(Seite 2) Was umfasst die kognitive Entwicklung im psychologischen Sinne?
Kognitive Entwicklung = Entwicklung aller Funktionen, die dem Erkennen und Erfassen der Umwelt und der eigenen Person dienen.
Dazu gehören:
Intelligenz / Denken
Wahrnehmung
Problemlösen
Gedächtnis
Sprache
(Seite 5) Wie erklärt die Informationsverarbeitungstheorie kognitive Entwicklung?
Sie vergleicht das menschliche Denken mit einem Computer:
Hardware = Hirnstrukturen
Software = kognitive Prozesse → Entwicklung = kontinuierlicher Fortschritt in der Informationsverarbeitung.
Zentrale Teilprozesse:
Aufmerksamkeit
Denken
Metakognition (= Denken über das Denken) Details merken: Metakognition über andere = Theory of Mind
(Seite 6) Wie entwickelt sich die „Hardware“ des Gehirns in den ersten Lebensjahren?
Bei Geburt: ca. 25 % des Erwachsenengehirns
Mit 5 Jahren: Vervierfachung
Mit 6 Jahren: 90 % der Erwachsenengröße Grund: rasante Synaptogenese
(Seite 7) Wann beginnt die Neurogenese und was passiert dabei?
Neurogenese = Bildung neuer Neuronen durch Zellteilung.
Start: 19.–21. Tag nach Befruchtung (Neuralrohr gebildet)
Etwa 250 000 Neuronen pro Minute entstehen
Nach ca. 18 Wochen fast 100 Milliarden Neuronen vorhanden → Migration der Neuronen in spezifische Hirnregionen
(Seite 8) Was ist Synaptogenese und wann findet sie statt?
Synaptogenese = Bildung von Synapsen zwischen Neuronen.
Beginnt pränatal
Im Cortex: intensivste Phase direkt nach der Geburt → Ergebnis: Billionen von Nervenverbindungen Anlage + Umwelt wirken gemeinsam beim Aufbau des Gehirns.
(Seite 9) Was ist Myelinisierung und welche Funktion erfüllt sie?
Myelinisierung = Bildung einer Myelinschicht um Axone (weiße Substanz).
Startet vor der Geburt, dauert bis ins frühe Erwachsenenalter
Beginnt im Hirnstamm, wandert von innen nach außen → Erhöht die Leitungsgeschwindigkeit neuronaler Impulse.
(Seite 10) Was zeigen MRT-Studien zur Hirnreifung im Kindes- und Jugendalter?
Zwischen 5 und 20 Jahren reift der Cortex schrittweise aus.
→ Je blauer im MRT, desto mehr graue Substanz wurde durch weiße ersetzt.
= Reifungsgrad des Cortexbereichs
(Seite 14) Was ist der zentrale Ausgangspunkt von Piagets Theorie der kognitiven Entwicklung?
Das Denkvermögen entsteht aus der aktiven Erkundungslust des Kindes.
→ Kinder sind aktive Konstrukteure ihres Wissens.
Details merken:
Piaget nutzte vielfältige Beobachtungsmethoden und gründete seine Theorie auf empirischen Kindbeobachtungen.
(Seite 16) Welche vier Phasen umfasst Piagets Modell der kognitiven Entwicklung?
Sensumotorische Phase (0–2 J.)
Präoperationale Phase (2–6 J.)
Konkret-operationale Phase (7–11 J.)
Formal-operationale Phase (ab 12 J.) → Jede Phase = qualitativ anders und baut auf der vorherigen auf (diskontinuierlich).
(Seite 17) Wie versteht Piaget den Prozess des Lernens und Denkens beim Kind?
Das Denken entwickelt sich vom konkreten Wahrnehmen hin zu abstrakten, begrifflichen Strukturen.
→ Wissen wird aktiv konstruiert durch:
Hypothesenbildung
Experimentieren
Schlussfolgern
(Seite 18) Was versteht Piaget unter einem „Schema“?
Ein Schema ist eine geistige Struktur oder Denkeinheit, mit der Informationen organisiert werden.
→ Repräsentiert Dinge, Handlungen oder Ereignisse, die zusammengehören.
(Seite 18) Wie funktioniert laut Piaget der Basisprozess des Wissenserwerbs?
Durch Zusammenspiel von:
Assimilation: neue Erfahrungen in vorhandene Schemata einordnen.
