Deliktsaufbau
I. Tatbestandsmäßigkeit
II. Rechtswidrigkeit
III. Schuld
Umgang mit Sachverhaltsungewissheiten
I. Grundsätze
In dubio pro reo
Das Gericht darf eine Verurteilung nur auf Tatsachen stützen, die nachgewiesen sind.
Kann sich das Gericht im Rahmen der freien Beweiswürdigung (§ 261 StPO) nicht vom Sachverhalt überzeugen, der eine für den Angeklagten nachteilige Rechtsfolge hat, so darf es diesen Sachverhalt seiner Entscheidung nicht zugrund legen
(P): Das Gericht kann keine eindeutige Tatsachengrundlage ermitteln (also Tatsachen und Rechtsalternativen offenstehen), jedoch keine Sachverhaltsvariante denkbar ist, die nicht unter ein Stragesetz fällt
Es muss zumidest die eindeutige Begehung einer bestimmten Strafnorm aufgrund mehrerer alternativer Sachverhalte nachweisbar sein
Entweder in Form der gleichartigen/unechten Wahlfeststellung (da von vornherein nur die Verwirklichung einer Norm denkbar ist) oder
aufgrund logischer oder normativer Stufenverhältnisse unter Anwendung von "in dubio pro reo" (Bildung des "kleinsten gemeinsamen Nenners“ mehrerer denkbarer Strafnormen
Nullum crimen sine lege
Die Verurteilung muss sich auf ein ganz bestimmtes mit Strafe bedrohtes Verhalten beziehen
II. Umgang in der universitären Rechtsanwendung
Sollte der Sachverhalt Ungewissheiten bereithalten, ist die strafrechtliche Relevanz der möglichen Verhaltensvariationen einzeln durchzuprüfen
Eine Ausnahme stellen überschaubare Situationen dar, bei denen schnell festgestellt werden kann, dass in allen Varianten der Zweifelssatz Anwendnung findet
Sofern es möglich ist, einen eindeutigen Schuldspruch zu fällen, ganz gleich, ob im Wege der
Annahme eines Stufenverhältnisses
Präpendenz- oder Postpendenzfestellung oder
bei wahldeutiger Sachverhaltsgrundlage mittels einer unechten Wahlfeststellung,
geht diese Möglichkeit einer echten Wahlfeststellung stets vor.
III. Unechte / gleichartige Wahlfeststellung
Das Delikt steht fest, der konkrete Sachverhalt hingegen nicht
Es liegt eine Tat- oder Tatsachenalternativität ohne Rechtsnormungewissheit vor
Es ist jedoch eine Verurteilung aufgrund wahldeutiger Tatsachengrundlagen möglich
Bsp.: Der Zeuge C sagt in verschiedenen Gerichten zum gleichen Sachverhalt Widersprüchliches aus. Klar ist, dass C einen Meineid (§ 154 StGB) begangen hat, gleichwohl bleibt unklar, welche der Aussagen die falsche war
IV. Echte / Ungleichartige Wahlfeststellung
Es liegt eine Tat- oder Tatsachenalternativität und Rechtsnormungewissheit vor, d.h. alle möglichen Verhaltensweisen hätten die Realisierung unterschiedlicher Straftatbestände zur Folge
1. Logische und normative Stufenverhältnisse
Die nicht weiter aufklärbaren Sachverhaltsalternativen lassen die Bestrafung aus mehreren Straftatbeständen zu, die in einem Verhältnis des "Mehr" und "Weniger" zueinander stehen.
