Buffl

ICD-10

vs
by viola S.

F2: Schizophrenie, schizotype und wahnhafte Störungen

Wichtige Schlüsselmerkmale der Schizophrenie sind psychotische Symptome wie Wahn oder Halluzinationen, flacher oder inadäquater Affekt und katatone Symptome. Von Wichtigkeit für die Differenzialdiagnostik ist das Zeitkriterium: Die Symptomatik muss für mindestens einen Monat bestehen. Werden zwar die Kriterien der Schizophrenie erfüllt, jedoch nicht dieses Zeitkriterium, so wird die Diagnose einer akuten schizophreniformen psychotischen Störung vergeben (ICD-10: F23.2). Schizophrene Erkrankungen können sich äußerst unterschiedlich phänomenologisch darstellen. Dennoch lassen sich Gruppen mit ähnlichen Symptomen und Verläufen einteilen:

  • paranoid-halluzinatorische Form: v. a. Halluzinationen und Wahn (ICD-10: F20.0),

  • hebephrene Form: Beginn im Jugendalter, ausgeprägte Negativsymptomatik (ICD-10: F20.1),

  • katatone Form: v. a. psychomotorische Symptome (Stupor, Katalepsie, ICD-10: F20.2).

Epidemiologie: Erkrankungswahrscheinlichkeit: 1 % (Lifetime-Risiko), Männer und Frauen sind gleich häufig betroffen. Männer sind zum Zeitpunkt der Ersterkrankung gewöhnlich jünger und erkranken meist schwerer.

Verlauf: Das Verlaufsbild kann mit der fünften Stelle weiter differenziert werden, z. B. F20.x0: kontinuierlicher Verlauf. Man unterscheidet allgemein:

  • Prodromalphase: unspezifische Symptome wie Interessenverlust, Reizbarkeit, Rückzug, Nachlassen der Leistungsfähigkeit, v. a. bei jungen Menschen.

  • Floride Phase: manifeste Symptome der Schizophrenie.

  • Residualphase: Die akute Symptomatik tritt zwar zurück, doch ein allgemein beeinträchtigter Zustand verbleibt. Nach ICD-10 kann die Diagnose eines schizophrenen Residuums (F20.5) vergeben werden, wenn seit mindestens zwölf Monaten keine Positivsymptomatik mehr vorhanden war, jedoch ein chronisches Vorherrschen von negativen Symptomen imponiert.


F2: Schizophrenie, schizotype und wahnhafte Störungen

F20.4; F21-F25

  • F20.4 Im Anschluss an eine schizophrene Erkrankung kann eine postschizophrene Depression auftreten. Diese Diagnose darf vergeben werden, wenn innerhalb der vergangenen zwölf Monate die Kriterien für die Schizophrenie erfüllt wurden, mindestens ein schizophrenes Symptom fortbesteht und aktuell die Kriterien für eine depressive Episode erfüllt werden.

  • F25 Von der unter F20.4 codierten postschizophrenen Depression abzugrenzen sind die schizoaffektiven Störungen, bei denen deutliche Symptome einer Schizophrenie und einer affektiven Störung gleichzeitig während einer Krankheitsepisode bestehen müssen.

  • F21 Beachten Sie, dass für die Vergabe einer schizotypen Störung der Patient in der Anamnese niemals die Kriterien für eine Schizophrenie erfüllt haben darf.

  • F22 Eine weitere diagnostische Unterscheidung betrifft die anhaltenden wahnhaften Störungen, bei denen eben nicht die Kriterien für eine Schizophrenie erfüllt werden dürfen, sondern ein lang dauernder nicht bizarrer Wahn als einziges auffälliges klinisches Merkmal besteht und dieser für mindestens drei Monate anhalten muss.

  • F23 Bei akuten, vorübergehenden psychotischen Störungen hingegen sind typische schizophrene Symptome vorhanden. Diese Störungen beginnen akut, d. h. innerhalb von zwei Wochen bei Vorliegen einer akuten Belastung.

  • F24 Die Diagnose einer induzierten wahnhaften Störung, synonym auch „folie à deux“ oder „psychotische Infektion“, kommt sehr selten vor. Es teilen sich zwei meist sozial isoliert lebende Menschen, die in einer außergewöhnlich engen Beziehung zueinander stehen, einen Wahn oder ein Wahnsystem, wobei belegt werden kann, dass der Wahn bei dem infizierten (passiven) Partner durch den aktiven Partner induziert wurde.


F3: Affektive Störungen

F32, F33, F34

Depressive Episode F32

Neben den Hauptsymptomen der Depression, welche mindestens 14 Tage durchgängig bestehen müssen, und der Einteilung der Schweregrade müssen Sie die Symptome des somatischen Syndroms kennen, welches beim Vorliegen von mindestens vier der genannten Symptome, wie beispielsweise Interessenverlust, Morgentief, Appetitverlust usw., mit der fünften Stelle kodiert werden kann. Das Vorliegen einer Demenz oder Intelligenzminderung schließt das Vorhandensein einer depressiven Episode nicht aus. Auch wenn man es häufig in Arztbriefen liest: Die Vergabe einer Anpassungsstörung und einer depressiven Episode gleichzeitig ist nach ICD-10 nicht möglich. Unter den „sonstigen depressiven Episoden“ (F32.8) existiert die Möglichkeit der Diagnose der larvierten Depression, bei welcher v. a. die Präsentation somatischer Symptome im Vordergrund steht. Die folgenden Begrifflichkeiten sind fest im psychiatrischen Sprachgebrauch verankert, können jedoch nur teilweise verschlüsselt bzw. müssen zur besseren Beschreibung deskriptiv ergänzt werden:

  • Das Erscheinungsbild der agitierten Depression ist gekennzeichnet durch ein gesteigertes physiologisches Erregungsniveau, welches sich durch Unruhe und Bewegungsdrang zeigt und aufgrund einer klagend-ängstlichen Symptomatik leicht mit der Panikstörung verwechselt werden kann (unter F32.2).

  • Bei der gehemmten Depression ist das physiologische Erregungsniveau stark vermindert. Das zeigt sich in reduzierter Aktivität und im Extremfall im Stupor.

  • Nach langjähriger körperlicher und seelischer Belastung kann sich eine Erschöpfungsdepression entwickeln.

  • Die Wochenbettdepression (Beginn in den ersten sechs Wochen nach der Geburt) ist ebenfalls unter F32 (zusammen mit „in Verbindung mit dem Wochenbett“, O99.3) zu kodieren.


Rezidivierende depressive Störungen F33

Störungen mit wiederholten depressiven Episoden werden hier kodiert. Die Besserung zwischen den Episoden erfolgt in der Regel vollständig. Es dürfen sich in der Anamnese keine manischen Phasen finden. Findet sich mindestens eine manische Phase in der Anamnese, so ist die Diagnose in „bipolare Störung“ zu ändern.

F38.1 Unter den anderen rezidivierenden Störungen findet sich die rezidivierende kurze depressive Störung (F38.10), welche verwendet wird, wenn zwar die Schweregradkriterien, nicht jedoch die Zeitkriterien erfüllt sind. Es handelt sich typischerweise um Episoden von zwei bis drei Tagen Dauer, die innerhalb eines Jahres etwa einmal pro Monat auftreten.

F38.11 In den Forschungskriterien findet sich unter anderen rezidivierenden depressiven Störungen die saisonale affektive Störung, für deren Vergabe drei oder mehr Episoden einer affektiven Störung, beginnend innerhalb desselben 90-Tage-Zeit- raums, in drei oder mehr aufeinanderfolgenden Jahren verlangt werden.


