Einführung in die Grundrechte “Allgemeiner Teil”
A. Begriff der Grundrechte
I. Grundrechte im formellen Sinn in den Art. 1-19 GG
Abschnitt I. des GG, umfasst Art. 1-19 GG, der mit “Die Grundrechte” überschrieben ist. Die dem Einzelnen in den Art. 1-19 GG garantierten subjektiven Rechte können als “Grundrechte im formellen Sinn” bezeichnet werden.
II. Grundrechte im materiellen Sinne außerhalb der Art. 1-19 GG (grundrechtsgleiche Rechte)
Andererseits normiert das GG auch außerhalb der Art. 1-19 GG Rechte, die mit den “Grundrechten im formellen Sinne” nach ihrer Struktur und Geschichte vergleichbar sind und ebenso wie diese prozessual mit der Verfassungsbeschwerde verteidigt werden können. Es handelt sich um die sog. “grundrechtsgleichen Rechte”, die in Art. 93 I Nr. 4a) GG und § 90 I BVerfGG genannt sind und als “Grundrechte im (nur) materiellen Sinne” bezeichnet werden können. Dabei handelt es sich aber keinesfalls um Grundrechte “2.Klasse”; vielmehr stehen diese den “Grundrechten im formellen Sinne” nach Rang und Schutzwirkung in nichts nach.
B. Arten der Grundrechte
I. Materielle und prozessuale Grundrechte
Materielle Grundrechte sollen einen bestimmten Freiheits- und Gleichheitsstandard gewährleisten, prozessuale Grundrechte dienen ihrer Durchsetzung.
Im Vordergrund steht Art. 19 IV 1 GG, wonach jedem, der durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt wird, der Rechtsweg offensteht. Diese Vorschrift gewährleistet nicht nur ein Grundrecht auf gerichtlichen Individualschutz gegenüber Maßnahmen der öffentlichen Gewalt, sondern zugleich die institutionelle Garantie einer Gerichtsbarkeit, die diesen Rechtsschutzauftrag in angemessener und effektiver Weise erfüllen kann und muss. Art. 19 IV 1 GG ist von elementarer Bedeutung für das Rechtsstaatsprinzip. Dazu kommen noch die sog. “Justizgrundrechte”, die das Recht aus Art. 19 IV 1 GG zum Teil konkretisieren, zum Teil aber auch weitergehende Rechte gewährleisten.
Fallrelevant ist die Unterscheidung u.a. für die Beurteilung der Erfolgsaussichten einer Urteilsverfassungsbeschwerde. Diese kann nicht nur darauf gestützt werden, dass das Entscheidungsergebnis gegen materielle Grundrechte verstößt, sondern auch darauf, dass die Entscheidung unter Verletzung prozessualer Grundrechte zustande gekommen ist.
II. Freiheitsrechte und Gleichheitsrechte
Freiheitsrechte
Freiheitsrechte sollen - jeweils abgestimmt auf bestimmte Lebensbereiche - Handlungsfreiheiten bzw. Entscheidungsrechte gewährleisten. Sie begründen Abwehrrechte gegen staatliche Eingriffe in diese Freiheiten, sofern die Eingriffe nicht ausnahmsweise gerechtfertigt sind.
Für den Prüfungsgang ist zu berücksichtigen: Nur Freiheitsrechte haben einen “Schutzbereich”; daher wird auch nur bei ihnen das Vorliegen einer Grundrechtsverletzung in den Schritten “Eingriff in den Schutzbereich” und “Eingriff verfassungsrechtlich gerechtfertigt” geprüft.
Für die Prüfungsreihenfolge gilt als Grundregel: Freiheitsrechte sind vor Gleichheitsrechten zu prüfen. Hiervon kann - ggf. - eine Ausnahme gemacht werden, wenn es nur (noch) um die Prüfung der allgemeinen Handlungsfreiheit und des allgemeinen Gleichheitssatzes geht. In diesem Fall kann Art. 3 I GG vor Art. 2 I GG geprüft werden, wenn der Schwerpunkt der Beeinträchtigung in einer Ungleichbehandlung liegt.
Gleichheitsrechte
Gleichheitsrechte sollen bewirken, dass Regelungen nicht zu Privilegierungen oder Diskriminierungen von Einzelnen oder Gruppen im Vergleich zu anderen führen. Ein Mindestmaß an Gleichbehandlung ist Ausdruck einer egalitären Staatsbürgergesellschaft, sodass Ungleichbehandlungen einer Rechtfertigung bedürfen.
Der Prüfungsgang ist zweistufig und umfasst die Feststellung einer “Ungleichbehandlung” und das Fehlen eines sachlichen Grundes.
C. Freiheitsrechte als Abwehrrechte - Technik der Grundrechtsprüfung
Freiheitsrechte sind in erster Linie Abwehrrechte. Die Prüfung der Verletzung eines Freiheitsrechts als Abwehrrecht erfolgt nach einem für alle Freiheitsrechte gleichermaßen gültigen Grundschema.
Die Prüfung der Verletzung eines Freiheitsrechts als Abwehrrecht ähnelt in gewisser Weise der aus dem Strafrecht bekannten Prüfung der Strafbarkeit. Hier wie dort ist zwischen der Tatbestandsebene und der Rechtfertigungsebene zu unterscheiden. Bei Freiheitsrechten gilt:
Zur Tatbestandebene gehärt die Prüfung, ob durch das Handeln eines Hoheitsträgers (1.) der Schutzbereich eines Freiheitsrechts betroffen wird und ob das Handelnd (2.) als (Grundrechts-)Eingriff zu bewerten ist. Die Verwirklichung des Grundrechtstatbestandes indiziert die Rechtswidrigkeit des Handelns und löst zu Lasten des Hoheitsträgers eine Rechtfertigungspflicht aus.
Daher ist auf der Rechtfertigungsebene zu prüfen, ob der Eingriff verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist. Erst wenn diese Prüfung ergibt, dass der Eingriff nicht gerechtfertigt ist, liegt eine Verletzung des Freiheitsrechts vor.
Aufbaufrage: Die Prüfung der Verletzung eines Freiheitsrechts als Abwehrrecht kann entweder in einem zweistufigen oder in einem dreistufigen Aufbau erfolgen:
I. Schutzbereich
Der (sachliche und persönliche) Schutzbereich eines Freiheitsrechts ergibt sich in vielen Fällen aus dem ersten Absatz des jeweiligen Grundrechtsartikels.
