicht des Verfahrensverstoßes und die Schwere des angeklagten Delikts.
Diese Theorien werden vielfach aber auch miteinander kombiniert. Es ist daher immer im Einzelfall zu entscheiden.
Wie weit reichen Beweisverwertungsverbote im deutschen Strafverfahren? Gibt es eine Fernwirkung?
Grundsätzlich folgt aus einem Beweisverwertungsverbot, dass das konkret unmittelbar durch etwa eine verbotene Vernehmungsmethode in § 136a I StPO erlangte Beweismittel nicht verwertet werden darf. Wenn aber etwa durch ein erzwungenes Geständnis weitere zuvor nicht auffindbare Beweismittel gefunden werden, stellt sich die Frage, ob das auch diese erfasst, also eine sog. Fernwirkung besteht.
Nach der Lehre der amerikanischen „fruit of the poisonous tree doctrine“ sind derartige Beweise nicht verwertbar, da sie aus einem „vergifteten“ Beweis gewonnen wurden.
Andernfalls unterliefe man den Sinn und Zweck der Beweisverwertungsverbote. Diese Lehre ist aber nicht auf Deutschland übertragbar. Ein Verfahrensziel im deutschen Strafprozessrecht ist die Ermittlung des tatsächlichen Geschehensablaufs, der sog. materiellen Wahrheit. Der Strafprozess im US-amerikanischen Recht hingegen ist als Parteiprozess (ähnlich wie der deutsche Zivilprozess) ausgestaltet, bei dem den Richter nicht die Pflicht der Amtsermittlung trifft. Vielmehr ist der Wahrheitsbegriff dort ein formeller, sodass es nicht um jeden Preis darum geht, das tatsächliche historische Geschehen nachzubilden, sondern dass im Wettstreit der Parteien um den plausibelsten (und gleichzeitig fairsten) Beweisvortrag ein glaubhaftes Bild von der Wahrheit entsteht. Wenn die Strafverfolgungsbehörden also auf unfaire Mittel zurückgreifen, um Beweise zu erzielen und die eigenen Vortragsposition in Bezug auf „ihre Version“ der formellen prozessualen Wahrheit im Wettbewerb um die plausibelste Wahrheitsversion vor Gericht zu verbessern, so würden sie für dieses unfaire Wettbewerbsverhalten „sanktioniert“, eben durch Verbot der unmittelbar oder mittelbar aus dem unter Verstoß gegen das Recht gewonnenen Beweise.
Hingegeben bedeutet die Nichtverwertung relevanter Beweise in Deutschland eine Einbuße an dem Verfahrensziel der Wahrheitsfindung (bezogen auf eine materielle, dem Prozess vorgelagerte Wahrheit), die es in dieser Form im US-amerikanischen Strafprozessrecht nicht gibt.
Die deutsche Rechtsprechung hat die Fernwirkung von Beweisverwertungsverboten lange Zeit pauschal abgelehnt, mit dem Argument, ein Verfahrensverstoß dürfe nicht das gesamte Strafverfahren lahmlegen. Ferner ließe sich kaum sicher feststellen, dass die Hilfspersonen der Staatsanwaltschaft das mittelbar aus dem verbotenen Beweis erlangte Beweismittel nicht auch ohne den vorherigen Verstoß oder den fehlerhaft erhobenen unmittelbaren Beweis hätten
Mittlerweile hält die deutsche Rechtsprechung die Annahme einer Fernwirkung aber auch in Einzelfällen für möglich. Maßstab hierfür ist die sog. Abwägungslehre, nach der eine Fernwirkung dann anzunehmen ist, wenn der ursprüngliche Verfahrensverstoß schwerer wiegt als die Schwere der verfolgten Tat
Wann kann Untersuchungshaft verhängt werden? Wo sind die Voraussetzungen geregelt?
Die materiellen Voraussetzungen für die Verhängung einer Untersuchungshaft finden sich in § 112 und § 112a StPO (und für den Sonderfall eines beschleunigten Verfahrens in § 127b StPO).
Zum einen wird ein dringender Tatverdacht benötigt (§ 112 I 1 Alt. 1 StPO). Dieser liegt vor, wenn nach aktuellem Stand der Ermittlungen eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass der Beschuldigte Täter oder Teilnehmer einer strafbaren Handlung ist.
Zudem muss ein Haftgrund vorliegen, § 112 I S. 1 Alt. 2 StPO. Dieser ist in den folgenden Fällen gegeben:
Der Beschuldigte ist flüchtig oder hält sich verborgen gem. § 112 II Nr. 1 StPO
Bei Fluchtgefahr nach § 112 II Nr. 2 StPO, d. h. wenn aufgrund bestimmter Tatsachen unter Würdigung der Umstände des Einzelfalls die Gefahr besteht, dass der Beschuldigte sich dem Strafverfahren entziehen wird.
