Rechtfertigungsgründe: Allgemein
Voraussetzungen
Die Tat ist nicht rechtswidrig, wenn dem Täter ein Rechtfertigungsgrund (auch Erlaubnistatbestand) zur Seite steht
Rechtfertigungsgründe können aus dem Straf-, Zivil- und öffentlichen Recht stammen
Wichtigsten Rechtfertigungsgründe
Notwehr (§ 32 StGB)
Rechtfertigender Notstand (§ 34 StGB)
Zivilrechtlicher aggressiver Notstand (§ 904 BGB)
Zivilrechtlicher passiver Notstand (§ 228 BGB)
Zivilrechtliche Selbsthilferechte (§§ 229, 230, 859 BGB)
Vorläufige Festnahme (§ 127 Abs. 1 S. 1 StPO
(mutmaßliche / hypothetische) Eiwilligung
Aufbau: Rechtfertigungsgründe
Allgemein
Alle Rechtfertigungsgründe setzen parallel zum objektiven und subjetiven Tatbestand einen objetiven und subjetiven Rechtfertigungstatbestand voraus.
Objetiver Rechtfertigungstatbestand
Kompensation des im objetiven Tatbestand liegenden Erfolgsunwertes
Rechtfertigungslage
Rechtferstigungshandlung + Voraussetzungen
Subjetiver Rechtfertigungstatbestand
Kompensation des im subjetiven Tatbestand liegenden Handlungsunwertes
Beim Vorsatzdelikt muss zumindest ein Rechtfertigungsvorsatz gegeben sein
Fürmöglichhalten reicht aus, wenn der Täter auf das Vorhandensein der Rechtfertigungssituation vertraut und insoweit ihr Fehlen nicht in Kauf nimmt
Strittig
Setzt das subjetive Element bei allen oder zumindest bei einigen Rechtfertigungsgründen einen zielgerichteten Rechtfertigungswillen voraus?
z.B. Verteidigungsabsicht (§ 32 StGB)
Handeln in Unkenntnis der Rechtfertigungssituation
Das subjetive Rechtfertiungselement fehlt insbesondere dann, wenn der Täter in Unkenntnis der ihn objetiv rechtfertigenden Situation handelt.
Versuchslösung (h.M.)
Der Täter wird aus dem versuchten Delikt bestraft
Die Handlung ist objetiv gerechtfertigt, so entfällt der dazugehörige Erfolgswert
Übrig bleibt nur, der dem bloßen Versuchsunrecht entsprechende Handlungsunwert
Vollendungslösung (m.M.)
Der Täter wird aus dem vollendeten Delikt bestraft
Arg: Tatbestand ist objektiv und subjektiv erfüllt. Das zur Rechtfertigung erforderliche subjektive Element fehlt
I. Objetive Rechtfertigungselemente
1. Notwehrlage
a) Angriff
Jede durch menschliches Verhalten drohende Verletzung eines rechtlich geschützten Gutes (Bewertung ex post zulässig / Rechtsgut muss nicht strafrechtlich geschützt sein)
Verhalten muss Handlungsqualität haben
Unterlassung nur dann, wenn es gegen die Garantenpflicht versößt
Verletzungsvorsatz ist nicht erforderlich
b) Gegenwärtigkeit des Angriffes
Der Angriff ist gegenwärtig, wenn er
unmittelbar bevorsteht (erkennen des unmittelbaren Ansetzens zur Tat),
gerade stattfindet oder
noch fortdauert
Der Angriff dauert so lange fort, bis die Rechtsgutverletzung endgültig eingetreten ist
c) Rechtswidrigkeit des Angriffes
Der Angriff ist rechtswidrig, wenn er nicht von einem Rechtfertigungsgrund gedeckt ist und daher vom Betroffenen zu dulden ist
2. Notwehrhandlung
a) Verteidigung nur gegen Rechtsgüter des Angreifers
Eingriffe in die Rechtsgüter Dritter oder der Allgemeinheit sind nicht gedeckt
b) Erforderlichkeit der Verteidigungshandlung
aa) Geeignetheit
Handlung ist dann geeignet, wenn sie eine Chance bietet, den Angriff abzuwehren, abzuschwächen oder zu verzögern
bb) Erforderlichkeit
Verteidiger muss unter mehreren zur Abwehr gleichermaßen geeigneten Mitteln dasjenige Wählen, das die Rechtsgüter des Angreifers am wenigsten beeiträchtigt
Risiko einer unsicheren Abwehrhandlung muss nicht eingegangen werden
Angreifer trägt das Risiko nicht intendierter Folgen, die sich aus der typischen Gefährlichkeit der Abwehmaßnahme ergeben
Bewertung der Erforderlichkeit ex-ante
Schusswaffengebrauch ist grundsätzlich vorher anzudrohen (Androhung, Warnschuss, nicht tödlicher Schuss, potenziell tödlicher Schuss
3. Gebotenheit
Notwehrrecht wird durch sozialethische Schranken begrenzt, um normativ nicht einleuchtende Konsequenzen zu vermeiden
Verteidiger in diesen Fallgruppen dürfen nicht direkt zur aggressiven Notwehr übergehen
Ausweichen
Defensive Gegenwehr (Schutzwehr)
Aggressive Gegenwehr (Trutzwehr)
a) Krasses Missverhältnis zwischen angegriffenem Rechtsgut und der Verteidigungshandlung
b) Angriffe von schuldlos Handelnden (Kinder, Geisteskranke, Volltrunkende) und von erkennbar Irrenden
c) Angriffe im Rahmen enger persönlicher (Garanten-) Beziehungen.
