Was versteht man unter natürlicher Selektion?
Definition
Wichtige Punkte
Definition:
Natürliche Selektion ist ein biologischer Prozess, bei dem die Merkmale von Individuen einer Population, die ihre Überlebens- und Fortpflanzungschancen erhöhen, bevorzugt an die nächste Generation weitergegeben werden.
Missverständnis: "Überleben der Stärksten" (Survival of the Fittest) (früher)
N. Selektion oft mit diesem Spruch beschrieben (zu eng gefasst)
Es geht nicht nur ums Überleben, sondern darum, welchen Beitrag Individuum zur nächsten Generation leistet
Entscheidend => Reproduktionserfolg, nicht bloß Stärke oder Überlebensfähigkeit
Bessere Beschreibung:
Natürliche Selektion bedeutet eher "Selektion der am besten an die Umweltbedingungen Angepassten"
Diese Individuen haben höchste Chance zu überleben und sich erfolgreich fortzupflanzen
Wichtige Punkte:
N. Selektion hat kein Ziel => ungerichteter Prozess (Gegensatz zur künstlichen Selektion mit Züchtung von Hunderassen)
N. Selektion ist Optimierungsprozess => optimiert Organismen an aktuelle Umweltbedingungen
Organismen sind aber selten optimal angepasst, weil Umwelt variabel ist
N. Selektion findet innerhalb von Arten statt
Individuen mit untersch. genetischen Merkmalen
Über langen Zeitraum -> Entstehung neuer Arten
Welche Formen der natürlichen Selektion gibt es?
=> Stabilisierende Selektion
=> Gerichtete Selektion
=> Disruptive Selektion
Beschreibe die stabilisierende Selektion (normalverteilte Glockenkurve) mit einem Beispiel.
Modal-Wert = am häufigsten auftretende Merkmalsausprägung (meistens auch in der Mitte der Verteilung)
Definition: Organismen mit Modalwert (also dem häufigsten, mittleren Phänotyp) haben die höchste Fitness
Selektion wirkt gegen extreme Merkmalsausprägung
Organismen mit Modal-Wert haben höchste Überlebens- und Fortpflanzungschance
Organismen mit extremen Merkmalsausprägung haben geringere Überlebens-, und Fortpflanzungschance
Ergebnis:
Häufigkeit von Organismen im mittleren Bereich steigt, extreme Ausprägungen werden seltener (Verteilung wird enger um den Modal-Wert)
Beispiel: Geburtsgewicht bei Menschen
Babys mit mittlerem Geburtsgewicht (3-4 kg) haben höhere Überlebenschance als sehr leichte oder schwere Babys. -> Werden negativ selektiert (leicht und schwer)
Beschreibe die gerichtete Selektion mit einem Beispiel.
Ausgangssituation:
Merkmalsverteilung nach Glockenkurve mit extremen Randbereichen
Definition: Einseitige Bevorzugung eines extremen Merkmals, weil es zur besseren Anpassung an die Umwelt führt (ausgelöst durch ändernde Umweltbedingungen, Selektionsdruck)
Merkmale:
Nach Selektion wird Modal-Wert zugunsten eines anderen verschoben
Individuen mit extremen Phänotypen auf einer Seite der Verteilung haben höhere Fitness
Verschiebung der Merkmalsverteilung hin zu einem neuen Mittelwert
Population passt sich gerichtet an neue Umweltbedingungen an
Beispiel: Taricha-Molche und Strumpfbandnattern
Taricha-Molche produzieren TTX (Nervengift) -> Prädator: Strumpfbandnatter
Einige Regionen, besonder Westküste Amerikas -> Nattern genetisch bedingte Resistenz gegen TTX entwickelt
Nattern mit höherer TTX-Resistenz -> bessere Jagd auf Molche + selektiver Vorteil
Beschreibe die disruptive Selektion mit einem Beispiel.
Merkmalsverteilung nach Glockenkurve mit extremen Randbereichen und mittleren Modal-Wert
Definition: Mittlerer Phänotyp (Modal-Wert) wird benachteiligt. Extreme Merkmalsausprägungen werden bevorzugt. Je nach Intensität der Selektion zwei Entwicklungen.