Bei Verdunkelungsgefahr nach § 112 II Nr. 3 StPO, also wenn ein dringender Verdacht begründet ist, dass der Beschuldigte Beweismittel beeinträchtigen, auf Mitbeschuldigte, Zeugen oder Sachverständige in unlauterer Weise einwirken oder andere zu einem solchen Verhalten veranlassen wird, und dadurch die Gefahr droht, dass die Ermittlung der Wahrheit erschwert wird.
Bei Verdacht eines Kapitaldelikts nach § 112 III StPO, wobei hier in verfassungskonformer Auslegung des BVerfG zusätzlich noch eine Fluchtgefahr oder eine Verdunkelungsgefahr vorliegen muss, es aber für die Gefahrenprognose im Gegensatz zu § 112 II StPO in § 112 III StPO schon genügt, wenn nach den konkreten Umständen des Einzelfalles eine Flucht- oder Verdunkelungsgefahr nicht auszuschließen ist.
Bei Wiederholungsgefahr nach § 112a StPO.
Speziell für das beschleunigte Verfahren bei Fernbleibegefahr nach § 127b II StPO
Zudem muss die Untersuchungshaft verhältnismäßig sein (§§ 112 I 2 StPO, 113, 116 StPO).
Die Anordnung der Untersuchungshaft darf nicht außer Verhältnis zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe oder Maßregel der Sicherung und Besserung stehen. Hierbei handelt es sich um keine positive Voraussetzung, sondern um einen Haftungsausschließungsgrund, wenn die Unverhältnismäßigkeit positiv festgestellt worden ist.
Stellt eine überlange Verfahrensdauer ein Verfahrenshindernis dar?
Ob eine durch die Justiz verschuldete überlange Verfahrensdauer, von der Einleitung des Ermittlungsverfahrens bis zum rechtskräftigen Abschluss, ein Verfahrenshindernis darstellt, Ist umstritten.
Die völlige Einstellung des Verfahrens hält der BGH für nicht sachgerecht. Er befürwortet den Ausgleich für die Belastungen eines langen Verfahrens mit der sog. Vollstreckungslösung. Demnach sind die Verfahrensverzögerungen zwar im Rahmen der Strafzumessung nach den allgemeinen Grundsätzen zu berücksichtigen. Die überlange Verfahrensdauer wird jedoch erst im Rahmen der Strafvollstreckung kompensiert, durch eine Anrechnung auf die zu vollstreckende Strafe.
Es kann jedoch auch Extremfälle geben, in denen das Ausmaß der Verfahrensverzögerung und die damit verbundene Belastung für den Beschuldigten so schwerwiegend sind, dass aufgrund des Rechtsstaatsgebotes das anerkennenswerte Interesse an der Strafverfolgung entfällt und die Fortsetzung des Strafverfahrens rechtstaatlich nicht mehr hinnehmbar ist. In diesen Fällen würde ausnahmsweise also doch ein Verfahrenshindernis vorliegen.
Stellt die Androhung von Folter gegenüber dem Beschuldigten ein Verfahrenshindernis dar?
Nein. Zwar ist die Androhung der Folter ein Verstoß gegen Art. 104 I S. 2 GG und Art. 3 EMRK und führt zu einem Verwertungsverbot in Bezug auf die erfolterte Aussage gem. § 136a III S. 2 StPO. Ein Beweisverwertungsverbot stellt aber kein Verfahrenshindernis dar.
(Beulke/Swoboda, Rn. 447)
Übergeordnete Leitgedanken des Strafverfahrens
Fair trail
Unschuldvermutung, Art. 6 EMRK
Anfangsverdacht liegt vor, wenn tatsächliche Anhaltspunkte (Indizien) für eine Straftat vorliegen. Abgrenzung von der bloßen Vermutung. Möglichkeit, dass verfolgbare Tat vorliegt, muss gegeben sein.