Anhaltende affektive Störungen F34

Bei den anhaltenden affektiven Störungen sind Ihnen die Zyklothymia und die Dysthymia bekannt. Vor allem im englischen Sprachraum findet sich die Beschreibung der Double Depression, von welcher man beim gleichzeitigen Vorliegen einer Dysthymia und einer depressiven Episode spricht. Die Double Depression hat keine Entsprechung in der ICD-10 oder dem DSM-5.

F4: Neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen

F40: Phobische Störungen

F40.0 Die Agoraphobie als Angst vor Menschenmengen, öffentlichen Plätzen und der Furcht, alleine weit zu verreisen, wurde in der ICD-10 als eigenständiges Syndrom den phobischen Störungen zugeordnet. Das ist insofern irreführend, als die Betroffenen gerade nicht die spezifische Situation fürchten, sondern vielmehr eine antizipierte Hilflosigkeit bzw. einen Kontrollverlust in dieser Situation. Die Agoraphobie kann nach ICD-10 mit oder ohne Panikstörung auftreten. Das kann mit der vierten Stelle kodiert werden.

F40.1 Im Zusammenhang mit der sozialen Phobie sollten Sie neben der Kenntnis der klinischen Kriterien von der Erythrophobie, der Angst vor dem Erröten, gehört haben.

F40.2 Die spezifischen Phobien können hinsichtlich der Quelle der Angst und unterschiedlich akzentuierter Reaktionsmuster in verschiedene Typen eingeteilt werden.

Einen interessanten Fall stellt die Paruresis, die Angst vor dem Urinieren oder Defäzieren auf öffentlichen Toiletten, dar, welche ob der klaren Situationsbezogenheit als spezifische Phobie (F40.2) in der ICD-10 aufgeführt wird. Bezieht sich die Angst jedoch v. a. auf die antizipierte Bewertung der Anwesenden, weil der Betroffene die Toilette benutzt und das Gefühl hat, „nicht zu können“, handelt es sich um eine soziale Phobie (F40.1).

Durch das geforderte Kriterium, dass die Quelle der Angst außerhalb der eigenen Person liegen muss, ergibt sich die Notwendigkeit, die Angst vor dem Vorliegen einer Krankheit (Nosophobie) oder einer vermeintlichen körperlichen Entstellung (Dysmorphophobie, synonym: körperdysmorphe Störung) unter den hypochondrischen Störungen (F45.2) zu kodieren.

Häufig treten phobische Störungen in einer irgendwie gearteten Kombination mit depressiven Symptomen auf. Zwei getrennte Diagnosen sollen nur dann vergeben werden, wenn sich die eine Störung eindeutig vor der anderen entwickelt hat (s. auch F41 „Angst und depressive Störung gemischt“). Wurden die Kriterien für eine depressive Störung bereits vor der Phobie erfüllt, wird zunächst die depressive Episode diagnostiziert.

Im Zusammenhang mit phobischen Störungen kann sich die Angst so stark steigern, dass die Betroffenen Panikattacken erleben. Das Vorliegen von Panikattacken bei bekannter Phobie dient eher zur Differenzierung des Schweregrades der Phobie und wird mit Ausnahme der Agoraphobie (F40.0) nicht extra kodiert.

F4: Neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen

F44 Dissoziative Störungen (Konversionsstörungen)

Für das Verständnis dieser Störungen ist das ursprünglich psychoanalytische Konzept der Konversion wichtig, worunter man die Umsetzung eines psychischen Konfliktes in körperliche Symptome versteht (s. S. 305). Unter dem Begriff „dissoziativ“ werden Störungen zusammengefasst, die ehemals „hysterisch vom dissoziativen Typ“ oder „Konversionstyp“ genannt wurden. Das Kennzeichen der dissoziativen Störungen ist die teilweise oder vollständige Entkoppelung von seelischen oder körperlichen Funktionen mit daraus resultierenden sehr unterschiedlichen Symptomen.

Epidemiologie: Frauen sind häufiger betroffen (Verhältnis 3:1).

Die ICD-10 fordert neben der Erfüllung der klinischen Charakteristika, wie sie für die einzelnen Störungen in F44 beschrieben sind, einen Ausschluss organischer Ursachen und einen belegbaren zeitlichen Zusammenhang zwischen der Symptomatik und Belastungen, gestörten Beziehungen etc. Diese psychische Verursachung wird meist von den Betroffenen verleugnet. Denken Sie bei dissoziativen Trancezuständen auch an eine psychotische Erkrankung oder an die Wirkung psychotroper Substanzen.

Hilfreiche differenzialdiagnostische Hinweise zur Unterscheidung zwischen dissoziativen Störungen (F44) und somatoformen Störungen (F45) sind, dass bei den dissoziativen Störungen in der Regel das willkürliche Nervensystem (Motorik, Sehkraft etc.; s. auch F45.3) betroffen ist, die Symptomatik in der Regel bei den Betroffenen Angst und Spannung reduziert; (Symptome im Rahmen von somatoformen Störungen hingegen erzeugen Angst) und die Phänomene bei den dissoziativen Störungen teilweise in symbolträchtiger Form mit dem zugrunde liegenden Konflikt verbunden sind.

F4: Neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen

F45 Somatoforme Störung

Hauptcharakteristika dieser Störungen sind die wiederholte Darbietung körperlicher Symptome und die Forderung der Betroffenen nach medizinischen Untersuchungen trotz wiederholter negativer Ergebnisse solcher Untersuchungen. Wenn tatsächlich ein Organbefund vorliegt, rechtfertigt dieser nicht Art und Ausmaß der Symptome oder des empfundenen Leidens der Patientin. Die somatoformen Störungen sind häufig mit Depression und Angst kombiniert, welche je nach Ausmaß eine eigene Diagnose rechtfertigen.

Die Begriffe „Somatisierungsstörung“, „psychosomatische Störung“, „somatoforme Störung“, „funktionelle Störung“ usw. werden meist recht ungenau verwendet. Die ICD-10 gibt hier sehr klare Kriterien vor.

  • F45.0 Bei der Somatisierungsstörung (F45.0) liegen mindestens zwei Jahre lang anhaltende multiple, wiederholt auftretende und häufig wechselnde körperliche Symptome vor, welche sich auf jedes Körperteil beziehen können. Frauen sind weitaus häufiger betroffen.

  • F45.3 Hingegen werden bei der somatoformen autonomen Funktionsstörung (F45.3) die Symptome (wie Schwitzen, Herzklopfen, Zittern etc.) so geschildert, als beruhten sie auf der Erkrankung eines Organs oder Systems, welches vorwiegend vegetativ innerviert wird. Die Patienten beschäftigen sich wie bei der Hypochondrie mit der Möglichkeit einer Erkrankung dieses Organsystems, ohne jedoch eine genaue Bezeichnung der möglichen Erkrankung vorzunehmen. Das Organsystem kann dann mit der fünften Stelle genauer kodiert werden (Urogenitalsystem, Herz-Kreislauf-System etc.).