Sachlicher Schutzbereich
Mit der Prüfung des sachlichen Schutzbereichs soll geklärt werden, auf “was” genau sich der Schutz des jeweiligen Freiheitsrechts bezieht.
a) Leitbegriffe; ggf. sachliche Begrenzung
Freiheitsrechte betreffen jeweils einen bestimmten Lebensbereich, der durch Verwendung sog. “Leitbegriffe” in den jeweiligen Artigekl beschrieben wird. Diese Leitbegriffe sind der Ausgangspunkt zur Ermittlung des sachlichen Schutzbereichs.
Bereits bei der Ermittlung des sachlichen Schutzbereichs sind etwaige schon nach dem Wortlaut des Freiheitsrechts vorgegebene sachliche Begrenzungen mit zu berücksichtigen. So schützt Art. 8 I GG zwar das Recht, sich zu versammeln, begrenzt dieses Recht aber von vornherein auf solche Versammlungen, die friedlich und ohne Waffen durchgeführt werden.
b) Feststellung des geschützten Verhaltens (positiv/negativ)
Der Begriff “Schutzbereich” darf nicht zu einem unzutreffenden “objektbezogenen” Denken verleiten. Freiheitsrechte gewährleisten das Recht, sich innerhalb des näher beschriebenen Bereichs frei zu Verhalten. Zur Bestimmung des sachlichen Schutzbereichs gehört deswegen idR auch die Feststellung, welche konkreten Verhaltensweisen durch das Freiheitsrecht geschützt werden - oder auch nicht. Das betrifft zum einen aktives Handeln (als positive Freiheit).
Dem Wesen der Freiheit entsprechend wird grundsätzlich (also nicht ausnahmslos) auch das Unterlassen des geschützten Handelns (als negative Freiheit) geschützt.
Persönlicher Schutzbereich
Mit der Prüfung des persönlichen Schutzbereichs soll geklärt werden, "“wen” das jeweilige Freiheitsrecht schützt.
II. Eingriff I: Klassischer (enger) Eingriffsbegriff
Zur Verwirklichung des Grundrechtstatbestands ist weiter erforderlich, dass das Handeln des Hoheitsträgers als “Eingriff” zu bewerten ist. Dabei werden zwei unterschiedliche Eingriffsbegriffe unterschieden:
der klassische (enge) Eingriffsbegriff und
der neue (weite) Eingriffsbegriff.
Damit ein Eingriff vorliegt, müssen best. Grundvoraussetzungen erfüllt sein, die nur bei Anlass zu erörtern sind:
Die Beeinträchtigung muss einer Stelle zurechenbar sein, die an die Grundrechte gebunden ist (Art. 1 III GG).
Ein Eingriff setzt im Regelfall ein positives Tun des Grundrechtsverpflichteten voraus. Etwas anderes gilt bei Unterlassen nur, wenn sich das Unterlassen als Weigerung zur Beseitigung eines vorangegangenen Eingriffs darstellt.
Nach dem klassischen (engen) Eingriffsbegriff wird unter einem Grundrechtseingriff ein rechtsförmiger Vorgang verstanden, der unmittelbar und gezielt (final) durch ein vom Staat verfügtes, erforderlichenfalls zwangsweise durchzusetzendes Ge- oder Verbot, also imperativ, zu einer Verkürzung grundrechtlicher Freiheiten führt. Liegen diese Voraussetzungen vor, ist ein Eingriff (auch heute) ohne weiteres zu bejahen.
Rechtsförmige Vorgänge (Rechtsakte) sind zB Gesetze, Verwaltungsakte, gerichtliche Entscheidungen.
Unmittelbar bedeutet, dass die staatiche Maßnahme direkt an den Grundrechtsträger gerichtet ist und sich nicht erst zB über das Verhalten Dritter beim Grundrechtsträger auswirkt.
Final bedeutet, dass die Maßnahme auf die Verkürzung einer konkreten Grundrechtsgewährleistung gerichtet ist.
Imperativ bedeutet, dass die Beeinträchtigung Folge einer verbindlichen, mit Befehl und Zwang durchsetzbaren Anordnung ist. Dabei ist streitig, ob es sich bei der Imperativität um ein eigenständiges Merkmal handelt, oder nur um den Versuch, das Wesen des klassichen Eingriffs (mit seinen vorgenannten Elementen) in einem einzigen Begriff auf den Punkt zu bringen.
Gesetze stellen danach unproblematisch einen Eingriff dar, wenn sie auf grundrechtlich geschütztes Verhalten durch Gebote oder Verbote einwirken oder (ausnahmsweise) unmittelbar zu einem Rechtsverlust führen, wie zB im Fall einer Enteignung durch Gesetz. Aber auch soweit Gesetze (wie regelmäßig) nur Ermächtigungen zu Grundrechtseingriffen enthalten, stellen solche vollzugsbedürftigen Ermächtigungsgrundlagen materiell-rechtlich bereits einen (unmittelbaren) Eingrff dar.
Einzelakte -insbes. VAe oder gerichtliche Entscheidungen aufgrund eines Gesetzes - stellen danach unproblematisch in folgenden Fällen einen Eingriff dar:
Gebote und Verbote, die unmittelbar an den Betroffenen gerichtet sind;
die Verweigerung einer Erlaubnis für ein grundrechtlich geschütztes Verhalten;
der Entzug von Rechtspositionen;
die Verhängung von Sanktionen wegen Ausübung grundrechtlich geschützter Verhaltensweisen;
auch behördliche oder gerichtliche Anordnung zur Vornahme eines Eingriffs.
III. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung (des Eingriffs in den Schutzbereich)
Liegt ein Eingriff in den Schutzbereich vor, so bedarf der Eingriff der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung. Das ist strukturell vergleichbar mit der aus dem Strafrecht bekannten Prüfung der Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit eines Verhaltens. Dabei erfolgt die Prüfung der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung in zwei Schritten:
im ersten Schritt ist zu festzustellen, ob (bzw. wie) das Freiheitsrecht eingeschränkt werden kann (=Bestehen einer Einschränkungsmöglichkeit)
im zweiten Schritt ist zu prüfen, ob von der Einschränkungsmöglichkeit in verfassungskonformer Weise Gebrauch gemacht worden ist (=ob die Grenzen der Einschränkungsmöglichkeit beachtet wurden)
Einschränkungsmöglichkeiten (“Schranken”)
Freiheitsrechte sind nicht schrankenlos gewährleistet. Vielmehr sieht die Verfassung unterschiedliche Möglichkeiten zur Einschränkung von Freiheitsrechten vor.
