Was versteht man unter FGM_C?
• Female Genital Mutilation/Cutting
→ weibliche Genitalverstümmelung bzw. Genitalbeschneidung
• laut Definition der WHO: alle Eingriffe, bei denen die äußeren weiblichen Genitalien aus nicht-medizinischen Gründen teilweise oder vollständig entfernt oder anderweitig verletzt werden
Welche Begriffe werden im Zusammenhang mit FGM_C verwendet? Welche sind wann angemessen?
• „Überlebende“ / „survivor“, „Beschneidung“ bei Betroffenen
→weniger Stigmatisierung
• „Opfer“ und „Verstümmelung“ nur im fachlichen/politischen Kontext
→um die Schwere der Menschenrechtsverletzung zu verdeutlichen
• Trotzdem situationsbedingt individuell entscheiden, sich dem
Vokabular der Betroffenen anpassen
Wie hoch ist die weltweite und die Deutsche Prävalenz?
• 230 Millionen Betroffene Weltweit + 3 Millionen bedroht (UNICEF)
• >74.000 Betroffene in Deutschland + 20.000 betroht
(Bundesfamilienminesterium)
In welchen Ländern oder Regionen ist FGM besonders verbreitet?
• In westlichen, östlichen und nordöstlichen Regionen Afrikas > Süd-Ost Asien > naher Osten
• Besonders z.B. Somalia, Eritrea, Sudan, Ägypten, Guinea
Welche Faktoren beeinflussen die Verbreitung von FGM?
• Traditionelle Gründe:
-weil Beschneidungen schon lange stattfinden, werden sie als Teil der Kultur betrachtet
-Initiationsritus (/Zeremonie) teilweise als feierlicher „Übergang“ zum Erwachsenseins angesehen (heutzutage seltener weil Beschneidung immer früher stattfindet)
• soziale und wirtschaftliche Gründe
-soziale Ausgrenzung von nicht beschnittenen Mädchen z.B durch Voraussetzung zur Heirat und Verhinderung von Scheidung (wichtig wegen wirtschaftlicher Abhängigkeit von Männern)
-als „Schutz“ für Mädchen und Frauen bei langen, unbegleiteten Wegen zur Schule/ Arbeit
-um Unehre bei Abwesenheit des Ehemannes zu verhindern, da „die sexuellen Bedürfnisse beruhigt seien“
• medizinische Mythen
-es wird angenommen, dass eine fehlende Beschneidung zu gesundheitlichen Problemen und Störungen der Fruchtbarkeit bei Frauen führt
-auch die Gesundheit von Partner und Nachwuchs soll angeblich beeinflusst werden
-Klitoris wird als gefährliches oder sogar tödliches Organ angesehen -Genitalien wachsen angeblich immer weiter
• ästhetische Vorstellung
-beschnittene und infibulierte Genitalien werden als normal angesehen und unbeschnittene als eher unästhetisch
-kulturell geprägtes Schönheitsideal: vulva soll schmal und glatt erscheinen
-Klitoris wird als männliches Überbleibsel angesehen und soll für mehr Weiblichkeit entfernt werden
-soll „abrunden“ und „erotischer“ machen
• sexuelle Vorlieben der Männer
-„trockener Sex“ ist verbreitet, Flüssigkeiten, Gerüche und Geräusche der Vagina beim Sex als peinlich und unerotisch empfunden
-Vagina ist „enger“ durch Schwellung und verursacht mehr Reibung
-dies erhöht die Verletzungsgefahr, somit steigt das Infektionsrisiko z.B an HIV zu erkranken (mehr Eintrittspforten) auch der natürliche Teilschutz vor Infektionen wird durch den Lubrikationsmangel (durch eingeschränkte sexuelle Reaktionsfähigkeit) außer Kraft gesetzt
• Unterdrückung der weiblichen Sexualität
-Genitalverstümmelung kann sexuelle Lust stark einschränken
-verhindert eventuell Orgasmusfähigkeit
-macht Sex umständlich und schmerzhaft
-soll sexuell aktives Verhalten verhindern und „Familienehre“ bewahren
-Infibulation als Nachweis der Jungfräulichkeit, dies soll Ehe sicherstellen
-Kontroll- und Machtverlust des Mannes (wenn er seine unbeschnittene Frau nicht befriedigen kann) soll verhindert werden
• Religion
-erste Aufzeichnungen der Praktik sind älter als Christentum und Islam
-Religionen die FGM durchführen: Muslime, Christen, äthiopische Juden und Anhänger der traditionellen Religionen
-viele Gläubige denken FGM sei religiös vorgeschrieben
Welche Formen der FGM_C werden unterschieden, und wie sind sie klassifiziert?