Akkommodation: Anpassung der Schemata bei Widersprüchen. → Ziel: kognitives Gleichgewicht (Äquilibrium).
(Seite 21) Was passiert, wenn ein Kind eine neue Information nicht in bestehende Schemata einordnen kann?
Es entsteht ein kognitiver Konflikt (Disäquilibrium).
→ Durch Akkommodation wird ein neues Schema gebildet.
→ Das Gleichgewicht (Äquilibrium) wird wiederhergestellt.
(Seite 22) Wie lässt sich das Verhältnis zwischen Assimilation und Akkommodation zusammenfassen?
Gleichgewicht (Äquilibrium):
Assimilation und Akkommodation sind ausbalanciert.
Denken und Wahrnehmung stehen in Einklang. → Voraussetzung für stabile, aber flexible Wissensstrukturen.
(Seite 24) Wodurch ist die sensumotorische Phase nach Piaget gekennzeichnet?
Das Verhalten entsteht ausschließlich aus Wahrnehmung + motorischer Aktivität.
→ Denken ist an das Handeln gebunden.
Das Kind hat keine inneren Vorstellungen oder rationale Einsicht.
In dieser Phase entstehen erste Strukturen zu
Ich und Außenwelt
Objekten, Raum, Zeit, Kausalität
Vorformen von Logik (Klassen & Relationen)
(Seite 25) Welche zentralen Begriffe prägen die sensumotorische Phase?
Objektpermanenz
A-non-B-Suchfehler → Beide beschreiben den Übergang vom wahrnehmungsgebundenen zum vorstellungsbasierten Denken.
(Seite 26) Was bedeutet „Objektpermanenz“?
Das Verständnis, dass Objekte und Personen weiter existieren, auch wenn sie nicht sichtbar sind.
→ Ab ca. 6.–7. Monat beginnen Kinder aktiv nach versteckten Dingen zu suchen.
→ Zeichen für innere Repräsentation.
(Seite 27) Was beschreibt der A-non-B-Suchfehler?
Kinder (ca. 11 Monate) suchen ein Objekt an der alten Stelle (A), obwohl es sichtbar an eine neue (B) gelegt wurde.
→ Laut Piaget können sie Wahrnehmung und Handlung noch nicht trennen.
→ Zeigt Grenzen der kognitiven Kontrolle in dieser Phase.
(Seite 28) Welche Lernformen zeigen sich bereits bei Säuglingen?
Früheste Lernformen:
Assoziation: Verknüpfen von Reizen (z. B. Geruch → Milch → Stillen)
Kontingenzlernen: Erkennen des Zusammenhangs zwischen eigenem Handeln und Konsequenzen (z. B. Mobile bewegt sich beim Strampeln)
Habituation: Gewöhnung an wiederholte Reize; Basis vieler Experimente zur Säuglingsforschung.
(Seite 31) Was versteht man unter „intuitivem Kernwissen“ (core knowledge)?
Bereits Säuglinge verfügen über angeborenes Kernwissen zu:
Physik: z. B. Erwartungen zur Schwerkraft
Biologie & Psychologie: z. B. Motiverkennung bei anderen → Nachweis durch Habituations-Paradigma → Deutet auf evolutionär entstandene kognitive Startkompetenzen hin.
(Seite 33) Was zeigt die Forschung zum frühen „Kernwissen über das Selbst“?
Säuglinge besitzen von Anfang an ein Gefühl der Selbst-Einheit („self-unity“).
→ Verhalten wird durch Annäherung und Vermeidung gegenüber Umweltreizen (z. B. Gesichter, Gerüche, Nahrung) organisiert.
→ Das Selbst ist Ausgangspunkt von Lernen und Entwicklung.
(Seite 32) Wie wird Piagets Sicht auf Säuglinge heute bewertet?
Piaget unterschätzte die frühen Kompetenzen.
Der A-non-B-Fehler erklärt sich teils durch Motorik oder Gedächtnis, nicht nur Denken.
Säuglinge zeigen Kernwissen und Frühformen des Lernens. → Piagets Ansatz bleibt grundlegend, aber wurde empirisch differenziert.
(Seite 35) Was kennzeichnet die präoperationale Phase?
Kinder können Symbole verwenden – z. B. Wörter, um Objekte zu repräsentieren.
→ Denken ist sprachlich-symbolisch, aber noch an Wahrnehmung und Handlung gebunden.