d) Schuldhafte Herbeiführung einer Notwehrlage (Notwehrprovokation)
Es wird zielstrebig ein Angriff herausgefordert, um den Gegner unter dem Deckmantel der äußerlich gegebenen Notwehrlage an seinen Rechtsgütern zu verletzen
Täter ist grundsätzlich die Rechtfertigung versagt, da er selbst rechtsmißbräuchlich handelt, indem er Verteidigungswille vortäuscht, in Wirklichkeit jedoch Angreifen will
II. Subjektives Rechtfertigungselement
1. Verteidigungsabsicht
a) Kenntnis der Notwehrlage
b) Verteidigungswille (Strittig)
Sinn und Zweck
Der rechtfertigende Notstand gem. § 34 StGB gibt die Möglichkeit, im Falle Interessenkollisionen aller Art, die Rechtswidirgkeit einer Handlung entfallen zu lassen
Aufgrund des weiteren Anwendungsbereiches, gehen - sofern einchlägig - der Passivnotstand (§ 228 BGB) und der Agressivnotstand (§ 904 BGB) als Lex speciales vor.
Findet auch Anwendung bei Interessenkollisionen im Bereich ein und desselben Rechtsgutträgers; insb. dann, wenn dieser einwilligungsunfähig oder aus Rechtsgründen nicht zur Disposition über das gefährdete Rechtsgut in der Lage ist
Prüfungsschema
1. Objektive Merkmale
a) Notstandslage
aa) Notstandsfähiges Rechtsgut
Rechtsgüter des Einzelnen. Der Schutz von Allgemeinrechtsgütern obliegt dem Staat, sodass sich der Einzelne grundsätzlich nicht auf die Rechtfertigung durch "Staatsnothilfe" berufen kann, es sei denn,
die staatlichen Stellen können nicht rechtzeitig eingreifen. Des Weiteren gilt dies auch bei Handlungen zur Abwehr von Gefahren gegenüber Individualrechtsgütern des Staates.
Die Schutzbedürftigkeit der Rechtsgüter fehlt, wenn dessen Inhaber diese in rechtlich zulässiger Weise hingegeben hat oder dies von Rechts wegen hinzunehmen ist (z.B. Strafvollzug)
bb) Gefahr für das Rechtsgut
Zustand, dessen Weiterentwicklung den Eintritt oder die Weiterentwicklung eines Schadens ernstlich beführchten lässt. Bei der Sachverhaltsdiagnose und Prognose kommt es einzig auf den Standpunkt
eines objektiven Betrachters, dem neben einem generellen Erfahrungswissen, auch etwaiges Sonderwissen des Täters zum Zeitpunkt der Handlung unterstellt wird.