• Typ I: Klitoridektomie
Partielle oder vollständige Entfernung der Klitoris
und/oder der Klitorisvorhaut
• Typ II: Exzision
Partielle oder vollständige Entfernung der Klitoris und der kleinen Schamlippen, mit oder ohne Entfernung der großen Schamlippen
• Typ III: Infibulation
Verengung der Vaginalöffnung mit Herstellung eines bedeckenden, narbigen Hautverschlusses nach Entfernen der kleinen und/oder großen Schamlippen durch Zusammenheften oder -nähen der Wundränder, mit oder ohne Entfernung der Klitoris.
• Typ IV: Weitere Praktiken
Alle anderen schädigenden Eingriffe, die die weibli- chen Genitalien verletzen und keinem medizinischen Zweck dienen, zum Beispiel: Einstechen, Durchboh- ren, Einschneiden, Ausschaben oder Verätzen.
Wie ist die rechtliche Lage in Deutschland?
• in Deutschland verboten und strafbar, auch wenn der Tatort im Ausland war
• Seit 2013 explizit als Körperverletzung genannt
• Strafbar mit 1- 15Jahren Haft
• Seit 2011 als geschlechtsspezifische Gewalt in der EU anerkannt
Was ist ein Schutzbrief, und wie wird er genutzt?
• „Flyer“, Aufklärung zu z.b Folgen der FGM und zu den Gesetzen
• Besonders vor Ausreise und Gefährdung indiziert
• kann den Familien helfen, sich dem gesellschaftlichen und familiären Druck in den Herkunftsländern entgegen zu stellen
• Zielgruppe sind primär die bedrohten Mädchen und ihre Familien
• In vielen Sprachen verfügbar
Welche akuten und langfristigen gesundheitliche Folgen können durch FGM_C auftreten?
• Akut: Frakturen durch gewaltsames fixieren während er Prozedur, Infektion (z.B HIV), Sepsis, Tetanus, Abzesse, Blutungen bis Hämorrhagie, Schock, Anämie, Trauma, Tod
• Langfristig: Menstruationsstörungen, Miktionsstörungen, Dyspareunie, Vag. Stenose, Infertilität/ Sterilität, Vaginitis, Endometritis, Adnexitis, Vaginalkristalle, erhöhte perinatale Mortalität, Komplikationen in der Schwangerschaft + Geburt (z.B lange AP Geburtsstillstand), eingeschränkte med. Versorgung, Wundinfektion, Fistelbildung, Vulvodynie
• Psychisch: Trauma, Verhaltensstörung, Vertrauensverlust , Angst, Depressionen, Sexualstörungen, Partnerschaftskonflikte, psychosomatische Beschwerden
Wie beschreiben betroffene Frauen ihre Erfahrungen mit FGM_C in Ländern, in denen FGM untypisch ist?
• fühlen sich in den EU-Ländern oft als „abnormal“ und stigmatisiert von med. Personal und auch Privatpersonen
• Fühlen sich oft ausgegrenzt und isoliert da in DE von ihnen als „unvollständige“ oder „verstümmelte“ Frau gesprochen wird
• Betroffene fordern mehr Respekt und Dialog, wollen z.B nicht dass durch stereotypische und unreflektierte Kampagnen oder Schulbücher ein falsches Bild von Afrika und FGM entsteht
Wie erleben diese Frauen die Gesundheitsversorgung?