  • F45.2 Bei der hypochondrischen Störung ist die Betroffene beharrlich davon überzeugt, an einer oder mehreren Krankheiten zu leiden, die sie auch genau benennen kann. Oder aber es handelt sich um eine anhaltende Beschäftigung mit einer vermuteten Entstellung (Dysmorphobie). Bei der hypochondrischen Störung ist die Betroffene weniger mit den einzelnen Symptomen an sich beschäftigt, wie es für die Somatisierungsstörung typisch ist, sondern vielmehr mit den Folgen der Erkrankung. Ein Ausschlusskriterium für die hypochondrische Störung stellen Wahnphänomene dar (F22).

  • Die anhaltende Schmerzstörung wird in zwei Unterkategorien differenziert:

    F45.40 Die anhaltende somatoforme Schmerzstörung (F45.40) ist gekennzeichnet durch einen anhaltenden schweren körperlichen Schmerz, der somatomedizinisch nicht ausreichend erklärt werden kann. Der Schmerz tritt assoziiert mit emotionalen Konflikten oder psychosozialen Problemen auf. Natürlich stellen akute Schmerzen ein Ausschlusskriterium für diese Diagnose dar. Ausgeschlossen ist auch der Spannungskopfschmerz (G44.2). Beachten Sie ebenfalls, dass Schmerzen aufgrund bekannter psychophysiologischer Mechanismen, wie z. B. Migräne, die zu einem Teil eben auch psychogen sind, unter F54 „psychische Faktoren oder Verhaltenseinflüsse bei andernorts klassifizierten Krankheiten“ kodiert werden.

    F45.41 Die Diagnose Chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren (F45.41) wurde 2009 in die ICD-10 eingefügt. Auch hier wird psychischen Faktoren eine wichtige Rolle für Schweregrad, Exazerbation oder Aufrechterhaltung der Schmerzen beigemessen, jedoch im Gegensatz zu F45.40 nicht die ursächliche Rolle für deren Beginn.


F5: Verhaltensauffälligkeiten in Verbindung mit körperlichen Störungen und Faktoren


F50.0-F50.4

Anorexia nervosa: Die ICD-10 unterscheidet die Anorexie ohne aktive Maßnahmen zur Gewichtsabnahme (F50.00), synonym auch asketische, passive oder restriktive Form der Anorexie genannt, und die Anorexie mit aktiven Maßnahmen zur Gewichtsabnahme (F50.01), also Erbrechen, Gebrauch von Abführmitteln usw., synonym auch aktive oder bulimische Form der Anorexie. Häufig liest man eine andere Unterscheidung, welche dem DSM-5 entstammt, aber dennoch bekannt sein sollte: Die Anorexie vom restriktiven Typus entspricht der Anorexie ohne aktive Maßnahmen zur Gewichtsabnahme nach ICD-10, meint also ein Zustandsbild, bei welchem die Betroffenen keine Laxantien oder Diuretika benützen, kein selbst induziertes Erbrechen herbeiführen, sondern „nur“ restriktiv die Nahrungsmenge einschränken. Die Anorexie vom Binge-Eating/Purging-Typus meint die Anorexie mit aktiven Maßnahmen zur Gewichtsabnahme nach ICD-10 also ein Verhalten aus Heißhungerattacken und Purging-Verhalten. Purging-Verhalten (to purge = abführen, säubern, entschlacken) meint Verhaltensweisen zur Kompensation von Nahrungsaufnahme bzw. Fressattacken (Erbrechen, Laxantienmissbrauch, Diuretikamissbrauch etc.).

F50.2 Im Gegensatz zur Anorexie wird für die Diagnose einer Bulimie keine Entgleisung der Hypothalamus-Hypophysen-Gonaden-Achse gefordert. Bei der Bulimia nervosa unterscheidet die ICD-10 keine Subtypen.

F50.3 Hier besteht die Möglichkeit unter atypischer Bulimia nervosa Störungen zu kodieren, bei denen ein oder mehr Kernmerkmale der Bulimia nervosa fehlen, meistens z. B. bei Betroffenen mit Normal- oder Übergewicht.

F50.4 Die Essattacken bei anderen psychischen Störungen beschreiben übermäßiges Essen im Zusammenhang mit belastenden Ereignissen, welches zu Übergewicht geführt hat („reaktives Übergewicht“). Hier besteht eine Nähe zu der in den Forschungskriterien des DSM-IV vorgeschlagenen und in das DSM-5 endgültig aufgenommenen Binge Eating Disorder.

Die Adipositas als Ursache einer psychischen Störung gehört nicht unter die F50.4, sondern ist unter „sonstige affektive Störungen“ (F38), „Angst und depressive Störung gemischt“ (F41.2) oder „nicht näher bezeichnete neurotische Störung“ (F48.9) einzuordnen, und zwar in Verbindung mit einer Kodierung des Typus des Übergewichts aus dem Kapitel E66 der ICD-10.

F5: Verhaltensauffälligkeiten in Verbindung mit körperlichen Störungen und Faktoren


F51 Nichtorganische Schlafstörungen

In diesem Abschnitt der ICD-10 werden explizit nur Schlafstörungen behandelt, bei denen emotionale Ursachen einen wichtigen Faktor darstellen. Das bedeutet invers, dass eine organische Verursachung durch eine entsprechende Diagnostik immer ausgeschlossen werden muss.

Es werden zwei Gruppen von Schlafstörungen unterschieden:

  • Dyssomnien als Störungen von Dauer, Qualität oder Zeitpunkt des Schlafes mit

    den Insomnien (F51.0),

    den Hypersomnien (F51.1),

    den Schlaf-wach-Rhythmusstörungen (F51.2).

  • Parasomnien hingegen sind außergewöhnliche Verhaltensmuster oder physiologische Ereignisse aus dem Schlaf heraus. Sie werden auch als Aufwach- oder Arousal-Störungen bezeichnet. Parasomnien treten im Kindesalter häufig auf (Jungen sind viermal häufiger betroffen). Wenn sie im Erwachsenenalter fortbestehen oder dann erstmals auftreten, stehen sie oft in Verbindung mit seelischen Problemen. Man unterscheidet:

    Albträume (F51.5),

    Schlafwandeln (F51.3) und

    den Pavor nocturnus (F51.4).

Organische Schlafstörungen in anderen Kapiteln kodiert: Das Schlafapnoe-Syndrom (G47.3) ist eine schlafbezogene Atmungsstörung mit Atemstillständen (Apnoe) während des Schlafes, die in der Folge zu nicht erholsamem Schlaf mit ausgeprägter Tagesmüdigkeit und eventuellen Sekundenschlafattacken führt. Das Syndrom ist ein Beispiel für eine atmungsassoziierte Hypersomnie. Diagnostisch werden Atemstillstände von mindestens zehn Sekunden, die zehnmal oder häufiger pro Stunde Schlafzeit auftreten, gefordert. Die Atempausen werden meistens durch tiefes Schnarchen beendet. Die Betroffenen zeigen meist ein deutliches Übergewicht. Neben bestimmten organischen Anomalien stellen Alkohol sowie Nikotinkonsum Risikofaktoren für die Entwicklung dieses Syndroms dar. Ein unbehandeltes Schlafapnoe-Syndrom begünstigt Herz-Kreislauf-Erkrankungen und ist somit potenziell lebensbedrohlich. Bei der Narkolepsie (G47.4) handelt es sich um eine neurologische Erkrankung mit anfallsartig einsetzenden imperativen Schlafanfällen, wodurch die Patienten gezwungen werden, tief einzuschlafen. Sie sind erweckbar und erwachen spontan nach maximal 15 Minuten. Der kurze Schlaf der Narkoleptiker erfüllt alle Kriterien des natürlichen Schlafes. Zudem zeigen die Betroffenen eine Störung der Periodik des Nachtschlafes, hypnagoge Halluzinationen (oft angstgefärbter Natur), Schlaflähmungen (Aufhebung der Willkürmotorik bei vollem Bewusstsein) und einen anfallsweisen Tonusverlust der Muskulatur (s. „Kataplexie“), oft ausgelöst durch eine affektive Gemütsbewegung („Lachschlag“). Narkolepsie-Patienten dürfen ähnlich wie Epileptiker kein Auto steuern. Medikamentös kann beispielsweise mit L-Dopa oder Methylphenidat behandelt werden.