Liegt ein Anfangsverdacht vor, so müssen die Strafverfolgung Organe ein Ermittlungsverfahren einleiten (Legalitätsprinzip). Ein Anfangsverdacht berechtigt außerdem zu Durchführung einiger Zwangsmaßnahmen:
körperliche Untersuchung des Beschuldigten, § 81 a
Sicherstellung und Beschlagnahme von Gegenständen zu Beweiszwecken, § 94
Durchsuchung beim Beschuldigten, § 102
Hinreichender Tatverdacht
Liegt vor, wenn bei der vorläufigen Tat Bewertung, die Verurteilung des Beschuldigten wahrscheinlicher ist als ein Freispruch: Wenn die Wahrscheinlichkeit der Verurteilung bei mindestens 50 % liegt
Gemäß § 170 Ist der hinreichende Tatverdacht die Grundvoraussetzung für die Erhebung einer öffentlichen Klage = Liegt ein hinreichen Tatverdacht vor, so besteht gemäß § 170 die Pflicht der Staatsanwaltschaft zur Anklageerhebung
Im sich darauf anschließenden Zwischenverfahren prüft das Gericht das Vorliegen des hinreichenden Tatverdachts
Kommt es zur gleichen Ansicht, so muss es das Hauptverfahren gemäß § 203 eröffnen
Dringender Tatverdacht
Liegt vor, wenn nach den Bisherigen Ermittlungergebnissen ein hoher Wahrscheinlichkeitsgrad dafür besteht, dass der Beschuldigte als Täter oder Teilnehmer einer Straftat verurteilt wird
Möglich sindErlass eines Haftbefehlsgemäß § 112 beziehungsweise vorläufige Festnahme nach § 127 Abs. 2 sowie die vorläufige Einziehung der Fahrerlaubnis nach § 111a
Strafverfahren Ablauf
Einleitungsverfahren
Ermittlungsverfahren: Staatsanwaltschaft als Herren des Verfahrens beziehungsweise ihre Ermittlungspersonen (§ 152) muss Kenntnis von einer Straftat, erlangen:
Durch Strafanzeige, § 158 I
Durch Strafantrag, § 158 II
Auf sonstiger Weise, § 159 I
Liegt ein Anfangsverdacht vor, so leitet die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren nach §§ 160 ff. ein und erlässt entsprechende Maßnahmen, um den Anfangsverdacht zu einem hinreichenden Tatverdacht zu erstarken. Dann kann die Staatsanwaltschaft nämlich öffentliche Klage erheben, § 170 I. Andernfalls muss sie das Verfahren einstellen, § 170 II.
Zwischenverfahren
Verfahrensherrschaft geht auf das Gericht über, § 199 ff. Es prüft, ob in diesem Stadium ein hinreichender Tatverdacht vorliegt und eröffnet bei Zulassung der Anklage das HAUPTVERFAHREN nach §§ 199 ff., 203, 207.
Andernfalls stellt es das Verfahren ein, §§ 199 I, 204, 205
Hauptverfahren
Hauptverfahren, § 213 ff.
Hauptverhandlung wesentlicher Aspekt, wofür das Gericht einen Termin anberaumt
Wichtigster Teil: Beweisaufnahme, §§ 244 ff.
Devolutionseffekt
Alle drei Rechtsmittel bringen die Sache in die höhere Instanz
Suspensiveffekt
Berufung und Revision hemmen die Rechtskraft
Reformatio in peius = Verschlechterungverbot
Berufung und Revision des Beschuldigten dürfen nicht zur Verschlechterung führen, § § 331,358 Abs. 2
Gilt nicht, wenn ich Staatsanwaltschaft Rechtsmittel eingelegt hat, zuungunsten des Beschuldigten
Bezieht sich auf die Rechtsfolge, nicht Inhalt des Urteils oder angewandte Tatbestände
Rechtsbehelfe
Formlose Rechtsbehelfe
Aufsichtsbeschwerde, Petition
Förmliche Rechtsbehelfe
Ordentliche Rechtsmittel: Beschwerde, Berufung, Revision
Außerordentliche Rechtsmittel: Wiedereinsetzung, Wiederaufnahme
Berufung
Verfahren wird neu aufgerollt = zweite Tatsacheninstanz
Revision
Nur Überprüfung auf rechtliche Fehler = keine neue Beweisaufnahme
Revisionsgründe: Urteil beruht auf einer Verletzung des Gesetzes, § 337
Sachrüge: Verletzung materiellen Rechts —> Bindung an festgestellte Tatsachen der Vorinstanz
Verfahrensrüge: Verletzung formellen Rechts
Relative Revisionsgründe (Verfahrensfehler plus beruhen des Urteils auf diesem Fehler)
Absolute Revisionsgründe, § 338 (unwiderlegliche Vermutung des Beruhens)
Beweisergebungsverbote
Beweisthemaverbote: betreffen bestimmte Sachverhalte (Intimsphäre (Kernbereichsschutz))
Beweismittelverbote: Betreffend bestimmte Beweismittel (Ehegatten, die nicht gegeneinander aussagen wollen)
Beweismethodenverbote: Betreffend Art der Beweisgewinnung (Folter)
Beweisverwertungsverbote
unselbstständige Verwertungsverbote = Beweis unbeirrbar, weil er rechtswidrig erhoben wurde
Geschrieben: verbotene (rechtswidrige) Vernehmungsmethoden, § 136a
Ungeschriebene: (Rechtswidrige) Vernehmung des Beschuldigten ohne vorherige Belehrung
Selbstständige Verwertungsverbote = Beweis unverwertbar, weil er rechtmäßig erhoben wurde
Geschrieben: § 108 II Bei rechtmäßiger Durchsuchung
Ungeschriebene: Tagebuch, gefunden, bei rechtmäßiger durchsuchen
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