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Walter J. Ong: Das Schreiben konstruiert das Denken neu

AG
by Adele G.

Die neue Welt des autonomen Diskurses (nach Ong)

🗺️ Die neue Welt des autonomen Diskurses (nach Ong)

“Ein tieferes Verständnis der alten oder primären Oralitäten ermöglicht uns auch ein besseres Verständnis der neues Welt der Schrift.”

🗣️ Primäre Oralität vs. Schriftkultur

  • Primäre Oralität: ➡️ Traditionelle mündliche Kulturen ➡️ Denken ist natürlich, unmittelbar, körperlich verwurzelt

  • Schriftkultur („literalisierte Menschen“): ➡️ Denken entsteht nicht mehr urwüchsig, sondern durch die Technologie des Schreibens geformt ➡️ Auch mündliche Äußerungen werden vom Schreibdenken geprägt

„Ohne die Schrift könnte das literalisierte Bewusstsein nicht so denken, wie es denkt.“

📄 Schrift = autonomer Diskurs

  • Schrift ist kontextfrei, d. h. unabhängig von der konkreten Gesprächssituation

  • Wird nicht direkt hinterfragt oder angefochten

  • „Autonomer Diskurs“: Text steht unabhängig vom Autor

  • (wie bei Platon)

„Ein Diskurs also, der nicht wie die orale Rede befragt oder angefochten werden kann, weil er sich nämlich von seinem Autor unabhängig gemacht hat.“

🏛️ Orale Formen „autonomer“ Rede

  • Autonome Diskurse gibt es auch in der oralen Tradition

  • Z. B. feststehende Sprüche, Prophezeiungen, Rituale

  • Sprecher ist nur Medium (z. B. Delphisches Orakel hat auch nur Wort eines Gottes verkündet)

„Das Delphische Orakel war für die Prophezeiungen nicht verantwortlich, denn sie galten als die Stimme des Gottes.“

📚 Schrift als „prophetisch“

  • Bücher „entfernen“ den Text von der Quelle (Autor)

  • Text bleibt bestehen, selbst nach Kritik

  • Dies ist der Grund für: „Es steht geschrieben“ ≈ „Es ist wahr“

„Nach totaler und vernichtender Kritik bleibt er doch stets der alte.“

🔥 Texte als widerständige Objekte

  • Texte können nicht „zur Rechenschaft gezogen“ werden

  • bleiben auch nach Kritik bestehen

  • Daher wurden Bücher verbrannt, um ihre Wirkung zu stoppen

„Wenn ein Text etwas behauptet, das der Meinung der ganzen Welt zuwiderläuft, dann tut er das, solange er als Text existiert.“

⚖️ Platon, Schreiben & Computer

💬 Platons Kritik (Phaidros & Siebter Brief) und Parallelen zur Computertechnologiekritik

1️⃣ Unmenschlich:

  • Schreiben „tut so“, als könne Denken außerhalb des Geistes existieren

  • wie bei Computern: diese gelten auch als etwas künstlich hergestelltes, das den Denkprozess externalisiert

2️⃣ Gedächtnisschwund:

  • Verlassen auf äußere Zeichen statt innere Kräfte

  • bei Taschenrechnern Angst, dass Kinder deswegen weniger intelligent werden

3️⃣ Nicht befragbar:

  • Schrift kann keine Rückfragen beantworten

  • bei Computern: “Blödsinn rein, Blödsinn raus”

4️⃣ Wehrlos:

  • Schrift kann sich nicht verteidigen → passiv & „tot“

„Schreiben sei passiv, äußerlich, in einer irrealen, unnatürlichen Welt angesiedelt.“

  • diese unnatürliche Welt ist auch der Computer

💻 Parallele zur Kritik an anderer Technologie

  • z. B. beim Druck (z. B. 15. Jh.): Angst vor Gedächtnisverlust & geistiger Schwächung

„Das Überangebot an Büchern […] zerstöre das Gedächtnis und schwäche den Geist.“

⚠️ Paradox der Kritik

  • Platon muss seine Kritik schriftlich formulieren, um sie zu verbreiten

  • Kritiker des Drucks drucken ihre Kritik

  • Kritiker von Computern nutzen Computer, um diese zu verbreiten

Ist erst das Wort technologisiert, gibt es keinen effektiven Weg, dies zu kritisieren, es sei denn mit Hilfe fortgeschrittenster technischer Errungenschaften.

🌟 Schrift als „tot“ & „ewig“ zugleich

Paradox an Platon

  • Platon muss seine Kritik schriftlich formulieren, um sie zu verbreiten

  • Havelock erkannt das Platons komplette Kritik an der Schrift eigentlich nur eine Zurückdrängung der oralen Tradition war.