F5: Verhaltensauffälligkeiten in Verbindung mit körperlichen Störungen und Faktoren


F51 Nichtorganische Schlafstörungen

F51.3-F51.5 Parasomnien

Schlafwandeln (F51.3) und Pavor nocturnus (F51.4) sind eng miteinander verwandt. Sie werden auch als Aufwachstörungen (Arousal-Störungen) bezeichnet. Vor dem Hintergrund einer Reifungsstörung des zentralen Nervensystems zeigen sie als Gemeinsamkeiten ein episodisches Auftreten – meist während des ersten Drittels des Nachtschlafes in Übergangsstadien des Non-REM-Schlafs –, eine in der Regel positive Familienanamnese und das Bestehen einer Amnesie für das Ereignis.

Beim Schlafwandeln (Somnambulismus) zeigen die Betroffenen (meistens Kinder) Episoden, in denen sie das Bett während des Schlafes ein- oder mehrmalig verlassen und mehrere Minuten bis zu einer halben Stunde umhergehen. Sie zeigen einen leeren, starren Gesichtsausdruck und reagieren kaum auf Bemühungen anderer, mit ihnen in Kontakt zu kommen. Es besteht beträchtliche Verletzungsgefahr für das Kind. Differenzialdiagnostisch ist v. a. an Epilepsien und dissoziative Störungen zu denken.

Beim Pavor nocturnus handelt es sich um Episoden von weniger als zehnminütigem Erwachen aus dem Schlaf. Oft beginnend mit einem Panikschrei zeigen die Betroffenen – zumeist Kinder – heftige Körperbewegungen, Angst, starke autonome Erregung, Tachykardie, schnelle Atmung, Schwitzen, Desorientierung und perseverierende Bewegungen. Diese Phänomene sind v. a. für die Eltern betroffener Kinder dramatisch und ängstigend. Differenzialdiagnostisch ist auch hier an Epilepsien zu denken. Auslösende Faktoren für den Pavor nocturnus können häufig Stress, Fieber und Medikamenteneinfluss (Neuroleptika, Antidepressiva) sein.

F51.5 Als Albtraum wird ein Aufwachen aus dem Nachtschlaf mit detaillierter oder sehr lebhafter Erinnerung an heftige Angstträume bezeichnet. Dabei kann das Aufwachen im Gegensatz zum Pavor nocturnus zu jeder Zeit des Schlafes erfolgen, wenngleich Albträume typischerweise in der zweiten Nachthälfte in REM-Schlaf-assoziierten Phasen auftreten. Nach dem Aufwachen sind die Betroffenen wach und orientiert. Es besteht keine Amnesie für das Ereignis. Das Aufwachen und das Traumerleben sorgen für erheblichen Leidensdruck. Als Auslöser kommen REM-Schlaf-hemmende Substanzen wie Benzodiazepine und Antidepressiva in Frage. Es bestehen auch Zusammenhänge zu psychischen Störungen.

F5: Verhaltensauffälligkeiten in Verbindung mit körperlichen Störungen und Faktoren


F53: Psychische oder Verhaltensstörungen im Wochenbett

F54: Psychologische Faktoren und Verhaltensfaktoren bei anderenorts klassifizierten Krankheiten

F55: Schädlicher Gebrauch von nichtabhängigkeitserzeugenden Substanzen

Psychische oder Verhaltensstörungen im Wochenbett, andernorts nicht klassifiziert F53 Diese Kategorie sollte, wie aus der Benennung hervorgeht, ausschließlich dann verwendet werden, wenn das Zustandsbild, welches sich innerhalb des Wochenbetts, also innerhalb von sechs Wochen nach der Entbindung, zeigt, nicht die Kriterien für andere in der ICD-10 klassifizierbare Störungen erfüllt.

F54: Psychologische Faktoren und Verhaltensfaktoren bei anderenorts klassifizierten Krankheiten. Verwendet wird diese Kategorie dann, wenn psychische Faktoren wahrscheinlich eine große Rolle in der Manifestation körperlicher Krankheiten spielen. Diese psychischen Störungen, wie beispielsweise anhaltende Sorgen und chronische Konflikte, dürfen nicht die Zuordnung zu einer anderen Kategorie im Kapitel V (F) rechtfertigen. Zusätzlich sollte die körperliche Störung kodiert werden. Es ergeben sich dann z. B. solche Kombinationen: Asthma (F54 und J45) oder Colitis ulcerosa (F54 und K51). Die Diagnose Spannungskopfschmerz darf hier nicht verschlüsselt werden.

Schädlicher Gebrauch von nichtabhängigkeitserzeugenden Substanzen (F55). Menschen missbrauchen nicht nur abhängigkeitserzeugende Substanzen, sondern auch Substanzen, bei denen sich keine Abhängigkeits- oder Entzugssymptome bilden. Dennoch kommt es durch einen übermäßigen Konsum, der oft initial ärztlich verordnet begann, zu schädlichen körperlichen Auswirkungen. Mit der vierten Stelle kann die Art der Substanz, z. B. Laxanzien, Steroide, Analgetika, kodiert werden.

F6: Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen


F60: Spezifische Persönlichkeitsstörungen

F60 Die ICD-10 unterscheidet acht Persönlichkeitsstörungen (PKS). Sie müssen die spezifischen Kriterien der einzelnen PKS kennen. Sie müssen jedoch auch die von der ICD-10 geforderten allgemeinen diagnostischen Kriterien für das Stellen der Diagnose einer Persönlichkeitsstörung kennen. Erst wenn diese als erfüllt gelten, kann überhaupt die Diagnose einer spezifischen PKS in Betracht gezogen werden. Eine Diagnose sollte nicht vor dem 17. Lebensjahr gestellt werden. Ergänzend sei auch auf das DSM-5 verwiesen, welches zehn PKS unterscheidet (die schizotype PKS nach DSM-5 kommt in der ICD-10 unter F21 als „schizotype Störung“, die narzisstische PKS unter F60.8 vor) und diese entsprechend ähnlicher Erscheinungsformen zu drei Clustern zusammenfasst:

  • Cluster A mit den Kernmerkmalen „sonderbar – exzentrisch“ umfasst die paranoide, schizoide und schizotype PKS.

  • Cluster B mit den Charakteristika „dramatisch – launisch – emotional“ beinhaltet die antisoziale, narzisstische, histrionische und Borderline-PKS.

  • Cluster C mit der Gemeinsamkeit „ängstlich – furchtsam“ vereint die vermeidend-selbstunsichere, zwanghafte und dependente PKS.

F60.80 Trotz der großen Faszination, welche für Psychotherapeuten aller Schulen vom Phänomen des Narzissmus ausgeht, hat die narzisstische Persönlichkeitsstörung bisher lediglich Einzug in die Forschungskriterien der ICD-10 gefunden und wird dort unter den sonstigen spezifischen Persönlichkeitsstörungen verschlüsselt.

