Typologien, Prototypen und Sprachspiele nach Strube
Strube beschreibt drei Arten von „Sprachspielen“, die Literaturwissenschaftler auf dem Gebiet der Gattungen spielen können:
Typologie literarischer Elemente → Werke nach Struktur und Elementen gliedern.
Eintragung in das literaturwissenschaftliche Lexikon → Begriffe sammeln, definieren, lexikalisieren.
Einleitung in die Geschichte der literarischen Gattungen → historische Einordnung.
💡 Hinweis: Alle drei Punkte behandelt Strube eher oberflächlich.
Ziel: „Verwickelte Welt der Literatur nach Typen gliedern“
Typologische Begriffe beziehen sich auf:
Allgemeine literarische Elemente → episch, lyrisch, dramatisch
Spezielle Elemente bestimmter Werke → Figurenroman, Raumroman
Eigenschaften:
Unscharf: Werke gehören mehr oder weniger einem Typ an
Vergleichend: „komparative Begriffe“
Elastisch: flexible Zuordnung möglich
Strube: Klassifikation benötigt Prototypen, um neue Gattungen zu isolieren.
Vorgehen:
Auswahl eines klaren, unzweideutigen Ausgangsbeispiels
Abstraktion und Idealisierung → komplexe Fälle werden zunächst ignoriert
Beispiel: Wolfgang Düsing isoliert den Novellenroman anhand eines prototypischen Werkes
Prototypen dienen als Referenzpunkt, um die Kategorie aufzubauen und zu erweitern.
Definition: „Ein bestes Exemplar bzw. zentraler Vertreter einer Kategorie“
Kategorien sind nicht homogen: Manche Exemplare sind „bessere Beispiele“ als andere
Beispiel Obst: Apfel vs. Hagebutte
Beispiel Vogel: Schwalbe vs. Pinguin
Anwendung auf Literatur:
Tragödie, Epos, Novelle → es gibt gute vs. weniger gute Vertreter
Filmgenres: „typischer Western“ oder „Horrorfilm mit allem, was dazugehört“
Kinder lernen Kategorien zunächst an prototypischen Beispielen
Erst durch induktive Erweiterung wird die Kategorie größer → mehr Werke werden einbezogen
Analogie auf Literatur:
Zunächst Prototyp für Roman, Gedicht oder Schauspiel
Später Ausweitung der Kategorie auf komplexere oder atypische Werke
💡 Schlussfolgerung: Typologisieren und Klassifizieren in der Literaturwissenschaft setzt Prototypen voraus. Sie bilden die Basis, bevor eine Kategorie erweitert oder systematisiert wird.
Prototypen, Cue Validity und Kategorisierung in der Literatur
Prototypen bilden sich durch bestimmte Eigenschaften, die als besonders relevant gelten.
Beispiel Vogel: fliegen können, Federn, typische Gestalt, Größe, Schnabel, Krallen.
Cue Validity: Messbare Relevanz von Eigenschaften für die Zugehörigkeit zu einer Kategorie.
Abweichungen mindern die Prototypikalität: Wenn ein Exemplar von den typischen Eigenschaften abweicht, gilt es als weniger prototypisch.
Prototypen sind kontextabhängig:
Wo bestimmte Exemplare unbekannt sind, können sie kein Prototyp sein.
Manchmal gibt es gar kein Exemplar, das alle typischen Eigenschaften erfüllt, der Prototyp existiert nur als abstraktes Konstrukt im Kopf.
Übertragung auf Literatur: Das „beste Beispiel“ einer Gattung kann möglicherweise nicht real existieren; es bleibt eine geistige Vorstellung.
Typologische Begriffe sind unscharf, nicht exakt und widerspruchsfrei.
Keine klare pyramidale Struktur: Anders als klassische Klassifikationen.
Prototypensemantik gliedert Kategorien in drei Ebenen:
Basic Level: Ausgangspunkt, kognitiv am elementarsten → z. B. Hund, Roman, Gedicht
Subordinate Level: Untergeordnete Spezialisierungen → Boxer, Kunstlied, Mysterienspiel
Superordinate Level: Übergeordnete, allgemeinere Kategorien → Tier, Lyrik, Epik, Drama
Basic-Level-Kategorien sind oft kurz und leicht einprägsam, bilden die erste Orientierung beim Wahrnehmen von Kategorien.
Prototypische Vorstellungen sind kulturrelativ, aber „naturwüchsig“ in der Wahrnehmung.
Klassifikatoren nutzen sie als Ausgangspunkt, um Ordnung in Literatur zu bringen.
Herausforderung: Gattungen verändern sich ständig → Mischformen und Übergänge schwer klassifizierbar.
Beispiel: Wolfgang Düsing isoliert den Novellenroman als Gattung:
Ausgangspunkt: Gattungsname („Novellenroman“) → Suche nach gemeinsamen Merkmalen der Textgruppe
Ziel: Struktur und Intention dieser Werke bestimmen
Vorgehensweise: typologisch-analytisch, an prototypischen Beispielen orientiert
Klassifikation: strebt nach systematischer Ordnung, unabhängig von individuellen oder kulturellen Vorstellungen.
Prototypen: zeigen, wie wir Kategorien tatsächlich wahrnehmen
Literaturwissenschaft bewegt sich zwischen:
Kulturell geprägter Wahrnehmung (Prototyp)
Systematischer Klassifikation (Gattungsdefinition)
Fazit: Prototypen sind nützlich für die Analyse und Orientierung, ersetzen aber nicht die wissenschaftliche Klassifikation.
Gattungsforschung, Novellenroman und methodische Reflexion
Kritikpunkt: „Man müsse erst einen Begriff vom Novellenroman haben, um ein Korpus zu erstellen, aus dem man den Begriff ableiten könne.“
Das ist konzeptionell abstrakt, praktisch geht die Forschung flexibler vor.
Verbindung zum hermeneutischen Zirkel:
Nicht deduktiv: Nur von festen Voraussetzungen ausgehen → keine Hinterfragung.
Nicht rein induktiv: Ohne Ausgangspunkt → kein Anfang.
Lösung: Voraussetzungen fortlaufend reflektieren und transparent machen.
Übertragung: Das gilt auch für kleinere wissenschaftliche Arbeiten, z. B. Hausarbeiten.
Ausgangspunkt: Gattungsname „Novellenroman“.
Grobe Definition (analog zum Briefroman):
Ein Roman, dessen Struktur durch Novellen geprägt ist.
Typologisierung: Düsing unterscheidet zwei Varianten:
Novellen in einem mehr oder weniger selbständigen Rahmen eingebettet
Novellen, die allein durch ihre Verknüpfung den Roman bilden
Strube: Novellenroman koordiniert dem Roman gleichgestellt, Rahmen zwingend.
Düsing: Novellenroman als Untergattung, Rahmen nicht zwingend.
Problem:
Strube schließt vermutlich die zweite Düsing-Variante aus.
Andernfalls wäre die Variante kein Novellenroman nach Strube, da Rahmen fehlt.
Wichtiger Punkt: Widersprüche in Fachtexten sind lehrreich, nicht peinlich.
Strube unterscheidet vier literaturwissenschaftliche Sprachspiele mit Gattungen:
Klassifizieren
Typologisieren
Eintragen ins Lexikon
Einleiten in die Gattungsgeschichte
Beobachtung: In der Praxis verschmelzen diese Verfahren häufig → Typologisierung durchzieht sie alle.
Fazit: Strubes Theorie ist soll systematisch sein, die Realität zeigt fließende Übergänge.
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