Die Muse und der Sänger
Gesang ist abgestorben → Griechenland heute „in der EU“ (also modernisiert, entzaubert).
Trotzdem können wir alte Sängertexte verstehen.
„Der Gesang ist abgestorben, Griechenland in der EU. Also bleibt ein letztes dunkelstes Geheimnis: Wie kommt es, dass noch wir den Sänger lesen können?“
Einige Berufe (z. B. Bauern, Hirten) sind immer da → braucht man nicht „herbeirufen“.
Andere Berufe (Seher, Ärzte, Zimmerleute, Sänger) müssen „gerufen“ werden → sie haben besondere Fähigkeiten.
„Wir rufen sie von fern herbei, womöglich über Land und Meer […].“
Der Sänger ist „göttlich“:
Er kennt, wie sich Sprache „fügt“, was andere nur ahnen.
Er verbindet Sprache, Musik & Rhythmus.
„Er als einziger heißt ‚göttlich‘, weil er zur Freude aller etwas weiß, das andere nur ahnen, nämlich wie sich ihre Sprache fugt.“
Sänger singen in Hexametern:
6 Takte („Füße“), mit genauen Silbenzählungen.
Kombination aus langen und kurzen Silben.
Nur Inder & Griechen „lauschen“ ihre Sprache so genau, dass sie den Hexameter bilden können.
„Das müssen Sänger ihrer Sprache erst einmal ablauschen – was im Indogermanischen nur Inder und Hellenen schaffen […].“
Hexameter = erste „Mathematik der Sprache“.
„Der Hexameter, diese erste allgemeine Mathesis der Muttersprache.“
Sänger hörten ihrer eigenen Sprache zu → eine Art Selbst-Reflexion („Rekursion“).
Vergleich mit Musen & Sirenen: Sie hören das Unausgesprochene.
„Die Kunst, dem eigenen Sprechen zuzuhören, führt dagegen Rekursion ein: Musen und Sirenen.“
Sänger = „Helden der Sprache“
Helden kennen alle Körperteile der Feinde.
Sänger kennen alle Silben der Sprache.
„Helden haben alle Glieder ihrer Feinde kennen müssen […]; Sänger alle Silben ihrer Sprache.“
Phorminx: Ursprüngliches Saiteninstrument, Vorgänger der Kithara.
Begleitet Sänger mit langen/kurzen, hohen/tiefen Tönen → wie zweite Stimme.
Später nennt Telemachos sie Kithara.
Verbindung von Sänger & Held: beide „kämpfen“ in ihrer Kunst.
„Die Phorminx ist das Spielzeug, das Held und Sänger zueinander hält.“
Sänger arbeiten auf einer „Möbiusschleife“ (Symbol für endlose, drehende Bewegung).
Fresken mit Vogelgöttinnen (z. B. Kirke) deuten: Inspiration von außen, mythischer Ursprung.
„Denn nie singt wer zu allererst.“
Wissen um Rhythmus & Klang der Sprache.
Fähigkeit, Sprache und Gesang als Kunst zu verschmelzen.
Strenges metrisches System, das nur wenige Kulturen entwickeln.
Sänger reflektieren ihre eigene Sprache.
Tiefer als nur funktionale Sprache → „Hören des Ungesagten“.
Phorminx/Kithara verbindet Klang, Körper, Sprache.
Verbindung zu Helden und mythischen Ursprüngen.
Aspekt
Sänger
Alltagsmenschen
Beruf
„göttlich“, Berufung
Notwendig, normal
Sprache
Kunstvoll, reflektiert
Einfach, funktional
Wissen
Hören des Unausgesagten
Alltagswissen
Instrument
Phorminx, Kithara
Keine
Der Sänger verkörpert die tiefste Verbindung von Sprache, Klang und mythischem Wissen. Auch wenn der Gesang „abgestorben“ ist, lebt er durch Schrift & Lektüre weiter: Wir lesen, was einst gesungen wurde.
Vom Himmel her
Sänger beginnt mit der Phorminx (Saiteninstrument).