F60.81 Des Weiteren findet man in den Forschungskriterien die passiv-aggressive (negativistische) Persönlichkeitsstörung.

F6: Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen


F64 Störungen der Geschlechtsidentität

Bei den Störungen der Geschlechtsidentität handelt es sich um Sexualentwicklungsstörungen. Bei den Betroffenen herrscht

  • ein Leiden am eigenen biologischen Geschlecht vor, und sie zeigen

  • den Wunsch, dem anderen Geschlecht anzugehören und entsprechend zu leben.

Trans*: Sammelbegriff für Menschen, die sich nicht oder nicht nur dem Geschlecht zugehörig fühlen, das ihnen in der Geburtsurkunde zugewiesen wurde und Kurzform für verschiedene Attribute, z. B. transgender, transident.

Transidentität: Gewissheit, dem Gegengeschlecht anzugehören.

Transsexualismus: international als überholt geltender Begriff für Transidentität, der jedoch in Deutschland noch sozialrechtlich bindend ist. Bei dieser Form der Geschlechtsidentitätsstörung fühlen sich Menschen mit somatisch eindeutig männlichem oder weiblichem Geschlecht (keine Intersexualität) psychisch in jeder Hinsicht dem anderen Geschlecht zugehörig.

Geschlechtsinkongruenz: Fachbegriff für die Differenz zwischen körperlichen Geschlechtsmerkmalen und Geschlechtsidentität. In der ICD-11 wird diese Inkongruenz nicht mehr bei den psychischen Störungen kodiert, sondern im Kapitel „Conditions related to sexual Health“.

Geschlechtsdysphorie: Nach DSM-5 Leidensdruck, der dadurch entsteht, dass Körper und Geschlechtsidentität nicht zusammenpassen. Danach ist die Grundlage einer Behandlung also nicht mehr eine Transidentität, sondern das Leiden unter der Geschlechtsinkongruenz, also ein psychisches Leiden am biologischen Geschlecht.

F64.2 Sind die beiden Hauptkriterien erfüllt, wird bis zur Pubertät die Diagnose Störung der Geschlechtsidentität des Kindesalters gestellt. Ausschlusskriterien sind die sexuelle Reifungskrise (F66.0) und die ichdystone sexuelle Orientierung (F66.1).

F64.0 Nach der Pubertät kann die Diagnose in Transsexualismus umgewandelt werden. Dazu muss die transsexuelle Identität mit dem Wunsch nach Geschlechtsumwandlung mindestens zwei Jahre lang bestanden haben und darf nicht auf eine andere psychische Störung, wie z. B. Schizophrenie, oder intersexuelle oder genetische Anomalien zurückführbar sein.

F64.1 Unter die Kategorie (F64) fällt auch der Transvestitismus unter Beibehaltung beider Geschlechtsrollen, bei dem die Betroffenen zeitweilig durch das Tragen gegengeschlechtlicher Kleidung (Cross-Dressing) die Erfahrung der Zugehörigkeit zum anderen biologischen Geschlecht machen, ohne dass ein Wunsch zur Geschlechtsumwandlung besteht. Die differenzialdiagnostische Abgrenzung zum fetischistischem Transvestitismus (F65.1) erfolgt über das Kriterium der sexuellen Erregung, welches bei F64.1 beim Umkleiden nicht erlebt wird.

Zu den Sexualentwicklungsstörungen gehören nach diesem Verständnis auch die sexuelle Reifungskrise (F66.0) und die ichdystone sexuelle Orientierung (F66.1). Sie werden in der ICD-10 jedoch in einer eigenen Kategorie behandelt.

F6: Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen


F65: Störungen der Sexualpräferenz

F66: Psychische und Verhaltensstörungen in Verbindung mit der sexuellen Entwicklung und Orientierung

Störungen der Sexualpräferenz

F65 Bei den Störungen der Sexualpräferenz handelt es sich im Gegensatz zu den Störungen der Geschlechtsidentität nicht um Sexualentwicklungs-, sondern um Sexualverhaltensstörungen. Synonym wird auch von Paraphilien gesprochen.

Als allgemeines diagnostisches Kriterium wird gefordert, dass über mindestens sechs Monate ungewöhnliche sexuelle erregende Fantasien, drängende Bedürfnisse oder Vehaltensweisen auftreten, die sich auf ungewöhnliche nicht menschliche Objekte, auf Leiden oder Demütigung von sich selbst oder anderen Menschen oder auf Kinder bzw. andere nicht einwilligungsfähige Personen beziehen.

Die einzelnen Paraphilien Fetischismus (F65.0), fetischistischer Transvestitismus (F65.1), Exhibitionismus (F65.2), Voyeurismus (F65.3), Pädophilie (F65.4) und Sadomasoschismus (F65.5) können entsprechend kodiert werden. Unter den sonstigen Störungen der Sexualpräferenz (F65.8) besteht die Möglichkeit, weitere interessante Spielarten der menschlichen Sexualität zu kodieren (Frotteurismus, Sodomie, Strangulationspraktiken, Bevorzugung von Geschlechtspartnern mit anatomischen Abnormitäten und dergleichen mehr).

Psychische und Verhaltensstörungen in Verbindung mit der sexuellen Entwicklung und Orientierung

F66 Die sexuelle Orientierung selbst wird in der ICD (seit dem Verzicht der WHO im Jahr 1992, Homosexualität als ein Krankheitsbild zu klassifizieren) nicht als problematisch angesehen. Mit der fünften Stelle kann für die Störungen unter F66 jedoch die sexuelle Orientierung, die für den Betroffenen problematisch ist, gekennzeichnet werden: F66.10 entspricht z. B. einer ichdystonen Sexualorientierung mit problematischer heterosexueller Orientierung.

F66.0 Bei der sexuellen Reifungskrise haben die Jugendlichen noch keine eindeutige sexuelle Orientierung und leiden massiv darunter. Diese Störung kann natürlich auch bei Erwachsenen, deren sexuelle Orientierung sich beispielsweise nach langer Partnerschaft ändert, vorkommen.

F66.1 Bei der ichdystonen Sexualorientierung haben die Jugendlichen eine eindeutige sexuelle Orientierung (häufig homosexuell) und wünschen sich, dass es anders wäre. Aus diesem Konflikt entstehen Ängste, Depressionen und dergleichen.

F6: Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen


F68 Andere Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen

F68.0 Der treffende Begriff der „Rentenneurose“ verdeutlicht gut die Symptomatik, welche unter Entwicklung körperlicher Symptome aus psychischen Gründen kodiert wird: Körperliche Symptome werden wegen des psychischen Zustandes der Betroffenen aggraviert oder halten länger an. Der Zustand ist verbunden mit histrionischem Verhalten und Unzufriedenheit mit den medizinischen Behandlungen und der mangelnden positiven Fürsorge.

F68.1 Die artifizielle Störung oder synonym auch das Münchhausen-Syndrom ist – beim Fehlen einer körperlichen oder seelischen Erkrankung – geprägt durch das Vortäuschen oder gar absichtliche Erzeugen von Symptomen, beispielsweise durch Injektionen, Schnittverletzungen u. Ä. mit dem Wunsch nach Untersuchungen oder sogar Operationen. Die Motivlage der Betroffenen ist häufig unklar. Ein Faktor scheint die durch die Krankenrolle zu erhaltende Zuwendung durch die Umwelt zu spielen. Ein Ausschlusskriterium stellt die Simulation dar (Z76.5), bei der das Hervorrufen von Symptomen belastungsbedingt oder aus äußeren Gründen geschieht (z. B. nicht zur Klausur gehen müssen).