• empfinden Personal uninformiert und nicht sensibel genug
• Betroffene werden häufig fehldiagnostiziert und begegnen vielen Vorurteilen und Stigmatisierung
• Stoßen oft auf Entsetzen und Erschrecken, sowie Unverständnis wenn z.B Operationen, Eingriffe oder Untersuchungen abgelehnt werden
• schlechte Behandlung teilweise traumatisierend für Betroffene
• Viele betroffene meiden bspw. Routineuntersuchungen
Welche geburtshilflichen Herausforderungen treten bei Frauen mit FGM_C auf?
• lange AP, Geburtsstillstand, weniger invasive Intervention möglich (MBU, Katheterisieren, pH bestimmtung, evtl. Vag U), vermehrt Geburtsverletzungen, gestörtes Körperbild/ Körperempfindung, weniger Vertrauen
• Erhöhte Sterblichkeitsrate für Mutter und Kind
• Risikoschwangerschaft
• FGM_C ist nicht immer eine Indikation für Sectio
Welche besonderen Maßnahmen sind bei der Betreuung von Frauen mit FGM_C erforderlich?
• mehr Sensibilität
• Grenzen setzen lassen
• Evtl. Einstufung der FGM und dementsprechend mögl. OP
• In Betreuung vermehrt auf Entzündungszeichen und HWI‘s achten
• Zur Wichtigkeit der Hygiene in Schwangerschaft + Wochenbett beraten (anstaunt von Urin, Blut etc vermeiden)
• Wenn keine Defibulation in oder vor der Schwangerschaft stattfand, eventuell kontrollierter DR/ Episiotomie in der AP
• Funktion einer Hebamme klarstellen, da diese in anderen Ländern teilweise auch FGM durchführen
Was versteht man unter Defibulation, und wann ist sie medizinisch angebracht?
• Defibulation = operative Wiedereröffnung des Scheideneingangs
• Indikation:
-Schwangrschaft besonders bei angestrebtem Spontanpartus, idealer Zeitpunkt 20.-30. Schwangerschaftswoche
-Verlangen/ Wunsch der Frau
-Miktions- und/oder Sexualstörung
-Kiloid und/ oder Zystenbildung
-rezidivierende Infektionen
-erschwerte Diagnostik
Wie kann die Defibulation gestaltet werden? Welche Rolle spielt die betroffene Frau dabei?
• allein die Betroffene entscheidet ob eine Defibulation durchgeführt werden soll!
• Betroffene hat freie Arztwahl
• Betroffene sollten aufgeklärt werden (z.B auch darüber, dass es keine Möglichkeit für Reinfibulation in Deutschland gibt) und eine qualifiziere Beratung erhalten
• Oft ist eine Begleitung der Betroffenen durch eine Psychosoziale Beratung hilfreich
• Rekonstruktionen sollten nur in spezialisierten Zentren durchgeführt werden
• Eingriff wird von der Krankenkasse übernommen
• Auch nach dem Eingriff ist eine traumasensinle Therapie von Vorteil
• Unterstützungen durch sensible Dolmetscher, Infomaterial zu: FGM_C, Eingriffen, Anatomie und Rechten
Was versteht man unter Reinfibulation, und welche ethischen und rechtlichen Aspekte sind hierbei relevant?
• Reinfibulation ist eine Wiederherstellung der Infibulation, das heißt der Scheideneingang wird nach einer Geburt wieder verschlossen
• Frauen werden oft gezwungen von Familienmitgliedern und medizinischen Personal und treffen die Entscheidung für eine Reinfibulation nicht selber
• Gründe sind beispielsweise die Angst vor der großen Narbe, den Reaktionen der Familie oder ein tief verankertes Selbstbild als nur infibuliert reine und vollständige Frau
• Reinfibulation ist illegal in Deutschland
Welche Herausforderungen können bei der Thematisierung von FGM_C mit Betroffenen auftreten?