Zunächst Vorspiel, weckt die Ohren der Zuhörer.
Erst dann beginnt der eigentliche Gesang.
„Zu Anfang zupft der Sänger nur die Phorminx, das heisst Vorspiel und weckt Ohren auf.“
Sänger ruft die Muse an, bevor er singt.
Beispiele aus Ilias & Odyssee:
„Μῆνιν ἄειδε, θεά — Den Zorn singe, Göttin“ „Ἄνδρα μοι ἔννεπε, Μοῦσα — Sag mir den Mann an, Muse“
Sänger schreibt sich nicht selbst den Gesang zu, sondern ist nur Medium.
„So ist es gar nicht sein Gesang. Der Sänger hört, was ihm die Muse singt. Kein Mann hat jemals komponiert.“
Muse wählt selbst, wann & wie sie singt.
Sie ist frei, kann beginnen, wo sie will („in medias res“).
Sänger bittet — kann aber nicht erzwingen.
„Ob du kommst, ob nicht, steht allemal bei dir.“
Helden wissen nicht direkt, was Götter wollen.
Sie sind abhängig von göttlicher Botschaft (z. B. Hermes, für Odysseus).
„Was er vom Begehr der Götter weiss, muss Hermes erst Kalypso melden und Kalypso ihm.“
Musen = Töchter des Zeus & Mnemosyne (Gedächtnis).
Sänger sind „blöde Hirten“, die durch die Musen inspiriert werden (z. B. Hesiod).
„Hesiodos beginnt […] mit einem Sang der Musen, der ihn, den blöden ‚fressgierigen Hirten‘, […] zum Sang beruft.“
Musen besingen ihre eigene Entstehung (Theogonie).
„So wörtlich geht es um Theogonie, um Götter, denen etwas fehlt, solang noch keine Musen sind.“
Der Gesang bewegt sich in einer Schleife:
Rückbezug auf Ursprung
Weiterführung in die Gegenwart & Zukunft
„Aus diesem Möbiusband denkt es sich kaum heraus.“
Sänger nennt sich nie selbst.
Er ist reines Werkzeug, durch das die Muse spricht.
„Darum heissen auch die Hörer auf Homeros niemals ‚ihr‘, nur diese eine Mal zu Anfang ‚wir‘.“
Die Sage wird übergeben, als Geschenk an die Menschen.
„Die Sage wird ‚uns‘ Sterblichen übergeben, überreicht, geschenkt.“
„Die Muse singt, indem sie sagt und dem Sänger die Sage zusagt. Dergestalt sind dann Gesang und Gedank, beide im selben Wesen, im Sagenhaften der Sage zu Haus.“
Muse „verwandelt“ blasses Hörensagen in schöne Klänge & Worte.
denn der Inhalt der Sagen ist den Menschen bereits durch Hörensagen ihrer Ahnen bekannt
Sie liefert Einzelheiten, nicht die groben Züge der Geschichte.
„Der Sänger ruft die Muse vielmehr an, um blasses Hörensagen in schöne Klänge schöner Worte zu verwandeln.“
Empfangt Gesang von der Muse.
Kein eigener Schöpfer.
Wählt frei, wann & wie sie erzählt.
Steht über dem Sänger.
Töchter des Gedächtnisses → Ursprung aller Kunst & Dichtung.
Schließt Vergangenheit & Gegenwart zusammen.
Zyklisch, kein klarer Anfang oder Ende.
Übergabe an die Sterblichen.
Keine individuelle Leistung, sondern kollektives kulturelles Erbe.
Antiker Sänger
Moderner Dichter
Ursprung
Göttlich, Muse
Eigenes Ich
Funktion
Medium, Übermittler
Schöpfer, Autor
Freiheit
Abhängig von Muse
Autonom
Selbstbezug
Nie „ich“
Stark betont
Der antike Sänger ist nicht Autor, sondern Kanal. Der Gesang gehört den Göttern, nicht dem Menschen. Wir heutigen Leser empfangen diesen „Götterklang“ als Geschenk, das über Jahrhunderte weitergegeben wurde.