cc) Gegenwärtigkeit
Die Gegenwärtigkeit einer Gefahr reicht weiter als jene eines Angriffes nach § 32 StGB. Dies leuchtet ein, da ein Angriff die aktute Zuspitzung einer Gefahr ist
Auch eine Dauergefahr kann gegenwärtig sein, wenn sie so dringend ist, dass sie nur durch unverzügliches Handeln wirksam abgewendet werden kann
b) Notstandshandlung
- Rettung eines Rechtsguts durch Aufopferung eines anderen Rechtsguts
- Erforderlichkeit
- Geeignetheit
DIe Handlung muss unter Berücksichtigung aller aus der Ex-ante-Sicht eines sachkundigen objektiven Betrachteres erkennbaren Umstände mit gewisser Wahrscheinlichkeit zur Erhaltung des gefährdeten
Guts führen
- relativ mildestes Mittel
Besteht eine Ausweichmöglichkeit oder ist obrigkeitliche Hilfe rechtzeitgig erreichbar, so ist davon Gebrauch zu machen
- Interessenabwägung
Das vom Täter geschützte Interesse muss das beeinträchtige Interesse wesentlich überwiegen
- Insb. Rang- und Werteverhältnis der kollidierenden Rechtsgüter
- Nähe und Ursprung der Gefahr
- Art und Umfang der drohenden Werteinbußen
- Besondere Gefahrtragungspflichten (z.B.: Polizeibeamte, Soldaten und Feuerwehrleute)
- Spezielle Schutzvorschriften (z.B.: aufgrund einer Garantenstellung
- Vom Täter verfolgte Endzweck
- Mögliche Unersetzlichkeit des eingetretenen Schadens
- Größe der Rettungschance
- Angemessenheit
Allgemeine Rechts- und Verfahrensgrundsätze sollen nicht durch einzelfallbezogene - nicht verallgemeinerungsfähige - Interessenabwägungen verwässert werden
Bsp.: DIe Nötigung zu einer Blutspende zwingt das Opfer zu der Preisgabe des Kerns seines Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit. Die Rechtfertigung einer solchen Handlung würde diesen
Rechtsgrundsätz aushölen und ist folglich nicht angemessen.
2. Subjektives Rechtfertigungselement
a) Kenntnis der objektiven Notstandsvoraussetzungen
b) (P) Rettungswille (Wortlaut: "Um…abzuwenden" spricht für das Erfodernis eines Rettungswillen
Abgrenzung
Nötigungsnotstand
Der Täter wird zur Begehung der Tat genötigt (§ 240 StGB). Fraglich ist, ob die Begehung des Täters gerechtfertigt oder entschuldigt ist
Entschuldigungslösung (h.M.)
Das Interesse des Täters kann (auf Ebene der Rechtswidrigkeit) das Interesse des unbeteiligten Dritten nicht überwiegen. Die Lösung muss vielmehr über § 35 erfolgen.
Arg.: Unbeteiligter Dritte könnte sich ansonsten aufgrund des "gerechtfertigten" Angriffes ihrerseits nicht auf Notwehr berufen. Dies ist insbesonder bei Angriffen gegen Leib und Leben von der Rechtsordnung nicht gebilligt
Rechtfertigungslösung (a.A.)
Es darf nicht darauf ankommen, woher die Gefahr, gegen die sich der in einer Notstandslage Befindende wehrt, herrührt.
Wenn er dabei die Rechte anderer (auch unbeteiligter) Personen beeinträchtigen muss, haben diese das zu dulden („Solidarität der Rechtsgenossen“).
Defensiver Notstand (§ 228 BGB) - Gefahr durch eine fremde Sache
Grundgedanke: Die Schutzinteressen des Bedrohten höher zu bewerten sind als das Interesse des Eigentümers an der Erhaltung einer Sache, deren Zustand andere gefährdet und zu Abwehrmaßnahmen zwingt
Beschädigung oder Zerstörung einer Sache ist dann nicht widerrechtlich, wenn dies erforderlich ist, um die durch sie drohende Gefahr für schutzwürdige Interessen jedweder Art abzuwenden
Gefahr für ein Rechtsgut durch eine fremde Sache
Erforderlichkeit der Beschädigung oder Zerstörung
Schaden steht nicht außer Verhältnis zu der drohenden Gefahr
Ein wertmäßiges Überwiegen des bedrohten Rechtsgutes ist nicht erforderlich, weil sich die Abwehrhandlung gegen die gefahrsetzende Sache selbst richtet
1. Objektive Voraussetzungen
a) Notstandslage ("durch sie drohende Gefahr")
- drohende, gegenwärtige Gefahr für ein Rechtsgut
- durch eine fremde Sache
- Erfoderlichkeit
- Interessenabwägung ("Nicht Außer-Verhältnis-Stehen")
2. Subjektive Voraussetzungen
a) Kenntnis der Notstandslage
b) (P) Rettungswille
Aggresssiver Notstand (§ 904 BGB) - Verwendung fremder Sachen zur Abwehr von Gefahren
Im Sinne der Solidarität der Rechtsgemeinschaft ist kann der Eigentümer den Zugriff auf eine Sache nicht verbieten, wenn die Verwendung zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr notwendig und der drohende Schaden gegenüber dem aus der Verwednung entstehenden Schaden unverhältnismäßig hoch ist
Gleichwohl entsteht dem Eigentümer ein Schadensersatzanspruch, soweit ihm durch die Verwendung der Sache ein Schaden entstanden ist
a) Notstandslage ("gegenwärtige Gefahr")
- Gegenwärtige Gefahr für ein Rechtsgut
- Erforderlichkeit ("Zur Abendung notwendig")
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