Nach dem Grundsatz von "in dubio pro reo" kann und muss aus dem gemeinsamen "Weniger" bestraft werden
Bsp. für logische Stufenverhältnisse (Einer der alternativ verwirklichten Tatbeständen umfasst den anderen Tatbestand komplett)
Grundbestand oder Qualifikation
Vorsätzliche Tötung entweder aufgrund oder ohne ausdrückliches und ernstliches Verlangen
Versuch oder Vollendung
Tateinheit oder Mehrheit
(P): Fahrlässigkeits- oder Vorsatzdelikt (a.A. nimmt ein normatives Stufenverhältnis an)
(P): Mittäterschaft oder Beihilfe (a.A. nimmt ein normatives Stufenverhältnis an)
Bsp. für normative Stufenverhältnisse (Die alternativ verwirklichten Tatbestände bergen eine verschiedene Intensität des Unrechtsgehaltes)
Tun oder Unterlassen
(P): Täterschaft und Anstiftung (a.A. nimmt ein logisches Stufenverhältnis an)
§ 138 StGB (Nichtanzeige geplanter Straftaten) oder Beteiligung an einer dort genannten Straftat
Vollrauch oder Rauschtat, soweit verminderte Schuldunfähigkeit nachgewiesen ist
2. Rechtsethische und psychologische Vergleichbarkeit
Stehen die alternativ verwirklichten Tatbestände in keinem Stufenverhältnis zu einander, müssen die in Betracht kommenden Verhaltensweisen nach ständiger Rechtsprechung des BGH rechtsethisch und psychologisch vergleichbar sein
Rechtsethische Vergleichbarkeit
Maßgeblich und ausreichend ist es, wenn durch die in Betrach kommenden Verhaltensweisen dieselben oder in ihrem Wesen ähnliche Rechtsgüter verletzt werden
Psychologische Vergelichbarkeit
Vorausgesetzt wird, dass der Täter zu den in Frage stehenden Verhaltensweisen eine einigermaßen gleich geartete seelische Beziehung hat
Ist dies gegeben, kann sowohl nach dem einen, als auch nach dem anderen Delikt verurteilt werden, wobei sich die Höhe der Strafe nach dem im konkreten Fall mildernen Gesetz bemisst.
V. Post- und Präpendenz
Bei zwei Sachverhalten kann einer sicher festgestellt werden, während der andere lediglich als möglich verbleibt (es liegt also keine Sachverhaltsalternativität vor)
Würde der lediglich als möglich festgestellte Sachverhalt tatsächlich vorliegen, beeinflusst dies die Strafbarkeit aus dem als sicher festgestellten Sachverhalt
Es muss also eine einseitige Sachverhaltsungewissheit vorliegen, die eine doppelte Rechtsnorm-Unsicherheit zur Folge hat
Bsp. für mögliche Postpendenz
Sicher festgestelltes Hehlerverhalten, wobei die mittäterschaftliche Beteiligung an dem Diebstahl unklar bleibt
Geldwäschehandlung steht fest, wobei nicht geklärt werden kann, ob eine Beteiligung an der Vortat gegeben war
Bsp. für Präpendenz
Sicher festgestellte Verabredung zum gemeinschaftlichen Raub (§§ 249, 30 II Var. 3 StGB), wobei nicht aufklärbar ist, ob eine spätere Beteiligung im Ausführungsstadium gegeben ist
Sicherer § 138 StGB, aber unklar, ob auch eine Tatbeteiligung gegeben ist
Umgang mit Fällen der Post- und Präpendenz
Anerkannt: Würde das tatsächliche Vorliegen der möglichen Straftat die aus dem sicher festgestellen Sachverhalt resultierende Straftat nur im Konkurrenzwege zurücktreten lassen, geht das sichere Delikt vor.
Abzulehnen: Wenn die Postpendenz auf Ebene des Tatbestandes relevant wird, d.h. der Tatbestand der aufgrund des als sicher festgestellten Sachverhaltes bejahrten Deliktes wäre auszuschließen, wenn der ungewisse Sachverhalt tatsächlich Vorliegen würde.
Bsp.: Die Bestrafung wegen Strafvereitelung kommt nicht in Betracht, wenn "der Täter" ebenfalls Täter der vorausgesetzten rechtswidirgen Tat ist.
(P): Umstritten ist, ob Postpendenz in Fällen der „konkurrenzregulierenden Tatbestandseinschränkungen" anzuwenden ist, d.h. ist Fällen, in denen sich die Tatbestandseinschränkung im von unsicheren Sachverhalt abhängigen Tatbestand kokurrenzrechtlich auswirkt.
h.M.: Postpendenz ist möglich, sofern die vorhergehende Alleintäterschaft ausgeschlossen ist (da insofern nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Sache (auch) durch den Mittäter gestohlen wurde.
a.A: Dieses Vorgehen stellt einen Verstoß gegen den Zweifelssatz dar, folglich sei nur eine echte Wahlfeststellung möglich.
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