Konsonantenalphabete zum Erraten
Alphabet = Schrift mit: Abgezählten Einzelzeichen für alle Laute einer Sprache und Fester Reihenfolge der Zeichen.
„Jeder Buchstabe eines Alphabets ist also kardinal und ordinal; er hat Wert und Platz zugleich.“
Griechisches Alphabet nennt Buchstaben „στοιχεῖα“ („nach der Reihe“), nicht bloß „Grammata“ aka “γράμματα” („eingeritzt“).
Ursprung des griechischen Alphabets
könnte unübersehbar viele Zeichen geben, nicht fest begrenzt.
Zeichen können:
Einen Laut (z. B. Konsonant) darstellen.
Bildlich gemeint sein.
Für mehrere Laute stehen (z. B. 2 oder 3 Konsonanten).
Keine Vokalzeichen!
„Zeichen für Vokale gibt es von Haus aus keinen einzigen.“
Beispiel: Name Nofretete (N-f-r-t-t) → E’s frei erfunden, um aussprechbar zu machen.
Entstanden um 1900 v. Chr.:
Ägyptische Schreiber vereinfachten Hieroglyphen für fremde Söldner.
Nur Konsonantenzeichen blieben → Söldner konnten so „stammelnd“ lesen.
„So nur konnten dumme Söldner […] ihre Sprache stammelnd lesen.“
Kein göttlicher Ursprung (kein Moses auf dem Berg!), sondern pragmatische militärische Verwaltung.
Ugarit (Ras Shamra): Fund von Keilschrifttafeln mit 30 Konsonantenzeichen, fast heutige Reihenfolge.
Sage: Kadmos bringt syrisches Alphabet nach Griechenland.
Historisch: Griechische Händler holten die Schrift aus Phoiniker-Land (Tyros).
„200 Linear B-Tafeln in Ugarits Archiven sind daher beredte Zeugen.“
Minoische Silbenschrift (welche ist das? sind das die Linear B Tafeln) + ägyptische Konsonantenschrift (sind das dann Linear A Tafeln?)= erstes echtes Alphabet.
Vereinfachung der Silbenschrift: whrsl phonetische Unterschiede (Vokale) ignoriert, nur Konsonanten fixiert.
„Ein viel kruderer Weg, um eine Silbenschrift auf ein Alphabet zu reduzieren, wäre es, die phonetischen Unterschiede zu ignorieren.“
seitdem verschmelzung haben Buchstaben Namen, die helfen, sie im Gedächtnis zu behalten.
Beispiele:
Aleph = Kehlverschluss & Symbol „Ochse“.
Bet = Lippenlaut & „Haus“.
Gamel = ursprünglich nicht „Kamel“, da Kamele erst später gezähmt.
Belsazar versteht die Wandinschrift nicht.
Daniel interpretiert („Prophetsein heißt verlesen“), obwohl Inschrift einfach: „Minen, Minen, Schekel, Halbschekel“, macht Daniel hieraus einen Unheilsspruch
diese Geschichte zeigt, dass Konsonantenschriften viele Lesarten zulassen
Beispiel: semitisches Trigramm b-j-n → verschiedene Bedeutungen (trennen, verstehen, erscheinen etc.).
„Ob das semitische Trigramm b-j-n trennen, zwischen, unterscheiden, verstehen, erklären oder erscheinen heisst, steht in den Sternen.“
Mütter lesen Kindern vor, „erfinden“ Vokale.
Rabbiner korrigieren später die Lesart.
Poesie entsteht durch das aktive Lesen (Laute einsetzen), nicht nur durch Schreiben.
versteh ich nicht
„So ist das Aussprechen semitisch selbst schon immer ‚Poesie‘.“
Nicht aussprechbar.
Kein Laut → keine Stimme darf Gott rufen.
„Den Gott, der seiner Schrift zufolge ohne jede Göttin ist, kann daher keine Stimme rufen.“
Auerbachs These:
Homer = explizit, enzyklopädisch.