Das Münchhausen-by-proxy-Syndrom (Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom, T74.8) meint, dass psychisch kranke Eltern – meist überfürsorgliche, hochkooperative, medizinisch gebildete, isoliert lebende Frauen – absichtlich Symptome bei ihrem Kind hervorrufen, um medizinische Untersuchungen, Hilfe und Aufmerksamkeit zu bekommen. Das Verhalten der Eltern stellt eine zunächst nicht offensichtliche Form der Kindesmisshandlung dar, die jedoch für die Kinder tödlich enden kann.

F7 Intelligenzminderung

Unter Intelligenzminderung wird eine sich in der Entwicklung manifestierende, stehen gebliebene oder unvollständige Entwicklung der geistigen Fähigkeiten, die zum Intelligenzniveau beitragen (Kognition, Sprache, motorische und soziale Fähigkeiten), verstanden. Intelligenzminderungen können allein oder zusammen mit anderen psychischen Störungen auftreten, deren Prävalenzrate bei intelligenzgeminderten Personen drei- bis viermal so hoch wie in der Allgemeinbevölkerung ist.

Epidemiologie: Der Anteil der Betroffenen mit einem IQ < 70 an der Gesamtbevölkerung beträgt ca. 2–3 %. In ländlichen Gebieten und in der sozialen Unterschicht findet man höhere Raten. Jungen sind häufiger betroffen.

Ursachen der Intelligenzminderungen: Diese sind vielfältig, wie z. B. genetische Störungen, toxische Schäden (Alkohol, Nikotin, illegale Drogen während der Schwangerschaft), organische Missbildungen (Hydrocephalus), Infektionskrankheiten (Toxoplasmose, Röteln), serologische Unverträglichkeiten (Rhesusfaktor), perinataler Sauerstoffmangel, Unreife oder mechanische Geburtsschäden, Hormonstörungen (z. B. angeborene Hypothyreose). Wenn die Ursache bekannt ist, hat eine zusätzliche Kodierung mit Hilfe einer anderen ICD-10-Diagnose zu erfolgen.

In der ICD-10 findet sich keine Spezifizierung detaillierter klinischer Kriterien wie bei den anderen Kategorien, da die Hauptkomponenten sozial und kulturell beeinflusst werden. Die Intelligenzminderungen werden jedoch hinsichtlich ihres Schweregrades unterteilt. Von durchschnittlicher Intelligenz spricht man bei einem IQ von 85 bis 115, von einer Lernbehinderung bei einem IQ von 70 bis 84. Von einer Intelligenzminderung wird erst ab einem IQ gesprochen, der kleiner als 70 ist.



F8 Entwicklungsstörungen


F80-F83 Umschriebene Entwicklungsstörungen

Die sogenannte Normalitätsannahme fordert von den Betroffenen:

• normale Intelligenz,

• fehlende Sinnesschädigung,

• fehlende neurologische Erkrankung,

• angemessene (häusliche) Förderung.

Die Abgrenzung betroffener Kinder von solchen Kindern mit keinen oder nur leichten Auffälligkeiten hingegen erfolgt über die Diskrepanzannahme. Die Forderung beinhaltet einerseits eine absolut niedrige Leistung in dem gestörten Teilbereich (z. B. Rechnen) und andererseits eine möglichst große Differenz zwischen dieser Teilleistung und dem übrigen ungestörten Denkniveau.

Nach ICD-10 soll die gestörte Teilleistung mindestens zwei Standardabweichungen unter dem Mittelwert der Normgruppe liegen und die allgemeine Denkfähigkeit mindestens zwei Standardabweichungen über der gestörten Teilleistung. Insofern handelt es sich hier korrekterweise um eine doppelte Diskrepanzannahme. Es versteht sich von selbst, dass das allgemeine Denkniveau aus den von der gestörten Teilleistung ungestörten Intelligenzbereichen bestimmt werden muss.

Nach der ICD-10 zeigen alle umschriebenen Entwicklungsstörungen folgende Merkmale:

• einen Beginn ausnahmslos im Kleinkindalter oder in der Kindheit,

• eine Entwicklungseinschränkung oder -verzögerung von Funktionen, die eng mit

der biologischen Reifung des ZNS verknüpft sind,

• einen stetigen Verlauf ohne Rezidive und Remissionen.

Die ICD-10 unterscheidet im Weiteren die umschriebenen Entwicklungsstörungen des Sprechens und der Sprache (F80), schulischer Fertigkeiten (F81), der motorischen Funktionen (F82) und die kombinierten umschriebenen Entwicklungsstörungen (F83). Mit einer vierten Stelle werden jeweils klinische Syndrome näher beschrieben.

F8 Entwicklungsstörungen


F84 Tiefgreifende Entwicklungsstörungen

Die ICD-10 betont allgemein, dass sich diese Störungen innerhalb der ersten fünf Lebensjahre manifestiert haben müssen, wobei bereits vor dem fünften Lebensjahr qualitative Beeinträchtigungen der sozialen Interaktion und Kommunikation sowie eingeschränkte, stereotype Aktivitäten und Interessen vorliegen. Somatische Zustandsbilder und eine Intelligenzminderung sind, wenn vorhanden, zusätzlich zu kodieren. Bezüglich des Intelligenzniveaus existiert ein breites klinisches Spektrum zwischen geistiger Behinderung und Hochbegabung.

F84.0 Der frühkindliche Autismus, synonym Kanner-Autismus, ist eine angeborene, irreversible Störung, welche sich vor dem dritten Lebensjahr gezeigt haben muss und durch folgende Symptomtrias gekennzeichnet ist:

  • qualitative Auffälligkeit in der wechselseitigen sozialen Interaktion,

  • qualitative Beeinträchtigung der Sprachentwicklung und Kommunikation,

  • eingeschränkte, sich wiederholende, stereotype Verhaltensmuster, Interessen und Aktivitäten.

F84.5 Im Kontrast dazu umfasst das Asperger-Syndrom (synonym „schizoide Störung des Kindesalters“ oder „autistische Psychopathie“) lediglich Teilaspekte des frühkindlichen Autismus. Auch hier wird eine

  • schwerwiegende Störung in der wechselseitigen sozialen Interaktion verlangt, und es zeigen sich

  • eingeschränkte, sich wiederholende stereotype Verhaltensmuster, Interessen und Aktivitäten.

Das zentrale Unterscheidungskriterium ist, dass jedoch kein Entwicklungsrückstand der gesprochenen und rezeptiven Sprache vorliegen darf. Zudem weisen viele der Patientinnen mit Asperger-Syndrom keine qualitative Beeinträchtigung der Intelligenzentwicklung auf, wohingegen nur ca. 3 % der Kinder mit Kanner-Autismus einen IQ im Normbereich oder darüber aufweisen.

F84.1 Das Erscheinungsbild des atypischen Autismus ähnelt dem des frühkindlichen Autismus. Die Störung wird jedoch erst nach dem dritten Lebensjahr manifest, oder es finden sich keine Auffälligkeiten in allen drei Bereichen (Interaktion, Kommunikation, Stereotypien). Atypisch bezieht sich hier also auf ein untypisches Erkrankungsalter und/oder eine untypische Symptomatik.