Zweigipfelig:
Fitness der Organismen mit extremen Phänotypen steigt, Fitness des mittleren Phänotyps sinkt
Breitere Verteilung:
Verteilung einfach breiter -> Fitness der Randbereiche steigt, Fitness des mittleren Phänotyps sinkt dennoch
Zunahme der Variabilität der Population oder Bildung zweier Gruppen
=> Wenn beide extremen Randbereiche isoliert werden (z. B. durch geografische Barrieren) => Aufspaltung der Art möglich (adaptive Radiation oder Artbildung)
Beispiel: Afrikanische Purpurastrilden
Purpuraastrilden = Variation der Schnabelgröße
Kleine Schnäbel -> weiche Samen
Große Schnäbel -> harte Samen
Mittlere Schnäbel (Modal-Wert vor Selektion) -> keine Nahrungsquelle
Ernähren sich zu bestimmten Zeiten von weichen oder harten Samen
Selektionsdruck führt dazu -> extreme Phänotypen (kleine und große Schnäbel) werden bevorzugt, mittlerer Schnabeltyp benachteiligt -> zweigipfelige Verteilung
Stabilisierende Selektion:
Reduziert extreme Ausprägungen und stabilisiert vorhandene Merkmale
Gerichtete Selektion:
Verschiebt die Population hin zu einem neuen Optimal-Wert - fördert Anpassung an veränderte Umweltbedingungen
Disruptive Selektion:
Bevorzugt extreme Merkmale - fördert Bildung verschiedener Gruppen, kann langfristig zur Artbildung beitragen
Beschreibe ein Beispiel für die natürliche Selektion aus der Vorlesung.
=> Trinidad Guppies = Trade-off (Kompromis) zwischen sexueller Selektion und natürlicher Selektion
Population ohne Räuber = männliche Guppies sind oft bunt (leuchtend) gefärbt
=> Weibchen bevorzugen bunte Männchen -> Zeichen von guter Gesundheit und genetischer Qualität)
=> Sexuelle Selektion dominant
Population mit Räuber = bunte Guppies auffälliger als blasse Männchen
=> Selektionsdruck der Räuber führt zur höheren Überlebenschance der blasser gefärbten Männchen
=> Natürliche Selektion dominant
Trade-Offs (Kompromisse):
Färbung der Männchen -> evolutionärer Kompromiss zwischen Vorteil der sexuellen Selektion und Nachteil der natürlichen Selektion
Form der Selektion:
Gerichtete Selektion auf die Buntheit der Männchen in räuberfreien Gebieten
Beschreibe ein Beispiel für anthropogene Selektion aus der Vorlesung.
Anthropogene Selektion = Selektion von Organismen durch Einfluss des Menschen -> Veränderung hervorgerufen durch menschliche Aktivität
Beispiel: Industriemelanismus bei Birkenspannern -> natürliche Selektion
Vor der Industrialisierung:
Birkenspanner in heller/grauer Form -> Färbung ermöglichte Anpassung an helle Baumrinden
Mit der Industrialisierung:
Ruß/Abgase bedeckten Bäume/Landschaften -> Baumrinden wurden dunkler
Dunklere Varianten der Birkenspanner (durch Mutation) hatten einen Vorteil
Dunklere Variante pflanzte sich stärker fort und passte sich an aktuelle Umweltbedingungen an
Beschreibe den Evolutionsfaktor “Genfluss”.
Beispiel
Funktion
Genfluss (gene flow) = Rolle der Migration
=> Austausch von Genen zwischen Populationen einer Art oder Individuen einer Population durch Migration oder Transfer von Keimzellen (Pollen/Larven)
Beispiel: Steinkorallen
=> Larven können durch Wasserströmung in anderes Gebiet getragen werden
Funktion:
Erhöhung der genetischen Diversität/Variabilität in einer Population
Verringerung der genetischen Divergenz zwischen Populationen -> Populationen werden sich ähnlicher!
Beschreibe den Evolutionsfaktor “genetische Drift” mit den beiden Formen.
Genetische Drift = Rolle des Zufalls
Zufällige Veränderung der Allelfrequenz in einer Population
=> Bedingungen unter denen die Veränderung auftritt, definiert, ob es sich um Flaschenhalseffekt oder Gründereffekt handelt.
=> beide Effekte basieren auf zufälligen Ereignissen, die zu einer Veränderung der Allalfrequenz führen
Formen der genetischen Drift:
Flaschenhalseffekt (Bottleneck-effect)
=> Tritt auf, wenn Population durch zufälliges, katastrophales Ereignis (z.B. Naturkatastrophe) in ihrer Größe reduziert wird
Kleiner Teil der ursprünglichen Population wird überleben und zur nächsten Generation beitragen -> rein zufällig wer überlebt
Rein zufällig ohne Rücksicht auf Fitness (Überlebens-, und Fortpflanzungschance) der Allele
Je kleiner die Population, desto höher das Risiko, dass Allele zufällig verloren gehen und eliminiert werden
Gründereffekt (founder effect)
=> Tritt auf, wenn kleine Gruppe von Individuen einer Ursprungspopulation eine neue Population in einem Gebiet gründet
Neue Population bringt nur Teilmenge des Genpools der Ursprungspopulation mit sich
Neue Allele können durch Mutation entstehen und sich schneller etablieren, wenn sie von Vorteil sind z.B. Darwinfinken
Was versteht man unter “Inzuchtdepression” und “gene purging”?