    • außerdem baut seine Ideenlehre auf dem Begriff der idea auf; und diese bezieht sich auf etwas Visuelles

🔄 Reflexivität des Denkens

  • aber warum kommt es vor, dass Kritik an Technologie sich selbst so widerspricht

  • Das Denken nimmt äußere Werkzeuge (Schrift, Computer) in sich auf

  • Werkzeuge werden Teil des Denkens selbst

„Das Denken internalisiert äußere Hilfsmittel, macht sie zu Teilen des eigenen Reflexionsprozesses.“

⚰️ Verwandtschaft mit dem Tod

  • Assoziationen mit Schrift ist Tod

  • findet sich auch bei Platon, wenn er schreib Schrift sei inhuman, verdinglicht

  • aber auch in andere Quellen wie Horaz, 2. Korintherbrief

  • Aber: Gerade diese „Abgestorbenheit“ sichert ihre Beständigkeit

„Gerade die Abgestorbenheit des Textes garantiert seine Fortdauer.“

🏛️ Paradoxien der Schrift

  • Text ist unbeweglich, aber dadurch dauerhaft

  • Zitate zeigen diese Spannung:

    • „Der Buchstabe tötet, der Geist macht lebendig.“ (2. Korintherbrief)

    • Horaz: „Ich habe ein Denkmal errichtet, dauerhafter als Erz.“

    • Bücher als „Epitaph“ (Grabinschrift)

„Die tote Blume […] ist das psychische Äquivalent des verbalen Textes.“

Zentrale Punkte zusammengefasst

💡 Schrift verändert Denken

  • Nicht nur Werkzeug, sondern formt Bewusstsein selbst

💡 Autonomie & Widerstand

  • Schrift kann nicht befragt werden, ist „widerspenstig“ und eigenständig

💡 Paradoxe Kritik

  • Kritik an Technik muss Technik nutzen

  • Schrift = zugleich tot und unsterblich

💡 Verbindung zu Tod

  • Fixiert Inhalte, garantiert Weiterleben über Generationen

🟢 Vergleich in einer Übersicht

Aspekt

Schrift

Mündliche Rede

Herkunft

Verdinglicht, „tot“

Lebendig, interaktiv

Flexibilität

Starr, autonom

Anpassungsfähig

Gedächtnis

Äußere Stütze, schwächt

Fördert innere Kraft

Dauer

Ewig, unzerstörbar

Vergänglich, flüchtig

Kritikfähigkeit

Nicht befragbar

Dialogisch, offen

These Ong


> Die Schrift transformierte die Beziehung zwischen Sprache und Gemeinschaft. <

1. In oralen Kulturen war Sprache immer sozial eingebettet

  • Mündliche Rede ist an die konkrete Situation, den Sprecher und die Zuhörer gebunden. Kommunikation ist interaktiv, zwischenmenschlich und gemeinschaftsstiftend.

„Das wirkliche Reden und Denken existiere stets und wesentlich in einem interpersonellen Kontext; Schreiben sei passiv, äußerlich.“

📌 Begründung: In oralen Kulturen entsteht Bedeutung nur im sozialen Vollzug, also in Gemeinschaft.

2. Schrift entkoppelt Sprache von Sprecher und Situation

  • Schrift erzeugt autonome Texte, die nicht mehr an einen Sprecher gebunden sind.

  • Sie kann nicht auf Fragen reagieren und nicht selbst entscheiden, mit wem sie kommuniziert.

„Ein Diskurs also, der nicht wie die orale Rede befragt oder angefochten werden kann, weil er sich nämlich von seinem Autor unabhängig gemacht hat.“

📌 Begründung: Sprache wird durch Schrift zu etwas Fixiertem, das unabhängig von der sozialen Situation existiert.

3. Der Text wird ein „Ding“ – Sprache wird technologisiert

  • Schrift ist ein technisches Objekt geworden – ähnlich einem Werkzeug oder Gerät.

  • Sprache ist dadurch nicht mehr spontan oder „lebendig“, sondern verdinglicht.

„Schreiben ist unmenschlich, weil es so tut, als könne man außerhalb des Denkens etablieren, was in Wahrheit nur innerhalb der Denkprozesse stattfinden kann.“

📌 Begründung: Sprache verliert ihre ursprüngliche Gemeinschafts- und Beziehungsebene, wird externalisiert.

4. Neue Formen von Autorität & Wahrheit entstehen

  • Geschriebenes gilt als objektiv und wahr:

    „Es steht geschrieben“ ≈ „Es ist wahr“

  • Texte wirken „prophetisch“, unabhängig vom Autor

📌 Begründung: Die Gemeinschaft muss sich nun mit fixierten Bedeutungen auseinandersetzen, nicht mehr mit dialogischer Auslegung. Das verändert Machtverhältnisse und soziale Rollen.

5. Schrift verändert Gemeinschaft langfristig

  • Sie macht neue Formen von Erinnerung, Organisation, Bildung und Wissenstransfer möglich.

  • Gleichzeitig verliert die Sprache ihre zwischenmenschliche Wärme und Unmittelbarkeit.

„Platos ganze Epistemologie war […] eine Zurückweisung der oralen, mobilen, warmen und mitmenschlichen Welt.“

📌 Begründung: Sprache wird institutionalisiert – das verändert, wie Gemeinschaft denkt, lebt und kommuniziert.

🧠 Fazit für deine Argumentation:

Deine These ist stark, weil sie den sozialen Aspekt der Schrift ins Zentrum stellt – und genau das macht Ong auch. Die Schrift veränderte nicht nur das Denken des Einzelnen, sondern die Struktur und Qualität von Gemeinschaft als sprachlicher Erfahrungsraum.

💡 Bonus-Tipp für deine Argumentation:

Du kannst das Ganze in drei Argumentationsschritte gliedern:

  1. Oralität = Sprache als Beziehung & Gemeinschaft

  2. Schrift = Sprache als Objekt, unabhängig von Beziehung

  3. Folge: Neue Formen von Gemeinschaft, Macht & Wissen


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Adele G.

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