F84.2 Das Rett-Syndrom kommt fast nur bei Mädchen vor. Nach einer scheinbar zunächst normalen Entwicklung während der ersten sechs Monate kommt es zu einem teilweisen oder vollständigen Verlust bereits erworbener Fähigkeiten mit einer Verlangsamung des Kopfwachstums. Es zeigt sich ein zunehmend autistisches Verhalten mit Sprachverfall. Die Betroffenen verlieren ihre motorischen Fähigkeiten. Es sind keine zielgerichteten Bewegungen der Hände mehr möglich, stattdessen entwickeln sie Stereotypien in Form von Drehbewegungen, Wringen der Hände, „Händewaschen“ in der Mittellinie des Körpers.

F84.3 Die andere desintegrative Störung des Kindesalters, synonym Heller-Syndrom oder Dementia infantilis, kommt fast nur bei Jungen vor. Nach einer normalen geistigen Entwicklung bis zum zweiten Lebensjahr folgt ein rapider und endgültiger Verlust vorher erworbener Fähigkeiten (Sprache, Spielniveau, soziale und motorische Fertigkeiten, Blasen- und Darmkontrolle), und es entwickelt sich das Vollbild einer Demenz mit zunehmend autistischem Verhalten. Charakteristisch ist, dass diese Kinder trotz des demenziellen Prozesses mimisch nicht vergröbern, sondern der Gesichtsausdruck unverändert bleibt („Prinzengesichter“). Es handelt sich um eine extrem seltene Erkrankung mit ungünstiger Prognose.

F84.4 Die überaktive Störung mit Intelligenzminderung und Bewegungsstereotypien ist eine schlecht definierte Störung unsicherer nososlogischer Validität und deshalb vermutlich wenig prüfungsrelevant.

F9 Verhaltens- und emotionale Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend


F90 Hyperkinetische Störungen

F90: Es sind verschiedene Abkürzungen im Gebrauch:

• ADHS: Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung,

• ADHD: Attention-deficit hyperactivity disorder,

• HKS: hyperkinetische Störung (= ADHS in der ICD-10),

• ADS: Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom (= ADHS ohne Hypermotorik, Cave: F98.8 in der ICD-10).

Am Beispiel der ADHS lässt sich exemplarisch ablesen, dass Störungen aus dem Kapitel F9 bis über das Kindes- und Jugendalter hinaus persistieren können und unter bestimmten Voraussetzungen auch bei Erwachsenen kodiert werden dürfen.

Die Diagnose einer ADHS im Erwachsenenalter darf nur vergeben werden, wenn durchgehend die Kriterien für das Vollbild erfüllt sind und auch in der Kindheit und Jugend erfüllt waren.

F90.0 Die Diagnose der einfachen Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung in der ICD-10 entspricht dem Vollbild einer ADHS. Die Wortwahl „einfach“ erscheint hier eventuell etwas verwirrend, bezieht sich jedoch auf die Kategorie F90.1, denn dort liegt zusätzlich zum ADHS noch eine weitere Störung vor. Wie sind Kinder mit ADHS? Sie sind HUI und zeigen:

• Hyperaktivität,

• Unaufmerksamkeit und

• Impulsivität.

Es wird gefordert, dass die Symptomatik situationsübergreifend auftritt, die Funktionsfähigkeit der Kinder deutlich beeinträchtigt ist und sich bereits vor dem siebten Lebensjahr manifestiert hat. Ausschlusskriterien sind tief greifende Entwicklungsstörungen und Schizophrenien. Zudem wird gefordert, dass die Symptomatik nicht durch eine affektive Störung oder eine Angststörung erklärt werden kann.

F90.1 Die Diagnose einer hyperkinetischen Störung des Sozialverhaltens wird vergeben, wenn die allgemeinen Kriterien sowohl für F90.0 als auch für eine Störung des Sozialverhaltens (F91) erfüllt sind – oder kurz: F90.1 = F90.0 + F91.

F9 Verhaltens- und emotionale Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend


F93 emotionale Störungen des Kindesalters

F93 Die Kategorie „emotionale Störungen des Kindesalters“ wurde eingeführt, um psychopathologische Auffälligkeiten, die sich bei Kindern und Jugendlichen in anderer Weise zeigen als bei Erwachsenen, klassifizieren zu können und um Störungen, die zunächst als normale alterstypische Angstäußerungen im Kindes- und Jugendalter beginnen, von den Störungen des Erwachsenenalters abheben zu können. Dafür spricht, dass viele Betroffene als Erwachsene oft unauffällig sind und viele Störungen eher Verstärkungen normaler Entwicklungstrends darstellen, d. h., die Entwicklungsbezogenheit ist das diagnostische Schlüsselmerkmal zur Entscheidungsfindung, ob eine Störung aus F93.x oder F4 vergeben wird.

Häufige Angststörungen dieser Altersgruppe sind die Trennungsangst des Kindesalters (F93.0), die phobische Störung des Kindesalters (F93.1) und die Störung mit sozialer Ängstlichkeit des Kindesalters (F93.2). Für alle Störungen werden eine Dauer von mindestens vier Wochen und der Ausschluss einer generalisierten Angststörung gefordert. Ab der Pubertät findet sich auch zunehmend die Panikstörung.

Beachten Sie bei der emotionalen Störung mit Trennungsangst im Kindesalter, dass ein Beginn vor dem sechsten Lebensjahr verlangt wird. Das Problem zeigt sich häufig auch als Schulphobie, bei der es sich nicht im klassischen Sinne um eine Phobie, sondern inhaltlich um eine Trennungsangst handelt (ängstliche Schulverweigerung). Auch eine Schulphobie kann hier kodiert werden (streng genommen natürlich nur, wenn das Kind mit fünf eingeschult wurde).

F93.3 Für die Vergabe der Diagnose der emotionalen Störung mit Geschwisterrivalität wird ebenfalls ein Zeitkriterium formuliert, das besagt, dass die auffällig negativen Gefühle gegenüber dem Geschwisterkind innerhalb von sechs Monaten nach der Geburt des jüngeren Geschwisters begonnen haben müssen.

F93.80 In den Forschungskriterien der ICD-10 wird unter F93.80 zudem die generalisierte Angststörung des Kindesalters beschrieben, welche diagnostiziert wird, wenn frei flottierende Angst und starke, unbegründete Sorgen in unterschiedlichen Bereichen geschildert werden. Die Symptomatik muss mindestens sechs Monate andauern.

F9 Verhaltens- und emotionale Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend



F98 Andere Verhaltens- und emotionale Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend


Enuresis und Enkopresis

Es handelt sich um eine heterogene Gruppe von Störungen, die sich phänomenologisch in vielerlei Hinsicht unterscheiden, denen jedoch ein Beginn im Kindes- und Jugendalter gemein ist.

F98.0 Nichtorganische Enuresis meint einen unwillkürlichen Harnabgang ab einem Alter von fünf Jahren. Sie darf nicht Folge einer organischen Erkrankung wie Epilepsie, Diabetes oder von Veränderungen des Harntrakts sein – dann läge eine organische Harninkontinenz vor. Enuresis meint also eine funktionelle Störung, die mindestens drei Monate bestanden haben muss, wobei ein Harnabgang von mindestens zweimal pro Monat bei Kindern unter sieben Jahren und mindestens einmal pro Monat bei älteren Kindern für eine Diagnosestellung gefordert wird.