(Kann nach dem Flaschenhalseffekt auftreten)
Reduzierung der populationsgröße kann zu Inzuchtdepression + Gene purging führen oder auch nur alleine zum Gene purging führen
Inzuchtdepression:
=> Beschreibt negativen Auswirkungen auf Fitness einer Population, die durch Fortpflanzung nahe verwandter Individuen (Inzucht) entstehen
Hintergrund:
• Nach genetischer Drift: Reduzierung der genetischen Variation -> wahrscheinlicher, dass nahe Verwandte (mit vielen ähnlichen Genen) sich paaren
• In Population trägt potenziell jedes Individuum schädlich rezessive Allele (durch Mutation entstanden), nur sind sie in heterozygoter Form verborgen
-> Falls Inzucht erfolgt -> höhere Wahrscheinlichtkeit, dass Nachkommen beide schädlichen rezessiven Allele erben und in homozygoter Form die schädlichen Auswirkungen zum Vorschein kommen (genetische Krankheiten, Entwicklungsprobleme etc.)
Beispiel: Florida mountain lion - Florida-Puma -> bekanntes Beispiel für Inzuchtdepression (Population zeigte verschiedene negative Auswirkungen)
Auswirkung: Durch Inzucht -> Inzuchtdepression -> Gesundheitsprobleme und geringe Fortpflanzung
Gene purging: mit natürlicher Selektion
=> Beschreibt den Verlust von schädlichen rezessiven Allelen, wenn sie in homozygoter Form vorkommen, aus dem Genpool einer Population
Auf homozygote Träger mit schädlichen rezessiven Allelen wird ein Selektionsdruck ausgeübt -> Individuen sterben oder reproduzieren sich durch negative Auswirkung nicht erfolgreich
=> Entfernung der Allele aus Genpool -> Population wird “gereinigt”
Beispiel: Gepard -> enormer Flaschenhalseffekt - Inzuchtdepression - Gene purging
Erkläre “Nonrandom mating”.
Nonrandom mating = nichtzufällige Paarung
Partnerwahl innerhalb einer Population erfolgt nicht rein zufällig -> basiert auf Präferenzen/Kriterien (vielfältig)
Präferenzen können z.b. auffällige/sichtbare Merkmale oder Verhaltensweisen sein (nach Prinzip der sexuellen Selektion)
Verschiedene Aspekte von nonrandom mating: sexuelle Selektion (häufigste Form), geographische Nähe, Verwandtschaft
Effekte:
Veränderung der Allelfrequenz -> Verringerung der genetischen Variation durch Bevorzugung von Merkmalen
Erkläre die “sexuelle Selektion” mit den Hauptformen.
Sexuelle Selektion:
Spezielle Form der natürlichen Selektion, die auf der Partnerwahl oder Konkurrenzverhalten basiert. Sie beschreibt, wie bestimmte Merkmale bevorzugt werden, und damit die Fortpflazungschancen eines Individuums erhöhen. Die bevorzugten Merkmale sollen Wahrscheinlichkeit steigern, dass die Nachkommen gesund und fitnessstark sind.
Zwei Hauptformen der sexuellen Selektion:
Intersexuelle Selektion (Partnerwahl)
Ein Geschlecht (meistens Weibchen) wählen Partner aufgrund von auffälligen Merkmalen aus (z.B. Federpracht, Gesang)
Merkmale signalisieren oft gute Gene oder gute Gesundheit
Intrasexuelle Selektion (Konkurrenz innerhalb eines Geschlechts) = “Wettbewerb”
Mitglieder eines Geschlechts (meistens Männchen) konkurrieren um Zugang zu Paarungsparter (Weibchen) durch Kämpfe, Signale etc.
Beispiel: Männliche Winkerkrabben
M. Winkerkrabben besitzen stark vergrößerte Schere -> “signalisieren” -> winken, um Weibchen anzulocken und um Männchen Dominanz zu zeigen
Beschreibe auch die beiden Konzepte der sexuellen Selektion.
1) Good-genes-Hypothese
=> Konzept erklärt, warum Weibchen Männchen mit bestimmten Merkmalen bevorzugen
Weibchen wählen Partner deren sichtbare Merkmale (Farbe, Verhalten, Balz) Hinweise auf gute genetische Qualität liefern -> steigert Überlebens-, und Fortpflanzungschance der Nachkommen
Signale: leuchtende Farben, kräftige Balzgesänge, auffälliges Verhalten -> energetisch teuer -> Zeichen für gute Fitness des Männchens
Beispiel: Rote Bauchfärbung bei Stichlingen
2) Sexy-sons-Hypothese
=> Konzept erklärt, warum Weibchen manchmal Männchen mit attraktiven Merkmalen wählen, obwohl diese keine direkten Vorteile (z. B. Schutz oder Nahrung) bieten
Grund = Merkmale erhöhen Attraktivität der männlichen Nachkommen und steigern deren Fortpflanzungserfolg
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