Bibel = anspielend, elliptisch.
Kritik: Unterschied liegt nicht im Stil, sondern in der Schrifttechnik.
Biblische Konsonantenschrift = unvollständig, verlangt Deutung → Stil wird andeutender.
„Auerbachs berühmte Unterscheidung […] ist falsch, weil sie es versäumt, den Bezug zwischen Schreibtechnik und schriftlichem Ausdruck in Rechnung zu stellen.“
Zeichen = Laute + feste Reihenfolge.
Keine Vokale → Mehrdeutigkeit, Lesart muss ergänzt werden.
Leser „füllt“ die Schrift mit Stimme & Bedeutung.
Interpretierbarkeit, poetische Offenheit, aber auch Missdeutung möglich.
Ursprung nicht göttlich, sondern pragmatisch.
Schrifttechniken prägen Kultur (Stil, Erzählweise).
Griechisches Alphabet
Konsonantenschrift
Zeichen
Alle Laute (inkl. Vokale)
Nur Konsonanten
Reihenfolge
Fest, nummeriert
Locker, nicht immer fix
Lesart
Eindeutiger
Offen, vieldeutig
Formal entwickelt
Praktisch gekürzt
Konsonantenschriften schaffen ein poetisches Feld der Mehrdeutigkeit: Lesen wird zum kreativen Erraten. Die Stimme des Lesers ersetzt die fehlenden Vokale — eine Technik, die unsere Beziehung zur Sprache fundamental prägt.
Das Alphabet der Griechen singt
„AEIOU“: Symbol für die fünf (später sieben) Vokale, die unser Alphabet prägen.
Erscheint uns selbstverständlich — tatsächlich ein historisches Wunder.
„AEIOU, was ist das? In deinen, meinen, unseren Ohren? Ein reines Wunder, denn die Welt geht auf.“
Vokale „machen hörbar, dass wir hören“ → Bewusstwerden des eigenen Hörens.
Kein Komitee oder Büro hätte Vokale „beschließen“ können.
Vokale wurden „in einer Nacht ersonnen“ — fast mythisch.
„Kein Team, kein Ausschuss, kein Büro, keine Rechtschreibkommission könnte fünf und später sieben Stimmlaute einen nach dem anderen […] festlegen.“
Aiolos = Herr der Winde → Sinnbild für das flüchtige, weiche, singende der Vokale.
Wissenschaftlicher „Scharfsinn“ (trockene Logik) hat hier keinen Platz.
„Aiolos bleibt Herr der Winde.“
Wir hören, weil wir lesen — und lesen, weil wir hören.
„Endlose Schleife“ → Sprache & Schrift verweben sich, ähnlich einem Möbiusband.
„Wir hören, weil wir lesen, und drehn uns endlos lang in dieser Schleife.“
Jeder, der griechische Buchstaben kennt, kann Griechisch sprechen (anders als Ägyptisch oder semitische Schriften).
„Griechisch können alle sprechen, die bloss die Lettern kennen, Ägyptisch und Semitisch nicht.“
Ferdinand de Saussure: Bewunderung für griechisches Alphabet.
Ein Laut = ein Zeichen → Eindeutigkeit.
„Das ursprüngliche Alphabet der Griechen verdient unsere Bewunderung. Jeden einfachen Laut stellt es durch ein einziges Schriftzeichen dar.“
Römer haben diese Erfindung nur geerbt, nicht selbst geschaffen.
Durch griechisches Alphabet: Übereinstimmung von Laut (Phonem) & Buchstabe (Graphem).
Voraussetzung für „reine“ Schrift.
„Seitdem und erst seitdem entsprechen sich im Glücksfall Phoneme und Grapheme.“
„Barbaros“: Menschen, die nicht Griechisch sprechen, „stammeln“ nur.
Buchstabiert in griechischer Schrift, ironischerweise → zeigt Abgrenzung.