Es werden eine primäre Enuresis, bei der bisher niemals Kontinenz erreicht wurde, und eine sekundäre Enuresis, welche als Rückfall nach einem Intervall von mindestens sechs Monaten Harnkontinenz beschrieben wird, unterschieden. Kinder mit sekundärer Enuresis haben häufiger eine begleitende psychische Störung. Mit der fünften Stelle kann nach ICD-10 kodiert werden, ob eine Enuresis diurna (tagsüber), eine Enuresis nocturna (nachts) oder eine Enuresis nocturna et diurna vorliegt.

Es muss zwischen Enuresis und (funktioneller) Harninkontinenz unterschieden werden. Nach Gontard (2013) wird jede Form des Einnässens nachts als Enuresis (früher: Enuresis nocturna) bezeichnet, wohingegen eine Harninkontinenz einen ungewollten Harnabgang tagsüber mit Blasendysfunktion meint. Der Begriff „Enuresis diurna“ ist somit hinfällig.


Funktionelle Harninkontinenz:

  • idiopathische Dranginkontinenz: erhöhter Harndruck, häufige Entleerung geringer Harnmengen, geringe Blasenkapazität („überaktive Blase“) und Einsatz von Haltemanövern, häufiger Toilettengang, mehr als siebenmal pro Tag.

  • Harninkontinenz bei Miktionsaufschub: klassische Form der funktionellen Harninkontinenz, seltener Toilettengang, weniger als fünfmal pro Tag, die Miktion wird so lange verzögert, bis es trotz Haltemanöver zum Einnässen kommt (typischerweise in Situationen, in denen das Kind eine Tätigkeit nicht unterbrechen will).

  • Detrusor-Sphinkter-Dyskoordination: Pressen zu Beginn und während des Wasserlassens; statt zu einer Relaxation kommt es zu einer unkoordinierten Kontraktion des Sphinkter externus während des Harnlassens, Miktion dadurch verlängert, Harnflussrate verringert, dadurch fraktionierte Miktion und inkomplette Blasenentleerung.

  • Stressinkontinenz: Einnässen beim Husten, Niesen, Anspannen; kleine Mengen.

  • Lachinkontinenz: Einnässen beim Lachen; große Mengen mit teilweise kompletter Entleerung.

  • Unteraktive Blase: kann sich bei chronischer Retention mit Resturin einstellen; unterbrochener Harnfluss, Blasenentleerung nur mit Pressen möglich.

F98.1 Nichtorganische Enkopresis umfasst eine heterogene Gruppe von funktionellen Störungen. Enkopresis als wiederholtes unwillkürliches, selten willkürliches Absetzen von Stuhl an nicht dafür vorgesehenen Stellen darf ab dem Alter von vier Jahren diagnostiziert werden. Für eine Diagnose muss die Symptomatik mindestens sechs Monate vorhanden sein mit mindestens einmal pro Monat Einkoten und darf keine organische Verursachung haben. Analog zur Enuresis können eine primäre und eine sekundäre Form unterschieden werden. Mit der fünften Stelle kann nach den Forschungskriterien der ICD-10 die Enkopresis näher bestimmt werden:

  • mangelhafte Entwicklung der physiologischen Darmkontrolle (oft infolge eines unzureichenden Toilettentrainings, F98.10),

  • Absetzen von Stuhl an unpassenden Stellen bei adäquater physiologischer Darmkontrolle (hier scheint das Einkoten eine psychologisch begründete Störung widerzuspiegeln, die mit Ablehnung, Widerstand, oppositionell-aggressivem Verhalten u. Ä. einhergeht, F98.11),

  • Einkoten mit sehr flüssigen Faeces (sekundäres Überlaufeinkoten bei Stuhlverhalt entsteht durch Konflikte zwischen Eltern und Kind beim Toilettentraining oder durch das Zurückhalten von Stuhl wegen Schmerzen, F98.12).

Liegen eine Enuresis und eine Enkopresis gleichzeitig vor, ist der Enkopresis als Diagnose Vorrang zu geben.

Weitere Subgruppen:

  • Das Toilettenverweigerungssyndrom: Urinabgang erfolgt zwar auf Toilette, Stuhl wird jedoch in die Windel oder Hose abgegeben; eventuell Vorläufer einer Enkopresis mit Obstipation.

  • Toilettenphobie: Die Benutzung der Toilette sowohl zum Urinieren als auch zum Stuhlgang wird verweigert.


F9 Verhaltens- und emotionale Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend


Andere Verhaltens- und emotionale Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend: F98.2 - F98.8

F98.2 Die Fütterstörung im Säuglings- und Kleinkindalter ist eine spezifische Form der Nahrungsverweigerung bei einem extrem wählerischen Essverhalten trotz angemessenem Nahrungsangebot und ausreichend kompetenter Betreuung durch die Eltern. Diese Störung muss sich vor dem sechsten Lebensjahr gezeigt haben und führt zu einer mangelnden Gewichtszunahme.

F98.3 Pica im Kindesalter meint als relativ isolierte psychopathologische Auffälligkeit den anhaltenden Verzehr nicht essbarer Substanzen (Erde, Papierschnipsel). Ausschlusskriterium: andere psychische oder Verhaltensstörung.

F98.4 Die stereotypen Bewegungsstörungen umfassen willkürliche, wiederholte, stereotype, nicht funktionale, oft rhythmische Bewegungen, die nicht Teil einer erkennbaren organischen oder psychiatrischen Erkrankung sind, mit einer Dauer von mindestens einem Monat, welche oft mit einer Intelligenzminderung verbunden sind (dann sind beide Störungen zu kodieren).

Differenzialdiagnose: Die Bewegung bei der Tic-Störung ist als unwillkürlich und nicht rhythmisch definiert. Mögliche Bewegungen bei Zwangsstörungen werden dagegen als funktional erlebt.

Beachten Sie die Unterteilung in nicht selbstschädigende und selbstschädigende Bewegungen. Ausschlusskriterien sind Tic-Störungen, Zwangsstörungen, Stereotypien als Teil einer anderen psychischen Störung (v. a. Zwang), Trichotillomanie, Nägelkauen, Nasebohren, Daumenlutschen.

F98.5 Beim Stottern handelt es sich um eine Störung des Sprachrhythmus mit einer häufigen Wiederholung oder Dehnung von Lauten, Silben, Wörtern oder häufigem Zögern und Innehalten. Dadurch kommt es zur häufigen Unterbrechung des Redeflusses.

Ausschlusskriterien: Poltern, Tic-Störung, Artikulationsstörung.

F98.6 Beim Poltern handelt es sich um eine Störung der Sprechflüssigkeit mit einer hohen Sprachgeschwindigkeit mit Abbrüchen des Sprachflusses, aber keinen Wiederholungen oder Verzögerungen (Differenzialdiagnose zum Stottern) bei deutlich beeinträchtigter Sprachverständlichkeit. Ausschlusskriterien: Tic-Störung, Stottern.

F98.8 Sonstige Verhaltens- und emotionale Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend:

• Aufmerksamkeitsstörung ohne Hyperaktivität,

• Daumenlutschen,

• Nägelkauen,

• Nasebohren,

• exzessive Masturbation.

Bei allen beschriebenen Störungen findet man in der Regel eine Kategorie „nicht näher bezeichnet“, z. B. „nicht näher bezeichnete affektive Störung“ (FX9). Diese Kategorie ist immer dann zu verwenden, wenn das klinische Bild zu den generellen Leitlinien in der jeweiligen diagnostischen Klasse passt, jedoch nicht die Kriterien einer bestimmten Störung dieser Klasse erfüllt.

Author

viola S.

Information

Last changed