Überblick über die Möglichkeiten zur Einschränkung von Freiheitsrechten
a) Freiheitsrechte mit verfassungsunmittelbarer Einschränkungsmöglichkeit
In seltenen Fällen wird die Verwaltung bereits unmittelbar durch das GG dazu ermächtigt, im Einzelnen näher genannte Eingriffe vorzunehmen. Ermächtigungsgrundlageist in diesen Fällen das GG selbst; eine (weitere) einfach-gesetzliche Ermächtigungsgrundlage ist nicht erforderlich (aber zulässig).
b) Freiheitsrechte unter Gesetzesvorbehalt
Am häufigsten ist der Fall, dass das GG (idR im zweiten Absatz des jeweiligen Grundrechtsartikels) ausdrücklich dazu ermächtigt, das (idR im ersten Absatz genannte) Freiheitsrecht durch oder aufgrund eines Gesetzes einzuschränken. Daraus folgt, dass das jeweilige Freiheitsrecht nur vorbehaltlich gesetzlicher Einschränkungen gewährleistet ist; es steht unter Gesetzesvorbehalt.
Innerhalb der ausdrücklich unter Gesetzesvorbehalt stehenden Freiheitsrechte sind zwei Gruppen zu unterscheiden.
aa) Freiheitsrechte unter einfachem (schlichten) Gesetzesvorbehalt
Die Verfassung erlaubt Einschränkungen durch oder aufgrund eines Gesetzes, ohne spezielle Anforderungen an den Eingriffsakt zu stellen.
Um einen - wenn auch untypsich formulierten - schlichten Gesetzesvorbehalt handelt es sich auch bei Art. 2 I GG, soweit dort die allgemeine Handlungsfreiheit (und iVm Art. 1 I GG auch das APR) nur im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung gewährleistet wird.
Die dem Gesetzgeber eingeräumte Möglichkeit, das Freiheitsrecht näher zu regeln (Art. 12 I 2 GG), seinen Inhalt zu bestimmen bzw. dem Freiheitsrecht Schranken zu ziehen (Art. 14 I 2 GG) wird technisch wie ein schlichter Gesetzesvorbehalt geprüft; Besonderheiten bestehen hinsichtlich des Zitiergebots aus Art. 19 I 2 GG.
bb) Freiheitsrechte unter qualifiziertem Gesetzesvorbehalt
Die Verfassung erlaubt Einschränkungen durch oder aufgrund eines Gesetzes, jedoch nur unter bestimmten Voraussetzungen, zu bestimmten Zwecken oder unter Einhaltung bestimmter Förmlichkeiten.
c) Vorbehaltlos gewährleistete Freiheitsrechte
aa Einige Freiheitsrechte enthalten ihrem Wortlaut nach weder eine verfassungsunmittelbare Einschränkungsmöglichkeit noch einen Gesetzesvorbehalt.
Diese Freiheitsrechte sind zwar ihrem Wortlaut nach vorbehaltlos, gleichwohl aber nicht schrankenlos gewährleistet. Vielmehr ergibt sich in diesem Fall die Ermächtigung zu “Beschränkungen” durch Auslegung der Verfassung. Führt die Ausübung eines Freiheitsrechts zu Beeinträchtigungen eines anderen Verfassungswertes (Kollision), muss zwischen beiden ein gerechter Ausgleich gefunden werden (praktische Konkordanz). Das gebietet der Grundsatz der Einheit der Verfassung, die ja grundsätzlich beide Werte schützt. Insoweit unterliegt die Grundrechtsausübung verfassungsimmanenten Schranken.
Auch bei den grundrechtsimmanenten Schranken handelt es sich aber um bloße Einschränkungsmöglichkeiten. Sie wirken nicht unmittelbar; die Kollisionslage muss auch hier durch oder aufgrund eines Gesetzes ausgelöst werden. Das folgt entweder aus einem Erst-Recht-Schluss gegenüber den Freiheitsrechten unter Gesetzesvorbehalt oder aus dem Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes, wonach Eingriffe in Grundrechte stets einer gesetzlichen Grundlage bedürfen. Der Gesichtspunkt der grundrechtsimmanenten Schranke ersetzt also lediglich den im Wortlaut fehlenden (qualifizierten) Gesetzesvorbehalt, nicht aber das einschränkende Gesetz.
bb) Umstritten ist, ob der Gesichtspunkt der verfassungsimmanenten Schranken auch bei Freiheitsrechten unter qualifiziertem Gesetzesvorbehalt Anwendung finden kann, wenn die besonderen Anforderungen des Gesetzesvorbehalts nicht erfüllt werden. Dagegen könnte sprechen, dass auf diese Weise die Gefahr besteht, dass der qualifizierte Gesetzesvorbehalt umgangen wird. Dafür spricht, dass es sich bei dem Gesichtspunkt der immanenten Grundrechtsschranken um einen allgemeinen Auslegungsgrundsatz handelt.
Vorzugswürdig ist es, diese Frage unter Berücksichtigung des Wortlauts und der Art der im qualifizierten Gesetzesvorbehalt jeweils aufgestellten Anforderungen zu beantworten.
Grenzen der Einschränkungsmöglichkeit (“Schranken-Schranken”)
Freiheitsrechte können nicht nach Belieben eingeschränkt werden. Vielmehr sind bei ihrer Einschränkung die sich aus der Verfassung ergebenden Grenzen der Einschränkungsmöglichkeit zu beachten.
a) Der Eingriffsakt darf zunächst nicht gegen Vorschriften außerhalb der Grundrechte verstoßen.
b) Der Eingriffsakt muss zudem den grundrechtsspezifischen Anforderungen genügen, die sich aus der Art der Einschränkungsmöglichkeit des jeweiligen Freiheitsrechts ergeben. Die Anforderungen gelten gleichermaßen für Parlamentsgesetze wie für Verwaltungsmaßnahmen.