„So scheiden sich Barbaren, ‚die nur stammeln‘, von Hellas und Hesperien.“
Griechisches Alphabet baut auf semitischen Zeichen auf:
Aleph → A
He → E
Jodh → I
Ajin → O
Wav → U
„Aus einem Knacklaut namens Aleph wird unser Alpha oder A […] und so weiter.“
Reihenfolge bleibt weitgehend erhalten.
Neue Zeichen (Psi, Chi, Phi) kommen am Ende.
Zeichen werden „rein“: nur Form & Laut → kein ursprünglicher Bedeutungsbezug mehr.
Namen (Alpha, Beta) sagen Griechen selbst nichts mehr → Zeichen werden abstrakt.
„Das Alphabet wird rein – ein Signifikantenspiel.“
Bereits um -770 üben griechische Schreiber, alle Zeichen in der richtigen Reihenfolge zu notieren.
Warum? → Frage bleibt offen, verweist auf den kulturellen Wert und das Training der Schrift.
„Die Frage lautet nur: wozu?“
Einführung der Vokale → macht Sprache „hörbar“.
Klarer Zusammenhang: ein Laut, ein Zeichen.
Schrift wird zum Gesang.
Selbstbezug: „Wir hören, weil wir lesen.“
Symbol für Lebendigkeit & Atem.
Schrift wird zu einem kulturellen Identitätsmerkmal.
Abkehr von ursprünglicher Bedeutung.
Schrift wird abstrakt, selbstgenügsam.
Konsonantenschriften
Vokale
Ja, zentrale Rolle
Nein
Laut-Zeichen-Relation
1:1, eindeutig
Mehrdeutig, interpretativ
Kulturverständnis
Hörbar, sprechbar
Rätselhaft, elitär
Zeichenfunktion
Abstraktes Spiel
Symbolische Vieldeutigkeit
Das griechische Alphabet „singt“, weil es die Sprache ganz abbildet. In ihm wird das Lesen zum Hören, die Schrift zur Stimme. Es ist nicht bloß Werkzeug — es ist ein poetisches, klangvolles Spiel.
Viele faule Antworten
Zum Wozu der Reihenfolge des Alphabets:
Nach dem Untergang von Kreta & Mykene (Linear B) kein Schreiben für 400 Jahre.
Ab ~800 v. Chr.: neue Städte → wieder Schriftbedarf.
wissenschaftlich vorherrschende Meinung: Griechen übernahmen das Konsonantenalphabet von phönizischen Handelspartnern, um Handel zu treiben.
„Was lag also näher, als dass Handelsfürsten im nahen Osten auch das Konsonantenalphabet ihrer Geschäftspartner einhandelten?“
Früheste Inschriften sind metrisch, episch, spielerisch → keine wirtschaftlichen oder staatlichen Texte!
These ist, dass sie oft im privaten Kontext vorkommt → keine Verwaltungsakten.
aber Kittler entgegnet, dass nur weil etwas sich nicht auf Geld, Handel oder Staat bezieht deswegen nicht gleich privatem Anlass dient
Beispiele für seine Argumentation: Älteste griechische Inschriften:
Widmungen an Götter (z. B. ΖΕΥΣ auf Thera)
Obszöne Spottinschriften in Männergesellschaften (z. B. A hat B gefickt)
Votivgaben in Heiligtümern
Preisinschriften (z. B. Weinkrug für besten Tänzer)
„Nichts also ist ‚privat‘, das meiste festlich.“
Argumente der Wissenschaft, dass das Alphabet aus wirtschaftlichen oder privaten Gründen wiederaufgenommen wurde, stammen von Erzählungen von Gorgias von Leontinoi oder Euripides
Gorgias: sagt, Palamedes (Achaierhelden vor Trlia) habe Vokalalphabet erfunden für Verwaltung, Reichtum, Gesetz.
Euripides: bringt Palamedes auf Bühne, Schrift wird Werkzeug des Staates.
„Von Musen und Gesang ist keine Rede.“
Kritik: Schrift bei den Griechen war keine Herrenschrift, kein Verwaltungswerkzeug, sondern Fest, Spiel & Poesie.