→ Abstrakte Denkoperationen sind noch nicht möglich.
Zentrale Limitationen:
Egozentrismus
Animismus
Zentrierung
(Seite 36) Was bedeutet egozentrisches Denken im Vorschulalter?
Das Kind kann Perspektiven anderer noch nicht einnehmen.
→ Es hält seine eigene Sicht für die einzig mögliche.
Beispiele:
Stummes Nicken am Telefon
Drei-Berge-Versuch (klassisches Piaget-Experiment) → Durch soziale Erfahrungen entwickelt sich allmählich Perspektivenübernahme.
(Seite 36) Was ist animistisches Denken?
Kinder schreiben unbelebten Dingen Leben oder Absichten zu.
→ Beispiel: „Der Baum hat das Blatt runtergeschubst.“
→ Ausdruck einer fehlenden Unterscheidung zwischen Belebtem und Unbelebtem.
(Seite 37) Was meint „Zentrierung“ im präoperationalen Denken?
Kinder fokussieren sich auf ein auffälliges Merkmal und ignorieren andere.
→ Beispiel: Mengenerhaltungsexperiment –
Ein Kind glaubt, im hohen Glas sei mehr Wasser, obwohl es vorher gleich viel war.
→ Reversibles Denken fehlt noch.
(Seite 38) Wie wird die kognitive Limitierung dieser Phase neurobiologisch erklärt?
Leistungen wie Mengenerhaltung hängen mit der Reifung präfrontaler Hemmfunktionen zusammen.
→ fMRI-Studien zeigen:
Kinder mit stärkerer präfrontaler Kontrolle verstehen Mengenerhaltung früher.
→ Kognitive Entwicklung hängt somit eng mit Hirnreifung zusammen.
(Seite 40) Was zeichnet die konkret-operationale Phase aus?
Kinder können jetzt logisch über konkrete Situationen nachdenken.
→ Denken wird reversibel und flexibler.
→ Sie berücksichtigen mehrere Dimensionen gleichzeitig.
Neue Fähigkeiten:
Klassifikation
Transitivität
Seriation
Perspektivenübernahme
(Seite 41) Was bedeuten Klassifikation, Seriation und Transitivität?
Klassifikation: Einordnen von Elementen in übergeordnete und untergeordnete Gruppen (z. B. Familie, Tiere).
Seriation: Objekte nach einem Merkmal ordnen (z. B. Stäbchen nach Größe).
Transitivität: Logische Beziehungen kombinieren (z. B. Wenn A > B und B > C, dann A > C).
(Seite 42) Warum verlaufen Übergänge zwischen den Denkphasen oft unscharf?
Kinder zeigen große Unterschiede in kognitiver Entwicklung.
Übergänge zwischen prä- und operationalem Denken sind fließend.
Domänenspezifische Unterschiede: Ein Kind kann in Mathe schon logisch denken, in Sprache aber noch nicht. Einflussfaktoren:
Gene
individuelle Lernerfahrungen
dialogisches Lernen (soziale Interaktion)
(Seite 43) Wie erklärt Vygotsky kognitive Entwicklung im Unterschied zu Piaget?
Vygotsky betont die soziale Interaktion und den kulturellen Kontext:
Wissen wird im Dialog mit anderen konstruiert.
Sprache ist zentrales Werkzeug des Denkens. → „Private speech“ (Selbstgespräche) sind entwicklungsfördernd, nicht egozentrisch.
(Seite 43–44) Was bedeutet „Scaffolding“ bei Vygotsky?
Scaffolding = abgestufte Unterstützung durch kompetentere Personen (Eltern, Lehrkräfte, ältere Kinder).
→ Hilfestellung wird mit wachsender Kompetenz schrittweise reduziert.
→ Fördert selbstständiges Problemlösen.
(Seite 44) Was beschreibt die „Zone der proximalen Entwicklung“?
Bereich zwischen:
dem, was ein Kind allein kann, und
dem, was es mit Hilfe bewältigt. → Lernen ist am effektivsten innerhalb dieser Zone, wenn Unterstützung gezielt eingesetzt wird. = Kernprinzip des dialogischen Lernens.
(Seite 46) Was zeichnet die formal-operationale Phase aus?
Jugendliche entwickeln die Fähigkeit zum abstrakten und hypothetischen Denken.