D. Grundrechtskonkurrenzen
I. Mit dem Begriff der Grundrechtskonkurrenz wird das Problem umschrieben, welches Grundrecht zur Anwendung kommen soll, wenn eine staatliche Maßnahme mehrere Grundrechte ein- und desselben Grundrechtsträger betrifft (“Nebeneinander von Grundrechten”).
II. Zwei Fallgruppen sind zu unterscheiden:
Spezialität (des vorrangigen Grundrechts) = Subsidiarität (des allgemeineren Grundrechts)
Zwischen Grundrechten kann ein Spezialitätsverhältnis bestehen mit der Folge, dass das allgemeinere Grundrecht nicht zur Anwendung kommt, sondern hinter dem spezielleren Grundrecht zurücktritt.
Bei Freiheitsrechten greift der Grundsatz der Spezialität ein, wenn und soweit der Schutzbereich des spezielleren Grundrechts einschlägig ist. Unterschieden werden:
a) Generelle Subsidiarität bzw. generelle Spezialität
Bestimmte Grundrechte sind generell - dh ohne Rücksicht auf den Einzelfall - subsidiär.
b) Subsidiarität im Einzelfall bzw. Einzelfallspezialität
Zudem kann sich die Subsidiarität (Spezialität) aus den Umständen des Einzelfalls ergeben, insbes. wenn
von den in Frage kommenden Grundrechten ein Grundrecht alle Tatbestandsmerkmale des anderen beinhaltet und zusätzliche Tatbestandsmerkmale aufweist
ein Grundrecht “praktisch-funtkonalen Vorrang” hat, weil eine Auslegung und ein Vergleich mit der Zeilsetzung und der Wirkung der grundrechtsrelevanten Maßnahmen ergeben, dass in diesem Fall nur das eine Grundrecht das “sachnähere Grundrecht” ist.
Anwendungskonkurrenz
Liegt kein Spezialitätsverhältnis vor, sind die einschlägigen Grundrechte nebeneinander anwendbar.
Die Maßnahme ist verfassungswidrig, wenn sie auch nur eines der einschlägigen Grundrechte verletzt.
III. Aufbaufragen
Am einfachsten ist es, die in Betracht kommenden Grundrechte nebeneinander zu prüfen. Dabei ist möglichst mit dem sachnächsten Grundrecht zu beginnen. Bei den weiteren Grundrechten ist jeweils zu Beginn (oder nach Feststellung, dass der Schutzbereich eröffnet ist) zu prüfen, ob diese noch anwendbar sind. Bejahendenfalls ist die Maßnahme dann auch noch an diesen Grundrechten zu messen.
In Fällen der Spezialität kann alternativ auch der folgende - bisweilen vom BVerfG praktizierte, allerdings auch schwierige - Aufbau gewählt werden: (1.) Ermittlung des “maßgeblichen Grundrechts”: Konkurrenzfrage bezüglich derjenigen Grundrechte, deren Schutzbereich eröffnet ist; danach bleibt nur noch ein Grundrecht übrig. (II.) Eingriff in das verbliebene Grundrecht? (III.) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung nur am Maßstab des verbliebenen Grundrechts.
E. Vertiefung: Der Eingriff in Freiheitsrechte
I. Grundrechtsverzicht -> kein Eingriff
Definition
Von einem Grundrechtsverzicht spricht man, wenn ein Grundrechtsberechtigter in eine grundrechtsrelevante Maßnahme und deren Wirkung (wirksam) einwillig.
Wirkung
Dogmatisch gesehen führt der Grundrechtsverzicht regelmäßig dazu, dass die entsprechende Maßnahme keinen Grundrechtseingriff darstellt.
Wirksamkeit
a) Dispositionsbefugnis
Voraussetzung für einen wirksamen Grundrechtsverzicht ist zum einen, dass das Grundrecht überhaupt zur Disposition des Grundrechtsberechtigten steht. Ob dies der Fall ist, lässt sich nur einzelfallbezogen unter Berücksichtigung des Grundrechts und der Art der Maßnahme beurteilen. Dabei kann es einen ausschlaggebenden Unterschied machen, ob es um die Einwilligung in einen hoheitlichen Eingriff oder in Beeinträchtigungen durch Private bzw. den Grundrechtsträger selbst geht.
b) Wirksame Einwilligungserklärung
Zum anderen muss eine wirksame Einwilligungserklärung vorliegen. Die Einwilligung muss frei und eigenverantwortlich abgegeben worden und frei von Willensmängeln sein. Dem Grundrechtstäger muss klar gewesen sein, dass er auf den ihm zustehenden Grundrehtsschutz verzichtet (“Verzichtsbewusstsein”) und er muss sich der Tragweite des Verzichts bewusst gewesen sein. Ein wirksamer Verzicht kann sich nur auf einzelne, hinreichend konkrete Maßnahmen beziehen; ein “Blanko-Verzicht auf ein Grundrecht” ist unwirksam.
II. Eingriff II: Moderner (weiter) Eingriffsbegriff; “mittelbarer” Eingriff
Unstreitig ist, dass die Grundrechte nicht nur gegen klassische Eingriffe schützen, da auf die grundrechtlichen Freiheiten auch anders als durch Ge- oder Verbote eingewirkt werden kann, zB durch faktische Maßnahmen oder durch Begünstigungen Dritter usw.
Fraglich ist, auf welche Merkmale des klassichen Eingriffs verzichtet werden kann und anhand welcher Kriterien die relevanten von den irrelevanten Grundrechtsbeeinträchtigungen abgegrenzt werden können.
Im Ergebnis fehlt ein stimmiges Konzept. Erkennbar sind aber bestimmte Fallgruppen und Argumentationsmuster.
Ein Rechtsakt ist nicht erforderlich. Eingriffe können auch durch faktischen Handeln erfolgen.
Das Erfordernis eines rechtsförmigen Vorgangs (Beeinträchtigung aufgrund eines Rechtsaktes) wird heute nicht mehr gefordert. Entscheidend für den Eingriff ist nicht die Handlungsform, sondern die Wirkung. Diese “Abkoppelung” des Eingriff von der Handlungsform und seine Erweiterung auch auf tatsächliche Beeinträchtigungen entspricht der Entwicklung beim verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz. Während der verwaltungsgerichtliche Rechtsschutz früher vom Vorliegen eines VA abhing, ist er heute unabhängig von der Handlungsform.