Moderne Wissenschaft projeziert eigenes Interesse an Wirtschaft, Sozialstaat usw. auf Griechisches Alphabet und schrieb vergnügt bei Gorgias und Euripedes ab, ohne zu erkennen dass diese Literatur sind - Schrift also nicht dem Staat und Handel diente, sondern den schönen Künsten
Palamedes’ Vater (Nauplios) täuscht (bei Gorgias) heimkehrende Helden mit falschen Feuerzeichen → zeigt: Schrift & Zeichen können täuschen.
„Schrift ist also gleichursprünglich mit der Möglichkeit, von fern zu täuschen.“
Hammurabi-Stele: Drohungen gegen alle, die Schrift ändern.
Apokalypse des Johannes: Droht Hölle, wenn jemand etwas hinzufügt oder entfernt.
„Jedes Lesen, das nicht sklavisch treu bleibt, soll also stracks zur Hölle fahren.“
Griechische Verse überliefern sich frei, in tausend Varianten.
Im Gegensatz dazu: orientalische Herrscher-Schriften verlangen absolute Treue.
„Despoten gieren, ihre eigenen Zeichen zu verriegeln […].“
Solon feiert:
Aphrodite (Liebe)
Dionysos (Wein, Ekstase)
Musen (Poesie, Kunst)
„Nun sind Aphrodites Werke mir lieb und des Dionysos und der Musen, die da Männern Glück bescheren.“
Nestors-Becher zeigt, dass Umdichtungen im Griechenalphabet erlaubt waren
Becher-Inschrift (ca. 720 v. Chr., Ischia):
Widmet sich dem, „den Aphrodites Lust packt“.
Spielt an auf Nestors großen Mischkrug in der Ilias.
Symbol für freie poetische Aneignung, nicht starres Gesetz.
„Nestors Becher bin ich, gut zu trinken. […] Packt den Lust der schönbekränzten Aphrodite.“
Griechisches Alphabet ermöglicht selbstständige Neuschöpfung & Varianten.
Im Gegensatz dazu: orientalische Schriften → unantastbar, unveränderlich.
„Freisein heißt im Griechenalphabet, selbst das Schönste umdichten zu dürfen.“
Nicht für Handel, Macht oder Verwaltung entstanden.
Widmungen, Spott, Feier — Inschriften sind poetisch, nicht ökonomisch.
Texte dürfen variiert, umgedichtet, erweitert werden.
Griechen: Poesie, Dionysos, Musen, Aphrodite.
Orient: Drohung, Gesetz, fixierte Zeichen.
Symbol für poetische Freiheit & erotisches Spiel.
Griechische Schrift
Orientalische Schrift
Zweck
Poetisch, festlich
Herrschaft, Gesetz
Textvarianten
Viele erlaubt
Verboten
Spiel, Lust, Kunst
Kontrolle, Drohung
Beziehung zu Göttern
Feiernd, tanzend
Furchtsam, verpflichtend
Das griechische Alphabet entstand nicht aus Notwendigkeit oder ökonomischem Zwang, sondern als Spielraum für Gesang, Lust und poetische Freiheit. Jeder Buchstabe atmet Freude, nicht Zwang.
... und Euboia, Powells Lösung
These: Ilias und Odyssee stammen wesentlich von einem einzigen großen Dichter (Homer).
Nietzsche & Powell: Glauben an „den einen großen Dichter“.
Homer = letzter Sänger einer langen mündlichen Tradition, älter als die älteste griechische Schrift.
„Wir glauben an den einen großen Dichter von Ilias und Odyssee.“
Nach Untergang Mykenes: neue Fürstenhöfe → neue Pracht.
Orte: Ithaka (Odysseus), Sparta (Menelaos), Mykene (Agamemnon).
Reichster Hof: Lefkandi auf Euboia (grünste Insel).
„Am reichsten sind die Fürsten auf Euboia.“
Riesiges Grabhaus (ca. 950 v. Chr.).