• Scham und Stigmatisierung können ein Gespräch mit Betroffenen erschweren
• Eine Retraumatisierung könnte verursacht werden
• Auch Verdrängung und Leugnung der Betroffenen kann eine Beratung behindern
• Verschiedene Ansichten können zu Konflikten führen
• Eventuell können Vertrauenprobleme die Beziehung zur Hebamme erschweren (besonders weil Hebammen in manchen Ländern selber FGM durchführen)
Wie können Hebammen das Thema FGM_C sensibel und respektvoll ansprechen? Welche sprachlichen und nonverbalen Strategien können bei der Beratung hilfreich
sein?
• Gesprächsangebot machen, nur nach Einwilligung weiterführen
• die Sprachwahl sollte gewaltfrei und respektvoll sein
• Grenzen der Betroffenen sollten unbedingt respektiert werden
• Sprache und Intensität des Gesprächs sollte sich an die Betroffene
anpassen
• Es sollte eine ruhige Situation gewählt werden und auf Privatsphäre
geachtet werden
• nicht bei Vag Untersuchung! Frau sollte angezogen und auf
Augenhöhe sein
• die Betroffene sollte entscheiden können ob /und wer anwesend
sein darf
• Wenn nötig sollte ein qualifizierter Dolmetscher unterstützen
• einfühlsam sein, aber nicht überdramatisieren und angst machen
• Z.b in der Anamnese nach chirurgischen Eingriffen fragen, ggf.
spezifizieren bei Frauen aus betroffenen Ländern (das dann auch
transparent erläutern)
• vor der Frau nicht die Familie als Täter verurteilen, Vorwürfe machen
oder Vermutungen aufstellen
Welche Informationen sollten Betroffene in der Beratung unbedingt erhalten?
• Schweigepflicht sollte wenn möglich erläutert werden, nur mit Einverständnis der Frau die FGM in einsehbaren Dokumente eintragen (Mutterpass,Entlassbrief, Geburtenkleber, U-Heft)
• freie Arztwahl bei niedergelassenen Gyns
• über die Möglichkeit einer Chirurgischen Rekonstruktion in der Schwangerschaft und unter Geburt informieren
• Hebammenbehandlung (Vorsorgen, Beleghebammen, Kostenübernahme)
• Betroffene kann über Geburtsmodus entscheiden (jedoch Defibulation vor oder während der Geburt nötig bei Typ III)
• Evtl. über Wichtigkeit im Asylverfahren beraten und weiter vermitteln
• Evtl. über Verbot von FGM_C und Reinfibulation informieren
• Möglichkeiten zu psychologischer Unterstützung
• evtl. auf Selbsthilfegruppen aufmerksam machen
Wie können Eltern, deren Töchter potenziell von FGM_C betroffen sein könnten, beraten werden? Welche Präventionsmaßnahmen können in der Betreuung thematisiert werden?
• Eltern sollten über Rechtslage informiert werden: FGM_C strafbar (auch wenn diese im Auslad stattfindet), möglicher Verlust des Aufenthaltstitels
• Über akute und langfristige körperliche und psychische folgen aufklären
• eventuell FGM-Fachstellen hinzuziehen
• Flyer und Informationsmaterial
• Hinzuziehen von Jugendamt und Polizei im Falle einer Kindeswohlgefährdung verdeutlichen
• Schutzbrief in verschiedenen Spachen verfügbar, kann den Familien helfen sich dem gesellschaftlichen und familiären Druck in den Herkunftsländern entgegen zu stellen
Welche Rolle spielen Hebammen in verschiedenen Ländern bei der Durchführung oder Prävention von FGM_C?
• Großteil der FGM werden in betroffenen Ländern von den Geburtshelferinnen/ Hebammen durchgeführt (nächstgrößere Ausführende Gruppe sind Ärzte)
• Durchführung durch medizinisches Personal jedoch eher bei höherem Status verbreitet
In nicht-betroffenen Ländern sind Hebammen unteranderem für Prävention verantwortlich, leisten Aufklärung, unterstützen Defibulation
Welche ethischen Konflikte und Herausforderungen könne sich daraus ergeben?
• Vertrauensprobleme bei Betroffenen, wollen sich und ihr Kind evtl nicht der Hebamme anvertrauen
• Kontrast von Durchführung vs. Prävention und Rekonstruieren
Last changed14 days ago