Ein Eingriff liegt idR vor (+), wenn die Beeinträchtigung ohne Zwischenursache eintritt.
Der “mittelbare” Eingriff
a) Erscheinungsformen
Der Begriff der (Un-)Mittelbarkeit wird in unterschiedlichen Sinn Gebrauch:
Mittelbare Folge beim Adressaten. Staatlichen Handeln betrifft den Grundrechtsträger direkt (ohne Zwischenursache) und hat weitere Auswikungen (Nebenfolgen).
Mittelbare Beeinträchtigung des Grundrechtsträgers. Die Maßnahme richtet sich nicht an den Grundrechtsberechtigten, sondern an Dritte oder sie betrifft das Umfeld und wirkt sich nur über Zwischenursachen beim Grundrechtsträger aus.
b) Argumentationsmuster
aa) Verneinung eines Eingriffs mit der Lehre vom funktionalen Schutzbereich
Ausgangspunkt dieser Lehre ist die Überlegung, dass das GG deswegen eine Vielzahl von Freiheitsrechten gewährleistet, weil diese jeweils auf spezielle Gefährdungslagen zugeschnitten sind. Mit dieser Spezifizierung unvereinbar sind Lösungen, wonach im Ergebnis jedes Freiheitsrecht vor jeder nachteiligen Betroffenheit schützt. Nach der Lehre vom funktionalen Schutzbereich ist daher vorab - auch unter Berücksichtigung des Schtuzzwecks anderer Freiheitsrechte - zu klären, wovor das jeweilige Freiheitsrecht überhaupt schützen soll.
bb) Bejahung eines Eingriffs unter verschiedenen Gesichtspunkten
Umgekehrt kann mit Hilfe der nachstehend aufgeführten Gesichtspunkte ein (mittelbarer) Eingriff ggf. bejaht werden. Zur Klarstellung: dem liegt kein Meinungsstreit zugrunde. Die Gesichtspunkte können, aber müssen nicht kumulativ vorliegen.
Finalität (Intention)
Ein wichtiges Merkmal für die Qualifizierung staatlichen Handelns als Eingriff ist der Gesichtspunkt der Finalität (Intention). Staatliches Handeln stellt idR einen Eingriff dar, wenn die Grundrechtsbeeinträchtigung beabsichtigt war (Finalität ieS).
Vorhersehbarkeit
Darüber hinaus kann ein Eingriff auch dann vorliegen, wenn eine grundrechtsspezifische Auswirkung nicht beabsichtigt, aber objektiv vorhersehbar war (Finalität iwS).
Intensität
Gelegentlich wird noch auf das Merkmal der Intensität abgestellt. Danach liegt ein Eingriff vor, wenn die Folgen des hoheitlichen Handelns derart schwerwiegend sind, dass sie dem klassischen Grundrechtseingriff gleichstehen.
F. Vertiefung: Funktionen (Dimensionen) der Grundrechte
Wie viele Normen haben auch die Grundrechte zwei Funktionen: Unterschieden werden können die:
objektiv-rechtliche Funktion -> Grundrechte als objektives Recht = als Verpflichtung für alle drei Gewalten
subjektiv-rechtliche Funktion -> Grundrechte als subjektive Rechte = als “Anspruchsgrundlagen” des Einzelnen
I. Objektiv-rechtliche Funktion der Grundrechte
Mit jedem einzelnen Grundrecht hat das GG eine Wertentscheidung getroffen. Die Grundrechte in ihrer Gesamtheit bilden eine objektive Wertordnung. Darauf ergeben sich Verpflichtungen für alle drei Gewalte, die unabhängig von der Betroffenheit Einzelner bestehen mit u.a. folgenden Auswirkungen.
Grundrechte als Einrichtungsgarantien
Einzelne Grundrechte garantieren nicht nur subjektive Rechte, sondern zugleich den Bestand bestimmter Rechtseinrichtungen. Darauf kann die Pflicht folgen,
für die Erhaltung solcher Einrichtungen Sorge zu tragen,
(unabhängig von der Betroffenheit eines Einzelnen) Maßnahmen zu unterlassen, die den Bestand dieser Einrichtung beeinträchtigen, und
Gesetze zu erlassen, damit von solchen Einrichtungen Gebrauch gemacht werden kann.
Terminologisch werden unterschieden
a) Institutsgarantien von Einrichtungen des Privatrechts
Art. 2 I GG: Privatautonomie und Vertragsfreiheit
Art. 5 I 2 GG: Institut der “freien Presse” (str.)
Art. 6 I GG: Rechtsinstitut “Ehe” und “Familie”
Art. 7 IV GG: Institut der “Privatschule” mit der Folge, dass Privatschulden nicht abgeschafft werden dürfen und diese im Rahmen des Möglichen zu fördern sind
Art. 14 I 1 GG “Privateigentum” und “Erbrecht”
b) Institutionelle Garantien von Einrichtungen des öffentlichen Rechts
Art. 5 III GG: Erhalt der Universität in ihrer traditionellen Gestalt (str.)
Art. 33 V GG: “Berufsbeamtentum” darf als solchen nicht abgeschafft werden
Außerhalb der Grundrechte garantiert Art. 28 II GG, dass es generell Gemeinden und Kreise geben muss
Pflicht zur grundrechtsgerechten Auslegung und Anwendung einfachen Rechts
a) Bei der Prüfung der Grundrechtskonformität einer Maßnahme sind in die Abwägung nicht nur die konkreten Nachteile des Betroffenen einzustellen, sondern auch die objektive Bedeutung des Grundrechts, zB bei Art. 5 I 1 GG auch die Auswirkungen auf die Meinungsäußerungsfreiheit allgemein; zB Art. 8 I GG auch die Auswirkungen auf die Versammlungsfreiheit generell.
b) Die Verpflichtung zur Beachtung der in den Grundrechten zum Ausdruck kommenden Wertentscheidungen trifft auch den Zivilrichter. Das hat zur Folge, dass sich die Grundrechte zumindest mittelbar auf die Rechtsbeziehungen zwischen Privaten auswirken (“mittelbare Drittwirkung” von Grundrechten im Privatrecht).