Reiche Beigaben aus Achaierzeit & Vorderasien → Beweis für Heldenahnen.
Analog: Homer verteilt in seinen Epen Ruhm an alle griechischen Regionen → „Kataloge“ (Schiffe, Frauen, Geliebte).
„Genau dasselbe tut der Sänger.“
Euboia bewahrt „alte Listen“ aus Heldenzeit.
Homer könnte dort Vorlagen (Schiffskataloge etc.) genutzt haben.
Euboia = Insel mit starker Verbindung zu Gesang, Listen und Gedächtnis.
Lefkandi: Kontakt zu Syrern & Phoinikern.
Phoinikische Inschriften = Weihegaben, keine Handelsdokumente.
Ein „Adaptor“ entwickelt Schrift, um griechischen Gesang lesbar zu machen → Griechisches Alphabet mit Vokalen.
„Er braucht nur zu gewahren, dass griechische Gesänge ohne fünf Vokale unlesbar würden.“
Vielleicht war dieser „Adaptor“ sogar eine Frau, eine Muse — wie Hofdamen in Japan Hiragana schufen.
„Der Adaptor mag auch eine Frau gewesen sein, wer weiss, die Muse?“
Lefkandi importiert Papyrus → genug Platz für lange Epen.
Nur griechisches Alphabet kann alle Silbenlängen & Stimmlaute exakt aufzeichnen → ideal für Hexameter.
„Die einzige Schrift auf Erden, die alle Stimmlaute und die meisten Silbenlängen unzweideutig speichern kann.“
Griechisches Alphabet = nicht nur „epigraphisch“ (auf Stein), sondern dichterisch.
Ganze Epen (Ilias & Odyssee) wurden von Anfang an aufschrieben & überliefert, nicht nur mündlich.
„Griechenland gewährt uns sein Alphabet dichterisch in den zwei Sängen selbst.“
Ilias & Odyssee: je 24 Gesänge → 24 griechische Buchstaben.
Symbolik: A bis Ω → das „Allumfassende“.
„Die Gliederung Α-Ω muss wegen ihrer Symbolik ersonnen worden sein.“
Später: Johannes-Offenbarung kopiert dieses Prinzip → „Alpha und Omega“.
Die Ilias & Odyssee existieren seit Beginn schriftlich → kein späteres Aufschreiben!
Im „ionischen Dialekt Euboias“, nicht Kleinasiens.
„Seine Sagen stehen von Anfang an geschrieben.“
Ilias & Odyssee bleiben stabil, „geschriebenes Sein“.
Andere Sagen (Troia, Theben) → später „Prosafetzen“, zersplittert, vergessen.
„Das scheidet Sein […] von all den Prosafetzen, zu denen die anderen Sagen schrumpften.“
Sänger singt → Publikum hört & wird „bezaubert“.
Jemand (eine Muse? ein Schreiber?) schreibt mit.
„Der Sänger singt, wir anderen hören ihm bezaubert zu. Einer oder Eine schreibt den Sänger mit.“
Letzter Sänger einer uralten Kette.
Verbindet Traditionen & verteilt Ruhm.
Kulturzentrum, Kontakte, Reichtum → ideale Basis.
Entwickelt, um Hexameter exakt festzuhalten.
Ermöglicht das schriftliche „Sein“ der Epen.
Alphabetisch gegliedert → Ausdruck von Vollständigkeit (A-Ω).
Nicht Herrschaft, sondern Gesang & Poesie.
Orientalische Schriften
Dichtung, Gesang
Verwaltung, Herrschaft
Kunst & Erinnerung
Kontrolle & Gesetz
Textüberlieferung
Geschrieben von Beginn
Erst mündlich, später starr fixiert
Varianten, poetische Funktion
Treue, Unveränderlichkeit
Das griechische Alphabet war von Anfang an ein Instrument der Musen — geschaffen, um Gesänge festzuhalten, nicht um Macht zu sichern. Sein „Sein“ liegt darin, dass es geschrieben bleibt, ein ewiger Gesang im Zeichen der Freiheit.
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