→ Sie können über nicht-konkrete Inhalte und Alternativen systematisch nachdenken.
Neue Kompetenzen:
Abstrakte Perspektivenübernahme
Operationen zweiter Ordnung (= Denken über das Denken)
(Seite 47) Was ist mit „abstrakter Perspektivenübernahme“ gemeint?
Jugendliche können Perspektiven einnehmen, die nicht an reale Personen gebunden sind.
→ Beispiel: „Wie fühlen sich Geflüchtete in unserem Land?“
→ Führt oft zu Idealismus und spekulativem Denken.
(Seite 47) Was versteht man unter „Operationen zweiter Ordnung“?
Fähigkeit, über eigene Denkprozesse und Argumentationen zu reflektieren.
→ Beispiel: „Ich stimme dir nicht zu, aber dein Argument war logisch.“
→ Grundlage für wissenschaftlich-rationales Denken.
(Seite 48) Warum erreichen nicht alle Menschen die formal-operationale Phase?
Empirische Befunde zeigen:
Viele Jugendliche & Erwachsene erreichen dieses Stadium nicht vollständig.
Entwicklung hängt von Training, Kontext, Kultur und Bildung ab. → Beispiel: sozioökonomischer Status beeinflusst formale Denkentwicklung.
(Seite 48) Warum ist die Planungsfähigkeit im Jugendalter noch eingeschränkt?
Der präfrontale Kortex ist noch nicht vollständig ausgereift.
→ Jugendliche können Aufgaben einzeln gut, aber Gesamtplanung fällt schwer.
→ Entwicklungsschübe in verschiedenen Gehirnregionen verlaufen zeitlich versetzt.
(Seite 51) Was sind Exekutivfunktionen und wofür sind sie wichtig?
Exekutivfunktionen = Steuerungsprozesse für zielgerichtetes Verhalten.
Sie umfassen:
Kognitive Flexibilität (Themenwechsel)
Arbeitsgedächtnis (Ziele setzen & priorisieren)
Impulskontrolle (Handlungsinhibition) → Reifung: über Kindheit & Jugend bis ca. 25 Jahre. → Ermöglichen Anpassungsfähigkeit und Selbststeuerung im Alltag.
(Seite 53) Welche Stärken und Schwächen weist Piagets Theorie auf?
Stärken:
Einzige umfassende „Grand Theory“ der kognitiven Entwicklung
Begründete Fülle empirischer Forschung
Viele Befunde bis heute gültig
Verbindung mit Hirnforschung → hohes Erklärungspotenzial
Wichtiger Beitrag für pädagogisches Handeln
Kritik:
Kindliche Kompetenzen unterschätzt (intuitives Kernwissen)
Phasenmodell zu starr und nicht differenziell
Soziale und kulturelle Einflüsse vernachlässigt
Kognitive Entwicklung verläuft über die gesamte Lebensspanne
(Seite 54) Wie wird Piagets Stufenmodell in der modernen Forschung interpretiert?
Statt klarer Stufen wird heute ein kontinuierlicher Prozess angenommen:
→ „Overlapping Waves Theory“ (Siegler, 2016)
Kinder nutzen mehrere Strategien parallel, die sich nach und nach verschieben und überlappen.
→ Entwicklung = flexible Anpassung und Optimierung statt starrer Sprünge.
(Seite 55) Welche drei aktuellen neurowissenschaftlichen Ansätze beschreiben kognitive Entwicklung?
Maturational Viewpoint: – Gene → strukturelle Hirnveränderungen → kognitive Funktionen – Entwicklung = Ausreifung biologischer Strukturen
Interactive Specialization: – Hirnfunktionen zunächst rudimentär, werden durch Erfahrung spezialisierter – Kooperation mehrerer neuronaler Netze entscheidend
Neuroconstructivism: – Kognition entsteht durch allmähliche Organisation neuronaler Schaltkreise – Stark umwelt- und erfahrungsabhängig („probabilistische Entstehung“)
(Seite 56) Was betont der Satz „Wired for interaction“ im Schlussfazit?
Die Gehirnentwicklung ist von Beginn an auf Interaktion ausgerichtet.
→ Frühe soziale und Umwelteinflüsse prägen Gehirnarchitektur und Entwicklungspotenzial.
→ Frühkindliche Erfahrungen legen die Basis für lebenslange Lernfähigkeit.
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