Verstärkung der subjektiv-rechtlichen Bedeutung (Dimension) der Grundrechte
a) Grundrechtliche Schutzpflichten
Grundrechte können die drei Gewalten im Einzelfall dazu verpflichten, zum Schutz der Grundrechte tätig zu werden, insbes. wenn eine Grundrechtsbeeinträchtigung durch Dritte droht und ggf. auch, um den Grundrechtsträger vor sich selbst zu schützen.
b) Grundrechtssicherung durch Organisationen und Verfahren
Über die originären Verfahrensgrundrechte (Art. 19 IV GG, Art. 101 I 2 GG, Art. 103 I GG) hinaus kann sich auch aus “materiellen Grundrechten” die Pflicht ergeben, die Grundrechte durch Organisations und/oder Verfahrensregelungen zu schützen.
II. Subjektiv-rechtliche Funktion der Grundrechte
Freiheitsrechte als Abwehrrechte (status negativus)
Nach ihrer klassischen Funktion sind Freiheitsrechte Abwehrrechte. Sie begründen zunächst für den Staat ein Eingriffsverbot, es sei denn der Eingriff ist verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Das Eingriffsverbot liefe leer, wenn der Bürger Eingriffe nicht auch abwehren könnte. Deshalb ergeben sich aus den Freiheitsrechten im Einzelnen:
a) Unterlassungsansprüche gegen drohende Eingriffe
b) Abwehr-/ Beseitigungsansprüche gegen aktuell andauernde Eingriffe
c) Folgenbeseitigungsansprüche, wenn der Eingriff vorüber ist, aber seine Folgen noch andauern.
Anspruch auf Schutz
Ausdrückliche Ansprüche auf Schutz ergeben sich zB aus Art. 1 I GG (Schutz der Menschenwürde) und aus Art. 6 IV GG (Anspruch der Mutter auf Schutz und Fürsorge)
Darüber hinaus können sich auch aus der objektiven Schutzpflicht Ansprüche auf ein Tätigwerden ergeben, wenn Grundrechte durch Dritte gefährdet werden.
a) Voraussetzungen für einen Anspruch auf Schutz
Dem Grundrecht droht seitens Dritter Gefahr, die der Grundrechtsberechtigte nicht selbst abwehren kann.
Bestehen einer Schutzpflicht dem Grunde nach (heute dem Grunde nach anerkannt)
b) Bei der Rechtsfolge ist zu unterscheiden, gegen wen der Schutzanspruch geltend gemacht wird:
aa) Schutzanspruch gegen die Legislative
zB Verschärfung der Grenzwerte für Fluglärm; gesetzliche Maßnahmen gegen AIDS
evidente Untätigkeit: Der Gesetzgeber hat gar nichts oder evident zu wenig getan, wobei schon hier der weite Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers zu berücksichtigen ist; und
Reduzierung des gesetzgeberischen Ermessens auf “0” (= bei Verlangen einer konkreten Regelung darf auch nur diese eine Maßnahme möglich sein.)
bb) Schutzanspruch gegen die Regierung
cc) Schutzanspruch gegen die Verwaltung
Die Entscheidung steht im Ermessen; eine Ermessensreduzierung auf “0” liegt nur dann vor, wenn das betroffene Grundrecht eindeutig Vorrang vor evtl. entgegenstehenden öffentlichen oder privaten Interessen Dritter genießt, die durch die begehrte Schutzmaßnahme belastet werden.
Leistungsansprüche aus Grundrechten?
Bei der Geltendmachung von Geld- oder Sachleistungsansprüchen ist vorab zu beachten:
der Vorrang der Herleitung von Ansprüchen aus Sonderbeziehungen oder einfachem Recht
eine evtl. bestehende Sperrwirkung des einfachen Rechts
Im Übrigen ist zu unterscheiden:
a) Derivative Leistungsansprüche (Teilhabeansprüche)
Der Bürger begehrt die Teilhabe an einer Leistung, die auch anderen gewährt werden. Anspruchsgrundlage ist in diesem Fall Art. 3 I GG ggf. verstärkt durch ein Freiheitsrecht, zB Vergabe von Studienplätzen, Vergabe von Forschungsmitteln etc.
b) Originäre Leistungsansprüche
Der Bürger begehrt eine Leistung, die so noch gar nicht oder jedenfalls nicht in dem verlangten Umfang gewährt wurde. Einen solchen Leistungsanspruch gibt es nur unter ganz engen (idR nicht vorliegenden) Voraussetzungen:
aa) Ist der Schutzbereich eines Freiheitsrechts betroffen?
bb) Feststellung, dass es nicht um die Abwehr eines vorangegangenen Eingriffs geht.
cc) Dann Prüfung: Liegen die strengen Voraussetzungen für einen Leistungsanspruch vor:
staatliches Monopol (= nur der Staat kann die Leistung erbringen)
Leistung ist für die Grundrechtsausübung unerlässlich (= keine andere Möglichkeit)
“Schranken-Schranken” - Das Zitiergebot des Art. 19 I 2 GG
A. Überblick:
Nach Art. 19 I 2 GG müssen grundrechtseinschränkende Parlamentsgesetze das betroffene Grundrecht unter Angabe des Art. als eingeschränkt benennen.
I. Das Zitiergebot verfolgt einen doppelten Zweck:
Warn- und Besinnungsfunktion für den Gesetzgeber (= die Abgeordneten)
Es soll die Auswirkungen des geplanten Gesetzes auf die Grundrechte bedenken.
Problem Änderungsgesetze: Nach dem klarstellenden Urteil des BVerfG vom 27.7.05 gilt die Warn- und Besinnungsfunktion nicht nur bei erstmaligen Grundrechtsbeschränkungen, sondern auch bei jeder Veränderung der Eingriffsvoraussetzungen, die zu nicht unerheblichen neuen Grundrechtseinschränkungen führt. In diesem Fall muss der Hinweis daher auch im Änderungsgesetz stehen. Das gilt selbst dann, wenn das geänderte Gesetz bereits eine Zitiervorschrift iSd Art. 19 I 2 GG enthält. - Im Interesse der Rechtssicherheit gilt dies aber erst für Änderungsgesetze, die nach dem Zeitpunkt der Verkündung der Entscheidung beschlossen wurden.
Klarstellungsfunktion für den Rechtsanwender (Verwaltung und Gerichte)
Sie sollen wissen, welche Grundrechte durch das Gesetz überhaupt eingeschränkt werden sollen.
II. Der Hinweis auf das betroffene Grundrecht muss im Gesetzestext selbst erfolgen
Ein Hinweis bloß in der Gesetzesbegründung reicht nicht aus. In der Praxis erfolgt die Benennung des eingeschränkten Grundrechts zT unmittelbar im Anschluss an die einschränkende Regelung, zT aber auch zusammenfassend in einem gesonderten § des Gesetzes.
III. Hinsichtlich der Rechtsfolgen bei einem Verstoß sind zwei Fallkonstellationen zu unterscheiden:
Verstößt ein (gewollt) grundrechtseinschränkendes Parlamentsgesetz gegen das Zitiergebot, führt dies zur Nichtigkeit der grundrechtseinschränkenden Regelung
Davon zu unterscheiden ist der Fall, dass die Verwaltung einen zitiergebotspflichtigen Grundrechtseingriff auf ein Gesetz stützen will, das das Grundrecht aber nicht zitiert. Die fehlerhafte Auswahl der Ermächtigungsgrundlage allein führt nicht zur Nichtigkeit des Gesetzes, sondern lediglich dazu, dass das Gesetz in diesem Fall aufgrund verfassungskonformer Auslegung als Ermächtigungsgrundlage ausscheidet
B. Restriktive Anwendung
Wortlaut sowie Sinn und Zweck des Art. 19 I 2 GG und die Befürchtung, dass das Zitiergebot zu einer leeren Förmlichkeit erstarrt, haben zu einer restriktiven Anwendung des Art. 19 I 2 GG geführt. Es empfiehlt sich, die Geltung des Zitiergebots in zwei Schritten zu prüfen: Gilt das Zitiergebot (1) überhaupt bei dem betroffenen Grundrecht und (2) bei dem konkreten Gesetz?
I. Geltung bei dem betroffenen Freiheitsgrundrecht?
Art. 19 I 2 GG nimmt sprachlich Bezug auf Art. 19 I 1 GG und kommt deswegen nur bei Grundrechten zur Anwendung,die auf Grund ausdrücklicher Ermächtigung vom Gesetzgeber eingeschränkt werden dürfen. Daher gilt Art. 19 I 2 GG von vornherein nur für Freiheitsgrundrechte. An einer GrundrechtsbeschränkungiSd Art. 19 I 2 GG fehlt es bei “andersartigen grundrechtsrelevanten Regelungen, … die der Gesetzgeber in Ausführung der ihm obliegenden, im Grundrecht vorgesehenen Regelungsaufträge, Inhaltsbestimmungen oder Schrankenziehungen vornimmt”. Soweit also Freiheitsgrundrechte unter Gesetzesvorbehalt stehen, kann man im Rahmen des Art. 19 I 2 GG zwischen Freiheitsgrundrechten unter Einschränkungsvorbehalt und unter sonstigen Vorbehalten unterscheiden.
NEIN bei Freiheitsgrundrechten ohne Einschränkungsvorbehalt
Freiheitsgrundrechte ohne Gesetzesvorbehalt, da diese (grundrechtsdogmatisch) durch gesetzliche Regelungen nicht eingeschränkt werden; die Gesetze fixieren vielmehr nur die “immanenten Grundrechtsschranken”.
Grundrechte, die unter dem Vorbehalt des allgemeinen Gesetzes stehen: Art. 2 I GG und Art. 5 II GG. Das Gleiche gilt fr das APR aus Art. 1 I GG iVm Art. 2 I GG. Andernfalls müssten nahezu alle Gesetze vorsichtshalber Art. 2 I GG oder Art. 5 I GG als eingeschränkt zitieren.
Normgeprägte Grundrechte wie Art. 12 I GG und Art. 14 I GG. Sie enthalten keinen Einschränkungsvorbehalt, sondern teil einen Regelungsvorbehalt (Art. 12 I GG) und teils die Pflicht des Gesetzgebers zur Inhaltsbestimmung bzw. Schrankenziehung (Art. 14 I 2 GG). Der Gesetzgeber ist hier zur Regelung aufgefordert und sich bewusst, dass er im grundrechtsrelevanten Bereich tätig ist.
Grundsätzlich JA insbes. bei Art. 2 II 3 GG - Art. 8 II GG - Art. 10 II GG - Art. 11 II GG - Art. 13 II-VII GG
II. Ausnahme: KEINE Geltung bei bestimmten Gesetzen
Aber auch bei Eingriffen in Freiheitsgrundrechte unter Einschränkungsvorbehalt kann die Eigenart des Gesetzes die Geltung des Zitiergebots ausschließen. Das ist der Fall bei
vorkonstitutionellen Gesetzen, da die Warnfunktionnur den nachkonstitutionellen Gesetzgeber trifft.
bloß “fortführenden” Gesetzen; das sind solche, die lediglich bereits bestehende Grundrechtseinschränkungen unverändert oder nur mit geringen Abweichungen weiterführen (zB das StGB)
Enteignungsgesetzen iSd Art. 14 III GG, da die Funktion des Zitiergebots durch die Junktim-Klausel (Art. 14 III 2 GG) erfüllt wird.
Gesetzen, die nur mittelbar in das Grundrecht eingreifen
Grundrechtsfähigkeit - Grundrechtmündigkeit
Definition: Fähigkeit, Träger oder Inhaber von Grundrechten zu sein. Grundrechtsfähigkeit entspricht damit (materiell) der Rechtsfähigkeit und (prozessual) der Partei-/ Beteiligtenfähigkeit.
Prüfungsstandort:
materiell: bei der Prüfung des “persönlichen Schutzbereichs”
prozessual: bei der Prüfung der Beteiligtenfähigkeit bzw. der Beschwerde-/Klagebefugnis
I. Natürliche Personen
relative Grundrechtsfähigkeit:
Deutschenrechte (Bürgerrechte): “Alle Deutschen…”
Menschenrechte: “Jedermann…”, “Alle Menschen…”, “Niemand…” sowie alle Grundrechte ohne personale Begrenzung (zB Art. 5 III GG: Kunst; Art. 14 GG: Eigentum)
Nur Ausländerrechte: Art. 16a GG Asylrecht
zeitlich:
grds. nur von Geburt bis Tod (aber erweiterte Schutzpflicht des Staates; Schutz des ungeborenen Lebens (Art. 2 II GG); Schutz der Menschenwürde (Art. 1 I GG) über den Tod hinaus
Abgrenzung zur Grundrechtsmündigkeit von Minderjährigen
Grundrechtsmündigkeit entspricht (materiell) der Geschäftsfähigkeit und (prozessual) der Prozessfähigkeit.
in materieller Hinsicht wird eine Einschränkung der Ausübungsbefugnis von Grundrechten durch das Erfordernis einer “Grundrechtsmündigkeit” von der hM mangels gesetzlicher Grundlage abgelehnt
in prozessualer Hinsicht gilt nach BVerfG folgendes:
BVerfGG enthält keine Regelung
eine analoge Anwendung anderer Prozessordnungen wird wegen der Besonderheit des VfB-Verfahrens abgelehnt
abgestellt wird darauf, ob der Beschwerdeführer nach der Rechtsordnung als reif angesehen wird, das Grundrecht selbst auszuüben, dann soll der Beschwerdeführer Grundrechtsverletzungen auch selbst mit der VfB rügen können
II. Juristische Personen, inländisch - Art. 19 III GG
Vorliegen einer inländischen juristischen Person
“juristische Person” untechnisch gemeint; dazu zählen die
(vollrechtsfähigen) juristischen Personen des Privatrechts (GmbH etc.) und des öffentlichen Rechts (Bund, Länder etc.)
sonstige Vereinigungen, wenn sie nach einfachem Recht zumindest teilrechtsfähig sind, zB OHG etc.
“inländisch”, wenn Sitz der Hauptverwaltung im Inland
Grundrecht seinem Wesen nach auf juristische Person anwendbar
unanwendbar sind Grundrechte, die nach ihrem Regelungsgehalt an die Existenz eines Menschen anknüpfen; i.Ü. ist zu differenzieren:
juristische Personen des Privatrechts: Grundrechte anwendbar, wenn
konkrete Freiheit von einer juristischen Person in gleicher Weise ausgeübt werden kann wie von einer natürlichen Person
konkrete Tätigkeit nach einfachem Recht zum Aufgabenbereich der juristischen Person gehört
juristische Person des öffentlichen Rechts:
Grundsatz streitig:
BVerfG: Grundrechte sollen den einzelnen vor Übergriffen des Staates schützen; Grundrechte daher nur anwendbar, wenn Betätigung der juristischen Person Ausdruck der freien Entfaltung der privaten natürlichen Person ist; keine Grundrechtsfähigkeit
bei Erfüllung öffentlicher Aufgaben (keine freie Betätigung, sondern gesetzlich geregelte Kompetenzen; Konfusionsargument), gleichgültig, ob die juristische Person in Rechtsformen des öffentlichen Rechts oder des Privatrechts organisiert ist
bei privatrechtlicher Tätigkeit einer juristischen Person in Rechtsformen des öffentlichen Rechts
Literatur: juristische Person des öffentlichen Rechts sind grundrechtsfähig, wenn sie sich wie ein Bürger in einer grundrechtstypischen Gefährdungslage befinden; so jedenfalls bei privatrechtlicher Tätigkeit
Ausnahme Trias:
Grundrechtsfähigkeit von
Religionsgesellschaften
Universitäten (nur) bzgl. Art. 5 III GG
Rundfunkanstalten (nur) bzgl. Art. 5 I 2 GG
Prozessgrundrechte
Art. 101 I 2 GG, Art. 103 I GG unstreitig anwendbar; wohl auch Art. 19 IV GG
III. Juristische Personen, ausländisch
Grundsatz: Wegen Wortlaut und Zweck des Art. 19 III GG (-); Ausnahme: Geltung der Prozessgrundrechte
Ausländische Personen und Grundrechte
A. Juristische
Bei ausländischen juristischen Personen stellt sich die Frage, ob sie überhaupt Träger materieller Grundrechte sein können.
I. aus EU-Mitgliedstaaten
BVerfG: Ausländische juristische Personen mit Sitz in EU-Mitgliedstaaten können tröger materieller Grundrechte des GG sein.
Der Wortlaut des Art. 19 III GG (“inländisch”) steht dem nicht entgegen, weil dieser Vorschrift kein Wille des Verfassungsgebers zugrunde liegt, juristische Personen mit Sitz in EU-Mitgliedstaaten dauerhaft von der Berufung auf die materiellen Grundrechte auszuschließen.
Die Anwendungserweiterung ist aufgrund des Anwendungsvorrangs der Grundfreiheiten im Binnenmarkt (Art. 26 II AEUV) und des allgemeinen Diskriminierungsverbots wegen der Staatsangehörigkeit (Art. 18 AEUV) veranlasst.
II. aus Nicht-EU-Mitgliedstaaten
Ausländische juristische Personen aus Nicht-EU-Mitgliedstaaten sind nicht “inländisch” iSv Art. 19 III GG und können daher nicht Träger der materiellen Grundrechte (wohl aber der Justizgrundrechte) sein.
B. Natürliche
Ausländische natürliche Personen sind unproblematisch Träger der “jedermann”-Grundrechte. Fraglich ist hier, ob sich Ausländer ggf. auch auf Deutschengrundrechte berufen können.
Ausländische natürliche Personen aus EU-Mitgliedstaaten genießen im Ergebnis den Schutz des Deutschengrundrechts.
Zur Begründung werden zwei Ansätze vertreten:
Nach einer Ansicht findet Art. 2 I GG mit dem Schutzniveau des Deutschengrundrechts Anwendung.
Nach anderer Ansicht sollen sich EU-Ausländer wegen Art. 18 AEUV (Diskriminierungsverbot) unmittelbar auch auf die Deutschengrundrechte berufen können.
Welchen Ansatz man im Ergebnis folgt, ist aber gleich, weil über beide Wege derselbe Grundrechtsschutz gilt.
Ausländische natürliche Personen aus Nicht-EU-Mitgliedstaaten kommen nicht in den Genuss der Deutschengrundrechte; sie können sich insoweit nur auf Art. 2 I GG berufen.
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